Berlin hat die Haltungs-VO verschärft. Im Deckzentrum und Abferkelstall sind nur noch wenige Tage Einzelhaltung erlaubt. Auch die Ferkelaufzucht und Mast sind betroffen.
Fred Schnippe, SUS
Anfang Juli hat der Bundesrat die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verabschiedet. Vor allem die Beschlüsse zur Sauenhaltung haben in der Praxis zu Unverständnis geführt. Denn neben dem nahezu vollständigen Aus für den Kastenstand hat die Länderkammer geradezu luxuriöse Platzvorgaben für die abgesetzten Sauen definiert. Eine Einordnung gibt der Kommentar auf Seite 3.
Aus für typisches Deckzentrum
Besonders gravierend sind die Folgen für das Deckzentrum. Denn hier lässt die neue Verordnung nur noch die Fixierung der Sauen zur Besamung zu. Wobei die Länge des Besamungszeitraums nicht exakt definiert ist. Klärung werden hier erst die Ausführungshinweise geben, die in den nächsten Monaten folgen sollen.
Fest steht: Die Einzelhaltung reduziert sich auf wenige Tage um die Besamung. Für die kritische Phase zur Rausche mit dem Aufspringen der Tiere ist die Gruppenhaltung Pflicht. Auch die Trächtigkeitskontrolle muss in der Gruppe erfolgen. Das macht den Umgang mit den Sauen erheblich schwieriger. Das Verletzungsrisiko für Tier und Mensch steigt.
Noch einschneidender sind die neuen Platzvorgaben im Deckzentrum. Denn hier soll jeder Sau mindestens 5 m² uneingeschränkt nutzbare Buchtenfläche zur Verfügung stehen. Davon sind 1,3 m² als Liegefläche zu gestalten. Aus Sicht der Praxis ist anzunehmen, dass zumindest die rund 1,8 m² Fläche in den künftigen Service- bzw. Fressliegeständen mitgerechnet wird. Klärung bringen aber auch hier erst die Ausführungshinweise.
Selbst bei praxisnaher Auslegung muss der Betrieb jeder Sau außerhalb des Besamungsstandes weitere 3,2 m² Bodenfläche bereitstellen. Das Gros der Ferkelerzeuger wird damit gezwungen, sein Deckzentrum radikal umzubauen. Bei zweireihiger Aufstallung ist denkbar, eine Buchtenreihe zu entfernen und so im Idealfall den Platz zu schaffen.
Bis zu 700 € Baukosten je Sau
Erste Planungen zeigen aber, dass dieser Schritt mitunter nicht ausreicht bzw. eine drastische Reduzierung der Sauenzahl voraussetzt. Viele Betriebe werden daher nicht umherkommen, ihren Besamungsbereich in einem neuen Gebäude zu ergänzen bzw. neu zu bauen.
Die ISN–Interessengemeinschaft bewertet den zusätzlichen Raumbedarf für einen 400er-Sauenbetrieb auf rund 200 m². Dabei ist nach ersten Berechnungen mit Umbaukosten von 500 bis 700 € je Bestandssau zu kalkulieren. Der Betrieb mit 400 Sauen müsste bis zu 250000 € investieren, um sein Deckzentrum den neuen Vorgaben anzupassen. Wohlgemerkt: Damit könnte er keine einzige Sau mehr halten!
Bei einem bundesweiten Bestand von rund 1,8 Mio. Sauen muss die Branche mit Umbaukosten von mehr als 1 Mrd. € allein im Deckzentrum kalkulieren. Der Bundesrat spricht sich daher in einer Protokoll-Erklärung für finanzielle Unterstützungen für die Sauenhalter aus.
Doch das geplante Gesamtpaket ist mit 300 Mio. € viel zu klein. Zudem sollen die Mittel im Rahmen der Corona-Konjunkturhilfe fließen. Diese müssen binnen zwei Jahren abgerufen sein – viel zu kurz für weitreichende Investitionen.
Hemmschuh Baurecht
Hinzu kommt, dass viele Betriebe mit einem Um- oder Neubau ihres Deckzentrums schnell an baurechtliche Grenzen stoßen. Denn selbst bei konstanter Sauenzahl benötigt der Betrieb deutlich mehr umbauten Raum, was auch zum Anstieg der emissionswirksamen Oberflächen führen kann. Eine Neubewertung der Emissionen kann u.U. zum K.-o.-Kriterium für das Vorhaben werden oder teure Abluftfilter erfordern.
Die Gefahr besteht vor allem für größere Ställe mit BImSch-Genehmigung ohne ausreichende Futterfläche. Denn diese Ställe haben mit der Baurechtsnovelle im Jahr 2013 ihren Anspruch auf Umbau oder Erweiterung verloren.
Unverzichtbar ist nun, dass Berlin die geplanten Erleichterungen im Baugesetzbuch für Tierwohlställe umsetzt. Hierunter dürften auch die neuen Deckzentren fallen. Allerdings greifen die Anpassungen nur, wenn auch das Emissionsrecht (TA-Luft) entsprechend novelliert wird.
