Die Coronakrise, die ASP und neue Auflagen beeinflussen die Schweinebestände in Europa. Marktexperten aus fünf EU-Ländern geben eine Prognose für die nächsten Jahre.
Klaus Kessing, ISN Damme
Noch zu Anfang dieses Jahres war in vielen EU-Ländern mit Aufstockungen zu rechnen. Insbesondere der hohe Importbedarf Asiens sorgte für gute Marktaussichten. Jedoch durchkreuzte die Coronakrise sämtliche Pläne. So haben sich Schlachthofmitarbeiter infiziert und die Bänder standen still.
Auch hat der Lockdown dazu geführt, dass einige Zielmärkte in der EU bis heute nicht wie gewohnt beliefert werden können. In manchen Nachbarländern wirken zudem neue gesetzliche Vorgaben als Hemmschuh für die Entwicklung der Schweineproduktion.
Deutschland stockt ab
Deutschland zeigt in den vergangenen Jahren eine stetige Abnahme der Schweinebestände. Der Trend setzt sich fort. In der jüngsten Viehzählung Anfang Mai wurden bei uns 25,4 Mio. Schweine gehalten. Das waren 2,6% weniger als im November 2019. Die Mast ging besonders stark um 5,6% auf 11,1 Mio. Tiere zurück. Der Sauenbestand nahm um 1% auf knapp 1,8 Mio. Tiere ab.
Zuletzt gab es in Deutschland noch 20400 schweinehaltende Betriebe. Das sind 3,8% weniger als im November 2019. Erneut nahm die Zahl der Betriebe stärker ab als die Zahl der gehaltenen Schweine. Der Strukturwandel bleibt.
Es ist davon auszugehen, dass der negative Trend bei uns anhält. Die Sauenbestände dürften sich dabei etwas stärker verringern. In einer ISN-Umfrage gaben Mitte 2018 rund 16% der Teilnehmer an, binnen zwei Jahren aus der Sauenhaltung auszusteigen. Tatsächlich gaben zwischen Mai 2018 und Mai 2020 etwa 14% der Ferkelerzeuger auf. Weitere 15% wollten in zwei bis fünf Jahren aufhören – vor allem kleinere Betriebe.
Ferkelangebot sinkt
Damit sind signifikante Auswirkungen auf den deutschen Sauenbestand zu erwarten. So konnten in den vergangenen Jahren steigende Wurfgrößen die abnehmenden Sauenzahlen weitgehend kompensieren. Diese Leistungssteigerung flacht allerdings ab. Somit wird der Rückgang des Sauenbestandes künftig stärker zum Rückgang erzeugter Ferkel führen.
Schwer abzuschätzen ist, wie stark sich das Verbot der betäubungslosen Kastration und den damit verbundenen Mehrkosten widerspiegeln wird. Die kürzlich verschärfte Haltungsverordnung wird sich in den nächsten zwei Jahren kaum auswirken. Ein weitaus stärkerer Effekt dürfte in den darauffolgenden Jahren zu beobachten sein. Flankierende Maßnahmen seitens der Politik sind ein Muss!
Für die Mäster könnten sich stark schwankende Betriebsergebnisse und gestiegene Kosten u. a. durch die neue Düngeverordnung in mehr Betriebsaufgaben äußern. Zusätzlich trübt die schwache Inlandsnachfrage die Aussichten.
Der deutsche Schweinebestand könnte in den kommenden zwei Jahren um 4 bis 5% sinken (siehe Übersicht). Die Sauenbestände dürften mit 5 bis 7% in den nächsten beiden Jahren etwas stärker schrumpfen. Infolgedessen ist mit noch mehr Ferkelimporten zu rechnen.
Holland kauft Betriebe auf
Die niederländische Schweinepopulation veränderte sich im letzten Jahrzehnt kaum. Auch die jüngste Viehzählung Ende 2019 zeigte mit 11,9 Mio. Schweinen stabile Bestände. Die Sauenzahl belief sich auf 1052000.
