Ferkelerzeuger brauchen ein klares Bekenntnis zur Kastration mit lokaler Betäubung.Warum tun sich Tierärzte und Politiker so schwer?
Fred Schnippe, SUS
Deutsche Ferkelerzeuger verbinden große Hoffnungen mit der Kastration unter lokaler Betäubung. So ist es vor allem dieser „vierte Weg“, der mehr Tierschutz, Erwartungen beim Fleischkunden und die Umsetzbarkeit vereinen kann.
Mit der Herriedener Erklärung haben sich daher im Frühjahr 2017 namhafte Unternehmen der Fleischbranche und die Interessenvertreter der Schweinehalter positioniert: Die Lokalanästhesie ist eine wichtige, zusätzliche Alternative für die betäubungslose Kastration. Das Agrarressort in Berlin wird aufgefordert, diesen Weg zu unterstützen.
Doch die Kastration mit Lokalanästhesie kämpft nach wie vor um ihre Akzeptanz. So kommt das BMEL in seinem Bericht zur Kastration Ende 2016 zum Ergebnis, dass mit der Ebermast, der Kastration mit Narkose sowie der Immunokastration bereits drei Alternativen bereitstehen. Dass diese Verfahren beim Fleischkunden wenig Akzeptanz finden bzw. schwer umsetzbar sind, kümmert das BMEL offenbar kaum.
Wie Schmerz messen?
Auch die positive Einschätzung von Bundesagrarminister Schmidt zur lokalen Betäubung hat wenig geholfen. Denn auf der Arbeitsebene des Berliner Agrarressorts gibt es teils Zweifel am vierten Weg. Eine wichtige Rolle spielt hier das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), das Gutachter für das BMEL ist.
Ein Knackpunkt ist die Messbarkeit von Schmerzen. So fordern das BMEL bzw. das FLI den wissenschaftlichen Nachweis, dass die lokale Betäubung den Kastrationsschmerz sicher ausschaltet. Dies ist schwer zu belegen. So diente in Versuchen oft das Stresshormon Cortisol als Parameter für Schmerz. Doch Ferkel zeigen schon durch das Hochheben hohe Cortisolwerte. Die Wirksamkeit der Lokalanästhesie lässt sich so nicht sicher belegen.
Indess herrscht in der Humanmedizin Konsens, dass sich Schmerzen nicht apparativ messen lassen. So befragt z.B. der Zahnarzt bei der lokalen Betäubung den Patienten. Im Tierbereich kann dies nur indirekt durch die Bewertung von Abwehrreaktion oder Schmerzlauten beim Eingriff erfolgen.
Der zweite große Knackpunkt ist die Verabreichung des Lokalanästhetikums. Zwar lässt das Tierschutzgesetz die Kastration unter lokaler Betäubung bei bis zu acht Tage alten Ferkeln zu. Doch das Betäubungsmittel dürfen nur die Tierärzte anwenden. Fachpraxen für Schweine betonen, dass dies organisatorisch unmöglich ist. Denn für die lokale Betäubung von mehr als 20 Mio. männlichen Ferkeln fehlt das Personal.
Was darf der Landwirt?
Die Herriedener Erklärung fordert daher eine Indikationserweiterung des für Schweine zugelassenen lokalen Betäubungsmittels Procain. Konkret sollen künftig Landwirte nach Schulungen das Präparat verabreichen.
Insbesondere die Aufhebung des Tierarzt-Vorbehaltes sorgt unter Veterinären aber für Diskussionen. Kritiker sehen die Anästhesie als ureigene Aufgabe der Tierärzte, die nicht in die Hände von Laien gehört.
Hingegen halten zahlreiche Fachtierärzte für Schweine die lokale Betäubung durch geschulte Landwirte für machbar. Sie verweisen auf Schweden, das dies seit 2016 erfolgreich umsetzt.
Die Uneinigkeit der Tierärzte spiegelt sich in den Stellungnahmen der Standesvertreter wider. Je nach Nähe zur Nutztierhaltung ist das Votum sehr unterschiedlich:
- Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) fordert die Unversehrtheit des Tieres und ist gegen die Kastration – auch mit Betäubung.
- Der Präsident der Bundestierärztekammer (BTK) lehnt die lokale Betäubung durch Landwirte ab. Wobei es offenbar inhaltliche Differenzen mit dem BTK-Ausschuss für Schweine gibt.
- Für den Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) kommen weder Ebermast, Immunokastration noch Narkose als alleinige Lösung infrage. Offizielle Einschätzungen zur lokalen Betäubung fehlen allerdings.
- Einzig die Tierärztekammern Nordrhein und Westfalen bekennen sich klar zum 4. Weg. So fordert die AG-Schwein die Landesregierung auf, die lokale Betäubung zu unterstützen.
Der Zwist unter den Tierärzten bremst die Kastration mit lokaler Betäubung immens aus. Denn ein klares Votum aus der Tierärzteschaft gilt als Grundvoraussetzung, um diesen Weg weiterentwickeln zu können.
Praktikern läuft Zeit davon
Auch die kritische Haltung der Arbeitsebene im BMEL ist ein großer Hemmschuh. So können weitere wichtige Untersuchungen zur lokalen Betäubung erst Ende diesen bzw. Anfang nächsten Jahres starten.
Unterdessen läuft unseren Ferkelerzeugern die Zeit davon. Denn bis zum Verbot der betäubungslosen Kastration bleiben nur noch gut zwölf Monate.
Selbst wenn es gelingt, die neuen Versuche zügig abzuschließen und die positive Wirkung der lokalen Betäubung zu belegen, ist der Zeitplan kaum einzuhalten. So sind für die Zulassung der lokalen Betäubung durch den Landwirt umfangreiche Gesetzesänderungen nötig. Dass dies bis Ende 2018 über die Bühne gehen, hält Dr. Katharina Kluge, Leiterin des Referates Tierschutz in BMEL, für utopisch. Sie empfiehlt den Praktikern, sich jetzt mit der Ebermast, der Immunokastration oder dem Eingriff unter Narkose anzufreunden.
Unsere ausländischen Ferkellieferanten freut dies. Denn sie dürfen über die Anerkennung im QS-System auch künftig kastrierte Ferkel nach Deutschland liefern. So haben die Niederlande mit der umstrittenen CO2-Narkose bereits eine in ihrem Land anerkannte Lösung geschaffen. Auch der dänische Landwirtschaftsminister will für seine Betriebe zeitnah eine Lösung zur lokalen Betäubung freischlagen.
Fazit
Die Kastration mit lokaler Betäubung gilt vor allem für bäuerliche Ferkelerzeuger als einzig gangbarer Weg. Jedoch gibt es noch erhebliche Hürden:
- Viele Tierärzte wollen die lokale Betäubung trotz guter Erfahrungen in Schweden nicht in die Hand der Landwirte geben.
- Das BMEL fordert einen wissenschaftlichen Nachweis zur Schmerzausschaltung, der kaum zu erbringen ist.
- Wichtige, neue Versuche zur Lokal- anästhesie können wegen Verzögerungen im BMEL erst jetzt starten.
- Die exportstarken Dänen und Holländer rüsten sich, um Deutschland mit kastrierten Ferkeln zu versorgen.
- Die Existenz zahlreicher deutscher Ferkelerzeuger ist in Gefahr.