Ein gesunder Darm sorgt nicht nur für eine reibungslose Verdauung und gute Futterverwertung. Er beeinflusst auch das Immunsystem maßgeblich.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Billionen Bakterien leben im Magen-Darm-Trakt des Schweines. Als besonders wichtige Vertreter gelten Milchsäurebakterien, Bifidobakterien und Enterokokken. Die Darmflora (Mikrobiom) hilft dem Tier bei der Verdauung. Die Organismen versorgen den Körper mit Nährstoffen und Vitaminen und tragen zum Schutz vor Krankheitserregern bei.
In den letzten Jahren gab es neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wodurch Aspekte zum Mikrobiom mittlerweile sehr gut beschrieben werden können. Man weiß, dass es sich um ein komplexes Ökosystem handelt, welches im Gleichgewicht gehalten werden muss.
Diese Balance kann z.B. durch Krankheit gestört werden. Zudem können zahlreiche Umwelteinflüsse negativ auf die Besiedlung oder Zusammensetzung des Mikrobioms wirken (siehe Übersicht 1). Nicht selten treten die Faktoren gleichzeitig auf und beeinflussen sich gegenseitig.
Auch das Genom des Tieres selbst spielt eine Rolle, wie neuere Untersuchungen zeigen. Die genetische Abhängigkeit gibt es aber nicht für alle Darmbewohner in gleicher Weise, sondern nur für bestimmte.
Besiedelung nach der Geburt
Die Weichen für die Darmflora werden schon sehr früh gestellt. Der Darm des Neugeborenen ist zunächst steril. Doch bereits während der Geburt hat das Ferkel Kontakt mit diversen Mikroben. Nach der Geburt erfährt die Darmschleimhaut eine dramatische Veränderung und wird sehr schnell von Mikroorganismen besiedelt.
Die mikrobielle Besiedelung der Mutter, beispielsweise auf der Haut und am Gesäuge, sowie die stallspezifischen Hygienebedingungen während der Geburt beeinflussen die Kolonisation des Magen-Darm-Traktes des Ferkels.
Das Darmmikrobiom des jungen Ferkels unterliegt sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung als auch quantitativ noch erheblichen Schwankungen. Während einige Spezies schon nach wenigen Tagen wieder verschwinden, etablieren sich andere Bakterien erst nach geraumer Zeit.
Die Zusammensetzung des Mikrobioms steht auch mit der Ernährung des Tieres im engen Zusammenhang. Das Ferkel nimmt zunächst in der Regel ausschließlich Sauenmilch auf. Sobald es zusätzlich Beifutter erhält, passt sich die Bakterienbesiedlung im Verdauungstrakt dieser veränderten Ernährung an.
Stress beim Absetzen
Das Absetzen der Ferkel im Alter von drei bis vier Wochen ist übliche Praxis. Für die Jungtiere ändert sich schlagartig alles: Die Trennung von der Mutter und den Wurfgeschwistern, der Milchentzug, die Futterumstellung sowie die räumliche Trennung von Wasser und Futter. Zudem führt die Neugruppierung und das Eingliedern in große Gruppen zu einer enormen Stressbelastung.
Dies kann in der frühen Absetzphase das noch nicht ausgereifte Darmmikrobiom negativ beeinflussen. Die gestörte Futteraufnahme durch vorübergehend hungernde Ferkel kann eine Verkürzung der Darmzotten bedingen. In der Folge ist die Enzymaktivität reduziert und die Nährstoffaufnahme gestört bzw. nicht möglich. Durchfälle und Wachstumsstörungen können die Folgen sein.
Ältere Schweine reagieren in der Regel nicht so extrem auf externe Einflüsse wie beispielsweise eine Neugruppierung oder eine Futterumstellung. Veränderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms gehen deutlich langsamer vonstatten. Im Gegensatz zu den Jungtieren ist das Gleichgewicht deutlich stabiler (siehe Übersicht 2).
Dickdarm dicht besiedelt
Zwar sind alle Teilbereiche des Verdauungstraktes, von der Mundhöhle bis zum Rektum, von Mikroorganismen besiedelt. Doch die Besiedlung ist an den Schleimhäuten stärker ausgeprägt als im Darmlumen. Generell nimmt die Kolonisierung vom Magen zum Kolon deutlich zu.
Da der Dünn- und der Dickdarm sehr unterschiedliche physiologische Funktionen ausüben, findet man hier deutliche Unterschiede bei den mikrobiellen Gemeinschaften. Dies gilt sowohl bei Jung- als auch Alttieren.
Speziell der Dickdarm beherbergt ein spezifisches mikrobielles System. Vor allem hier findet die mikrobielle Fermentation von Nährstoffen statt. Ein neutraler pH-Wert und ein langsamer Transport des Darminhaltes bilden optimale Bedingungen für die mikrobielle Besiedlung.
Spezialisierte Bakterien im Dickdarm sind in der Lage, rohfaserreiche Futtermittel aufzuschließen und Energieträger bereitzustellen. Außerdem produzieren die Darmbewohner verschiedene Vitamine, die der Körper für sich nutzen kann.
Darüber hinaus erfüllen die Darmbakterien eine wichtige Barriere-Funktion gegenüber Krankheitserregern. Sie sorgen für ungünstige Lebensbedingungen, besetzen Lebensräume an der Schleimschicht und verhindern so die Ansiedlung bzw. Anhaftung der pathogenen Keime.