Das im November 2019 von Den Haag aufgelegte Ausstiegsprogramm wird die Bestände aber deutlich reduzieren. Es soll Betriebe aufkaufen, die Geruchsbelastungen verursachen. Gut 400 Schweinebetriebe wollen am Programm teilnehmen. Sie verfügen zusammen über 910650 Schweinerechte, was 10,5% der niederländischen Produktion entspricht.
Allerdings ist zu erwarten, dass ein Teil der gemeldeten Schweinehalter doch nicht aussteigt. Denn der Antrag war kostenlos und ein Aufschub der Entscheidung möglich. Die guten Erlöse im Vorjahr werden wohl einigen Betrieben den Rücken stärken, dabei zu bleiben.
Die Auswirkungen des Ausstiegsprogramms sind im Frühjahr 2021 zu erwarten. Dann könnte der Schweinebestand kurzfristig um 6 bis 9% sinken, wobei die Sauen vermutlich stärker betroffen sind als die Mast. Das bedeutet auch, dass die Ferkelexporte zurückgehen. Mittelfristig könnte es zu weiteren Einbußen der holländischen Schweineproduktion kommen. Denn die Regierung hat große Pläne, die Stickstoffdeposition auf Naturschutzgebiete zu verringern.
Dänemark: 5% mehr Schweine
In Dänemark hat die seit Mitte 2019 stabile Marktsituation in Verbindung mit moderaten Futterpreisen für Aufstockungen gesorgt. Im April wurden 12,8 Mio. Schweine gehalten. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Zuwachs um 4,8%. In keiner April-Zählung der vergangenen 13 Jahre war der Bestand größer. Die Sauenhaltung verzeichnete bei der letzten Erhebung eine Steigerung um 3% auf 1251000 Tiere.
In der dänischen Ferkelerzeugung ist in den kommenden zwei Jahren mit einem leichten Wachstum von 2 bis 3% inklusive des Produktivitätszuwachses zu rechnen. Auch in der Mast wird ein kleines Plus von 2% prognostiziert.
Durch seinen hohen Exportanteil profitiert Dänemark momentan überproportional vom hohen Importbedarf Asiens. Auch wenn China seine Schweinebestände wieder aufstockt und die exportstarken USA, Brasilien oder Spanien ihre Ausfuhren erhöhen, erwartet Dänemark auch in den kommenden Jahren gute Exportmöglichkeiten.
Deutschland spielt bei den Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Kein dänischer Sauenhalter stockt auf, nur weil er eine Zunahme des deutschen Ferkeldefizits erwartet. Im Gegenteil: Einige dänische Betriebe wollen ihre Ferkel in Zukunft lieber selbst mästen. Denn sie fürchten, dass die ASP von Polen nach Deutschland gelangt. Dies erklärt auch das erwartete Wachstum der Mast.
Italien mit Corona-Problemen
Die italienischen Bestände behaupteten sich in den vergangenen drei Jahren mit 8,51 Mio. Schweinen auf konstantem Niveau. Auch die Sauenbestände blieben mit 556000 Tieren nahezu unverändert. Bis zu 80% der italienischen Schweine dienen für Produkte mit geschützter Kennzeichnung, wie Parma-Schinken. Die Coronakrise hat Italien stark getroffen. Die Schweineproduktion wird dieses Jahr vermutlich um 5% zurückgehen, was auf die geringere Außer-Haus-Nachfrage, gestörte Vertriebsketten und gesunkene Exporte zurückzuführen ist.
Neue Vorschriften zum Schwanzkupieren, Antibiotika und Herkunftskennzeichnung verteuern die Produktion. Die italienische Branche erhofft sich davon aber auch Qualitätssteigerungen. Falls sich dadurch höhere Margen erzielen lassen, ist 2021 mit einer Erholung der Schweinebestände zu rechnen.
