Selbst Top-Betriebe wie der von Ferkelerzeugerin Dagmar Klingelhöller schreiben rote Zahlen. Sie fordert von Handel und Politik endlich ein klares Bekenntnis zur deutschen Sauenhaltung.
Regina Imhäuser, SUS
Kostenoptimierte Leistung, Futtereffizienz, hoher Gesundheits- und Hygienestatus, gesicherte Ferkelabnahme, gutes und motiviertes Team: Was Dagmar Klingelhöller mit ihrem 680er-Sauenbetrieb im Nordosten von Niedersachsen aufgebaut hat, darf sich mit Fug und Recht Vorzeigebetrieb nennen. Und trotzdem spürt man deutlich die Sorgen der 61-jährigen Unternehmerin, wenn es um die Zukunft ihres Betriebes, ja sogar der Ferkelerzeugung in ganz Deutschland geht.
Doch der Reihe nach. Mitte der 90er-Jahre stieg die studierte Agraringenieurin nach mehreren Berufsjahren in der freien Wirtschaft in die praktische Schweinehaltung ein. Im Jahr 2007 baute sie den Sauen- und Ferkelaufzuchtstall am Standort in Niedersachsen. Am 31.12.2008 ferkelten dort die ersten Sauen ab.
Von Beginn an arbeitet sie mit PIC-Genetik (Camborough-Sau) im 1-Wochen-Rhythmus. Seit der Zertifizierung durch die Initiative Tierwohl (ITW) im April 2021 wurde der Bestand von 749 auf 680 Sauen reduziert und die Säugezeit auf knapp vier Wochen erhöht.
Remontierung mit Kernherde
Die Anlage ist seit Produktionsbeginn geschlossen, die Jungsauen werden für den eigenen Sauenbestand sowie einen weiteren in derselben Größenordnung selbst nachgezogen. Die Eigenremontierung wird mittels Large White-Kernherde mit 85 Sauen durchgeführt.
Pro Woche gibt es drei bis vier Kreuzbelegungen mit Landrasse-Ebersperma und jede dritte Woche eine Reinzuchtbelegung. PIC benennt dafür die besten Reinzuchttiere und macht Vorschläge zur Belegung. Die Nachzuchttiere werden in einem separaten Jungsauenstall aufgezogen, alle zwei Wochen werden zwölf Jungsauen in die Herde integriert.
Dank der Eigenremontierung und des Gunststandortes ist der Betrieb frei von PRRS und APP. Um den hohen Gesundheitsstatus zu halten, wird Hygiene im Betrieb groß geschrieben. So ist Einduschen Pflicht. Auch der Futterlieferant und der Ferkelspediteur fahren den Betrieb montagmorgens als Erstes an.
Die Ferkel vermarktet Dagmar Klingelhöller an zwei feste ITW-Mäster, die in einem bestimmten Rhythmus beliefert werden. „Der Lieferplan steht am Jahresende schon für das ganze nächste Jahr fest“, beschreibt die Landwirtin die gute Planbarkeit der beiden Ferkelerzeuger-Mäster-Beziehungen. „Und für die Ferkel schreibe ich die Rechnung.“ Die Tiere werden nicht kastriert und somit als Eber gemästet. Die Mäster schätzen die gute Futterverwertung, die im Vergleich zu Kastraten um 0,3 besser ist.
Die gute Futtereffizienz spiegelt sich auch im Sauenbestand wieder. Die Unternehmerin hat berechnet, dass ihre Sauen im Schnitt einen Futterverbrauch von 12 dt im Jahr haben, inklusive des Futterverbrauchs der Jungsauen.
70% höhere Futterkosten
Nichtsdestotrotz bereiten ihr die aktuell gestiegenen Futterkosten große Bauchschmerzen. In den Wirtschaftsjahren 2013/14 bis 2020/21 schwankten die Gesamt-Futterkosten je Ferkel, also inklusive Sauenfutter, zwischen 23,40 € und 27,70 € netto (siehe Übersicht). Bereits im vergangenen Wirtschaftsjahr 2021/22 stiegen diese um 34% auf 34 € je Ferkel. Und für das laufende Wirtschaftsjahr 2022/23 kalkuliert Klingelhöller mit einem weiteren Preisaufschlag von knapp 10 € je Ferkel. Im Vergleich zu den 2010er Jahren sind die Futterpreise damit um 70% gestiegen. Und dieses hohe Niveau wird vermutlich auch nach dem Wirtschaftsjahr 2022/23 bestehen bleiben, schätzt die Unternehmerin.
