Der Münsteraner Fleischkonzern baut die Hälftensortierung am Standort Coesfeld kräftig aus. Die Hintergründe und weitere Trends schildern Vorstand und Einkaufsleitung.
Fred Schnippe, SUS
Der Standort in Coesfeld wird modernisiert. Wie ist der Stand?
Schulze Kalthoff: Wir sind in der Endbauphase für das neue Hälftenkühlhaus und den neuen Sozialtrakt. Beides möchten wir noch im ersten Quartal in Betrieb nehmen. Zudem erfolgen Modernisierungen in der Schlachtung, Kühlung und Lüftung. Die Schlachtkapazitäten sollen in Coesfeld mit 55000 Schweinen pro Woche konstant bleiben. In einem weiteren Projekt haben wir die Änderung des Bebauungsplans beantragt. Wird dies bewilligt, möchten wir eine leichte Kapazitätsanhebung auf 70000 Schweine pro Woche beantragen.
Was sind die Hauptziele der Investition?
Qualbrink: Mit dem neuen Sozialtrakt wollen wir die Arbeits- und Hygienebedingungen weiter verbessern. Das neue Kühlhaus wird die Energieeffizienz optimieren. Zudem können wir die wachsenden Anforderungen des Lebensmittelhandels hinsichtlich der Sortierung der Schweine nach Herkunft, Geschlecht, Haltungsbedingungen etc. besser umsetzen. In der Hälftensortierung gibt es schon jetzt mehr als 80 Spezifikationen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass neue hinzukommen.
Wie entwickeln sich Ihre Schlachtzahlen?
Schulze Kalthoff: Mit knapp 7,5 Mio. Schweineschlachtungen haben wir 2021 das Niveau des Vorjahres erreicht. Westfleisch entwickelt sich damit stabiler als der Bundestrend, wo die Schweineschlachtungen um 3,6% zurückgingen. Auch 2022 erwarten wir große Marktunsicherheiten, möchten das Schlachtvolumen aber konstant halten.
Der deutsche Schweinebestand ist nochmals gefallen. Wird der Rohstoff knapp?
Schulze Kalthoff: Ich würde nicht von einem knappen Angebot sprechen, sondern von einem geringeren. Denn die Marktversorgung bemisst sich nicht mehr allein über das Verhältnis von Lebendangebot und Schlachthaken. Viel wichtiger sind die Vermarktungsmöglichkeiten. Der Wegfall der Exportmärkte in China hat die Fleischbranche hart getroffen. Das schmälert die Nachfrage nach Schweinen.
Wie hat sich die Schlachthofschließung in Gelsenkirchen ausgewirkt?
Qualbrink: Der Schritt war lange geplant, ist Teil unseres Entwicklungskonzeptes bis 2025. Die Mitarbeiter sowie das gesamte Schlachtvolumen konnten wir auf andere Standorte umverteilen. Die Konzentration der Schweineschlachtung auf weniger Standorte dient auch der Kostensenkung.
Wurde das geplante Investitionsvolumen von 50 Mio. € für 2021 umgesetzt?
Schulze Kalthoff: Ja, das Budget wurde nahezu ausgeschöpft. Der größte Block ist das neue Kühlhaus in Coesfeld. Weitere wichtige Punkte sind der Ausbau der Conveniencefertigung in Erkenschwick, die Verlängerung der Schlachtlinie und die Modernisierung der Zerlegung in Hamm, neue Sozialräume in Lübbecke sowie verschiedene Brandschutzmaßnahmen.
Stichwort ITW: Wie entwickeln sich Angebot und Nachfrage?
Qualbrink: Nach dem Startschuss im LEH zum 1. Juli 2021 lief die Nachfrage zunächst verhalten an. Westfleisch hat trotzdem von Anfang an alle ITW-Schweine vollständig bezahlt und abgenommen. Ab September zog der Bedarf sprunghaft an und hat auch uns überrascht. Ausschlaggebend war, dass ITW-Ware neben dem Frischfleisch auch in der Verarbeitungsindustrie platziert wird. Wir haben sogar Nachfragen von ausländischen Kunden, die den deutschen LEH beliefern.
Ist ITW auch im Ausland gefragt?
Qualbrink: Die Initiative Tierwohl ist im Ausland nicht die Messlatte. Hier teilt sich der Markt.
Zieht die inländische Nachfrage dieses Jahr weiter an?
