Der Düsser Versuch zur Ferkelkastration unter lokaler Betäubung zeigt, dass moderne Anästhetika den Tierschutz verbessern können.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Da die chirurgische Ferkelkastration für das Tier schmerzhaft ist, werden unterschiedliche Alternativen gesucht. Lässt sich mittels eines Lokalanästhetikums der Kastrationsschmerz ausschalten oder deutlich reduzieren? Um diese Frage ging es in einem Forschungsprojekt der Uni München, des Schweinegesundheitsdienstes NRW (SGD) und des Versuchs- und Bildungszentrums Haus Düsse. Erste Ergebnisse wurden Ende Oktober vorgestellt.
232 Ferkel in fünf Gruppen
Insgesamt wurden 232 männliche, unter sieben Tage alte Ferkel einbezogen. Diese teilte man auf fünf Versuchsgruppen auf:
- Gruppe 1: Die Ferkel wurden lediglich hochgenommen. Eine Behandlung bzw. Kastration fand nicht statt.
- Gruppe 2: Die Tiere wurden fixiert und auf herkömmliche Weise kastriert. Eine Schmerzbehandlung mit Metacam war nicht vorgesehen.
- Gruppe 3: Den Ferkeln wurde vor der Kastration beidseitig eine 5%-ige Lidocain-Narkosespritze in die Leisten sowie Hodensack injiziert.
- Gruppe 4: Die Ferkel wurden analog zur Gruppe 3 mit einer 2%-igen Procain-Lösung örtlich betäubt.
- Gruppe 5: Die Tiere wurden im Versuch nach schwedischem Vorbild mit einer 1%-igen Lidocain-Lösung direkt in die Hoden behandelt.
Beide Lokalanästhetika enthielten einen Sperrkörper zur schnelleren Anflutung. Die Dosierung erfolgte nach Herstellerangaben. Der zeitliche Abstand zur Kastration betrug 30 Minuten.
Um den Kastrationsschmerz zu bewerten, wurden das Abwehrverhalten der Ferkel bei der Injektion, beim Hautschnitt sowie bei der Durchtrennung des Samenstrangs mit Noten von 1 (ohne) bis 8 (heftig) erfasst.
Zudem ging es um die Fitness und motorischen Fähigkeiten der Ferkel nach der Kastration. Um zurück ins Ferkelnest zu gelangen, mussten sie eine definierte Hindernisstrecke überwinden. Die dafür benötigte Zeit wurde mit der aus der letzten Trainingseinheit verglichen. Außerdem wurde die Stressreaktion anhand der Kortisolwerte im Blut bestimmt. Die Blutentnahme erfolgte vor der Lokalanästhesie und Kastration sowie 30, 60 und 240 Minuten danach.
Abwehrverhalten erfasst
Zunächst zum Abwehrverhalten:
- Injektion: Bei den Kontrollferkeln aus der Handling-Gruppe wurde eine Durchschnittsnote von 2,2 ermittelt. Deutlichere Reaktionen wurden erfasst, wenn tatsächlich eine Injektion er-folgte. Wobei die Ferkel auf die zweimalige Injektion in den Hodensack/Leistengegend stärker reagierten als auf die einmalige Injektion direkt in die Hoden (Noten: 6,1 bzw. 5,5 vs. 3,0).
- Haut: Nicht betäubte Ferkel reagierten beim Schnitt durch die Haut am heftigsten (Note 5,5). Sowohl Procain als auch Lidocain, beidseitig in den Hodensack/die Leistengegend deponiert, brachten Fortschritte. Hier betrugen die Durchschnittsnoten 3,5 bzw. 3,6. Am besten schnitt die Gruppe „Lidocain 1%“ direkt in den Hoden mit der Note 1,8 ab (s. Übersicht 1, links).
