Jan-Hendrik Hohls hat Landwirtschaftsminister Cem Özdemir durch seinen konventionellen Betrieb geführt. Dabei haben sie über Haltungskennzeichnung und Tierwohl-Förderung diskutiert.
Michael Werning, SUS
Als Cem Özdemir im letzten Dezember als Bundeslandwirtschaftsminister vereidigt wurde, erklärte der Grünen-Poltiker: „Ich sehe mich als obersten Anwalt der Landwirtinnen und Landwirten – von denjenigen, die für das Essen auf unserem Tisch sorgen.“ Dabei bezog sich der Minister ausdrücklich sowohl auf ökologisch als auch auf konventionell wirtschaftende Betriebe. Der Amtsantritt weckte Hoffnungen im Berufsstand und man war bereit, dem bekannten Politiker Zeit zu geben, um sich mit den neuen Aufgaben vertraut zu machen.
Doch die Schonfrist ist abgelaufen. Der Ukrainekrieg hat der Teller-Trog-Diskussion eine neue Schärfe verpasst und vor allem die konventionellen Tierhalter stehen am Pranger. Dazu explodieren die Kosten für Futter und Energie, während die Schweinepreise nach einem kurzen Aufbäumen auf einem ruinösen Niveau stagnieren. Und der Minister? Der sieht sich immer stärker mit dem Vorwurf konfrontiert, in der aktuellen Krise unterzutauchen, Entscheidungen zu verschleppen und insbesondere den konventionellen Betrieben keine Zukunftsperspektive aufzuzeigen.
Zu den wenigen konventionellen Schweinehaltern, die sich in den letzten Wochen mit dem Minister zu kritischen Themen austauschen konnten, zählt Jan-Hendrik Hohls. Er nimmt an der Initiative Tierwohl (ITW) teil und wächst gerade mit einem Außenklimastall für Mastschweine weiter ins geschlossene System. Kurzfristig hatte der Landwirt Özdemir auf seinem Betrieb im niedersächsischen Becklingen zu Besuch.
Herr Hohls, wie kam es zu diesem Treffen?
Der Kontakt wurde über Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums in Berlin aufgebaut. Durch verschiedene Projekte und nicht zuletzt durch unsere Teilnahme am Modell- und Demonstrationsvorhaben (MUD) Tierschutz hat sich ein guter Draht zum Ministerium entwickelt.
Wer war dabei?
Bei dem rund dreistündigen Besuch wurde der Bundeslandwirtschaftsminister von seiner Tierschutz-Referentin Dr. Friederike Dirscherl und drei Mitarbeitern der Presse-Abteilung begleitet. Nicht zu vergessen mehrere Beamte des Bundeskriminalamtes, die standardmäßig bei Außenterminen die Sicherheit des Ministers gewährleisten sollen. Dazu kamen noch Berliner Journalisten von ZDF, NDR, Zeit und der Deutschen Presseagentur. Mich haben unser Kreislandwirt und ein befreundeter Landwirt aus unserem Ort unterstützt.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich brauchte mich nicht großartig vorzubereiten, weil ich im Zuge des Modell- und Demonstrationsvorhabens Tierschutz (MUD) schon viele Vorträge gehalten habe und mich für Themen wie Bewegungsbuchten und Ringelschwanz stark engagiere. Natürlich macht man sich aber im Vorfeld Gedanken, welche Botschaften man dem Minister unbedingt vermitteln will. Eine Diskussion über übergeordnete Themen, wie z.B. die GAP-Reform, wären aber fehl am Platz gewesen.
Kam der grüne Minister mit einer gewissen Erwartungshaltung auf Ihren konventionellen Schweinebetrieb?
Sollte er die gehabt haben, hat er es sich nicht anmerken lassen. Er zeigte sich offen und interessiert an unserer Tierhaltung. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er gegenüber der konventionellen Bewirtschaftungsweise irgendwelche Vorurteile hegt.
Über welche Themen haben sie besonders intensiv gesprochen? War der Minister gut informiert?
Wir haben vor allem über die Gestaltung, die Vermarktung und die Finanzierung von höheren Tierwohlstandards gesprochen. Dabei wirkte der Minister durchaus informiert. An der ein oder anderen Stelle musste ich aber fachlich ergänzen bzw. widersprechen.
Wo gab es unterschiedliche Einschätzungen?
Özdemir dachte, dass es Schweine mit Ringelschwanz, Ausläufe und GVO-freie Fütterung nur im Biobereich gibt. Das ist natürlich falsch. Viele Berufskollegen und wir selbst beweisen seit Jahren, dass der Ringelschwanz auch in konventionellen Ställen umgesetzt werden kann. Es müssen nur die finanziellen Rahmenbedingungen für diesen Mehraufwand geschaffen werden! In Niedersachsen gibt es dafür die Ringelschwanzprämie.
Berlins erster Entwurf zur Haltungskennzeichnung sorgte für Wirbel. Haben Sie darüber gesprochen?
