In Thüringen arbeiten 14 Schweinehalter an einer nachhaltigen Langschwanzhaltung. Wie steinig der Weg bis dahin ist, zeigen die Resultate der einzelbetrieblichen Risikoanalysen.
Melanie Große Vorspohl, Tierproduktion Alkersleben, Dr. Simone Müller, TLL Jena
Das Schwänzekupieren ist laut Gesetz nur in begründeten Einzelfällen als Vorbeuge gegen Caudophagie erlaubt. Dabei ist diese Anwendung noch heute die sicherste Methode, Schwanzverletzungen, die viele Ursachen haben können, zu vermeiden.
Ein Bündnis aus 14 thüringischen Schweinehaltern und ihren Partnern aus Beratung und Wissenschaft hat sich dennoch der Herausforderung gestellt und vor zwei Jahren ein Projekt mit klarer Zielvorgabe gestartet: Die Etablierung eines praxiserprobten Beratungs- und Managementsystems, mit dem nachhaltig unkupierte Ferkel aufgezogen und gemästet werden können.
Vorversuch ernüchternd
Im Projekt sind größtenteils Betriebe im (teil-)geschlossenen System, aber auch reine Ferkelerzeuger vertreten. Zusammen verfügen sie über rund 30000 Sauen-, 110000 Aufzucht- und 98000 Mastplätze. Die Erfahrungen zur Langschwanzhaltung waren sehr unterschiedlich. Für eine Status Quo-Erhebung testeten neun Betriebe, wie sich ein geringerer Kupiergrad bzw. ein vollständiger Kupierverzicht auswirken.
Die Ergebnisse waren ernüchternd. Bereits eine Verringerung der Kupierlänge von 1/2 auf 1/3 steigerte bei den knapp 1000 Tieren das Auftreten von Schwanznekrosen und Teilstückverlusten signifikant (siehe Übersicht 1 und 2). In der unkupierten Gruppe wurde bis Mastende sogar bei über der Hälfte der rund 270 Tiere ein Teilstückverlust des Schwanzes festgestellt.
Auch Ohrrandnekrosen wurden in die Erfassung mit einbezogen. Dabei stellte sich heraus, dass diese unabhängig vom Kupiergrad auftreten und eher als Bestandsproblem zu sehen sind.
Die Ergebnisse der Ist-Analyse machten den Projektteilnehmern deutlich, dass man sich dieser Problematik strukturiert in Form einer umfassenden Risikoanalyse stellen muss. Am runden Tisch wurden dafür folgende Schwerpunkte gesetzt:
- Tiergesundheit und Stoffwechsel;
- Futter- und Wasserversorgung;
- Stallklima;
- Haltungsmanagement;
- Mitarbeiter.
Großer Gesundheitscheck
Angefangen bei der Tiergesundheit wurde auf allen Betrieben durch den Thüringer Schweinegesundheitsdienst (SGD) eine Erregeruntersuchung durchgeführt. Im Fokus standen PRRS, PCV2 und Influenza sowie die Bakterieninfektionen M. hyopneumoniae, Salmonellen und APP. Anhand dieser Untersuchungen und bis zu 40 Einzelkriterien gab der SGD eine einzelbetriebliche Risikoschätzung zur Aufstallung unkupierter Kleingruppen ab.
Dabei konnte 8 von 14 Unternehmen aufgrund ihres SPF-Status ein gutes Ausgangsniveau bescheinigt werden. Fünf Betriebe erhielten die Empfehlung zunächst keine unkupierten Tiere aufzustallen, da in ihren Beständen teils akute Infektionsverläufe mit PRRS, Influenza oder Durchfallerkrankungen diagnostiziert wurden. Diese Betriebe profitierten besonders von der veterinärmedizinischen Spezialberatung, die durch eine externe Fachtierärztin erfolgte. Hier widmete man sich intensiv der Sauengesundheit, der Saugferkel- und Absetzermedikation sowie der Abklärung von Erkrankungsursachen.
Toxine nicht unterschätzen
In jedem Betrieb wurden auch 20 Würfe einer umfangreichen Saugferkelbonitur unterzogen. Diese lieferte Hinweise dafür, dass die jungen Ferkel sehr früh über die Muttermilch schädliche Stoffwechselprodukte wie z. B. Endotoxine bzw. Mykotoxine aufnehmen.
