Der Strukturwandel trifft auch die Schlachter. Die Schwergewichte setzen auf Wachstum, Export und Integration.
Matthias Quaing, ISN
Die deutsche Schlachtbranche hat in den vergangenen 20 Jahren eine rasante Entwicklung hingelegt. Während der Schweinemarkt in den 90er Jahren von Überkapazitäten und schlechten Renditen geprägt war, nutzten die Unternehmen die 2000er-Jahre für Konsolidierung und Wachstum. Getragen von der immensen Nachfrage der Discounter nach SB-verpackter Fleischware und der Erschließung internationaler Märkte erreichte die Produktion im Jahr 2011 mit 59,7 Mio. geschlachteten Schweinen ihren Höchststand.
Dieser Spitzenwert blieb in den vergangenen Jahren unberührt – auch weil die inländische Rohstoffversorgung schwächelt. So ist der Schweinebestand seit 2014 um 5% gesunken. Hinzukommt die sinkende Schweinefleisch-Nachfrage der Verbraucher. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist der Pro-Kopf-Verzehr um fast 3 kg auf 35,8 kg gefallen. Die Schlachtbranche steht großen Herausforderungen ge-genüber, die wahrscheinlich zu weiteren Konzentrationsprozessen auf der roten Seite führen werden.
Tönnies marschiert vorweg
Dabei ist schon jetzt die Marktmacht der Großkonzerne erdrückend. Während zahlreiche kleinstrukturierte Schlachtunternehmen aufgaben, steigerte Branchenführer Tönnies seine Schlachtzahlen von 6,9 Mio. Stück im Jahr 2004 auf 16,6 Mio. Schweine im vergangenen Jahr. Kaum weniger beeindruckend sind die Wachstumsschritte des ebenfalls in Westfalen beheimateten Schlachters Westfleisch. Dort wurden in 2017 mit rund 8,2 Mio. Tieren fast 3 Mio. Schweine mehr an den Haken gebracht als noch 2004.
Damit entfallen schon heute 40% der deutschen Schweineschlachtungen allein auf diese beiden Unternehmen –Tendenz steigend. Denn während Tönnies auf all seinen vier deutschen Schweineschlachthöfen Produktionssteigerungen plant, konzentriert sich die Westfleisch nach der Aufgabe des abgebrannten Schlachthofes in Paderborn auf den Standort in Oer-Erckenschwick. Hier liegt ein Antrag für die Schlachtgenehmigung von bis zu 100000 Tieren pro Woche vor. Das würde fast eine Verdoppelung der Kapazitäten bedeuten (siehe Übersicht 1).
Die niederländische Vion, hinter Tönnies und Danish Crown drittgrößtes Schlachtunternehmen der EU, hat sich nach turbulenten Jahren zuletzt wieder stabilisiert. Zahlreiche kleinere Schlachthöfe in Deutschland wurden geschlossen, während zentrale Standorte wie Emstek ausgebaut und modernisiert wurden. Von den zu Spitzenzeiten über 10,7 Mio. Schweineschlachtungen pro Jahr ist man mittlerweile aber weit enfernt. So wurden letztes Jahr rund 8,5 Mio. Tiere geschlachtet.
Weltmärkte hart umkämpft
Von einem dynamischen Wachstum versprechen sich Tönnies und Westfleisch weitere Kostenvorteile und mehr Verhandlungsspielraum auf den inner- und außereuropäischen Märkten. Denn insbesondere in Asien und mittelfristig auch in Afrika gibt es lukrative Absatzmärkte für Teilstücke, die in Europa kaum nachgefragt werden. Wer hier Fuß fassen will, braucht nicht nur ein internationales Vertriebsnetz und ausgezeichnete Auslandskontakte. Er muss auch gerüstet sein für einen harten Preiskampf mit Billiganbietern aus den USA oder Brasilien.
Mittelständische Schlachtunternehmen können sich hier nur durch kostensparende Kooperationen und gemeinsame Vertriebskanäle behaupten. Daher konzentrieren sich viele der noch verbliebenen Kleinunternehmen auf die Vermarktung über den Großhandel und Metzger. Nach schwierigen Jahren konnte sich diese Vertriebsschiene durch die zunehmende Nachfrage nach regionalen bzw. nachhaltig erzeugten Produkten wieder auf einem niedrigen Niveau stabilisieren (siehe Übersicht 2).
Regionalität liegt im Trend
Dass hier zumindest in Bezug auf die öffentliche Wahrnehmung etwas zu holen ist, haben auch die großen Schlachtunternehmen erkannt. So stellt beispielsweise die Westfleisch seit einigen Jahren sehr erfolgreich ihre genossenschaftlichen Strukturen und die damit verbundene Regionalität in den Vordergrund. Tönnies und Rewe Dortmund versuchten unter dem Label „Meat4you“ die Kunden mit antibiotikafrei-erzeugtem Fleisch in die Läden zu locken.
Zwar entwickelte sich dafür nicht die erhoffte Nachfrage und das Label wirbt mittlerweile vor allem mit der regionalen Erzeugung. Das ein Fleischprodukt mit dem Zusatz „Antibiotika-frei“ im Einzelhandel platziert wurde zeigt aber, dass die Prozessqualität vom Ferkel bis an die Ladentheke immer mehr an Bedeutung gewinnt. Inwieweit es allerdings kleinere Schlachtbetriebe be-werkstelligen können, die vielen Daten in der Kette zu bünden und zu digitalisieren, bleibt abzuwarten.
