Seit mehr als einem Jahr warten die Schweinehalter auf den Start der Initiative Tierwohl. Mancher hatte ernste Zweifel, ob sich der Lebensmitteleinzelhandel (LEH), die Schlachtindustrie und die Erzeugerstufe tatsächlich einigen und ein gemeinsames Konzept auf die Beine stellen. Jetzt, pünktlich zur EuroTier, kommt die Initiative Tierwohl spürbar in Fahrt. Das Konzept: Der freiwillig teilnehmende Landwirt bietet seinen Schweinen mehr Buchtenfläche oder reichlich Wühl- oder Beschäftigungsmaterial an. Entscheidet sich der Landwirt z. B. für 10 % mehr Platz für die Tiere, müsste er dieses Kriterium mit mindestens einem weiteren aus einem Katalog von Maßnahmen kombinieren. Dazu gehören z. B. die Jungebermast oder die automatische Luftkühlung. Alle Details sind in dem SUS-Beitrag „Initiative Tierwohl: Wann lohnt der Einstieg?“ in der Folge 6/2013 beschrieben. Für die umgesetzten Tierwohl-Kriterien erhalten die Teilnehmer festgelegte Bonuszahlungen in Höhe der durchschnittlich aufgewendeten Kosten. Das Geld wird aus einem Fonds genommen, der zuvor von den Einzelhandelsketten gespeist wird. Über dieses Finanzierungs- und Organisationskonzept wurde lange beraten. Nun haben die Discounter Aldi (Nord und Süd) sowie Lidl signalisiert, mitzumachen. Auch die Edeka-Gruppe als Zentrale mit sechs der sieben Regionalgesellschaften, Netto, Kaiser‘s Tengelmann, Kaufland, Real und die Rewe einschließlich Penny sollen dabei sein. Bleibt es bei diesen Unternehmen und den dazugehörigen Handelsmengen, kommen etwa 195 Mio. € zusammen. Dann stehen für die ersten drei Jahre 65 Mio. € pro Jahr für Bonuszahlungen zur Verfügung. Zuvor muss sichergestellt werden, dass keine Be-triebsgruppe benachteiligt oder bevorzugt wird sowie die Teilnahme freiwillig ist. Dies fordern die Kartellwächter. Das Angebot gilt für Mäster, Fer-kelaufzüchter und Sauenhalter gleichermaßen. Kombibetriebe setzen das Programm entweder in allen drei Stufen oder nur in Teilbereichen um. Innerhalb der Stufen muss allerdings jeder seine gesamte Produktion einbringen. Das heißt: Alle Tiere einer Stufe, die unter einer Betriebsnummer laufen, müssen unter gleichen Tierwohl-Bedingungen gehalten werden. Zwar sind die Kriterien-Leitfäden bereits diskutiert und vielen Landwirten bekannt, jedoch noch nicht endgültig verabschiedet. Insider rechnen nicht mehr mit großen Verschiebungen. Geplant sind Höchstboni je Tier von 9 € in der Mast, 3 € in der Ferkelaufzucht und 6 € in der Ferkelerzeugung. Sonderfälle müssen besprochen und einzeln entschieden werden. Die Anmeldung zur Teilnahme soll in wenigen Wochen möglich sein wahrscheinlich zentral und online. Bei dieser Prozedur muss der Landwirt angeben, ab wann und mit welchen Kriterien er in das Programm einsteigt. Nach erfolgreicher Anmeldung muss der Landwirt zeitnah mit der Erstauditierung rechnen. Dann ist u. a. der Nachweis der Basisbedingungen zu erbringen. Hierzu gehören Schlachtbefund-Auswertung, Klima- und Tränkewasser-Check sowie 1,5 % Tageslicht. Aktuell ist es schwer abzuschätzen, wie viele Landwirte tatsächlich Interesse zeigen und welche Kriterien diese erfüllen. Aufgrund des vom LEH begrenzten „Startkapitals“ wurde zunächst das Windhundverfahren diskutiert. Jetzt ist ein Zeitfenster im Gespräch, das zur Anmeldung genutzt werden muss. Um beim Startschuss dabei sein zu können, sollten sich Interessierte bereits jetzt mit den Kriterien auseinandersetzen. Eine Teilnahme-Garantie soll es nicht geben. Um den Zeitplan verwirklichen zu können, müssen noch einige Details geklärt werden. So müssen die geforderten Klima- und Tränkewasser-Checks durch externe Experten beschrieben und festgelegt