Seit 2008 wütet die Afrikanische Schweinepest in Russland. Warum versagt die Bekämpfung? Was heißt das für uns?
Fred Schnippe, SUS
Die afrikanische Schweinepest (ASP) grassiert seit zehn Jahren in Ost-Europa. 2007 meldeten die Kaukasus-Länder Georgien, Armenien und Aserbaidschan erste ASP-Fälle. Kurz danach schwappte das hoch ansteckende Virus in den Südwesten Russlands über (siehe Karte).
Von dort breitete sich die Seuche weiter nach Weißrussland, die Ukraine und Rumänien sowie nordwestlich in die baltischen Staaten aus. Seit 2014 sind mit Polen und zuletzt Tschechien erstmals unsere Nachbarländer betroffen. Die Gefahr eines ASP–Ausbruchs in Deutschland steigt damit.
Fachleute betonen, dass eine nachhaltige Bekämpfung der ASP nur Länder-übergreifend möglich ist. Denn solange das Virus in Russland wütet, lässt sich nicht ausschließen, dass Wildschweine oder Menschen die Seuche nach Westen tragen.
Letztes Jahr 185 ASP-Fälle
Doch von einer erfolgreichen Bekämpfung ist Russland selbst zehn Jahre nach Erstausbruch weit entfernt. So meldete die Veterinärbehörde Rosselhoznador letztes Jahr 185 neue ASP-Fälle. Rund drei Viertel davon entfallen auf Hausschweinebestände, die Übrigen auf Wildschweine. Als das bislang schlimmste Pestjahr gilt 2016 mit offiziell 298 Neuausbrüchen.
Real dürfte das Seuchengeschehen nach Einschätzung russischer Tierärzte wesentlich größer sein. Denn vor allem in den vielen Hinterhofhaltungen wird die Krankheit oft vertuscht. Neben der hohen Anzahl neuer Infektionen sorgen sich die russischen Veterinäre um die starke räumliche Ausdehnung. Heute sind 46 von 85 Provinzen mit ASP infiziert.
Jetzt auch Sibirien betroffen
Zudem sorgte im letzten Jahr die Verschleppung der ASP in zwei freie Regionen für Aufsehen. Der erste Paukenschlag war der Erstausbruch der Seuche jenseits des Uralgebirges. So galten Sibirien und die weiter östlich gelegenen Landesteile noch Ende 2016 als ASP-frei. Heute tritt die gefährliche Seuche in fünf sibirischen Provinzen auf. Und mehr als 30 Schweinebestände wurden dort bereits gekeult.
Die Ausbreitung der Pest östlich des Urals bringt zwei Probleme. So stehen allein im Föderationskreis Sibirien mehr als 3 Mio. Schweine. Das heißt, bis zu 15% des landesweiten Bestandes sind zusätzlich ASP-gefährdet. Außerdem stellt das Pestgeschehen im Osten Russlands eine erhebliche Gefahr für das Nachbarland China dar.
Damit muss Moskau seine ambitionierten Pläne, größere Mengen Schweinefleisch in die Volksrepublik zu exportieren, wohl auf Jahre begraben. Die jüngsten ASP-Ausbrüche im Grenzgebiet zu Kasachstan haben Pekings Lust auf russisches Fleisch endgültig verdorben. Russlands Agrar-Konzerne haben bereits darauf reagiert und ihre milliardenschweren Stallbauprojekte für den fernen Osten drastisch verkleinert.
Der zweite Paukenschlag folgte im Herbst letzten Jahres. Da schlug das Virus erstmals im Föderationskreis Belgorod zu. Die Region südlich von Moskau ist das Herz der russischen Schweinehaltung. Ein Viertel aller Schweine sowie alle namhaften Agrarkonzerne sind dort vertreten.
Mega-Betriebe getroffen
Die Region galt lange als ASP-sicher. So haben die Großkonzerne viel Geld in die hygienische Abschottung ihrer Bestände investiert. Zudem haben sie im großen Stil Hinterhofhaltungen aufgekauft, um das Pestrisiko zu senken. So blieb die Veredelungsregion lange ASP-frei.
Die Situation kippte, als Mitte September Russlands zweitgrößter Schweinekonzern Rusagro den Pest-Ausbruch meldete. Die Anlage mit 16000 Schweinen wurde gekeult. Weitere 24 Standorte von Rusagro blieben verschont.
Allerdings fiel im Dezember die nächste Großanlage in Belgorod der ASP zum Opfer. Diesmal traf es Russlands größten Schweineproduzenten Miratorg, der alle 24000 Schweine der Mastanlage keulen musste.
Zwar ist die Schweinepest in Belgorod bislang nur in einem weiteren kleinen Privatbetrieb so wie bei sieben Wildschweinen aufgetreten. Allerdings fürchten Veterinäre, dass dies nur der Anfang des Seuchengeschehens in der viehdichten Region ist, da die Epidemie vermutlich an Dynamik gewinnt.
Rund 2 Mio. Tiere gekeult
Schon heute hat die Pest in Russland massive Schäden hinterlassen. So wurden binnen zehn Jahren nahezu 1000 ASP-Ausbrüche bestätigt. In den betroffenen Betrieben kamen 800000 Schweine zur Keulung. Insgesamt sind der Pest rund 2 Mio. Schweine zum Opfer gefallen. Denn laut Veterinärgesetz sind neben dem infizierten Bestand auch benachbarte Betriebe mit Hygienemängeln zu keulen.
