Lahmheiten können verschiedene Gründe haben. Erst die sorgfältige Diagnostik führt zur Ursache und zur Behebung des Problems.
Dr. Torsten Pabst, Buldern, und Dr. Sandra Löbert, SGD Münster
Gesunde Gliedmaßen sind eine wichtige Voraussetzung für gute biologische Leistungen. Sowohl aus Tierschutzgründen als auch aus ökonomischer Sicht ist ein gesundes Fundament beim Schwein von großer Bedeutung.
Trotz aller Bestrebungen, die Schweine gesund zu halten, können Lahmheiten in allen Altersklassen auftreten. Die Ursachen können vielfältig sein. Eins ist den lahmen Tieren jedoch gemein: Sie haben starke Schmerzen, die zu vermindertem Zuwachs, schlechterer Futterverwertung, erhöhten Verlusten sowie Einbußen in der Schlachtkörperqualität führen.
Bei Saugferkeln und Absetzferkeln liegt die Ursache häufig in einer bakteriellen Infektion. Am häufigsten werden diese durch Streptokokken hervorgerufen, aber auch andere Erreger wie Hämophilus parasuis, Mycoplasma hyorhinis, E.coli oder Eitererreger können zu Gelenkentzündungen und Lahmheiten führen.
In der Mast und Jungsauenaufzucht stehen neben Klauenerkrankungen vor allem infektiös bedingte Lahmheiten im Vordergrund. Dazu zählen Panaritien, eitrige Gelenkentzündungen, die Glässersche Krankheit, Rotlauf sowie Infektionen mit Streptococcus suis, Mycoplasma hyosynoviae und Mycoplasma hyorhinis. Seit einiger Zeit treten jedoch immer häufiger nicht infektiöse Lahmheiten auf, die zum sogenannten „Beinschwäche-Syndrom“ zählen.
Fall 1: Lahmende Schweine am laufenden Band
Die Erfahrung, dass Fundamentprobleme in der Mast nicht immer infektiöser Natur sein müssen, musste auch Landwirt Meier machen. In seinem Bestand mit 9000 Mastplätzen, die sich auf sechs Ställe mit je 1500 Plätzen verteilen, wurden seit Jahren Mastläufer aus einem festen Ferkelerzeugerbetrieb eingestallt.
Seit mehreren Monaten beobachtete Meier das gleiche Krankheitsbild: Wenige Tage nach der Einstallung traten bei den Schweinen Lahmheiten und z.T. massive Gliedmaßenfehlstellungen auf. Die bisherige Diagnostik von Gelenkpunktaten hatte verschiedene Ergebnisse gebracht. Mal konnte Mycoplasma hyosynoviae nachgewiesen werden, mal Streptokokken, ein anderes Mal war das Gelenkpunktat steril und es wurden keine Erreger nachgewiesen. Auch bei Sektionstieren konnten im weiteren Verlauf keine krankmachenden Keime aus den Gelenken isoliert werden.
So wurde der Schweinegesundheitsdienst (SGD) hinzugezogen. Die Hälfte der etwa 50 kg schweren Schweine zeigten Fundamentprobleme. Sie reichten von steifem, trippelndem Gang, Verweilen in hundesitziger Stellung bis hin zu hochgradigen Hinter- und/oder Vorderhandlahmheiten.
Zudem waren häufig Hilfsschleimbeutel im Bereich der Vorderfußwurzel- und Sprunggelenke ausgebildet. Zusätzlich zu den beschriebenen Symptomen hatten die Schweine auch Gliedmaßenfehlstellungen, die sich vor allem in einer Vorbiegung der Vorderfußwurzelgelenke und in einer steilen Hinterhandstellung zeigten.
Aus den vorliegenden Befunden ergab sich die Verdachtsdiagnose, dass die Schweine an Osteochondrose, die zum Beinschwäche-Syndrom zählt, erkrankt sind. Sie ist charakterisiert durch Defekte der Gelenkknorpel und der knorpeligen Wachstumszonen im Knochen. Insbesondere frohwüchsige Rassen, bei denen das Skelettwachstum nicht in gleichem Maße dem Muskelwachstum hinterherkommt, sind betroffen.
Beim Umbau der knorpeligen Wachstumszonen in Knochen spielen Mineralstoffe wie Calcium und Phosphor, aber auch Mangan, Kupfer und Zink eine Rolle. Über- und Unterversorgung sowie ein falsches Verhältnis der einzelnen Mineralstoffe zueinander können den Knochenstoffwechsel stören.
Zwei Schweine zum Röntgen
Osteochondrotische Veränderungen treten beim Schwein vor allem am Oberschenkelkopf, am Sitzbein sowie an der unteren Wachstumsfuge der Elle auf. Am lebenden Tier lässt sich Osteochondrose nur durch eine aufwendige Röntgenuntersuchung diagnostizieren, was in der Schweinepraxis jedoch nicht gängig ist, aber in diesem Fall gemacht wurde.
Zwei Mastschweine wurden in Narkose geröntgt. Die unteren Wachstumsfugen der Elle erschienen verbreitert und unregelmäßig. Außerdem waren im darunterliegenden Knochen Bereiche sichtbar, in denen sich der Knochen aufgelöst hat. Im Ellbogengelenk konnte bei einem Schwein die Ablösung des Knorpels vom darunterliegenden Knochen diagnostiziert werden. Die Verdachtsdiagnose konnte damit bestätigt werden.
