Konsumtrends, Coronakrise und Ukraine-Krieg belasten die Fleischwirtschaft. Branchenexperte Klaus-Martin Fischer erklärt, wie sich der Markt verändert und was das für die Erzeuger bedeutet.
Michael Werning, SUS
Warum haben die Händler die Fleischpreise teils deutlich nach oben gesetzt?
Die Kostensituation hat sich auf allen Stufen der Wertschöpfungskette innerhalb kurzer Zeit drastisch verändert und nach Möglichkeit werden die Mehrkosten an den Verbraucher weitergereicht. Angesichts der schwierigen Absatzslage gelingt dies aber nicht im vollen Umfang und der Industrie geht ähnlich – wie den Erzeugern – die finanzielle Liquidität aus. Mittelständler und auch große Konzerne fangen an, ihr Tafelsilber zu verkaufen, um die Luft länger anhalten zu können als die Wettbewerber. Das können Unternehmensbeteiligungen oder Produktionsstandorte sein.
Stehen den Preiserhöhungen überall reale Kostensteigerungen gegenüber?
Die Kostensteigerungen bei Energie, Personal sowie Hilfs- und Betriebsstoffen sind real. Diese betreffen die Unternehmen aber in unterschiedlicher Intensität. Wir beobachten, dass einige Teilnehmer der Wertschöpfungskette auf diesem Zug blos aufgesprungen sind und versuchen, mit hohen Preisen schlechte Bilanzen aufzubessern. In letzter Instanz auf Kosten der Verbraucher.>
Wie werden sich die neuen Fleischpreise auf den Verzehr auswirken?
Fleisch und Wurst sind preissensible Produkte. Insbesondere bei den Preiseinstiegsprodukten, wie z.B. Aufschnitt und Minutensteaks, kommt es beim Schweinefleisch im direkten Vergleich mit Geflügel oder pflanzenbasierten Produkten sehr schnell zu einem verändertem Konsumverhalten.
Die Frage ist aber eher, ob angesichts des schlechten Images von Schweinefleisch niedrigste Preise die beste Strategie zur Absatzsteigerung sind. Fasst man die überzeugten Fleischesser als wichtigste Zielgruppe ins Auge, muss man erkennen, dass es dieser Fraktion sehr stark um Genuss geht. Und diesen verbindet man nicht mit vermeintlicher „Ramschware“.
Profitieren Tierwohlprogramme von der aktuellen Situation am Fleischmarkt?
Kurzfristig nein. Wir haben ein mehr als bedarfsdeckendes Angebot an Schlachtschweinen, obwohl die Gesamtzahl der Tiere im Jahresvergleich erheblich niedriger ist. Das hängt mit einer fehlenden Inlandsnachfrage, einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit in Europa und dem ASP-bedingten Einbruch des Asienexportes zusammen. Diese Marktsituation setzt auch den Absatz von Tierwohlprodukten unter Druck.
Auf der anderen Seite zählen Nachhaltigkeit bzw. Tier- und Umweltschutz zu den Megatrends im Lebensmittelsektor. Dadurch werden mittelfristig die konventionellen Angebote vom Verbraucher kaum noch nachgefragt oder sogar gesetzlich vom Markt geschoben.
Welche Schlüsse ziehen die Fleischunternehmen aus der aktuellen Situation?
Der Marktentwicklung nach werden wohl zukünftig weniger als 700000 Schlachtschweine in der Woche zur Bedarfsdeckung reichen. Einige sprechen sogar von unter 600000 Stück. Wird dann jeder Schlachter ein paar Schweine weniger an den Haken bringen? Wohl kaum. Stattdessen wird sich unserer Einschätzung nach aus den Top 10 der Fleischwirtschaft mittelfristig noch der ein oder andere verabschieden. Sei es durch Insolvenz oder die Fusion mit einem Wettbewerber.
Haben wir schon heute zu viele Schlachthaken in Deutschland?
Ja, perspektivisch sprechen wir hier schnell von 40–50% Überkapazität. Das liegt aber auch daran, dass wir innerhalb sehr kurzer Zeit durch die politischen Bedingungen auf internationaler und europäischer Ebene massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Und natürlich fehlt der Absatzmarkt in Asien.
Also wird die Fleischbranche nie wieder das Vorkrisenniveau erreichen?
Ich würde nicht auf diese Karte setzen. Es wird Faktoren geben, die sich wieder entspannen oder politisch beruhigt werden. Doch die Nachfrage nach Schweinefleisch wird weiter sinken. Da außerdem keine politische Unterstützung zur Erschließung von Absatzmärkten im Ausland zu erwarten ist, wird es einen Kampf um die Inlandsmärkte geben. Hinzu kommen Imageprobleme und der Wettbewerb mit Fleischersatzprodukten.
„Regionale
Produktionsketten sind
Faustpfand.“
Auch die Hersteller von Fleischalternativen kämpfen mit Rohstoffengpässen. Bremst dies den starken Wachstumstrend aus?
Auf jeden Fall. Dazu kommen aber noch andere Faktoren, die diesen mengenmäßig immer noch kleinen Markt belasten. In Zeiten steigender Inflation wird der Verbraucher preissensibler, was ein klarer Nachteil der hochverarbeiteten Fleischalternativen ist. Zudem scheint die Phase der Erstkäufer auszulaufen und die Gruppe der Überzeugungstäter fällt kleiner aus als gedacht. Dass allein in Deutschland innerhalb kürzester Zeit die Zahl der Hersteller um fast 30% stieg und diese sich auf Kosten ihrer Gewinne harte Preiskämpfe liefern, dürfte sein Übriges tun.
Was ist, wenn aus Russland kein Gas mehr kommt?
Die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft ist grundsätzlich für die Versorgungssicherheit in Deutschland relevant. Daher ist hier politisch sicherlich eine Priorität zu setzen.
Wie hat sich das Geschäft zwischen Fleischwirtschaft und Handel verändert?
Das Geschäft ist härter geworden. Bevor Schlacht- oder Produktionsbänder abgestellt werden, versucht man über den Preiskampf zumindest eine winzige Marge rauszuholen. Und hier liegt das Problem. Denn wenn sich immer wieder einer findet, der unter unseriösen Bedingungen liefert, dann sieht der Handel keinen Grund, sich zu bewegen.
Wie lässt sich die Verhandlungsposition der Schweinehalter stärken?
Erst so langsam verstehen die Akteure der Wertschöpfungskette Schwein, dass sie an einem Strang ziehen müssen. Auch wenn einige Landwirte hier fälschlicherweise direkt an Lohnmast denken, wird die Zukunft für viele in der integrativen Produktion liegen. In diesen Konzepten können sie am besten ihr größtes Faustpfand einbringen, nämlich die Regionalität. Die steht für die Verbraucher bei der Kaufentscheidung noch über den Tierwohl und das spüren natürlich die Händler und Fleischunternehmen.
Die Koordinationsstelle Handel-Landwirtschaft will das Image von Schweinefleisch verbessern. Was halten Sie davon?
Es ist ja unbestritten, dass wir dringend eine Imageverbesserung benötigen, um den Rückgang des Schweinefleischverzehrs zu verlangsamen und Absatzmärkte zu stabilisieren. Ganz wichtig ist eine strukturierte, langfristig ausgerichtete Kampagnenführung. Das wird Geld kosten und wer beim Griff in die Tasche nur einen Igel findet, kann das ganze Projekt gleich als Eintagsfliege beerdigen.