Allein die beiden Großkonzerne Rusagro und Miratorg beziffern ihre Verluste durch die jüngsten Ausbrüche auf 8 Mio. €. Der russische Verband der Schweineerzeuger schätzt, dass die Branche im letzten Jahrzehnt durch die ASP 75 Mrd. Rubel verloren hat. Das sind bei aktuellem Kurs rund 1,2 Mrd. €. Hinzu kommen Einbußen durch den Preisverfall und Exportsperren.
Für Aufsehen sorge zudem der Fund von ASP-infizierter Wurst in zwei Supermärkten in Sibirien. Die Ware stammte aus einem großen Fleischbetrieb bei Moskau. Das heißt: Das Virus kann in die professionelle Fleischkette gelangen und sich im Fleisch mehr als 5000 km über den halben Kontinent bewegen!
ASP-Bekämpfung versagt
Trotz der hohen Schäden hat Moskau bis heute kein wirksames Mittel gegen die ASP. Dies hat zahlreiche Gründe:
- Es fehlt ein nationaler Bekämpfungsplan. Bei Keulungs- und Sperrmaßnahmen sind lokale Behörden auf sich allein stellt. Oft fehlt es an Abstimmung und striktem Durchgreifen.
- Nur in Einzelfällen stellt Moskau Geräte für Keulung und Hygiene bereit. Ein modernes Zentrallabor für Pestanalysen gibt es nur in Sibirien.
- Die Regierung hat zu lange auf einen Impfstoff gesetzt. Zwar existiert eine Vakzine, die den ASP-Tod verhindert. Doch die Tiere bleiben ansteckend und ihr Fleisch nicht verkaufsfähig.
- Die Schließung von Hinterhofhaltungen in Pestgebieten oder mit schlechter Hygiene scheitert am Widerstand tausender Landfamilien. Denn oft ist dies die einzige Einnahmequelle.
- Veterinäre fordern seit Jahren, Wildschweine insbesondere in Pestregionen drastisch zu dezimieren. Das blockieren Jäger und Umweltbehörden.
- Insassen der zahlreichen ländlichen Gefängnisse dürfen laut Sowjetrecht Schweine halten. Oft sind ihre Tiere und das Fleisch mit ASP infiziert.
- Entschädigungen für gekeulte Tiere sind mit 10 ct/kg LG zu niedrig. Folge: Viele Ausbrüche werden vertuscht, infizierte Tiere und Fleisch verkauft, verendete Tiere illegal entsorgt.
Auf diese Weise hat sich binnen zehn Jahren in Wäldern, Erdlöchern und Mülldeponien eine große Zahl infizierter Schweine angesammelt. Nach Meinung von Tierärzten werden diese Brutstätten über Jahre für stete Infektionen bei Wildschweinen sorgen.
Kritik an Weißrussland
Ähnlich chaotisch ist die ASP-Situation in den beiden westlichen Nachbarländern. In der Ukraine grassiert die ASP seit 2011. Seither breitet sie sich aufgrund des Krieges, Geldmangel und Korruption bei den Veterinärbehörden praktisch ungehindert aus.
Heute gilt die gesamte Ukraine als ASP-infiziert. 13 von 24 Provinzen stehen unter Quarantäne. Kiew hat allein 2017 mehr als 150 Neuausbrüche bestätigt. Die Ukrainische Veterinärbehörde erwartet, dass die ASP noch Jahre im Land wütet und bis 2020 bis zu 1,2 Mio. Schweine gekeult werden. Das sind fast 20 % des landesweiten Bestandes.
In Weißrussland ist die Lage unklar, da Minsk ASP-Ausbrüche systematisch vertuscht. Trotz des massiven Pestgeschehens in allen fünf Nachbarländern bezeichnet sich Weißrussland seit 2014 als ASP-frei. Das bezweifeln EU-Veterinäre. So haben Polen, Litauen, Lettland, Russland und die Ukraine zahlreiche ASP-Fälle im Grenzgebiet zu Weißrussland bestätigt.
Die EU-Veterinärbehörde kritisiert Weißrussland dafür. Sie fordert Minsk auf, die ASP-Fälle zu melden und sich am Bekämpfungsplan zu beteiligen.
Fazit
Zehn Jahre nach Ausbruch hat Russland die ASP nicht im Griff. Bis heute fehlt ein nationaler Bekämpfungsplan. Und zahlreiche Hinterhofbetriebe sowie die Wildschweine fachen die Seuche stets wieder an. Inzwischen wurden gut 2 Mio. Schweine gekeult.
Die Verschleppung der Pest in die Veredlungsregion Belgorod und nach Sibirien hat die Lage weiter verschärft.Denn erstmals hat die Pest Megabetriebe mit über 10000 Schweinen getroffen. Der Infektionsdruck bleibt hoch. So werden die vielen illegal entsorgten Kadaver noch Jahre für Neuinfektionen bei Wildschweinen sorgen. Russland bleibt ein ASP-Herd mit großen Risiken für die östlichen EU-Länder und so auch für Deutschland.