Die ISN fordert eine umfassende Notstands-Regelung zum Schweinestau.Über die Hintergründe sprachen wir mit Geschäftsführer Dr. Torsten Staack.
Fred Schnippe, SUS
Der Schweinestau hat die Mäster und Ferkelerzeuger fast sechs Monate im Würgegriff. Mit den coronabedingten Schließungen der Fleischbetriebe in Coesfeld und Rheda-Wiedenbrück brachen wichtige Schlachtkapazitäten weg. Ab September verschärften Kapazitätseinbußen in den Schlachtbetrieben in Sögel, Emstek und Bochum die Lage zusätzlich.
Auch die nicht direkt von Corona betroffenen Schlachthöfe können ihre Kapazitäten wegen neuer Abstands- und Hygieneregeln sowie Covid19-Tests nicht ausschöpfen. Vor allem die langen Einschränkungen am Tönnies-Sitz in Rheda ließen den Schweinestau ausufern.
Chronischer Personalmangel
Nadelöhr der Fleischbetriebe ist die personalintensive Zerlegung. Fallen hier Mitarbeiter aus, bricht u.U. eine ganze Schicht weg. Neben den krankheitsbedingten Ausfällen kämpft die Branche mit einem chronischen Personalmangel. So haben etliche der vorwiegend osteuropäischen Mitarbeiter der Fleischbranche wegen drohender Quarantäne, Massentests etc. den Rücken gekehrt. Das anstehende Verbot der Werkverträge verschärft die Situation zusätzlich.
So wuchs der Schweinestau bis Mitte November auf 600000 Tiere. Manche Betriebe warteten mehrere Wochen auf einen Verladetermin. Die Schlachtgewichte stiegen teils über 100 kg an.
Die anhaltenden Vermarktungsprobleme setzten die Märkte massiv unter Druck. So brach die VEZG-Notierung seit dem Frühjahr um mehr als 80 ct ein.
Die Verwerfungen bei den Schlachtschweinen zogen den Ferkelmarkt in einen Abwärtsstrudel. Viele Sauenhalter haben überschwere Ferkel, weil die Mäster nicht pünktlich nachstallen können. Die große Verunsicherung der Mäster schwächt die Einstallbereitschaft zusätzlich. In den vergangenen Monaten fiel die Ferkelnotierung um nahezu 60 € auf einen historischen Tiefststand.
Wie ist der Trend beim Schweinestau?
Ohne Umschweife: die Lage ist weiter katastrophal. Das zeigen die nackten Zahlen. Im Bundesschnitt lagen wir zuletzt bei nahezu 100 kg Schlachtgewicht. Teils wiegen ganze Partien im Schnitt über 110 kg am Haken. Die jüngsten Abschläge bei den Schweine- und Ferkelnotierungen zeigen, wie groß der Druck ist.
Real sind die Erlöseinbußen noch größer, weil Zuschläge gekappt und die Vorkosten erhöht wurden. Das ist echt ruinös! Immerhin konnten die meisten Schlachter ihre Kapazitäten wieder hochfahren. Neue Einschränkungen an einzelnen Standorten können schneller behoben werden, weil die Behörden mit mehr Augenmaß vorgehen. Ein wirklicher Abbau der Überhänge wird aber erst im Frühjahr gelingen. Ab Ende Januar dürfte das Lebendangebot deutlich zurückpendeln. Die umfangreichen Sauenschlachtungen der letzten Monate sowie deutlich weniger Importferkel sprechen dafür.
Sorgte der dänische Schweinestau für zusätzlichen Druck bei uns?
Ja! Besonders, weil wichtige dänische Fleischbetriebe zwischenzeitlich ihre China-Lizenz verloren hatten. Diese Übermengen drückten in den EU-Markt. Inzwischen löst sich die China-Sperre der Dänen wieder auf.
Warum steigt unsere Schlachtung kaum?
Es gibt neue Einschränkungen an einzelnen Schlachtbetrieben und einen akuten Personalmangel. Schätzungsweise fehlen bundesweit rund 1000 Mitarbeiter. Die Fleischbetriebe konkurrieren u.a. mit der Logistikbranche. Die Corona-Maßnahmen kosten zudem rund 5% Kapazität. Darüber hinaus schöpfen einige Mittelständler ihre Schlachtkapazitäten wegen Absatzproblemen nicht aus.
