Sinkende Schlachtzahlen und explodierende Kosten setzen die Fleischbetriebe unter Druck. Experten erwarten starke Strukturanpassungen. Das trifft auch die Schweinehalter.
Fred Schnippe, SUS
Das Schlachten und Zerlegen von Schweinen war lange Zeit ein Erfolgsmodell für die deutschen Fleischbetriebe. Effiziente Strukturen und niedrige Löhne sicherten den Betrieben die Kostenführerschaft im EU-Vergleich. Deutsches Schweinefleisch konnte in den europäischen und globalen Märkten punkten.
Doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich das Blatt komplett gewendet. Die Branche kämpft mit explodierenden Kosten und sinkenden Fleischverkäufen. Insbesondere der dramatisch fallende Pro-Kopf-Verbrauch – minus 10 kg in zehn Jahren – trifft die Branche ins Mark. Mittlerweile hat sich die Schweineschlachtung über weite Strecken zum Minusgeschäft entwickelt. Auslöser der Misere ist ein ganzer Strauß negativer Ereignisse:
- Es herrscht Personalmangel, der durch die Coronakrise verstärkt wird.
- Das Verbot der Werkverträge treibt die Arbeitskosten seit 2021 in die Höhe und verschärft die Personalsituation weiter.
- Neue Hygieneauflagen im Rahmen von Corona verteuern die Produktion enorm.
- Durch den ASP-Ausbruch in Deutschland im Herbst 2020 brachen über Nacht wichtige Absatzmärkte in Asien weg.
- Nicht nur in Deutschland, auch im Ausland ist der Verzehr von Schweinefleisch rückläufig.
- Die hohen Preise für Strom und Gas treffen die energieintensiven Fleischbetriebe mit voller Wucht.
Rund 25% höhere Kosten
Fachleute beziffern den Kostenanstieg in der Schlachtung und Zerlegung schon jetzt auf mindestens 25% gegenüber der Zeit vor Corona. Doch es kommt noch dicker. Im Juli hat Berlin den Mindestlohn um rund 60 ct angehoben. Im Oktober folgt dann ein kräftiger Sprung auf 12 € pro Stunde. Die Westfleisch kalkuliert, dass allein der neue Mindestlohn sie rund 6 Mio. € jährlich kostet.
Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass die Schlachthöfe deutlich mehr für den Einkauf ihrer Schweine ausgeben müssen. Selbst das für die Schweinehalter desaströse Preisniveau von 1,80 € pro kg SG liegt rund 30 ct über dem langjährigen Mittel. Hinzu kommen Kostensteigerungen beim Transport und der Verpackung. Beispielsweise haben sich Folien kurzfristig um 70% verteuert.
Fleischabsatz schwächelt
Das zweite große Problem sind die sehr deutlichen Rückgänge im Fleischabsatz. Neben den Exportsperren schwächelt der Verkauf im Heimatmarkt. „Im Lebensmittelhandel liegt der Rotfleischumsatz 25% unter der Vorjahreslinie. Schweinefleisch ist überproportional betroffen“, schildert ein Insider. Als Hauptauslöser gilt neben dem Trend zu weniger Fleisch die hohe Inflation.
Wie preissensibel Kunden reagieren, zeigt auch die sinkende Nachfrage nach Tierwohlprodukten. So kann der LEH derzeit nur einen Bruchteil des Schweinefleisches aus Haltungsform 3 zum notwendigen Verkaufspreis platzieren.
Dünn ist die Luft für höhere Fleischpreise auch in den umsatzstarken Haltungsformen 1 und 2. So berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ), dass der LEH zur Jahresmitte in Verhandlungen mit den Fleischbetrieben ungewöhnlich scharf auftrat. Offenbar lehnte vor allem Aldi höhere Bezugspreise beim Schweinefleisch strikt ab.
Deutschlands größter Fleischproduzent, Tönnies, sandte bereits im Frühjahr einen Notbrief an seine Kunden und betonte, dass die Belastungsgrenze nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs endgültig überschritten sei. Tönnies erklärte auch, die Lieferkontrakte mit dem Argument „höhere Gewalt“ zu kündigen.