werden, wer diese durchführen darf. Auch bezüglich der Erfassung und Auswertung der Schlachtbefunde gibt es noch Klärungsbedarf. Nicht zuletzt müssen die Auditoren geschult werden, die ab erstes Quartal 2015 prüfen und die Betriebe freigeben sollen. Welche unabhängigen Zertifizierungsstellen letztlich hierfür bereitstehen bzw. autorisiert werden, ist ebenfalls noch zu klären. Auch ist von verschiedener Seite angekündigt worden, dass bei Nicht-einhalten der frei zu wählenden Kriterien hohe Strafgelder fällig werden. Auch hierüber gibt es noch keine endgültigen Aussagen. Auf der Seite des LEH sind ebenfalls einige Details offen. Wie die Ketten die finanziellen Mittel für den Fonds aufbringen, bleibt jedem Unternehmen selbst überlassen. Einige werden den Betrag von 4 ct/kg Fleisch und Wurstware auf den Endpreis aufschlagen. Das halten Marktexperten für machbar, ohne dass die Verbraucher ihr Kaufverhalten ändern. Wichtig: An den Verkaufstheken wird es definitiv kein Siegel geben. Tierwohlware wird also nicht als solche zu identifizieren sein. Dennoch muss die Initiative Tierwohl dem Verbraucher kommuniziert werden. Ein entsprechendes Konzept wird aktuell mit Fachleuten erarbeitet. Wie bei vielen Programmen gibt es auch bei der Initiative Tierwohl Befürworter und Kritiker. Letztere Gruppe kommt auch aus dem Lager der Schweinehalter. Denn einige Praktiker befürchten, dass der LEH nach Ablauf der ersten drei Jahre Laufzeit die Zahlungen in den Fonds einstellt, sodass die Weiterführung des Programmes gefährdet wäre. Andere stören sich an dem engen Schulterschluss der Erzeuger mit dem LEH. Sie fordern generell höhere Preise, um ihre Existenz abzusichern. Die in Aussicht gestellten Bonuszahlungen reichen dafür nicht, da sie nur die zusätzlichen Kosten decken. Würden z. B. die Supermarktketten auf ihre üblichen Lock- und Billigangebote verzichten, wäre der Branche vermutlich mehr geholfen, argumentieren die Kritiker. Wiederum andere sehen den bürokratischen Aufwand, der mit der Aktion verbunden ist. Letztendlich zahlen es doch wieder die Produzenten, weil der Bonus, so die Befürchtung der Skeptiker, eingepreist wird. Auch werden Probleme gesehen, wenn der Exportanteil der deutschen Schlachtunternehmen weiter steigt. Denn im Export geht es allein um den Preis, und die Lieferanten können nicht mit Tierwohl punkten. Auf dem politischen Parkett trifft die Initiative Tierwohl die Linie der Bundesregierung. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt setzt in dieser Frage auf Freiwilligkeit und Eigen-initiative der Wirtschaft. Er fordert allerdings zeitnah messbare Veränderungen zum Wohle der Tiere. In Reihen der Opposition wird die Initiative Tierwohl gelegentlich als reine Imagekampagne bezeichnet. Das ist jedoch unsachlich, denn es geht konkret um z. B. 10 % mehr Platz jeder Zentimeter zählt. Auch wenn der Zeitplan ambitioniert ist, soll die Initiative Tierwohl im ersten Quartal 2015 starten. Freiwillig teilnehmende Landwirte erhalten für zusätzliche Tierwohl-Leistungen Zahlungen aus einem Fonds. Einige Erzeuger sehen hierin eine Chance, ihre Existenz und ihr Einkommen abzusichern. Andere Schweinehalter befürchten, dass die Auflagen schnell zum Standard erhoben werden und der Bonus früher oder später wegfällt. Dann blieben die Erzeuger doch auf den Kosten sitzen, und die Wettbewerbskraft würde geschwächt. Anmeldung noch Ende 2014? Details noch zu klären Auch kritische Stimmen Fazit -Heinrich Niggemeyer, SUS- Die Initiative Tierwohl soll nun doch im ersten Quartal 2015 starten. Das Ziel sind bessere Haltungsbedingungen auf breiter Front. Doch es gibt auch kritische Stimmen.