Schulze Kalthoff: Ja, denn die Verarbeitungsbetriebe setzen die Umstellung auf ITW fort. Und Deutschland ist der größte Fleischverarbeiter in Europa. Entscheidend ist, ob auch die Großverbraucher bzw. die Gastronomie einsteigen. Momentan haben wir bundesweit unter 50% ITW-Schweine. Doch im deutschen Lebensmittelhandel ist ITW praktisch der neue Standard. Konventionelle Schweine können wir immer häufiger nur noch im Export mit geringeren Erlösen platzieren.
Planen Sie weitere ITW-Verträge?
Qualbrink: In unserem Haus passen Angebot und Nachfrage bei ITW derzeit gut zusammen. Wir haben die Zahl der vertraglich gebundenen Lieferanten erhöht und wollen bis zum April mehr als zwei Drittel unserer Mäster auf ITW umgestellt haben. Damit ist der Anteil bei uns rund doppelt so hoch wie im Bundesmittel. In Deutschland ist die Versorgung mit ITW-Schweinen aktuell als etwas knapp einzustufen.
Wie bewerten Sie den Markt für Haltungsform 3 und 4?
Schulze Kalthoff: Fleisch aus Haltungsform 3 bringt für den Verbraucher einen deutlichen Preissprung. Neben dem Bekenntnis des LEH zu dieser Haltungsform beobachten wir daher, wie sich die Verbrauchernachfrage entwickelt. Steigt der Bedarf, können wir auf der Erzeugerstufe Schritt für Schritt umstellen. Dass die schnelle Anflutung des höherpreisigen Fleisches im LEH so kommt, ist für uns schwer vorstellbar.
Qualbrink: Für die Landwirte ist insbesondere die Bereitstellung von Außenklima schwer umsetzbar. Aktuell haben die Haltungsformen 3, 4 und Bio einen Marktanteil von 1 bis 2%. Wir denken, dass dieses Segment mittelfristig im einstelligen Prozentbereich bleibt.
Heißt Haltungsform 3, dass Sie mehr Verträge mit Mästern benötigen?
Qualbrink: Wir haben den Anteil der vertraglich abgesicherten Mastschweine auf rund 85% erhöht. Damit sehen wir uns aktuell gut aufgestellt und planen keine große Veränderung. Allerdings möchten wir die Zusammenarbeit mit den Erzeugerbetrieben weiter vertiefen, z.B. bei der Fütterung. Für dieses Jahr planen wir in Zusammenarbeit mit QS die Umstellung auf nachhaltiges Sojaschrot, das ohne Regenwaldrodung auskommt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ferkelherkunft. Hier hat Westfleisch gemeinsam mit seinen genossenschaftlichen Vermarktungspartnern gute Steuerungsinstrumente.
Stichwort 5xD: Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Schulze Kalthoff: Mit dem Bekenntnis zu 5xD stärkt der Lebensmittelhandel den deutschen Ferkelerzeugern den Rücken. Das ist gerade in dieser schweren Marktphase wichtig. Westfleisch hat traditionell eine gute Anbindung zur niederländischen Ferkelerzeugung. Dennoch sind mehr als 70% unserer Schlachtschweine in Deutschland geboren. Damit liegen wir über dem Bundesdurchschnitt. In unserem Fall erhalten alle ITW-Schweine zusätzlich den 5xD-Bonus von 1 ct/kg Schlachtgewicht.
Viele Landwirte haben sich einen höheren Preisaufschlag erhofft.
Schulze Kalthoff: Das ist nachvollziehbar. Aus unserer Sicht brauchen wir einen höheren Bonus für die deutsche Herkunft, um der spürbar rückläufigen Ferkelproduktion entgegenzuwirken. Allerdings erzielen wir auch mit ITW plus 4xD Wertschöpfung.
Wichtig ist, dass der Lebensmittelhandel bei seinem Bekenntnis zur deutschen Herkunft bleibt, wenn diese spürbar teurer wird. Nach unserer Einschätzung meint es der LEH in diesem Punkt sehr ernst.
Welche Rolle spielen die Ebermast und die Eber-Impfung für Westfleisch?
Qualbrink: Der Anteil der bei uns geschlachteten Eber ist mit rund 15% stabil. Wir nehmen jedoch weiter ausdrücklich alle Arten männlicher Schweine ab. Der hohe Aufwand für die Geruchsprüfung bzw. Sortierung ist dabei ein entscheidendes Argument. Die Eberimpfung macht bei uns nur einen geringen Anteil von unter 1% aus.
Der Fleischexport nach China ist stark eingebrochen. Gibt es Alternativen?
Schulze Kalthoff: Japan und Südkorea wären ebenfalls attraktive Märkte, sind wegen der ASP aber für uns gesperrt. Es fehlt insbesondere die Wertschöpfung bei den Nebenprodukten wie Pfoten, Ohren etc. Hierfür haben wir zwar alternative Abnehmer z.B. in Südamerika und Afrika gefunden. Die Erlöse sind dort aber deutlich niedriger als zuvor in Asien. Zumindest konnten wir verhindern, dass Nebenprodukte in die Entsorgung gehen.