Wo hakt der Absatz?
Seit dem Teil-Lockdown fehlt der Außer-Haus-Verzehr praktisch komplett. Wer als Schlachthof keine der großen LEH-Ketten bedienen kann, hat jetzt Probleme. Mittelständler mit Regionalprogrammen oder mit vorgeschalteter EZG kommen zwar relativ gut klar, aber auch nicht reibungslos.
Teils gibt es Vorwürfe, die Fleischbetriebe wollten gar nicht mehr schlachten.
Da ist zum Teil etwas dran. Bei den meisten Schlachthöfen sehen wir aber große Anstrengungen die Kapazitäten voll auszulasten. Teils wurden hohe Investitionen für Hygienemaßnahmen oder neue Zerlegelinien getätigt. Die für die Schlachter extrem günstigen Einkaufspreise und das anstehende Feiertagsgeschäft spornen zudem eher an, viel Fleisch umzusetzen.
Bewegt sich etwas bei der Sonntagsarbeit?
Ja, und mit Blick auf die Feiertage ist das auch dringend nötig. Sonst verlieren wir drei komplette Schlachttage mit über 300000 Schlachtungen. Wichtig ist auch, dass unter der Woche mehr geschlachtet werden kann. Hierfür braucht es eine Flexibilisierung der zulässigen Arbeitszeiten. Dürfte das Personal täglich eine Stunde mehr arbeiten, wären etwa 10% mehr Schlachtungen drin. Die Leute am Band würden das mitmachen.
Was muss dafür geschehen?
In der Diskussion ist die vorübergehende Anhebung der maximalen Wochenarbeitszeit. In dem Zusammenhang sind natürlich viele Detailfragen zu klären, z.B. bis wann die Überstunden abgebaut werden müssen.
Ist das politisch durchsetzbar?
Das Thema Arbeit in Fleischbetrieben ist heikel und mit vielen Fettnäpfchen gespickt. Da will politisch niemand hereintreten. Wir sind aber trotzdem ganz zuversichtlich, dass es klappt. Es geht hier ja nicht um eine Extrawurst für die Fleischwirtschaft. In anderen Bereichen, wie z.B. im Pflegesektor, arbeitet man an ähnlichen Ansätzen.
Was kann die Politik noch tun?
Einige Bundesländer sind hier wirklich aktiv, um das Problem zu lösen, z.B. Niedersachsen mit einem Ampelsystem bei Corona-Infektionen im Schlachtbetrieb. Zudem arbeitet man an Sonderregelungen zur Quarantäne für Reiserückkehrer. Eine praktikable Lösung ist mit Blick auf die Feiertage enorm wichtig, um den weiteren Anstieg des Schweinestaus zu verhindern.
Die Koalition hat sich auf das Werkvertrag-Verbot geeinigt. Was bedeutet das?
Die aktuelle Lage ändert sich dadurch wenig. Denn die großen Schlachtunternehmen haben den Ausstieg aus den Werkverträgen zum Jahreswechsel so oder so verkündet. Viele Mittelständler haben zudem bereits heute keine Werkverträge mehr. Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat aber auch das Thema Leiharbeit neu geregelt. Welche Folgen das konkret hat, können wir von landwirtschaftlicher Seite nur begrenzt beurteilen.
Was tut sich beim Drittlandexport?
Wie im Fußball: Der Abschluss muss sitzen, sonst kommt bei allen lobenswerten Bemühungen nichts Zählbares heraus! Und genau da tut Berlin aus unserer Sicht zu wenig. Klar ist China eine harte Nuss und am bedeutendsten, aber es gibt ja noch andere Länder. Aber auch hier ist die Erfolgsbilanz sehr mager: Über zehn Wochen nach den ASP-bedingten Exportsperren wurde bisher kein einziger nennenswerter Drittlandmarkt wieder geöffnet.
Sie fordern eine Notstands-Regelung.