So wurden bereits bei drei bis fünf Tage alten Tieren entzündete Kronsäume sowie Nekrosen an den Schwanzspitzen bzw. der Schwanzbasis und den Zitzen (siehe Übersicht 3) beobachtet. Nekrotisierte Zitzen gelten als sichere Indikatoren für eine Belastung mit ZEA. DON erhöht die Anflutung von Endotoxinen durch eine gestörte Darm-Blutschranke.
Dieser Verdacht erhärtete sich durch die Futteranalyse. Zwar überschritten die Befundwerte für DON und ZEA in allen 150 Proben nicht die EU-Orientierungsgrenzwerte von 0,9 bzw. 0,10 mg/kg. Setzt man allerdings die von der Beratungspraxis empfohlenen Grenzwerte von 0,15 bzw. 0,05 mg/kg an, überschritten fast ein Drittel der Sauen- und Ferkelfutter den DON-Grenzwert. Latente Mykotoxinbelastungen beeinträchtigen das Immunsystem und verringern die Chancen, die Tiere ohne gesundheitliche Störungen aufziehen bzw. mästen zu können.
Als erste Gegenmaßnahme sind mehrere Betriebe dazu übergegangen, das Futter für die säugenden Sauen und die Absetzferkel mit Mykotoxinbinder zu versetzen. Außerdem verzichten sie jetzt auf den Einsatz von Risikokomponenten wie Weizenkleie.
Futter regelmäßig prüfen
Neben der Mykotoxinbelastung wurde auch die Versorgung mit Nährstoffen, Aminosäuren, Mineralstoffen, Spurenelementen und Strukturkohlenhydraten überprüft. Dabei stellte sich in einigen Fällen heraus, dass sowohl die Gehalte an Aminosäuren (insbesondere Threonin) sowie den Mineralstoffen Calcium und Phosphor im Sauenfutter zu niedrig waren. Intensiv diskutiert wurden auch die zum Teil hohen Gehalte an Spurenelementen wie Zink, Mangan oder Kupfer im Futter der Ferkel.
Zudem entsprachen nicht in jedem Fall die analysierten Gehaltswerte für die Strukturkohlenhydrate NDFom und ADFom im Futter für tragende und säugende Sauen sowie Mastschweinen den Empfehlungen. Damit stehen zu geringe Mengen an bakteriell fermentierbaren Substanzen für die Dickdarmverdauung zur Verfügung, die als Baustein einer guten Darmgesundheit gilt. Neben der Nachjustierung bei den Inhaltsstoffen musste zudem der Vermahlungsgrad des Futters angepasst werden, da die Struktur mehrfach als zu fein bewertet wurde.
Wasseraufnahme nachhalten
Für die Bewertung der qualitativen Wasserversorgung wurden auf den Betrieben an unbehandelten Tränken Proben gezogen. Chemische Inhaltsstoffe, die sich negativ auf die Wasseraufnahme auswirken, konnten nicht gefunden werden. Auch eine mikrobielle Vorbelastung durch Coli und coliforme Keime war in 80 bis 90% der Proben nicht festzustellen.
Die Belastung an Bakterien und Pilzen, angegeben in kolonienbildenden Einheiten (KBE) bei 22°C und 36°C, war in einigen Betrieben grenzwertig, obwohl dort das Tränkwasser hygienisiert wurde. Nachdem das Problem erkannt war, konnten die Ursachen durch eine Nachjustierung der Dosiertechnik behoben werden. Mehrere Betriebe rüsteten eine Wasserhygienisierung nach.
Hinsichtlich der quantitativen Wasserversorgung bot sich ein differenziertes Bild. Ausgehend von empfohlenen Durchflussraten zwischen 0,5 und 0,7 l in der Aufzucht und 1,2 bis 1,8 l in der Endmast lagen jeweils rund 30% der Tränken unter- bzw. oberhalb des Solls. Beides wirkt sich nachteilig auf die Tränkwasseraufnahme aus.
Als Reaktion auf diese Ergebnisse haben die Betriebe die stetige Prüfung der Tränken fest in die Stallkontrolle integriert. Zusätzlich wurden in einigen Abteilen Wasseruhren eingebaut, um den Verbrauch genauer zu erfassen. Als gängiger Richtwert hat sich etabliert, dass jedes Tier mindestens die dreifache Menge des täglichen Trockenfutterverbrauches auch in Form von Wasser aufnehmen soll.
Stalltemperatur runterregeln
Fester Bestandteil der Analyse war auch das Stallklima. Hier zeigten Verlaufsmessungen, dass die Tag-Nacht-Schwankungen im tolerierbaren Bereich von unter 15% lagen. Allerdings wurde durch Datenlogger nachgewiesen, dass die angestrebten Raumtemperaturen nicht in jedem Betrieb auch tatsächlich im Liegebereich ankommen.