Zusätzlich zu den Rekord-Futterpreisen macht sich die Kostenexplosion auch bei den Strom- und Flüssiggaspreisen bemerkbar. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 verbrauchte der Betrieb 95000 kWh Strom. In den Jahren zuvor waren es in der Spitze auch mal 137000 kWh. Doch man investierte bereits frühzeitig und umsichtig in Stromsparmaßnahmen, beispielsweise in LED-Leuchtstoffröhren, eine frequenzgesteuerte Lüftung sowie eine 35 kWp-PV-Anlage für den Eigenbedarf.
Energiekosten steigen massiv
Weil die Maßnahmen auf dem Betrieb zum Stromsparen also schon stark ausgereizt sind, bleibt aktuell „nur“ noch die Lüfter sauberzuhalten, Spitzenlasten zu verteilen und das Licht auszumachen, wann immer es geht. „Und wir kaufen unseren Strom derzeit, statt auf Jahresbasis, am Spotmarkt ein“, nennt Dagmar Klingelhöller eine weitere, wenn auch riskante Strategie. Trotz aller Maßnahmen rechnet sie aber damit, dass die gestiegenen Energiepreise die Produktion eines Ferkels um 10 bis 15 € verteuern.
„Die gestiegenen Futter- und Energiekosten bekommen wir längst nicht durch die Ferkelerlöse gedeckt“, berichtet die Sauenhalterin besorgt über das Dilemma in der Ferkelerzeugung. Viele Betriebe stehen deshalb vor dem finanziellen Ruin, weiß sie aus etlichen Gesprächen mit Berufskollegen.
Und auch ihre monatlichen Geldrückberichte kennen schon seit Monaten nur eine Farbe: rot. Und das, obwohl die Produktion kostenoptimiert gefahren wird, stets nach dem Motto „Optimum statt Maximum“ und mit der Kernfrage: „Wie fahren wir wirtschaftlich optimal“ Dazu passt auch die Leistung der Sauenherde mit gut 31 abgesetzten Ferkeln und 10–11% Saugferkelverlusten. Die Abferkelquote liegt bei gut 90% und im Schnitt erreichen die Sauen sieben Würfe.
Ohne Ersatzmilch
Große Tüdeleien bei den Saugferkeln gibt es im Betrieb nicht. Die Arbeit sollen die Sauen erledigen. Sind die Geburten abgeschlossen, wird ein Wurfausgleich durchgeführt. Ersatzmilch oder gar künstliche Ammen gibt es im Betrieb ebenfalls nicht. Ab dem Ende der ersten Lebenswoche erhalten die Ferkel Prestarter in fein-pelletierter Form. Manche Würfe erhalten den Prestarter trocken, manche mit Wasser angefeuchtet. „Das entscheidet unsere Mitarbeiterin im Abferkelstall nach Gefühl“, berichtet Klingelhöller.
Die Ferkel werden gegen Mykoplasmen, Circoviren sowie gegen Lawsonien (PIA) geimpft. Bei den Sauen erfolgt eine Vakzinierung gegen Parvo/Rotlauf sowie eine bestandsspezifische Coli-Impfung. Jeden Montag besucht der bestandsbetreuende Tierarzt vom Vet-Team Schleswig-Holstein den Betrieb. Die Dokumentation der Arzneimittelanwendungen erfolgt über das System Farmtool.
Nach knapp vier Wochen Säugezeit verlassen die Ferkel jeden Mittwoch mit durchschnittlich 7,4 kg den Abferkelstall und werden im Flatdeck aufgezogen. „Im Vergleich zur dreiwöchigen Säugezeit konnten wir die Absetzgewichte um 1,4 kg je Ferkel steigern“, schwärmt Dagmar Klingelhöller von der sehr guten Milchleistung der Sauen.
Trotz Höchstleistungen im Abferkelstall verkraften die Sauen die vierwöchige Säugezeit in der Regel gut und werden anschließend im Deckzentrum im Schnitt mit 2,7 Belegungen besamt. Endstufeneber ist der PIC408. Biotechnik kommt im Betrieb nicht zum Einsatz.
Nach vier Wochen geht es dann weiter in den Wartestall, der als Einraumstall mit viel Licht und Luft gebaut wurde. Die Lüftung erfolgt hier über Wandventile und im Deckzentrum sowie in den fünf Abferkelabteilen mit je 36 Plätzen über Unterflur-Zuluft.