- Samenstrang: Die Reaktion bei der Durchtrennung des Samenstrangs war in der Regel deutlicher als beim Hautschnitt (Übersicht 1, rechte Spalte). Daraus folgt, dass dieser Teil der Kastration der schmerzhaftere ist. Die unbetäubten Ferkel reagierten ohne Ausnahme sehr heftig, so dass jeweils die Höchstnote 8 vergeben wurde. Die Gruppen Procain und Lidocain (Leiste/Hodensack) sowie Lidocain in den Hoden schnitten mit der Durchschnittsnote 3,5, 4,5 bzw. 3,5 ab. Die Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen waren zufällig. In allen drei Gruppen gab es Ferkel, die keinerlei Reaktionen bzw. deutliches Abwehrverhalten zeigten.
Hürdenlauf nach Kastration
Wenn ein Ferkel direkt nach der Kastration zügig über Hürden läuft, hat es zuvor vermutlich wenig Schmerzen erfahren. Alle Ferkel waren trainiert. Das heißt, sie kannten den Parcours. Die Tiere benötigten im Schnitt 4,6 Sekunden, um die definierte Strecke zu überwinden.
Nach der Kastration wurde das jeweilige Ferkel in den Parcours gesetzt. Ergebnis: Die Ferkel der Gruppe 2 (ohne Betäubung) brauchten rund eine Sekunde länger als im Training. Sie waren gehandicapt. Die gleiche Aussage lässt sich auch für Ferkel der Gruppe 4 (Procain) ableiten. Auch hier war der Drang, schnell wieder in das Ferkelnest zu gelangen, gebremst. Die Ferkel der beiden Lidocain-Gruppen hingegen waren deutlich flotter unterwegs und verbesserten sogar teils die Bestmarken aus dem Training. Die Tiere der Handlinggruppe brauchten exakt die Zeit aus dem Training.
Interessant auch die Reaktion auf die Injektion des Narkosemittels: Während die Ferkel aus beiden Lidocain-Gruppen unbeeindruckt waren, benötigten die mit Procain-behandelten Ferkel für den Hürdenlauf deutlich länger als in der Trainingseinheit.
Kortisol im Blut
Nachdem sich der Kortisolverlauf in Studien als schmerzassoziierter Parameter etablieren konnte, sollte er auch in dieser Untersuchung zur Einschätzung von Stress und kastrationsbedingtem Schmerz dienen. Wobei sich Stress durch z.B. der Injektion nur schwer vom Stress durch die eigentliche Kastration trennen lässt. Hier die Ergebnisse:
- Die Kortisolwerte vor der Fixierung waren in allen Gruppen gleich.
- Dreißig Minuten nach der Kastration ergaben sich deutlich höhere Kortisolwerte, unabhängig von der Art der lokalen Betäubung. Nur in der Kontrollgruppe (Handling) blieb der Wert auf dem Ausgangsniveau.
- Sechzig Minuten nach der Kastration waren bei den Ferkeln der Procain-Gruppe die Kortisolwerte nochmals gestiegen. Für die anderen Versuchsgruppen galt dies nicht. Hier gingen die Kortisolwerte leicht zurück.
- Vier Stunden nach Kastration wurden bei allen Gruppen einschließlich der Procain-Gruppe wieder die Ausgangswerte erreicht.
Fazit
Auf Haus Düsse wurden verschiedene Methoden der Lokalanästhesie bei der Kastration getestet:
- Die Verabreichung von Lidocain führt tendenziell zu einer geringeren Belastung als eine Procain-Betäubung.
- Während der Kastration führte der Einsatz von Lidocain zu einer Schmerzreduktion. Die Vorbehandlung mit Procain dagegen wirkte weniger.
- Die Untersucher halten fest, dass keine der auf der Düsse durchgeführten Betäubungsmethoden zu einer vollständigen Schmerzausschaltung führte.
- Die Untersucher halten fest, dass keine der auf der Düsse durchgeführten Betäubungsmethoden zu einer vollständigen Schmerzausschaltung führte.
Quelle: Untersuchungsergebnisse zur Lokalanästhesie bei Ferkeln, Vortrag von Dr. Susanne Zöls, Klinik für Schweine München am 31.10.2018 auf Haus Düsse.