Da die Krankheitssymptome zum Teil bereits kurz nach Einstallung auftraten, wurden weiterführende Untersuchungen im Ferkelerzeugerbetrieb zur Ursachenfindung eingeleitet. Bei der Untersuchung der Rationen wurden im Ferkelaufzuchtfutter 2 zu niedrige Gehalte an Calcium und Phosphor festgestellt. Im Ferkelfutter 3 waren vor allem ein zu niedriger Calcium-Gehalt und ein zu enges Calcium-Phosphor-Verhältnis auffällig.
Zusätzlich wurde beim niederländischen Tiergesundheitsdienst eine Untersuchung des Calcium-Stoffwechsels durchgeführt. Hierzu wurden Blutproben eingeschickt und auf zwei Knochenmarker analysiert. Der erste Marker war das CTx (C-terminales Telopeptid), das beim Knochenabbau freigesetzt wird. Auch wurde auf Osteocalcin (OC) analysiert, das von den knochenaufbauenden Zellen gebildet wird. Diese Werte sowie das Verhältnis der beiden zueinander lässt Rückschlüsse zu, ob die wachsenden Tiere genügend Knochen aufbauen oder sich in einer Mangelsituation befinden und nicht genug Knorpel in Knochen umgewandelt wird. Bei wachsenden Schweinen sollte OC hoch und CTx niedrig sein. Bei den untersuchten Schweinen waren die Ergebnisse von OC zu niedrig und von CTx zu hoch und wiesen damit auf knochenabbauende Prozesse hin, was ebenfalls die Verdachtsdiagnose unterstrich.
Fütterung angepasst
Aufgrund der Laborergebnisse wurde die Fütterung in der Ferkelaufzucht angepasst. Neben einer Korrektur des Calciumgehaltes wurde auch die Versorgung mit Vitamin D3, das eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Calcium-Stoffwechsels spielt, geändert. Vitamin D3, wird unter UV-Strahlung in der Haut gebildet oder muss alternativ über das Futter zugeführt werden.
In der Ferkelaufzucht wurde von einer Zugabe von Vitamin D3 auf die Fütterung von Calcidiol umgestellt. Dabei handelt es sich um die biologisch aktive Form des Vitamin D3, das normalerweise in der Leber gebildet wird. Durch die Zugabe über das Futter wird dieser Schritt umgangen, der Stoffwechsel entlastet und das Vitamin D3 besser verfügbar gemacht. Die Optimierung der Fütterung in der Ferkelaufzucht hat dazu geführt, dass im Mastbetrieb keine Fundamentprobleme mehr aufgetreten sind.
Fall 2: Viele reklamierte Jungsauen
Dass Fundamentprobleme in der Sauenhaltung und bei Jungsauen ein ernst zu nehmendes Problem darstellen, soll der zweite Fall zeigen. Ein Jungsauenaufzüchter mit 1500 Plätzen beliefert verschiedene Ferkelerzeugerbetriebe mit Jungsauen. Anfang 2016 nahm der Anteil an Reklamationen bei den ausgelieferten Jungsauen innerhalb der ersten sechs Wochen zu. Insgesamt 1,85% der ausgelieferten Sauen wurden im ersten Quartal aufgrund von schlechten Fundamenten reklamiert.
Während dieser Zeit führte der Hoftierarzt verschiedene diagnostische Maßnahmen bei den lahmenden Tieren durch. Neben Gelenkpunktaten wurden unter anderem auch Sauen seziert. Hierbei konnten hochgradige Gelenkentzündungen festgestellt werden. In den Sektionen wurden zunächst mittels PCR auch der Erreger Mycoplasma hyosynoviae nachgewiesen.
Dieses wurde in den verschiedenen Gelenkpunktaten bestätigt. Da eine Erregeranzucht nicht möglich war, wurde als erste Maßnahme eine Behandlung der Sauen bei Auslieferung mit einem Antibiotikum durchgeführt (siehe Übersicht, roter Pfeil). Hierbei konnte die Reklamationsrate im zweiten Quartal 2016 auf 0,77% reduziert werden.
Da eine dauerhafte Behandlung der Tiere aufgrund des Zieles der Einsparung von Antibiotika nicht zu tolerieren war, wurde diese Maßnahme wieder eingestellt. Im weiteren Verlauf 2016 und 2017 wurden jedoch immer wieder Sauen aufgrund von Lahmheiten reklamiert.
Bei der weiterführenden Diagnostik konnte in Gelenkspunktaten M. hyosynoviae angezüchtet werden. Hieraus wurde ein stallspezifischer Impfstoff hergestellt, welcher seit Anfang 2018 (siehe Übersicht, grüner Pfeil) bei den ausgelieferten Jungsauen im Abstand von drei Wochen geimpft wird. Nachdem nur noch Mycoplasma hyosynoviae geimpfte Sauen ausgeliefert wurden, sank die Reklamationsrate deutlich unter 1%.
Zusammenfassung
- Lahmheiten können in der Schweineproduktion unterschiedliche Ursachen haben. Eine ausführliche Diagnostik kann die Ursache klären.
- Bei fütterungsbedingten Lahmheiten können neue diagnostische Maßnahmen weiterhelfen.
- Stallspezifische Impfstoffe gegen Mycoplasma hyosynoviae sind ein gutes Mittel zum Schutz der Tiere gegen diesen Erreger.