Schlachtzahlen brechen ein
Messbar werden die Probleme in den Schlachtzahlen. So kamen 2021 in Deutschland nur noch 51,8 Mio. Schweine an den Haken, ein Rückgang von 3% gegenüber 2020. Im Vergleich zum Spitzenjahr 2016 mit mehr als 59 Mio. geschlachteten Schweinen summiert sich der Verlust sogar auf fast 13%.
2022 beschleunigte sich der Negativtrend. So wurden in den ersten vier Monaten nur noch 15,8 Mio. Schweine zerlegt – 10% weniger als im Vorjahr. „In der zweiten Jahreshälfte sinken die Wochenschlachtungen im Mittel unter 800000 Schweine“, erwartet Dr. Albert Hortmann-Scholten, Marktreferent der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
Bei anhaltend hoher Inflation könnte der Fleischverzehr weiter bröckeln. Und mit der Ausweitung der ASP bleiben wichtige Märkte für Deutschland verschlossen. Auf politische Hilfe braucht die Fleischbranche nicht zu hoffen.
Was das wirtschaftlich bedeutet, lässt sich am besten an der Westfleisch ablesen. Mit knapp 12 Mio. € Verlust war 2021 das schlechteste Jahr der Genossenschaft. Die deutsch-niederländische Vion meldete im vergangenen Jahr sogar 29 Mio. € Verlust. Branchenprimus Tönnies musste einen Umsatzrückgang von 12% bzw. rund 800 Mio. € hinnehmen.
Vor allem die großen Schlachthöfe leiden unter der mangelnden Auslastung. Denn bei ihnen hat der Wegfall des Asiengeschäftes große Lücken gerissen. „Die Großschlachter verloren zur Jahresmitte mehrere Euro am Schwein. Mittelständler mit schlanken Strukturen konnten gerade ihre Kosten decken“, schildert ein Unternehmensberater. Ein Beispiel ist der niedersächsische Fleischbetrieb Brandt, der sich als Familienunternehmen mit verschiedenen Tierwohlprogrammen erfolgreich im Markt behauptet.
Konsolidierung beginnt
Nach zwei Krisenjahren steht die Branche vor einer elementaren Umbauphase. Sie muss sparen und Kapazitäten abbauen. „Vor allem unter den Top Ten erwarten wir deutliche Veränderungen, speziell bei den Unternehmen mit mehreren Standorten“, erklärt ISN-Marktexperte Klaus Kessing.
In den vergangenen Jahren wurden bereits zahlreiche Schlachthöfe geschlossen. Allein die in der Übersicht gezeigten Standorte stehen für einen Kapazitätsabbau von bis zu 100000 Schlachtschweinen pro Woche. Künftig müssen sich die Schlachthöfe noch stärker auf den heimischen Markt konzentrieren. Die Kernfrage: Wie viele Schlachtschweine brauchen wir mittelfristig noch?
Hier zeichnen Fachleute ein düsteres Bild. Laut Klaus-Martin Fischer von der Unternehmensberatung Ebner Stolz könnten künftig weniger als 700000 Schweineschlachtungen pro Woche ausreichen. Andere Experten sehen sogar einen Rückgang auf weniger als 600000 Schlachtschweine wöchentlich. Das hieße: Bis zu 40% der Schlachthaken wären überflüssig. „Die Branche kommt erst aus der Verlustzone, wenn sie die Überkapazitäten abbaut. Je schneller, desto besser“, betont ein Insider.
Wie die Schlachtbetriebe den Umbau im Detail angehen, ist schwer abschätzbar. Bei vielen laufen Gespräche mit Unternehmensberatern.
Tönnies stellt sich breiter auf
Branchenprimus Tönnies sieht sich künftig mehr als Lebensmittelhersteller und will sich breiter aufstellen. Das einstige Kerngeschäft mit Schweinen tritt zurück, während die Convenienceschiene wachsen soll. Juniorchef Maximilian Tönnies will auch fleischlose Produkte stärker einbinden. Momentan betreibt Tönnies, abgesehen von Kellinghusen, drei große Schweineschlachthöfe. Nach Einschätzung von Fachleuten könnte mittelfristig ein Standort wegfallen. Ein möglicher Wackelkandidat ist der Weidemark-Schlachthof im emsländischen Sögel. Der Standort klagte teils über eine mangelnde Auslastung.