Spanien expandiert weiter
Spanien bleibt auf der Überholspur. Die Viehzählung Ende 2019 ergab 1,4% mehr Tiere als ein Jahr zuvor. Mit 31,3 Mio. Tieren ist Spanien der größte Schweinehalter der EU. Seit 2014 wurde um 18% aufgestockt. Das Ende des Wachstums ist nicht erreicht. So stieg die Zahl der Muttertiere zuletzt um 3,1% auf 2,58 Mio. Damit verfügt Spanien über die mit Abstand größte Sauenherde in der EU. Motor für die boomende Schweineproduktion ist insbesondere die hohe internationale Nachfrage nach Schweinefleisch.
Mittelfristig wächst der Schweinesektor langsamer. Denn Madrid hat jüngst eine Verordnung erlassen, um die Emissionen des Schweinesektors zu reduzieren. Das macht den Bau neuer Ställe schwieriger.
Trotz der Coronakrise gelingt es Spanien momentan, die Exporte weiter zu steigern. Allerdings wächst die Abhängigkeit vom Hauptabnehmer China. Und dort setzen die USA, Kanada, Brasilien ihre EU-Konkurrenten mit geringen Produktionskosten unter Druck.
Polen: Wachstum trotz ASP
Polen zählte bei der jüngsten Erfassung Ende 2019 rund 11,2 Mio. Schweine. Das sind 1,7% mehr als ein Jahr zuvor. Die Sauenzahl erhöhte sich um 1,6% auf 756800. Die Kombination aus hohen Schweinepreisen und geringen Futterkosten bot starke Anreize zur Expansion. Dennoch befinden sich Polens Bestände im Vergleich zu den 14 Mio. Schweinen im Jahr 2010 auf niedrigem Niveau.
Corona hat die Erzeugererlöse kurzfristig stark gedrückt. Doch die Notierungen liegen über dem Mittel der letzten Jahre. Die ASP-Fälle in Polen haben zu strengeren Vorgaben zur Biosicherheit geführt, die verschärft kontrolliert werden. Hierdurch mussten viele kleine Betriebe bzw. Hinterhofhaltungen die Schweineproduktion einstellen. Eine ernsthafte Bedrohung ist der Sprung des ASP-Virus im Dezember 2019 um über 300 km nach Westen. Denn die betroffene Region Großpolen ist das Zentrum der Schweinehaltung.
Weitet sich das ASP-Geschehen im Westen nicht weiter aus, dürften die hohen Erlöse in der Mast im Jahr 2019 und die erwartete Rentabilität in diesem Jahr zum Anstieg der polnischen Schweinepopulation um 15% bis Ende 2021 führen. Mit 13 Mio. Schweinen wäre das der höchste Bestand seit 2012.
Polens Sauenbestand könnte in den nächsten zwei Jahren um 5 bis 10% zulegen. Durch das schnellere Wachstum der Mast müssten die Ferkelimporte auf etwa 7 bis 8 Mio. Stück pro Jahr zulegen.
Ferkelmarkt im umbruch
Die Veränderungen in der EU-Sauenhaltung werden sich insbesondere im Außenhandel mit Ferkeln zeigen. Durch den Abbau der Sauen in Holland werden vermehrt Ferkelimporte aus Dänemark notwendig. Eine größere Zahl an Ferkeltransporten wird auch von Dänemark über Deutschland nach Polen stattfinden. Bei etwas rückläufigem Ferkelangebot sind die Preiserwartungen optimistisch.
Aus den Niederlanden kommen vermutlich weniger Schlachtschweine zu uns. Das kann eine leichte Entlastung für unseren Schweinemarkt bringen. Außerdem könnte ein Abbau der Schweinebestände in Italien neue Optionen für den Export von deutschem Schweinefleisch dorthin zulassen.
Insgesamt bleibt der EU-Schweinebestand relativ stabil. Bei dem weiter hohen Importbedarf Chinas ist das keine schlechte Ausgangsposition. Jedoch ist anzunehmen, dass vor allem Spanien und Dänemark ihre Geschäfte ins Reich der Mitte ausweiten. Doch im Drittlandsexport erhöhen die Aufstockungen in den USA und Brasilien den Druck.