Bei russischen Kontrollen fallen gehäuft Fleischwaren mit ASP-Viren auf. Schwarzhandel mit infizierten Tieren und Korruption heizen das Seuchenrisiko an.
Vladislav Vorotnikov, Moskau
Die Afrikanische Schweinepest (ASP) grassiert inzwischen seit zwölf Jahren in Russland. Ein Ende der Seuche ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im letzten Sommer trat das hochansteckende Virus erstmals in großem Umfang östlich des Urals auf. Vermutlich wurde die Pest aus dem angrenzenden China nach Sibirien eingeschleppt.
Bei der Bekämpfung der ASP spaltet sich Russland immer stärker in eine Zweiklassengesellschaft. Auf der einen Seite stehen die professionellen Großanlagen im Westen. Sie wurden mit Zäunen, Hygieneschleusen und Umladestationen für Futter und Tiere zu regelrechten Festungen ausgebaut. So blieb das ASP-Geschehen im europäischen Teil Russlands 2019 auf zwei Großanlagen begrenzt.
Auf der anderen Seite stehen die unzähligen kleinen Betriebe und Hinterhofhaltungen. Dort herrschen meist katastrophale hygienische Bedingungen. Da die Ställe nicht abgeschirmt sind, kann die ASP leicht durch Wildschweine eingeschleppt werden. Zu- dem fehlt in kleinen Betrieben oft das Wissen bzw. der Wille für ein konsequentes Handeln im Seuchenfall.
Verschleppung mit Fleisch
Als weiteres Problem entpuppt sich die Verschleppung des Pesterregers mit Fleisch. So fallen bei Routinekontrollen immer wieder Fleischwaren auf, die mit dem ASP-Erreger belastet sind.
Bei einer groß angelegten Kontrolle registrierten die Behörden Ende letzten Jahres in 136 Lebensmittelgeschäften in fünf russischen Regionen Fleischprodukte mit ASP-Viren. Wie der Erreger in die Lieferkette gelangte, ist unklar. Zumindest betonen die Behörden, dass die Fleischbetriebe nur Rohwaren aus ASP-freien Regionen beziehen.
Zuvor hatte bereits der Fund von ASP-Viren in Wurstwaren in Sibirien für Aufsehen gesorgt. Die Spur der infizierten Produkte ließ sich bis zu einem Verarbeitungsbetrieb in Moskau zurückverfolgen. Das heißt: Der Erreger wurde mit dem Fleisch mehr als 5000 km quer durch Russland verschleppt.
Geringe Entschädigung
Dass sich das Virus in der Fleischkette so gut halten und sogar weiter verbreiten kann, hat vielfältige Gründe:
- Als Hauptursache gilt die viel zu geringe staatliche Entschädigung für gekeulte Schweine. So erhalten die Betriebe nur einen Bruchteil des Marktwertes. Für kleine Schweinehalter ist ein ASP-Einbruch oft der Ruin. Immer wieder versuchen daher Betriebe vor einer Keulung Tiere zu schlachten und das Fleisch zu verkaufen.
- Aufgrund der Korruption in den Behörden fällt der illegale Abtransport von infizierten Tieren oft nicht auf. So sind die schlecht bezahlten Amtsveterinäre nicht selten bereit, gegen Geld einen Lastwagen mit infizierten Schweinen aus dem Quarantänebereich fahren zu lassen.
- Die Bevölkerung ist gegenüber der ASP abgestumpft. Die Berichte, dass in Würsten oder kochfertigen Produkten ASP-Viren festgestellt wurden, sorgen nicht mehr für Schlagzeilen. Jeder weiß, dass Schweinefleisch auch in den großen Supermärkten möglicherweise infiziert ist. Es ist den Konsumenten egal, solange das ASP-Virus keine Bedrohung für den Menschen darstellt.
- Das ASP-Virus ist sehr widerstandsfähig. Es kann in gekochtem oder gepökeltem Fleisch monatelang unbeschadet überleben. In gefrorenem Fleisch kann der Erreger sogar über Jahre hinweg infektiös bleiben.
Fachleute gehen davon aus, dass der ASP-Erreger in Russland inzwischen flächendeckend in Fleischwaren zu finden ist. So dürfte jeder der knapp 150 Millionen Bürger des Landes, ausgenommen die wenigen Vegetarier, bereits Fleisch mit dem Erreger verzehrt haben.
Reger Schwarzmarkt
Welche Dimension die Verschleppung über die Fleischwaren erreicht hat, zeigt auch die Situation auf den lokalen Fleischmärkten. Diese haben insbesondere in den ländlichen Regionen immer noch große Bedeutung.
So kam es bei den Pestausbrüchen in der Enklave Kaliningrad Ende 2018 und im Sommer 2019 zunächst zu einer spürbaren Angebotsverknappung auf den Märkten. Dadurch schnellten die Fleischpreise kurzfristig um bis zu 60% in die Höhe.
Doch kurz darauf kollabierte der regionale Fleischmarkt und die Preise fielen auf weniger als 50% des üblichen Niveaus zurück. Auslöser war ein großes Angebot von Schweinefleisch aus Betrieben, die aufgrund einer ASP-Infektion hätten gekeult werden müssen. Auch hier hat die Korruption dazu beigetragen, die behördlichen Anweisungen zu unterlaufen.
Aufgrund der starken Verbreitung des ASP-Erregers in der Lebensmittelkette mehren sich die Mahnungen von Humanmedizinern. Nach ihrer Einschätzung steigt mit jedem Verbraucher, der infiziertes Fleisch isst, die Gefahr einer Mutation. So könnte der ASP-Erreger mittelfristig auch für die Menschen gefährlich werden.
ASP-Fleisch aufbereiten?
Das Hauptproblem bleibt aber, dass ASP-Viren im Fleisch auch zu Infektionen bei Wild- und Hausschweinen führen können. So ist das Verfüttern von Lebensmittelresten insbesondere in den kleineren Schweinebetrieben immer noch gängige Praxis.
In Russland mehren sich daher die Stimmen, die eine gezielte Aufbereitung von Fleisch aus ASP-Betrieben fordern. Das betroffene Fleisch könnte z.B. in separaten Verarbeitungsbetrieben erhitzt und in Konserven gefüllt werden. Das mindestens zweiminütige Erhitzen bei einer Kerntemperatur von über 70°C tötet ASP-Viren sicher ab.
Russische Menschenrechtsorganisationen fordern, das erhitzte Fleisch dann offiziell zum Verzehr freizugeben.Sie weisen darauf hin, dass jeder zweite Russe so wenig Geld hat, dass er auch bei Lebensmitteln hart sparen muss.
Allerdings lehnen die Behörden die Aufbereitung von ASP-Fleisch ab. Sie reden die Probleme in der Fleischkette klein und beharren auf der bisherigen Bekämpfungsstrategie.
Fachleute erwarten daher, dass sich die ASP insbesondere im Osten Russlands weiter ausbreitet. In einigen Jahren könnten auch Zentral- und Nordsibirien flächendeckend betroffen sein.
Fazit
- Russland hat große Probleme mit ASP-Erregern in Fleischwaren.
- Der Schwarzhandel mit infizierten Tieren sowie die Korruption sind die Hauptursachen.
- Die Behördenvertreter reden das Problem klein.
- Reinfektionen aus Fleisch können die ASP-Ausbreitung weiter beschleunigen.
- Mittelfristig dürfte auch Sibirien flächendeckend ASP-infiziert sein.