Ja, wir fordern ein Gesamtpaket zur Lösung des Schweinestaus. Hierzu gehören die eingangs dargestellten Maßnahmen auf dem Schlachtbetrieb und praktikable Lösungen zu den Platzvorgaben in den betroffenen Sauen- und Mastbetrieben. Im letztgenannten Punkt läuft die Zusammenarbeit mit den zuständigen Amtsveterinären übrigens sehr gut.
Was halten Sie von einer Marktstützung?
Wir brauchen und wollen keine Marktstützung. Sie verlängert das Elend nur. Deshalb lehnen wir die Private Lagerhaltung ab. Die Schlachter kaufen eh schon zu unterirdisch niedrigen Preisen ein. Die Kühlhäuser sind voll und Absatzmärkte für die Wiederauslagerung in einem halben Jahr fehlen. Was die Schweinehalter brauchen sind Corona-Nothilfen, die sofort wirksam sind. Dafür kämpfen wir, denn die Landwirte sind durch die Lockdowns unverschuldet in eine Notlage geraten. Speziell die Ferkelerzeuger kommen sonst in extreme Liquiditätsengpässe. Jetzt wird es mit modifizierten Übergangshilfen zwar konkret, aber das muss schneller gehen!
Können Lebendexporte helfen?
Wenig. Die Ausfuhren haben sich auf rund 20000 Mastschweine pro Woche zwar vervierfacht. Aber es ist und bleibt ein niedriges Niveau. Wichtige Abnehmer sind Italien und Polen. Zudem werden beim Lebendexport oft nur Schleuderpreise gezahlt.
Wie entwickeln sich die Lebendimporte?
Die Importe sind seit dem Schweinestau stark eingebrochen. Die Einfuhr von Schlachtschweinen ist von 60000 auf gut 20000 Tiere pro Woche gesunken. Zudem wurden in den vergangenen Wochen bereits 350000 Ferkel weniger aus Dänemark und den Niederlanden importiert. Das wird noch im Januar zu einem deutlich geringeren Angebot an Schlachtschweinen führen.
Und das deutsche Ferkelangebot?
Durch die K-Fragen war die Stimmung der Ferkelerzeuger bereits schlecht. Die großen Absatzprobleme und ruinösen Ferkelpreise beschleunigen den Strukturwandel. Mitte November stiegen die Sauenschlachtungen auf 19500 Tiere pro Woche. Das sind 25 bis 30% mehr als üblich.
Ministerin Klöckner fordert Abstockungen.
Das ist eine unredliche Debatte. Zum einen passiert das wie beschrieben schon aus der Not heraus. Auch sollte bekannt sein, dass von der Besamung bis zur Schlachtung 300 Tage vergehen und sich die Erzeugung nicht kurzfristig drosseln lässt. Wer hätte Ende letzten Jahres bei großer Fleischnachfrage und Erzeugerpreisen um 2 €/kg SG, denn ahnen können, dass dieses Jahr in so einer Katastrophe endet?
Wie geht es bis Weihnachten weiter?
Auch wenn die dargestellten Maßnahmen greifen, werfen uns neu aufflackernde Kapazitätseinschränkungen an einzelnen Schlachtstandorten schnell wieder zurück. Wenn es gut läuft, kann es gelingen, dass der Stau bis zu den Feiertagen nicht noch größer wird. Sollte es dann noch möglich sein, einen sprunghaften Anstieg durch die fehlenden Schlachtungen über die Feiertage ein gutes Stück abzupuffern, dann sehen wir tatsächlich Licht am Ende des Tunnels! Ab Ende Januar hilft uns dabei auch das sinkende Lebendangebot.
Was passiert im neuen Jahr?
Im laufenden Jahr sind so viele Dinge passiert, die ich nie für möglich gehalten hätte. Die Politik hat die Fleischwirtschaft fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Und das auf dem Rücken der Schweinehalter. Von Bekenntnissen im März, dass die Schlachtunternehmen systemrelevant sind, bis hin zu politischen Kampfansagen im Sommer, den „Sumpf trockenzulegen“, war es ein kurzer Weg. Und das über alle Parteien hinweg! Wir mussten hart dafür kämpfen, zumindest kleine Verbesserungen zu erreichen. Aktuell wendet sich das Blatt wieder und man will uns helfen. Mal sehen, wie lange das anhält. Schließlich geht es im nächsten Jahr in den Bundestagswahlkampf.