Bei der Betreuung ihrer Tiere setzt Klingelhöller auf ein Team aus langjährigen, erfahrenen und sehr pflichtbewussten Mitarbeitern. „Unsere rechnerisch 4,5 Arbeitskräfte haben die Sauenhaltung on the job gelernt und absolvieren gerade eine zweijährige, berufsbegleitende Tierwirtausbildung“, erklärt die Unternehmerin das geförderte Ausbildungsprogramm unter Begleitung der Arbeitsagentur. Ein guter Arbeitsplatz mit sauberer Hygieneschleuse und Gemeinschaftsräumen ist ihr sehr wichtig. „Und wenn was kaputt ist, wird das auch repariert“, ergänzt sie.
Langfristige und vertrauensvolle Partnerschaften ziehen sich also wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben – sei es bei den Mitarbeitern, bei den Ferkelabnehmern, beim Futtereinkauf, beim Genetik- und Eberspermabezug und so weiter.
Eine Langfristigkeit und Verlässlichkeit, die die Unternehmerin seitens der Politik und des Lebensmittelhandels schmerzlich vermisst. „Aktuell kann ich keinem unserer drei Kinder – trotz großem Interesse – guten Gewissens raten, in die Sauenhaltung einzusteigen“, sagt Dagmar Klingelhöller nachdenklich. Der tägliche Blick auf die roten Zahlen, die ihr top-geführter Betrieb so wie die Betriebe vieler Berufskollegen schreiben, lässt sie bisweilen tief verzweifeln. Ans Aufhören habe sie mit ihrer Familie auch schon gedacht. „Da würden viele Tränen fließen“, bekennt die Herzblut-Sauenhalterin offen.
Engagiert bei der ZKHL
Doch Aufgeben kommt für sie derzeit nicht infrage. Noch schimmert die Hoffnung, politisch etwas für die Sauenhaltung in Deutschland bewegen zu können. Deshalb bringt sie sich mit viel Engagement in die Arbeit der Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) ein, die nach der Auflösung des Agrardialogs entstanden ist.
Dort sitzt sie stellvertretend für das Netzwerk Agrar, das im Januar 2022 mit acht Mitgliedsverbänden gegründet wurde. Gründungsmitglied ist u.a. auch das Netzwerk Sauenhaltung Schleswig-Holstein, das Klingelhöller 2019 zusammen mit einigen Berufskollegen gegründet hat und das aktuell rund 100 Betriebe mit 47000 Sauen vertritt.
„Eigentlich ist die Lösung doch ganz einfach, um die Ferkelerzeugung in Deutschland zu halten“, findet die Sauenhalterin. „Wir brauchen flächendeckend 5xD, also nicht nur beim Frischfleisch, sondern für das gesamte Sortiment – Bedientheke, verpackte Ware bei den Discountern, verarbeitete Ware in Wurst, Pizza und Co.“
Und es brauche Einigkeit aller Lebensmittelhändler, inklusive der Gastronomie, den Außer-Haus- und Großabnehmern. „Es kann doch nicht sein, dass ein deutsches Kita-Essen oder die Verpflegung in einem deutschen Krankenhaus europaweit ausgeschrieben wird“, so die engagierte Agraringenieurin.
Bezahlung nach Vollkosten
Zudem kämpft die Unternehmerin für eine vollkostenbasierte Bezahlung: Bis ein Stück Schweinefleisch im Handel liege, verdienten im Schnitt zehn Stationen daran, der Sauenhalter stehe am Anfang oder Ende, je nach Betrachtung. „Mir wird der Preis nur mitgeteilt, ich habe bis heute keine Chance, den Preis zu verhandeln“, so Klingelhöller. Sie fordert deshalb Fairness, Verbindlichkeit, feste Strukturen in der Produktion und Verträge entlang der Wertschöpfungskette.
Nur dann haben die Ferkelerzeuger in Deutschland ihrer Ansicht nach auch eine Perspektive und können sich auf den Weg machen, um die großen Investitionen mit Gruppenhaltung im Deckzentrum sowie Bewegungsbuchten im Abferkelstall anzupacken. „Wir brauchen ein echtes Bekenntnis zu deutscher und regionaler Fleischproduktion, die schon beim Ferkel anfängt“, appelliert sie an die Politik und an alle Fleischabnehmer. Zudem könne auch jeder Verbraucher etwas beitragen, indem er Produkte aus heimischer Landwirtschaft bevorzugt einkauft.