Wegen Corona-Infekten mussten US-Fleischbetriebe bis zu 40% ihrer Produktion stoppen. Nahezu 2 Mio. Schlachtschweine wurden nicht abgeholt. Wie geht es weiter?
Fred Schnippe, SUS
Die Coronakrise hat die USA mit voller Wucht erwischt. Mit mehr als 1,4 Mio. bestätigten Infektionen und über 80000 Toten (Mitte Mai) zählt das Land weltweit die meisten Corona-Fälle.
Ein Zentrum der Pandemie ist die US-Fleischwirtschaft. Die Branche hatte nach Medienberichten bereits Anfang Mai mehr als 5000 infizierte Mitarbeiter in rund 115 Standorten. Besonders stark betroffen ist die Fleischindustrie im mittleren Westen, wo auch das Zentrum der Schweinehaltung liegt.
Schlachthöfe geschlossen
Die zahlreichen Corona-Infektionen haben die Kapazität der Fleischbranche stark dezimiert. So mussten ab April etliche Schlacht- und Zerlegebetriebe für Schweine ihre Produktion einstellen. Selbst die großen Fleischkonzerne wurden von den behördlichen Werksschließungen kalt erwischt:
- Besonders hart traf es Tyson Foods. Die Nummer 1 der US-Fleischindustrie musste ab April fünf große Schlacht- und Zerlegestandorte mit einer Tageskapazität von insgesamt mehr als 50000 Schweinen schließen. Der Produktionsstopp erstreckte sich teils über mehrere Wochen und umfasste in der Spitze mehr als 50% der Schlachtkapazitäten des Fleischriesen.
- Smithfield musste Mitte April seinen Vorzeigebetrieb in Sioux Falls in South Dakota schließen. Die Anlage mit mehr als 3700 Mitarbeitern nimmt sonst täglich 19500 Schweine auf. Im April galt der Betrieb mit mehr als 600 erfassten Corona-Infektionen als Hotspot Nr. 1 in den USA. Smithfield musste zudem einen Schlachtbetrieb mit einer Tageskapazität von 11000 Schweinen in Illinois sowie mehrere Zerlege- und Verpackungsbetriebe für Schweine stoppen.
- Auch die mittelständischen Fleischbetriebe JBS Swift, Prestage Foods und Indiana Packers waren von wochenlagen Werksschließungen oder Standorten mit stark reduzierter Kapazität betroffen. Hier brachen in Summe bis zu 50000 Schlachtungen am Tag weg.
Schlachtung bricht ein
Das Ausmaß der Katastrophe zeigen die amtlichen Schlachtzahlen. So erzielten die Fleischkonzerne noch im März einen Rekord mit bis zu 2,8 Mio. Schlachtschweinen pro Woche. Doch ab April brachen die Schlachtzahlen dramatisch ein (siehe Übersicht 1). Den Tiefpunkt markiert die letzte Aprilwoche, wo laut US-Landwirtschaftsministerium USDA nur noch 1,53 Mio. Schlachtschweine an den Haken kamen. Das ist ein Minus von mehr als 40% zu der Zeit vor der Pandemie!
Die Folgen für die US-Schweinehalter sind dramatisch. So konnten in der Spitze bis zu 1 Mio. schlachtreife Tiere pro Woche nicht vermarktet werden. Wegen der landesweiten Corona-Probleme ließen sich diese nur selten an andere Schlachthöfe umleiten. Der Nationale Verband der Schweinehalter (NPPC) berichtet, dass einige Mäster wegen der Überbelegung aus Tierschutzgründen bereits im April Nottötungen umsetzen mussten. Auch die Sauenanlagen waren betroffen, da Ferkel nicht abgeholt wurden.
Der Wegfall der Schlachtkapazitäten hat den Druck auf die ohnehin rückläufigen Schweinepreise weiter erhöht. So brachen die Notierungen allein im April um mehr als 25 Dollar auf weniger als 70 Dollar je 100 kg SG ein. Das sind die niedrigsten Erzeugerpreise seit 2016, was den Farmern Verluste von umgerechnet bis zu 40 € je Tier brachte.
Um die systemrelevante Branche zu stützen, hat Washington ein 19 Mrd. US-Dollar großes Hilfspaket für die Landwirtschaft geschnürt. Davon sind 1,6 Mrd. Dollar für die Schweinehalter reserviert. Washington will die Gelder direkt an die Landwirte auszahlen.
Doch die Mittel sind auf 250000 Dollar pro Landwirt bzw. Unternehmen begrenzt. Dies wird selbst in mittelständischen Betrieben oft nicht ausreichen, um die hohen Verluste zu kompensieren. Für die Großkonzerne mit mehreren zehntausend Sauen plus Mast sind die Hilfsgelder bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Über 10 Mio. Tiere keulen?
Neben den miserablen Erzeugerpreisen drohen den Schweinebetrieben hohe Verluste durch den Rückstau der Schlachtschweine. Bis Mitte Mai konnten fast 2 Mio. schlachtreife Schweine nicht vermarktet werden. Die Überbelegung in den Ställen hatte sich so stark ausgedehnt, dass weitere Keulungen unausweichlich schienen.
Wie massiv das Problem ist, zeigt eine Prognose, die Unternehmensberater im Auftrag der Fleischbranche Anfang Mai erstellt haben. Sie enthält vier Szenarien, je nachdem wie schnell und umfassend die Schlachthöfe ihre Arbeit wieder aufnehmen können.