Wichtig fürs Immunsystem
Weitere wichtige Aufgabe einer ausbalancierten Darmflora ist die Stimulation des Immunsystems. Das sogenannte Darm-assoziierte Abwehrsystem macht etwa 70% der gesamten Immunität aus. Denn an den Schleimhäuten findet ein regelrechtes Training des Immunsystems statt, sodass aus unreifen T-Lymphozyten reife T-Zellen werden, die der Immunabwehr dienen.
Immer dann, wenn das Gleichgewicht der Bakterienflora gestört ist, können sich Krankheitskeime vermehren und die Population der nützlichen Bakterien zurückdrängen. Ist die Bakterienzahl verringert, spricht man von einer Dysbiose – einer Störung des Gleichgewichts der Darmflora.
Einerseits schützen die Darmbakterien vor Krankheiten, unterdrücken pathogene Mikroben oder bilden Vitamine. Andererseits sind sie auch Quelle für Toxine und Entzündungsmediatoren und verursachen Krankheiten. Entscheidend ist, in welcher Weise das Tier als Wirt mit seinem Mikrobiom kommuniziert. Hier bedarf es weiterer Forschung, um die Mechanismen bis ins Detail aufzuklären.
Vorsicht bei Antibiotika
Fest steht: Die Toleranz gegenüber nützlichen Bakterien und die Abwehr gegen Pathogene müssen stets im Gleichgewicht bleiben. Diese Balance kann durch verschiedene Faktoren gestört sein. Zu diesen gehören neben verschiedenen Krankheiten auch die Gabe von Medikamenten, speziell Antibiotika.
Dass eine Antibiotikagabe die Zusammensetzung der Darmflora deutlich verändern kann, versteht sich von selbst. Etwa 70% der Mikrobiota bestehen aus gram-positiven Bakterien. Wirkt das Antibiotikum z.B. gegen diese Gruppe Bakterien, geht dies einher mit dem Verlust an mikrobieller Vielfalt. Dadurch werden die gram-negativen Bakterien begünstigt. Auch die Selektion von Resistenzgenen wird dadurch gefördert.
Nach dem Absetzen der Antibiotika kommt es zu einer Wiederbesiedelung des Darms, die stufenweise erfolgt. Zuerst tauchen allerdings vermehrt Bakterien auf, die krankmachende Eigenschaften besitzen. Die schlechten Keime werden dann mehr und mehr durch gute Bakterien ersetzt, die Krankheitserreger fernhalten. Dieser Prozess kann sich aber über Wochen hinziehen. Je nach Antibiotikum und Situation können sogar dauerhafte Veränderungen und eine Störung des Ökosystems ausgelöst werden.
Futter für das Mikrobiom
Die Darmgesundheit ist nicht nur eng mit dem Darmmikrobiom, sondern auch mit der Verdauung und daher mit dem Futter und der Fütterung verbunden. Das heißt, dass die Futterzusammensetzung und etwaige Komponentenwechsel in der Ration während der Aufzucht und Mast das Darmmikrobiom erheblich beeinflussen können.
So bewirken z.B. hohe Rohfaseranteile die Vermehrung jener Bakterien, die auch Zellulose verstoffwechseln können. Sogar veränderte Rohfaserquellen können eine Verschiebung der Mikroben-Spezies nach sich ziehen.
Bei dem Abbau schwer verdaulicher Ballaststoffe werden neben verschiedenen Zuckerverbindungen vor allem drei kurzkettige Fettsäuren abgegeben: Buttersäure, Propionsäure und Essigsäure. Diese Fettsäuren, genauer die Buttersäure, ernähren die Dickdarmzellen und sorgen für eine intakte Arbeitsweise.
Neben den Rohfaseranteilen und -quellen ist vor allem die Vorverdauung zu beachten bzw. zu fördern. Das Ziel ist, dass nicht zu viel unverdauter Futterbrei in die hinteren Darmabschnitte gelangt und von pathogenen Keimen verwertet werden kann. Denn diese werden dadurch begünstigt.
Für eine bessere Vorverdauung bieten sich überwiegend hochwertige Protein- und Energiequellen insbesondere bei jungen Ferkeln an. Gerade in diesem Bereich ist eine Futterformulierung auf Basis verdaulicher Aminosäuren bei Begrenzung des Proteingehaltes Voraussetzung für einen gesunden Darm.
Zur Unterstützung der Darmflora und Darmgesundheit kann zudem der Einsatz von Futterzusätzen sowohl zur Prophylaxe als auch bei speziellen Verdauungsproblemen sehr hilfreich sein. Auch hierzu gibt es inzwischen reichlich Erfahrungen, wie positive Effekte auf die Darmbesiedlung erreicht werden können.
Zusammenfassung
- An der Besiedlung des Magen-Darm-Traktes mit Mikroorganismen sind zahlreiche Faktoren wie Umwelt und Ernährung beteiligt. Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms ist tierindividuell.
- Darmbakterien fördern die Aufnahme von Nährstoffen ins Blut. Zudem bauen sie einen Teil der Ballaststoffe im Dickdarm ab.
- Das Mikrobiom hilft bei der Entwicklung des Immunsystems und verwandelt unreife T-Zellen in reife. Und sie machen Giftstoffe und Krankheitserreger unschädlich.
- Antibiotikagaben verändern die Bakterienzusammensetzung im Magen-Dram-Trakt dramatisch. Eine vollständige Erholung kann unter Umständen erst Wochen später eintreten.