Qualbrink: Frankreich ist es in bilateralen Gesprächen gelungen, mit Peking eine Regionalisierung im Fall eines ASP-Ausbruchs zu vereinbaren. Unsere Hoffnungen ruhen darauf, dass Berlin dies auch gelingt.
Hierfür müssen wir das Pestgeschehen bei den Wildschweinen stark eingrenzen und Neuausbrüche bei Hausschweinen absolut vermeiden. Die Abschottung der Betriebe ist das A und O! Dennoch müssen wir realistisch bleiben. Einen boomenden Teilstückexport nach China wie von 2017 bis 2020 wird es nicht mehr geben.
Die Nachfrage nach Fleischalternativen steigt. Wie gehen Sie damit um?
Schulze Kalthoff: Westfleisch führt seit einigen Jahren eine eigene Marke für Fleischersatzprodukte. So bieten wir z.B. vegane Hackfleischbällchen an. Die Mengen sind überschaubar. Mit anderen Worten: Wir haben das Thema im Blick, aber wir legen keinen Fokus darauf.
Mitbewerber fokussieren auf Nachhaltigkeit. Was ist Ihre Strategie?
Qualbrink: Nachhaltigkeit ist auch bei uns ein Kernthema. Durch die Modernisierung unserer Fleischbetriebe senken wir den Gas- und Stromverbrauch. Das mittelfristige Ziel ist, einzelne Standorte CO2-neutral zu betreiben. Die Darstellung der Klimabilanz deutscher Fleischerzeugnisse wollen wir forcieren. Hiermit könnten wir z.B. darlegen, dass deutsche Fleischprodukte besser sind als EU-Ware. Denn Informationen und Transparenz haben eine immer größere Bedeutung.
Schulze Kalthoff: Das zweite wichtige Thema ist unser Personal. Die komplette Belegschaft mit 7500 Mitarbeitern ist heute fest angestellt. Wir haben das Lohnlevel angezogen sowie die Arbeits- und Wohnbedingungen verbessert.
Dennoch gibt es zeitweise Personalmangel.
Schulze Kalthoff: Ja, die Coronamaßnahmen haben das Problem verschärft. Phasenweise fehlen 5 bis 10% Mitarbeiter, wodurch es zu Produktionseinschränkungen kommt mit weitreichenden Folgen. Bei Problemen in der Schinkenauslösung mussten wir dieses Teilstück zeitweise mit Knochen mit geringeren Erlösen verkaufen.
Was tun Sie dagegen?
Qualbrink: Wir akquirieren aktiv Mitarbeiter in Osteuropa. Wir machen Radiowerbung, nutzen soziale Medien und sprechen mit potenziellen Mitarbeitern vor Ort.
Zudem spielt der Aspekt Integration eine wichtige Rolle in unserem 10-Punkte-Zukunftsprogramm. Mehrere Teams mit sogenannten „Kümmerern“ helfen neuen Mitarbeitern in ihrer Heimatsprache in Deutschland Fuß zu fassen. Hierzu gehören Gespräche mit Schulen, Kindergärten, Banken und Arztbesuche. Rund zwei Drittel unserer Mitarbeiter sind mehr als ein Jahr im Unternehmen und leben mit ihren Familien vor Ort. Dennoch bleiben viele in ihrer Heimat Osteuropa stark verwurzelt.
Wie wirkt sich die neue Personalstruktur auf die Schlachtkosten aus?
Schulze Kalthoff: Unsere Personalkosten sind im vergangenen Jahr um einen zweistelligen Millionenbetrag gestiegen. Dies ist insbesondere auf Lohnerhöhungen, Anpassungen bei den Arbeitszeiten, Fahrtkosten, neuen Wohnraum sowie Hygieneauflagen und Coronatests zurückzuführen. Hierdurch sind die Schlachtkosten im zweistelligen Prozentbereich angezogen. Das hat auch unser Jahresergebnis geschmälert. 2021 schließen wir mit einem Verlust ab.
Wann ziehen die Schweinepreise an?
Qualbrink: Der Schweinemarkt bleibt auch zu Beginn des neuen Jahres impulslos. Wir haben hohe Lagerbestände und aus den Fleischbetrieben kommt weiter zu viel Ware in den Markt. Damit sich der Markt freiläuft, müssen sich die Abstockungen EU-weit fortsetzen und mehr Ware in Drittländer abfließen.