Eher durchwachsen sind die Erfahrungen mit der Vermarktung von besonders tierwohlgerecht erzeugtem Schweinefleisch. Zur flächendeckenden Bedeutung hat es nur die Initiative Tierwohl (ITW) mit über 4000 teilnehmenden Betrieben gebracht. Daher ruhen große Hoffnungen auf dessen Weiterentwicklung und der Einführung der staatlichen Tierwohlkennzeichnung.
Völlig losgelöst voneinander werden sich beide Programme aber im Markt kaum behaupten können. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die Systeme in der Einstiegsstufe auf gemeinsame und vor allem machbare Kriterien abzustimmen. Wenn ja könnte sich daraus, ähnlich wie das Beter-Leven-Siegel in den Niederlanden, für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel zumindest im Bereich Frischfleisch ein neuer Standard entwickeln.
Verarbeiter in der Klemme
In der nachgelagerten Fleischwarenindustrie sind die Marktanteile noch deutlich breiter verteilt und die Unternehmen besitzen eine stärkere mittelständische Prägung. Allerdings sind auch hier Konzentrationsprozesse zu beobachten und die Verarbeiter leiden immer stärker unter ihrer „Sandwichposition“ zwischen der Schlachtindustrie und dem preisaggressiven Lebensmitteleinzelhandel.
Denn Zulieferer und Abnehmer sind immer öfter auch Konkurrenten. Tönnies beispielsweise ist mit der Zur-Mühlen-Gruppe der mit Abstand größte Wursthersteller Deutschlands. Dahinter folgt der zur Westfleisch-Gruppe gehörende Fleischvermarkter Gustoland. Vion spielt hier keine große Rolle mehr, da der Neustrukturierung auch ein Großteil der eigenen Verarbeitungsunternehmen zum Opfer fielen. Dafür mischen auf der anderen Seite Lebensmittelhändler wie Edeka, Rewe oder Kaufland mit ihren eigenen Fleischwerken auf dem nationalen Wurstmarkt kräftig mit.
Dass gerade Handelsmarkenhersteller oder Hersteller von weniger bekannten Markenartikeln angesichts solch eines Wettbewerbes schnell ins Straucheln geraten können, zeigte sich in den Jahren 2015/2016. Damals bewegten sich die Rohstoffpreise auf einem vergleichsweise hohem Niveau. Insbesondere Sauenfleisch war in kurzer Zeit um rund 40 % im Preis gestiegen.
Einige kleinere Fleischverarbeiter verfügten nicht über die finanziellen Reserven, um diese Krise auszusitzen und mussten Insolvenz anmelden. Neben Betriebsaufgaben kam es zu zahlreichen Übernahmen. Allein die Zur-Mühlen-Gruppe hat sich auf diese Weise in den vergangenen zwei Jahren u.a. die Lutz-und Blankemeyer-Gruppe sowie die Einzelfirmen Astro und Marten einverleibt.
Vertragsmast nimmt zu
Der Kettengedanke erstreckt sich bei den Schlachtern nicht allein auf den nachgelagerten Bereich. Immer mehr Unternehmen versuchen die Landwirte vertraglich an sich zu binden. So gab die Vion bekannt, noch in diesem Jahr ihr „Good Farming Balance“-Konzept aus den Niederlanden auf Deutschland ausweiten zu wollen. Im Gegenzug für ein breites Angebot an verschiedenen Abrechnungsmasken geht der Mäster eine mindestens zwölfmonatige Liefervereinbarung ein. Zudem muss er dem Schlachter Betriebsdaten übermitteln.
Für die Vion und andere Schlachter ist die Vertragsmast von großem Vorteil, da sie auf diese Weise ihre Rohstoffversorgung absichern und Schlachtkapazitäten effizienter nutzen können. Ein Blick auf die Rangliste der zehn größten Schlachtunternehmen zeigt, dass Vertragslandwirtschaft und integrierte Systeme, wie sie in der Geflügelhaltung Standard sind, auch in der Schweinefleischerzeugung an Bedeutung gewinnen (siehe Übersicht 3).
Diesen Trend sollte man nicht grundsätzlich verteufeln. Aktuell scheinen aber die Angebote der Schlachter für einen Langzeitvertrag nur wenig lukrativ und die Landwirte in der Integration geben immer auch ein Stück unternehmerische Freiheit auf. Das hat Folgen auf die wöchentliche Preisbildung. So gelingt es angesichts der weniger flexiblen Lieferstrukturen kaum noch, Hauspreise zu umfahren oder Marktimpulse zu setzen.
Fazit
- Die deutsche Schweinefleischproduktion hat ihren Zenit überschritten. Die großen Schlachter fassen aufgrund der schwächelnden Inlandsnachfrage immer stärker den Export ins Auge.
- Hier gilt es sich durch kostengünstige Strukturen möglichst wettbewerbsfähig aufzustellen. Das schließt auch den Aufbau eigener Verarbeitungslinien ein.
- Auf dem heimischen Markt gewinnen Produkteigenschaften wie Regionalität und Tierwohl an Bedeutung.
- Immer mehr Schlachter setzen auf Lieferverträge mit den Landwirten, um angesichts sinkender Tierbestände ihre Rohstoffversorgung zu sichern.