Im ungünstigsten Fall wären die Farmer gezwungen, mehr als 7,5 Mio. Schlachtschweine und 4,5 Mio. Ferkel zu euthanasieren! Und selbst bei zügiger Rückkehr der Schlachthöfe zu 100% Auslastung wären noch über 4,5 Mio. Schlachtschweine und 1,2 Mio. Ferkel notzutöten. Denn um den Rückstau abzuarbeiten, müssten die Betriebe mehrere Wochen oberhalb von 100% ihrer Kapazität schlachten. Aufgrund des hohen Krankenstandes der Mitarbeiter ist das undenkbar.
Die Studie zeigt, dass den Schweinehaltern durch die Keulungen Schäden von bis zu 1,1 Mrd. US-Dollar drohen. Der Verband der Schweinehalter hat daher einen Brandbrief an Präsident Trump gesandt. Er fordert die Regierung auf, die Hilfspakete für die Farmer drastisch aufzustocken.
Verschärfte Hygieneregeln
Alle Hoffnungen ruhen nun darauf, die stillgelegten Schlachthöfe zügig wieder anzufahren. Allerdings ist dabei höchste Sorgfalt geboten. Denn noch im Mai mussten weitere US-Fleischbetriebe wegen Corona schließen.
Die US-Gesundheitsbehörde hat daher mit den Fleischbetrieben umfassende, neue Hygienepläne erarbeitet:
- Die Gesundheit der Mitarbeiter wird erfasst, in Verdachtsfällen folgt ein Corona-Test. Am Eingang messen Infrarotscanner die Körpertemperatur.
- Die Laufwege werden optimiert, um Engstellen zu vermeiden. Arbeits- und Pausenzeiten werden angepasst um Menschengruppen zu minimieren.
- Der Abstand zwischen den Mitarbeitern am Band soll 1,80 m betragen (siehe Übersicht 2). Ist das nicht möglich, wird eine Plexiglasbarriere installiert. Bänder mit zweireihiger Belegung erhalten auch in Längsrichtung einen Infektionsschutz aus Plexiglas.
- Die Zahl der Desinfektionsspender steigt auf ein Gerät je Mitarbeiter. In besonders sensiblen Bereichen wird die Arbeit alle 30 Minuten zur Händedesinfektion unterbrochen. Sensible Arbeitsgeräte werden häufiger desinfiziert.
- Mitarbeiter werden zur Erkennung von Krankheitsymptomen und Vorbeuge geschult. Vorarbeiter übernehmen die Überwachung der Vorgaben.
- Die Krankenstandsrichtlinien werden angepasst und gelockert.
Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Denn viele Mitarbeiter der Fleischbranche gehören zur Unterschicht und haben keine bzw. keine ausreichende Krankenversicherung. Bei erträglichen Erkältungssysmptomen gehen sie oft nicht oder sehr spät zum Arzt, um hohe Zuzahlungen zu vermeiden.
Hinzu kommt, dass die Arbeiter meist keine Lohnfortzahlung bei Krankheit erhalten. Oft arbeiten sie trotz Krankheitsanzeichen weiter. Denn viele haben keine Ersparnisse und können nicht auf den Lohn verzichten.
Nicht zu unterschätzen ist auch, dass die Belegschaft der Fleischkonzerne aus vielen Ländern stammt. Bei Smithfield sprechen die Mitarbeiter 40 verschiedene Sprachen. In Summe gehören die sozialen Komponenten zu den Hauptgründen für die rasante Covid-19-Ausbreitung im Fleischsektor.
Schlachthöfe öffnen wieder
Trotz der widrigen Umstände konnten einzelne Fleischbetriebe ab Mai ihre Werke wieder öffnen. Die Aufnahme der Produktion erfolgt aber zunächst mit stark gedrosselter Kapazität. So hat z.B. Smithfield sein Werk in South Dakota mit 3700 Arbeitsplätzen im ersten Schritt nur mit einer Rumpfmanschaft von 400 Kräften angefahren. Sie sollen die Abläufe unter den neuen Hygienevorgaben testen.
Auch einige Schlachtbetriebe mit gedrosselter Kapazität konnten wieder hochfahren. Die Schweineschlachtungen konnten sich so vom Tiefpunkt Ende April auf knapp 2 Mio. Wochenschlachtungen ab Mitte Mai erholen. Doch auch dann war der Durchsatz noch 30% geringer als vor Corona.
Trotz umfangreicher staatlicher Hilfen steht daher fest: Die US-Schweinebranche wird nach Corona nicht mehr dieselbe sein. So liegt die Zahl der Sauenschlachtungen seit Wochen deutlich über dem Vorjahresniveau. Auch der seit mehr als fünf Jahren laufende starke Ausbau der Mast dürfte abrupt stoppen. Fachleute rechnen mit vielen Insolvenzen in der Schweinebranche.
Fazit
- In den USA mussten viele Fleischbetriebe wegen massiver Corona-Fälle schließen. Die Schweineschlachtungen brachen um bis zu 40% ein.
- Bei den Mästern stauten sich mehr als 2 Mio. schlachtreife Schweine an. Es kam zu Notkeulungen und dem weiteren Verfall der Erzeugerpreise.
- Seit Mai fahren einige Fleischbetriebe mit verschärfter Hygiene wieder an. Die volle Schlachtkapazität ist aber kurzfristig nicht erreichbar.
- Es drohen Insolvenzen in der Veredlungs- und Fleischbranche.