Nur acht Jahre zur Umsetzung
Für die Umsetzung der neuen Vorgaben gilt ein straffer Zeitplan. So wurde die neue Haltungsverordnung an die EU versandt, die bereits im September die Notifizierung vornehmen könnte. Danach könnte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Verordnung verkünden, womit sie noch in diesem Herbst in Kraft tritt. Parallel ist mit der Veröffentlichung der ersten Ausführungshinweise aus den Ländern zu rechnen.
Die Ferkelerzeuger müssen dann binnen weniger Jahre weitreichende Entscheidungen treffen. Wer die neuen Vorgaben nicht umsetzen kann, muss binnen drei Jahren eine verbindliche Erklärung zur Aufgabe der Sauenhaltung bei der Behörde abgeben. Wer weiter Sauen halten will, muss in drei Jahren ein Betriebs- und Umbaukonzept vorlegen. Binnen fünf Jahren ist dann ein Bauantrag zu stellen. Und spätestens binnen acht Jahren muss der Um- bzw. Neubau des Deckzentrums erfolgen.
In Härtefällen kann der Betrieb eine Verlängerung der Übergangsfrist um zwei Jahre beantragen. Hierzu können z.B. Ferkelerzeuger gehören, die erst vor wenigen Jahren in ein neues Deckzentrum investiert haben.
Freilauf im Abferkelstall
Wer sich für den Umbau seines Deckzentrum entscheidet, muss gleichzeitig den Abferkelbereich im Blick haben. Denn auch dort hat der Bundesrat die Einzelhaltung im Ferkelschutzkorb stark reduziert. Künftig dürfen säugende Sauen nur noch maximal fünf Tage fixiert werden. Der Betrieb muss auf Bewegungsbuchten oder auf die Gruppenabferkelung umstellen. Dabei muss jeder Sau 6,5 m² Fläche zur Verfügung stehen.
Für den Abferkelbereich diktiert der Gesetzgeber ebenfalls einen strikten Zeitplan. Binnen neun bis zwölf Jahren nach In Kraft Treten muss der Betrieb ein Umbaukonzept erstellen und bei der Behörde einreichen. Nach 15 Jahren muss der Neu- bzw. Umbau des Abferkelstalles abgeschlossen sein.
Die Kosten für den Umbau der Abferkelung bewertet das Landwirtschaftsministerium für die deutschen Ferkelerzeuger mit über 1 Mrd. Euro. Nach Einschätzung der Berufsverbände ist dieser Betrag deutlich zu niedrig angesetzt. Denn aufgrund des hohen Platzbedarfs für die Freiluftbuchten ist das Gros der Betriebe auch beim Abferkelbereich auf zusätzliche Gebäudekapazitäten angewiesen.
Aufzucht und Mast betroffen
Neben den Sauen sind die Ferkelaufzucht und Mast von der neuen Verordnung betroffen. Die Verschärfungen wurden im Schatten der Kastenstand-Debatte zunächst kaum beachtet, haben aber weitreichende Konsequenzen:
- Jedem Schwein muss künftig jederzeit organisches, faserreiches Beschäftigungsmaterial bereitstehen. Die Verordnung empfiehlt Stroh, Heu oder Sägemehl bzw. Mischungen. Die permanente Bereitstellung dieser Materialien kann zu erheblichen Investitionen und Mehrarbeit führen. Fraglich ist auch wie ITW reagiert. Dort soll ab 2021 organisches Beschäftigungsmaterial als Alleinstellungsmerkmal mit Bonus gelten.
- Bei den Obergrenzen für die Schadgasgehalte im Stall wurde das Wort „dauerhaft“ gestrichen. Das heißt z.B. für Ammoniak, dass der Grenzwert von 20 ppm nie überschritten werden darf. Langzeitmessungen in der Ferkelaufzucht und Mast zeigen, dass dies selbst unter optimalen Bedingungen nahezu unmöglich ist. Unklar ist auch, wie eine belastbare Schadgasmessung erfolgen soll.
- Die tagesrationierte Fütterung entfällt. Die Verordnung lässt nur noch die rationierte Fütterung mit einem Tier-Fressplatzverhältnis von 1:1 oder die Sattfütterung mit maximal vier Tieren je Fressplatz zu. Das bringt Probleme für die Sensorfütterung am Kurztrog. Hier wird anhand der Fütterungsintervalle zu belegen sein, dass die Tiere permanent Zugang zum Futter haben.
- Beim zulässigen Geräuschpegel im Stall wurde ebenfalls das Wort „dauerhaft“ gestrichen. Das heißt: Der Grenzwert von 85 dB(A) im Aufenthaltsbereich der Schweine darf nie überschritten werden. Fachleute halten dies für utopisch.
Wie die neuen Vorgaben zu Raufutter, Schadgasen, Lärm etc. im Detail umzusetzen sind, ist über die Ausführungshinweise zu definieren. Nicht genau geklärt ist bislang ebenso, ab wann die für alle Stallbereiche geltenden Verschärfungen greifen sollen. Eine Umsetzung ohne Übergangsfristen wäre ein K.-o.-Schlag für die Branche.