Die Eiweißabsenkung bleibt gefragt. Doch die Preise für freie Aminosäuren explodieren. Über Ursachen und Gegenmaßnahmen hat SUS mit Experten diskutiert.
Fred Schnippe, SUS
Viele Schweinehalter konnten den Proteingehalt ihrer Rationen stark absenken. Vor allem in den Veredelungshochburgen haben hohe Güllekosten den Trend forciert. Dabei sorgt der Einsatz freier Aminosäuren als Ersatz von Eiweißträgern für stabile Mastleistungen und entlastet den Stoffwechsel.
Mineralfutterpreis verdoppelt
Doch seit dem vergangenen Herbst gehen die Preise für freie Aminosäuren durch die Decke. Dies spüren insbesondere Betriebe mit auslaufenden Futterkontrakten. „Vor wenigen Wochen konnte unsere Einkaufsgemeinschaft noch Standardmineralfutter für die Mast für 85 €/dt beziehen. Dieses ist jetzt mit 180 €/dt mehr als doppelt so teuer“, schildert Bernd Westerfeld, Fütterungsberater der Landwirtschaftskammer NRW.
Auch die Preise für Eiweißergänzer sind stark angezogen. Ergänzer für stark N/P-reduzierte Rationen mit hohen Gehalten an freien Aminosäuren haben sich binnen weniger Wochen um mehr als 6 €/dt verteuert. Manche Hersteller bieten Ergänzer mit hohen Aminosäurengehalten nicht mehr an. Andere Anbieter arbeiten momentan nur noch mit Tagespreisen.
Der Auslöser ist eine extreme Verknappung bei den Aminosäuren. Hier kommen mehrere Probleme zusammen:
- Die weltweite Expansion der Tierhaltung forciert den Bedarf an Aminosäuren. Vor allem Chinas Wiederaufbau nach der ASP wirkt sich stark aus.
- Die Produktion von Aminosäuren erfolgt aus Kostengründen überwiegend in Asien. Insbesondere China hat neue Handelsbarrieren und Zölle verhängt.
- Der Transport nach Europa ist teurer. Der Preis für Überseefrachten hat sich mit bis zu 8000 € je Container vervierfacht. Auf den Transport entfallen inzwischen 30 bis 40% des Produktpreises.
- Wegen Engpässen bei der Stromversorgung legt Peking seit November vergangenen Jahres ganze Industriezweige lahm. Die energieintensive Aminosäurenproduktion ist stark betroffen.
Lysinpreise explodieren
Hierdurch ist die Versorgung mit Aminosäuren weltweit aus den Fugen geraten. „China erzeugt 70 bis 80% des weltweit benötigten Lysins. Bei Threonin sind es sogar mehr als 90%“, schildert Dr. Maike Naatjes von Evonik, einem der größten Anbieter von Aminosäuren in Europa. Ein Ausgleich über andere Produktionskapazitäten ist damit kaum möglich.
Aufgrund der gravierenden Versorgungsengpässe sind die Preise für Aminosäuren förmlich explodiert. So war Lysin im Großhandel in den letzten Jahren für rund 1,10 €/kg verfügbar. Selbst in festen Lieferketten kostet diese Aminosäure jetzt mehr als 3, am Spotmarkt sogar mehr als 5 €/kg (siehe Übersicht). Auch die Großhandelspreise für Methionin und Threonin haben sich kurzfristig mehr als verdreifacht. Tryptophan und Valin sind mit 8 bis 10 €/dt noch teurer.
Wieder mehr Soja?
Allein die Preisexplosion bei den Aminosäuren hat Mastfutter um etwa 6 bis 8 € und Ferkelfutter um rund 1,50 € je Tier verteuert. „Seit Dezember steuern einige Betriebe gegen. Sie füttern wieder mehr Soja, um Aminosäuren zu sparen“, beobachtet Berater Westerfeld. Denn Sojaschrot ist in der aktuellen Preiskonstellation die günstigere Eiweiß- bzw. Aminosäurenquelle.
Enthielten nährstoffreduzierte Rationen für die Vormast bisher um 16% XP, sind es jetzt mitunter wieder 18 bis 18,5%. Die Rückentwicklung auf Eiweißgehalte auf das Niveau von vor rund zehn Jahren ist selbst in viehdichten Regionen möglich. Denn Tierwohlprogramme, Abstockungen und hohe Mineraldüngerpreise senken den Nährstoffdruck. Andererseits verursachen höhere Sojaschrotanteile auch mehr gasförmige Emissionen, sodass eine Anhebung der Proteingehalte nicht ohne Weiteres möglich ist.
Entspannung im Frühjahr?
Dennoch hat die Preisexplosion bei den Aminosäuren Diskussionen um die Abhängigkeit von China entfacht. Denn neben den nachvollziehbaren Preistreibern scheint bei Peking eine Portion Willkür im Spiel zu sein. In diesem Zuge fordert die hiesige Mischfutterindustrie auch die Schaffung von Produktionskapazitäten für Aminosäuren in Europa.
Fachleute halten dies aber für unrealistisch. Denn die für die Produktion wichtige Fermentation und Trocknung sind sehr energieintensiv. Allein aufgrund der höheren Energiepreise könnten europäische Fabriken mit den chinesischen Großanlagen nicht konkurrieren.