Klar scheint, dass Deutschlands größter Fleischbetrieb vorerst in Familienhand bleibt. Clemens Tönnies und sein Neffe Robert legten ihren jahrelangen Streit um die Vorherrschaft im Unternehmen im vergangenen Herbst bei. Der offenbar geplante Verkauf des Konzerns für bis zu 4 Mrd. € kam nicht zustande.
Die deutsche Nummer 2, Westfleisch, hat ihre Schlachtkapazitäten bereits re-duziert bzw. auf andere Standorte konzentriert. Der Schlachthof Paderborn wurde nach dem Brand nicht wieder aufgebaut. Letzten Herbst wurde der Standort Gelsenkirchen mit knapp 1 Mio. Schlachtschweine jährlich geschlossen. Weitere Werksschließungen sind aktuell nicht geplant, erklärte das Unternehmen. Ob die am Hauptstandort Coesfeld mögliche Erweiterung noch zu tragen kommt, bleibt aber abzuwarten.
Seit rund einem Jahr forciert Westfleisch ein Sparprogramm mit 250 Maßnahmen, das erste Früchte trägt. So meldet die Genossenschaft für die ersten fünf Monate dieses Jahres ein knapp positives Ergebnis. „Bis Ende 2023 will Westfleisch einen mittleren zweistelligen Millionen- Eurobetrag einsparen“, erklärt Finanzvorstand Carsten Schruck.
Probleme bei Vion
Vion gilt als Problemkandidat unter den großen Schlachtern. Der Konzern mit Stammsitz in den Niederlanden hat im vergangenen Jahr fast 8% seiner Schweineschlachtungen eingebüßt und ist auf Platz 3 gerutscht. Vion erklärte, man wolle nur noch Schweine schlachten, mit denen man auch Geld verdient.
Ein Kostennachteil ist, dass Vions Schweineschlachtung auf fünf Standorte in Nord- und Süddeutschland zersplittet ist. Zudem hat der Konzern verschiedene nachgelagerte Betriebe zur Fleischverarbeitung verkauft oder hinkt mit der Modernisierung hinterher. Gerade mit der Fleischveredlung hat die Konkurrenz zuletzt sichere Gewinne erzielt.
Nur noch eine Schicht
Neben der strategischen Neuausrichtung reagieren die Fleischbetriebe kurzfristig auf die sinkenden Schlachtmengen. „Etliche sind vom Zwei- zum verlängerten Einschichtbetrieb gewechselt. Die Samstagsschlachtung steht ebenfalls zur Debatte“, schildert Dr. Frank Greshake, Marktexperte der Landwirtschaftskammer NRW. Andere erwägen einzelne Schlachttage zu streichen. Die verschärfte Gasknappheit kann die Entwicklung beschleunigen. Zumal unklar ist, in welchem Umfang die Fleischbranche als systemrelevant gilt.
Wie sich die Schlachtstrukturen verändern, hängt auch davon ab, wie viele Schweine es noch gibt. Im Süden stehen schon länger 20 bis 30% der Mastställe leer. Im Norden gibt es ebenfalls erhebliche Leerstände. Vorläufige Viehzählungsergebnisse aus Niedersachsen zeigen, dass die Ausstiegswelle rollt. So zählte das Bundesland im Mai 10,5% weniger Schweine als vor einem Jahr. Die Sauenzahl ging sogar um 13,5% zurück.
Ob der Bestandsabbau zu einer nachhaltigen Angebotsverknappung führt, ist dennoch fraglich. Denn die Rote Seite wird versuchen, ihren Überhang an Schlachthaken zügig abzubauen. Auch die Fusion oder Insolvenz von Fleischbetrieben wird die Konkurrenz um den Rohstoff Schwein mittelfristig vermindern. Brechen Schlachtstandorte weg, kann dies die gestiegenen Vorkosten weiter anheizen.