Mäster Max Schulze aus Niedersachsen (Name geändert) war verärgert. Seit Wochen entwickelten sich seine Schweine schlecht, das Haarkleid war struppig und die Gruppen wuchsen auseinander. Zudem trat gehäuft Kannibalismus auf. Untersuchungen mit dem Hoftierarzt ließen jedoch kein gesundheitliches Problem erkennen.
Schulze sandte daher mehrere Proben seines Fertigfutters in ein unabhängiges Labor. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Rohprotein- und Lysingehalte lagen deutlich unter den deklarierten Werten. Auch die vom Hersteller ausgewiesenen Energiegehalte wurden deutlich unterschritten. So enthielt eine Vormastration statt der deklarierten 16,0 nur 15,1 % Rohprotein. Entsprechend lag der Lysingehalt um 0,04 % unter der Deklaration.
Hersteller wiegelt ab
Der Betriebsleiter konfrontierte seinen Futtermittellieferanten mit den Laborwerten. Der Hersteller zeigte sich jedoch wenig gesprächsbereit und verwies u.a. auf die Toleranzspielräume bei der Deklaration. Zudem könnten mangelnde biologische Leistungen im Stall auch mit unerkannten gesundheitlichen Problemen zusammenhängen, so der Lieferant.
Die Reaktion war für den Mäster unbefriedigend. Zumal er wöchentlich Futter für mehr als 100.000 € bei dem Hersteller bezog. Der Kontraktpreis lag teils deutlich unter dem Marktpreis.
Der Landwirt ließ in den Folgewochen knapp 30 Futterrationen aus verschiedenen Maststufen analysieren. Hierbei konnte er auf Rückstellmuster zurückgreifen, die Mitarbeiter des Futterlieferanten von jeder Charge vor dem Befüllen des Lkw entnommen haben.
Die umfangreichen Labordaten bestätigten den vorherigen Eindruck. So wurden die deklarierten Eiweißgehalte in 26 Proben unterschritten, im Einzelfall um bis zu 1,5 Prozentpunkte. Nur drei Proben wiesen einen um 0,1 bis 0,2 % höheren XP-Gehalt auf als deklariert. Im Mittel fehlten 0,95 Prozentpunkte beim Rohprotein sowie 0,05 Prozentpunkte beim Lysin. Der Energiegehalt wurde im Mittel um 0,27 MJ ME unterschritten.
Inzwischen führen Landwirt und Futtermittelhersteller den Streit vor dem Landgericht Oldenburg fort. Immerhin will das Gericht die Rückstellmuster durch einen unabhängigen Gutachter bewerten lassen. Der Mäster rechnet dennoch mit einem langwierigen Prozess. Die Erfolgsaussichten bleiben ungewiss.
Große Abweichung erlaubt
Der Praxisfall zeigt, wie schwierig die Reklamation von Futtermittel sein kann. Dies gilt vor allem, wenn Landwirt und Hersteller keine Kulanzregelung finden.Knackpunkt sind die großen Toleranzen bei der Futterdeklaration.
Basis sind die EU-Vorgaben im Amtsblatt L328/2, sofern keine nationalen Regelungen vorliegen. Hierin sind absolute sowie relative Toleranzen mit Prozentangabe gelistet. Die Übersicht zeigt auszugsweise die gültigen Toleranzen.
So ist beim Rohprotein eine Abweichung von ±12,5% zulässig. Bei einer Ration mit 160 g Rohprotein je kg Futter beträgt der Deklarationsspielraum somit bis zu 20 g. Das heißt: Weist die Analyse nur 140 statt 160 g Rohprotein auf, ist das Futter rechtlich noch korrekt deklariert.
Auch bei anderen Parametern wie dem Phosphor-, Energie- und Rohfasergehalt erlaubt die EU hohe Abweichungen. Neben dem Deklarationsspielraum können Fehler bei Futterproben eine Beanstandung erschweren. Wie Landwirte dem vorbeugen, zeigt unser Interview mit einem Fachanwalt für Agrarrecht.
Toleranzen müssen runter!
Der Praxisfall macht deutlich: Wenn Futtermittel die Deklaration unterschreiten, haben Landwirte oft wenig Handhabe. Zu leicht können sich Hersteller hinter den üppigen Toleranzen im EU-Recht verschanzen. Hier muss Berlin dringend handeln und nationale Regeln mit kleineren Toleranzen schaffen!
Das Interview mit dem Fachanwalt für Agrarrecht lesen Sie hier.