Ja, sehr lange sogar. Ich habe ihm gezeigt, was wir als ITW-Betrieb alles an Tierwohl umsetzen. Angefangen mit Bewegungsbuchten im Abferkelstall, Kupierverzicht, Raufutter und mehr Platz in allen Produktionsstufen. All dies wäre in der von seinem Ministerium vorgestellten dreistufigen Haltungskennzeichnung nicht berücksichtigt worden. Ohne Auslauf wären wir in Stufe 1 gekommen und damit gleichgesetzt worden mit denen, die nur die Gesetzesvorgaben erfüllen. Die ITW-Betriebe erzeugen jährlich 25 Mio. Schweine. Dieser große Erfolg und das funktionierende System muss in einer zusätzlichen Stufe „Stallhaltung Plus“ fortgeführt werden.
Wie hat der Minister dies aufgenommen?
Nach der Stallbesichtigung und unserem Gespräch hat er sich vor den Pressevertretern klar dafür ausgesprochen, dass die ITW und andere, bereits existierende Haltungskennzeichnungen integriert werden müssen. Ich glaube auch, dass er verstanden hat, dass eine staatliche Kennzeichnung mit einer Stufe exklusiv für Biobetriebe nicht gerecht wäre. Nun ist der erste Entwurf vom Tisch und ich bin gespannt, wie der zweite Aufschlag des Ministeriums aussehen wird.
Die Finanzierung von mehr Tierwohl ist ein wunder Punkt. Welchen Lösungsansatz verfolgt Özdemir hier?
Er kann sich verschiedene Lösungen vorstellen. Wir waren aber einer Meinung, dass die FDP mit der Einschätzung, der Markt allein wird es schon richten, falsch liegt. Wir bauen gerade einen Maststall für die Haltungsstufe 4. Hier kalkulieren wir mit Mehrkosten von mindestens 60 bis 70 ct/kg Schlachtgewicht. In Stufe 4 dürfte es wohl das Doppelte sein. Ohne eine staatliche Förderung wird dieses Schweinefleisch für die Verbraucher unbezahlbar werden. Ich persönlich halte die Finanzierung über einen höheren Mehrwertsteuersatz für die beste Lösung.
Vor allem die Ferkelerzeuger fordern vehement eine Herkunftskennzeichnung. Kam dieses Thema auch auf?
Ich habe hier den Finger in die Wunde gelegt. Als reiner Sauenhalter partizipiert man kaum an den Tierwohlprogrammen. Gleichzeitig muss man sich mit der Konkurrenz aus Dänemark oder den Niederlanden messen, die teils unter günstigeren Produktionsbedingungen arbeiten. Wir brauchen eine Herkunftskennzeichnung, sonst bricht die Ferkelerzeugung weiter ein. Özdemir verwies auf die Marktzugangsregeln der EU, wodurch ihm die Hände gebunden seien. Doch den Verweis auf Brüssel habe ich nicht gelten lassen. Frankreich macht es gerade vor und deklariert seit einigen Wochen bis auf den Teller im Restaurant durch.
Man sagt, der neue Landwirtschaftsminister sei ein guter Zuhörer. Welchen persönlichen Eindruck hatten Sie am Ende?
Er ist ein angenehmer, unvoreingenommener Gesprächspartner, der tatsächlich sehr aufmerksam zuhört. Zudem kann er schnell Inhalte aufnehmen und Zusammenhänge herstellen. Das macht es einfacher, mit ihm über die Vor- und Nachteile einer Bewegungsbucht oder die Kreislaufwirtschaft zu diskutieren.
Was hoffen Sie, hat der Minister aus dem Besuch Ihres Betriebes mitgenommen?
Dass die ökologische und konventionelle Tierhaltung nicht in schwarz und weiß, gut und böse eingeteilt werden darf. Unser Betrieb ist das beste Beispiel für eine Kombination aus beiden Bewirtschaftungsweisen. Und das Tierwohl von staatlicher Seite gefördert werden muss, um eine wirtschaftliche Tierwohlhaltung zu ermöglichen. Der Ringelschwanz, der symbolisch für eine tiergerechte Haltung steht, ist der Blühstreifen der Schweinehaltung. Warum also keine vernünftigen Fördertöpfe bereitstellen?
Fazit
- In der Krise werden die Rufe lauter, dass Cem Özdemir endlich wichtige Entscheidungen treffen muss.
- Beim Besuch des ITW-Betriebes von Jan-Hendrik Hohls haben beide u.a. über die Haltungskennzeichnung intensiv diskutiert.
- Der Landwirt forderte im Gespräch eine weitere Kennzeichnungsstufe für ITW-Betriebe und eine staatliche Tierwohl-Förderung.
- Beim Thema Herkunftskennzeichnung herrschte Uneinigkeit.
Betrieb Hohls
Tierhaltung: 320 Sauen im teilgeschlossenen System
Ackerbau: 225 ha Acker, 35 ha Grünland, 15 ha Forst, Biogas, PV-Anlagen
Mitarbeiter: Betriebsleiter-Ehepaar, Altenteiler, 2 Mitarbeiter, 1 Azubi, 10 Teilzeitkräfte