Zumal Insider davon ausgehen, dass sich das Preisgefüge bei den Aminosäuren im Frühjahr wieder normalisieren kann. Denn nach dem Frühjahrsfest im Januar kommt Chinas Industrie oft wieder in Schwung. Zudem baut Peking die Energieversorgung mit Hochdruck aus.
Protein weiter runter
Fachleute erwarten daher, dass der Trend zur nährstoffreduzierten Fütterung bleibt. Nach einer Normalisierung der Aminosäurepreise ist eine weitere Optimierung der Proteinversorgung möglich. „Denn eine Eiweißabsenkung fördert auch den Stoffwechsel und damit die Tiergesundheit“, betont Dr. Jochen Krieg, Fütterungsreferent der Landwirtschaftskammer NRW. Insbesondere in den häufigeren Hitzeperioden bieten geringere Eiweißgehalte Vorteile für das Wohlbefinden und die Futteraufnahme.
Nicht zu unterschätzen ist zudem die Minderung der Schadgase. So bedeutet ein Prozentpunkt weniger Rohprotein rund 10% weniger Ammoniak. Von der besseren Stallluft profitieren Tier und Mensch. Hinzu kommen Vorteile bei Bau- bzw. Umbaugenehmigungen.
Die Industrie erkennt den Trend und hat weitere Aminosäuren auf den Markt gebracht. Neben den vier erstlimitierenden und in der Mast etablierten Aminosäuren Lysin, Methionin, Threonin und Tryptophan sind seit einiger Zeit auch Isoleucin, Leucin, Valin, Arginin und Histidin bei Schweinen zugelassen.
Versuche mit starker Senkung
Welchen Beitrag die zuletzt auf den Markt gekommenen weiteren essenziellen Aminosäuren leisten können, zeigen aktuelle Untersuchungen. Im Versuchsbetrieb Futterkamp wurden dem Mastfutter die ersten fünf essenziellen Aminosäuren bis zum Valin zugefügt. Die Kontrolltiere erhielten zusätzlich Isoleucin. Hierdurch konnte der Rohproteingehalt in der Mittelmast auf 13,8 und in der Endmast auf 12,8% gesenkt werden. Weder bei den Schlacht- noch bei den Mastleistungen traten Unterschiede auf.
In früheren Versuchen in Bayern wurde der Rohproteingehalt sogar auf 11,7% in der Endmast reduziert. Zum Ausgleich wurden die ersten sieben limitierenden Aminosäuren bis zum Leucin ergänzt. Dies zeigte keinen signifikanten Einfluss auf die Schlachtkörperqualität. Jedoch gingen die Zunahmen zurück.
Schallmauer bei 12% XP?
Dass bei extremer Eiweißreduzierung Leistungseinbußen auftreten können, zeigen auch Untersuchungen im Testbetrieb Quakenbrück. Hier wurde der XP-Gehalt in der Mast ab 80 kg Lebendgewicht auf 12% gesenkt. Die ersten fünf limitierenden Aminosäuren bis zum Valin wurden ergänzt. Dennoch verschlechterte sich die Futterverwertung um 0,1 Punkte gegenüber der Kontrolle.
Ob in der Endmast noch niedrigere Proteingehalte umsetzbar sind, prüft derzeit das Bildungs- und Versuchszentrum Haus Düsse. Das Versuchsfutter ab 70 kg Lebendgewicht enthält nur noch 11,5% Eiweiß. Zum Ausgleich sind die ersten sieben limitierenden Aminosäuren bis zum Leucin sowie die nicht-essenzielle Aminosäure Histidin ergänzt.
In der Endmast scheint bei 12% Eiweiß die Schallmauer erreicht. Zu beachten ist, dass eine derart starke Absenkung dem Level der nativen Rohproteingehalte im Getreide entspricht. Eine weitere Absenkung ist wenig praktikabel.
In der Ferkelaufzucht deuten Studien an, dass ab 15 kg Lebendgewicht künftig ein Niveau von 15% XP vorstellbar ist, allerdings stark abhängig von der Genetik. Bei Ferkeln könnten Glycin und Glutaminsäure als nächst limitierende Aminosäuren wirken.
Weniger Protein an Sauen
Bei laktierenden Sauen moderner Genetiken legen Studien einen Proteinbedarf zwischen 15,5 und 16,5% nahe. Die aktuellen Empfehlungen für sehr stark N/P-reduzierte Rationen scheinen bereits nahe am Bedarf zu liegen. Dieser hängt aber auch von der Futteraufnahme und von der Wurfgröße ab.
Bei trächtigen Sauen werden in der Wissenschaft mehrphasige Rationen diskutiert, um dem erhöhten Energie- und Nährstoffbedarf gegen Ende der Trächtigkeit gerecht zu werden. Aktuell erfolgt dies meist durch die Anhebung der Futtermenge für hochtragende Sauen. Nach neuen Studien könnte die Phasenfütterung eventuell die Senkung in Richtung 12% Eiweiß im ersten Drittel der Trächtigkeit erlauben. Dies wäre in der Praxis aber mit hohem Aufwand verbunden.
Längerfristig könnte die Zulage weiterer, eventuell nicht essenzieller Aminosäuren die Eiweißreduktion fortführen. „Wann die Produkte verfügbar sind und wie die Tiere reagieren, ist aber ungewiss. Entscheidend bleibt auch das Preisgefüge von Eiweißträgern und Aminosäuren,“ resümiert Dr. Krieg.