Aus Kostengründen stieg ein Sauenhalter aus der PCV2-Impfung aus. Acht Monate lang ging das gut. Dann traten Probleme auf.
Anja Mai, Tierärzte Wonsees
Nahezu jeder Schweinehalter überlegt in diesen wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten, welche Arzneimittel und Impfungen wirklich notwendig sind. So auch Ferkelerzeuger Reinhard Schmitt (Name geändert), der einen Betrieb mit 60 produktiven Sauen im 3-Wochen-Rhythmus mit angeschlossener Mast führt. Im Jahr 2021 hatten die Sauen eine durchschnittliche Leistung von 12 abgesetzten Ferkeln pro Wurf, die Mastschweine erzielten 907 g tägliche Zunahmen bei 0,67% Verlusten.
Reinhard Schmitt kauft die Jungsauen zu und impft sie in der Eingliederungsphase gegen Parvovirose und Rotlauf. Auch die Altsauen werden halbjährlich gegen Parvo und Rotlauf vakziniert und gruppenweise vor der Abferkelung per Injektion entwurmt. Die Saugferkel erhalten gegen Ende der ersten Lebenswoche eine Eiseninjektion und eine Toltrazuril-Gabe gegen Kokzidien, eine Schmerzausschaltung im Rahmen der Kastration mittels Inhalationsnarkose und sie werden gegen die Ödemkrankheit geimpft.
Vor dem Absetzen erfolgt zudem ei-ne Impfung gegen Porcine Circoviren (PCV2), die der Betriebsleiter ungefähr ab August 2021 entgegen tierärztlichem Rat einstellte. In den nächsten Monaten blieb der Impfverzicht augenscheinlich ohne Folgen. Lediglich die Trächtigkeitsrate schwankte gruppenweise zwischen 75 bis 100%, wobei nicht infektiöse Ursachen bei den Gruppen mit vielen Umrauschern naheliegend erschienen.
Vermehrt kümmernde Tiere
Im Mai 2022 im Vorfeld eines routinemäßigen Bestandsbesuchs berichtete der Betriebsleiter von einem vermehrten Auftreten von zurückbleibenden Tieren im Ferkelaufzuchtstall und in der Mast und bat darum, das abzuklären. In der darauffolgenden Bestandsbegehung informierte er uns über bereits zwei Verluste im Flatdeck und zwei Verluste in der Mast, wobei wir ein Mastschwein mit PDNS-ähnlichen Hautveränderungen noch in Augenschein nehmen konnten.
PDNS steht für Porcine Dermatitis Nephropathie Syndrome und beschreibt eine Erkrankung, die durch Gefäßentzündungen (Vaskulitiden) in Haut und Nieren charakterisiert ist. Wie PDNS genau entsteht, ist bislang ungeklärt, wobei eine Beteiligung von PCV2 sehr wahrscheinlich ist.
Der Abferkelbereich erschien hingegen klinisch unauffällig, wobei Reinhard Schmitt auch hier von zwei Würfen mit vermehrten Verlusten berichtete. In der Ferkelaufzucht und Mast fielen Einzeltiere durch Blässe, erschwerte Atmung mit Husten sowie teilweise deutlich schlechterer Entwicklung als der Gruppendurchschnitt auf. Bemerkenswert war jedoch, dass nur die auffällig zurückbleibenden Tiere husteten.
Diagnose in zwei Schritten
Um die Ursache für die Probleme herauszufinden, wurden zwei Aufzuchtferkel euthanasiert und im praxiseigenen Sektionsraum obduziert. Auffällig dabei waren Blässe, eine Vergrößerung nahezu aller sichtbaren Lymphknoten, punktförmige helle Veränderungen in der Nierenrinde mit teilweise sichtbarem Sediment sowie verändertes Lungengewebe.
Die Summe der Veränderungen sprach für eine PCV2-assoziierte Erkrankung. Aufgrund dessen wurde jeweils ein Pool aus Lymphknoten und Thymusgewebe pro Ferkel entnommen und mittels PCR auf PCV2 untersucht. Wider Erwarten waren jedoch beide Proben negativ.