Einige Betriebe senken die Raumtemperaturen im Aufzuchtverlauf nur moderat ab. Hier zeigten Wärmebildaufnahmen, dass ab der zweiten Aufzuchthälfte Wärmebelastungen auftraten. So wurden an den Ohren und Schnauzen der Tiere erhöhte Oberflächentemperaturen gemessen. Das ist als klarer Beweis für Hitzestress zu werten.
Als Reaktion auf den Lüftungscheck wurden im Klimacomputer die Regelbereiche, die Temperaturkurven bzw. die hinterlegten Knickpunkte sowie die Minimum-/Maximumluftraten geändert. Einige Betriebe arbeiten noch daran verschiedene Temperaturzonen und Kühlmöglichkeiten einzurichten.
Größere Umbauten sind notwendig, wenn in den Ställen die Konzeptionierung bzw. Dimensionierung der Zu- und Abluftführung keine optimale Klimaführung gewährleistet. Es wurden NH3- und CO2-Konzentrationen gemessen, die zwar den gesetzlichen Vorgaben genügen, aus tiergesundheitlicher Sicht aber zu reduzieren sind. Aufgrund der erheblichen Investitionskosten, die mit wesentlichen Änderungen in der raumlufttechnischen Anlage einhergehen, wollen die betroffenen Betriebe sukzessiv umbauen.
Mehr Buchtenstruktur bieten
Auch die Konkurrenz um Raum kann für die Schweine zur Belastung werden. Fakt ist, dass die gesetzlichen Besatzdichten in Aufzucht und Mast zum Ende des Haltungsabschnittes nur bedingt eine Buchtenstrukturierung zulassen. Dem wollen einige Projektbetriebe entgegenwirken, indem sie Trennwände entfernen und gezielt Fress- und Ruheplätze einrichten.
Als problematisch sind auch die Fütterungssysteme zu bewerten, die teils zu Futterkonkurrenz und Stress führen. Hier sind Änderungen allerdings mit erheblichen Investitionen verbunden. Daher wollen die Stallbetreiber verstärkt auf tiergerechtere Fütterungsstrategien setzen. Dazu zählt die Fütterung auf kleinere Mengen und mehrere Zeitblöcke zu verteilen.
Geht es um die Frage, wie die Haltung Einfluss auf Schwanzverletzungen nimmt, wird schnell der Bogen zum Beschäftigungsmaterial gespannt. Hier bieten alle Betriebe den Tieren meist verschiedene Eigenbaulösungen an.
Als organisches Beschäftigungsmaterial ein Raufutter wie Luzerneheu einzusetzen, hat sich in den ersten Langschwanzversuchen als gute Vorbeuge- bzw. Notfallmaßnahme erwiesen. Ein dauerhaftes Angebot können sich die Betriebsleiter dennoch nicht vorstellen. Zu groß ist die Gefahr verstopfter Güllesysteme und der Aufwand für die händische Befüllung der Raufutterspender.
Mitarbeiter einbinden
Aufgrund der Bestandsgrößen sind auf allen Betrieben zahlreiche Fremdarbeitskräfte im Einsatz. Die Betriebsleiter erkannten sehr schnell, dass sie für die intensive Betreuung unkupierter Tiere auf motivierte und geschulte Mitarbeiter angewiesen sind.
Deswegen wurde zunächst im Rahmen des Projektes eine Fortbildungsreihe gestartet, die bei den Mitarbeitern auf sehr großes Interesse stieß. Heute haben sich in Thüringen jährliche, projektübergreifende Schulungen zu verschiedenen Themenbereichen der Schweinehaltung etabliert. Nach Aussage der Betriebsleiter eine der besten Errungenschaften des Projektes.
Fazit
Vierzehn thüringische Betriebe wollen zukünftig auf das Schwänzekupieren verzichten. Im Rahmen eines Projektes wurde zunächst ein Status Quo erhoben. Anschließend wurden einzelbetriebliche Schwachstellen-Analysen durchgeführt.
Dabei ergab sich in puncto Tiergesundheit, Fütterung, Lüftung und Buchtenstruktur Verbesserungspotenzial. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass das Stallpersonal für die anspruchsvolle Haltung von Langschwänzen motiviert und geschult werden muss.
An einigen Stellschrauben haben die Projektbetriebe bereits gedreht. Doch die stufenweise Optimierung ist zeitintensiv. Erst in diesem Jahr stallen die ersten von ihnen unkupierte Ferkel auf.