Parallel wurde das Lungengewebe mittels PCR negativ auf PRRS, Influenza und M. hyopneumoniae getestet. Auch in der bakteriellen Untersuchung der entnommenen Bronchustupfer fand sich kein relevanter Keimgehalt.
Da wir also bis zu diesem Zeitpunkt keine abgesicherte Diagnose stellen konnten, wurde in einem zweiten Schritt in Formalin fixiertes Lungengewebe im Diagnostiklabor (IVD GmbH, Seelze) histologisch untersucht. Das bedeutet, dass das Gewebe in sehr feine Streifen geschnitten und nach Anfärbung im Mikroskop eingehend betrachtet wird. Hier fanden sich Veränderungen, die stark auf eine PCV2-bedingte Pneumonie hinwiesen.
Aus diesem Grund wurde noch eine immunhistologische Untersuchung angeschlossen. Bei dieser werden nachzuweisende Erreger durch spezifische Antikörper markiert und diese Antikörper-Bindung anschließend durch Farbstoffe sichtbar gemacht. Mittels dieser Methode konnten in den veränderten Lungenbereichen in zum Teil hohen Mengen Circoviren nachgewiesen werden. Somit bestätigte sich eindeutig die Diagnose einer PCV2-bedingten Pneumonie.
Impfung wieder eingeführt
Nach der gestellten Diagnose stieg Reinhard Schmitt wieder in die Saugferkelimpfung gegen PCV2 in der vierten Lebenswoche ein. Auch der Sauenbestand wurde komplett vakziniert, um möglichen Reproduktionsstörungen vorzubeugen. Zudem erhalten nun die zugekauften Jungsauen eine PCV2-Auffrischungsimpfung in der Eingliederungsphase. Insgesamt soll die Sauenimpfung zwei Vorteile bieten: sie verhindert Erkrankungen bei den Ferkeln und Reproduktionsstörungen bei den Sauen, also Aborte, Mumien und Umrauschen.
Mit dem Start der Saugferkelimpfung wuchsen die Tiere wieder gleichmäßiger, und es traten keine Kümmerer mehr auf. Die Trächtigkeitsrate stabilisierte sich auf durchschnittlich 90 bis 100%.
Warum verzögerte Klinik?
Insgesamt kam Reinhard Schmitt noch mit einem blauen Auge davon. Von der akuten Krankheitsphase waren letztlich „nur“ zwei Aufzucht-/Mastgruppen betroffen. Die erste Gruppe hatte noch Tageszunahmen von mehr als 900 g, aber vorzeitige Abgänge in Höhe von 6,4%.
Bei der zweiten Gruppe fielen die Tageszunahmen auf 880 g und die vorzeitigen Abgänge stiegen auf 9,4%. Zudem hatte Reinhard Schmitt den Eindruck, dass die Tiere deutlich aggressiver als üblich und vom Gesamtbild her sehr heterogen waren.
Stellt sich abschließend noch die Frage, warum der Impfverzicht über mehrere Monate gut ging. Darüber können wir jedoch nur spekulieren. Folgende Fakten könnten in Kombination eine Erklärung liefern:
- Da Reinhard Schmitt seinen Bestand im strikten Rein-Raus mit Reinigung und Desinfektion fährt, werden Infektionsketten immer wieder unterbrochen.
- Circoviren befallen insbesondere Zellen des Immunsystems, unter anderem Makrophagen. Das führt zu einer Im-munsuppression, die man aber klinisch erstmal nicht sieht, wenn der Bestand wie bei Reinhard Schmitt ansonsten unverdächtig bezüglich PRRS, M.hyopneumoniae, APP usw. ist.
- Es bedarf eigentlich immer anderer Infektionen oder Umgebungsfaktoren, die die Vermehrung der Circoviren triggern, sodass die Viruslast ansteigt. In diesem Fall konnten wir die typischen anderen Infektionen nicht nachweisen, sodass Umgebungsfaktoren wie Lüftung, Belegdichte usw. zum „Kippen“ geführt haben könnten. Bei einzelnen Tieren führt das Virus dann zu einer Erkrankung, während andere scheinbar ganz normal weiterwachsen .