Auf US-Betrieben sterben jährlich rund 12% der Sauen. Besonders rätselhaft ist die Zunahme an Gebärmuttervorfällen. Eine große Studie liefert erste Erklärungen.
Regina Imhäuser, SUS
Die Sauenverluste auf US-Betrieben sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Im Schnitt liegen sie bei 11 bis 13%. Einige Betriebe verzeichnen Verluste von deutlich über 15%.
Eine großangelegte Studie unter Federführung des Iowa Pork Industry Center gibt Hinweise auf die Ursachen. Demnach stehen Lahmheiten und Klauenverletzungen mit 29% an erster Stelle (s. Übersicht 1). Dicht dahinter folgen sogenannte Beckenorganvorfälle (21%). Dazu zählen Scheiden-, Gebärmutter- und Mastdarmvorfälle.
Weitere Verlustursachen sind Geburtskomplikationen (6%), Magen-Darm-Probleme (3%) sowie andere Erkrankungen (2%). In 39% der Fälle war die Ursache nicht bekannt bzw. es lagen keine Informationen vor.
Problem Beckenorganvorfälle
Beckenorganvorfälle, auch Beckenorganprolapse genannt, werden auf US-Betrieben seit 2014 vermehrt beobachtet. Die Problematik besorgt die Farmer, Tierärzte und Wissenschaftler sehr. Sie haben nicht das Gefühl, die Prolapse unter Kontrolle bringen zu können. Das frustriert.
In der Regel treten Scheiden- und Gebärmuttervorfälle auf (zusammen 15%), seltener Mastdarmvorfälle allein (4%) oder zusammen mit einem Scheiden- oder Gebärmuttervorfall (2%). Bei einem Scheidenvorfall stülpt sich die Scheide der Sau nach außen, während bei einem Gebärmuttervorfall ein Gebärmutterhorn oder beide Hörner in Teilen oder ganz heraustreten.
Prolapse können vor, während oder nach dem Abferkeln auftreten. Scheiden- und Mastdarmvorfälle ereignen sich am häufigsten im letzten Drittel der Trächtigkeit oder unmittelbar nach der Geburt. Gebärmuttervorfälle treten überwiegend wenige Stunden nach dem Abferkeln auf.
Ein Gebärmuttervorfall führt sehr oft zu inneren Blutungen. Deshalb sollten die betroffenen Sauen sofort euthanasiert werden. Sauen mit einem Scheidenvorfall sollte man seinem Tierarzt zeigen. Mit passender Schmerzbehandlung kann man das Nottöten auf den Absetztag hinausschieben. Sollte sich ein Scheidenvorfall vor der Geburt ereignen, ist ein Kaiserschnitt ratsam.
Mastdarmvorfälle können vom Tierarzt oder nach einer Unterweisung durch den Tierarzt vom Landwirt selbst behandelt werden. Wenn man den Darm „zurücklegt“, sollte das innerhalb von 24 Stunden erfolgen, weil das ausgetretene Gewebe ansonsten abstirbt und nicht mehr zurück in den Körper darf.
104 Betriebe ausgewertet
Interessant ist, dass Beckenorganvorfälle auf vielen US-Betrieben über alle Sauengenetiken hinweg auftreten. Auch jüngere Sauen in den ersten drei Laktationen sind vermehrt betroffen. Über die Gründe wird noch gerätselt, denn die Ursachen für Prolapse sind vielfältig.
Um ihnen auf die Spur zu kommen, wurde in den Jahren 2018 und 2019 eine große Studie unter der Regie von Dr. Jason Ross, Direktor des Iowa Pork Industry Center, durchgeführt. Auf 104 Betrieben verteilt über 15 US-Bundesstaaten wurden viele Daten gesammelt. Die Betriebe hielten 600 bis 10000 Sauen, in Summe konnten etwa 385000 Sauen ausgewertet werden.
Im Schnitt über alle Betriebe lag der Anteil an Beckenorganvorfällen bei 2,7% aller Sauen. Auf dem schlechtesten Betrieb verendeten im Jahr der Untersuchung 10,3% der Sauen daran, auf dem besten Betrieb waren es 0,3%. Auf eine 5000er-Sauenherde bezogen waren das im schlimmsten Fall 515 tote Sauen jährlich und im „besten“ Fall 15 tote Sauen.
Im Jahresverlauf nahmen die Beckenorganvorfälle über den Sommer ab und stiegen dann im Oktober wieder an.
Genitalbereich gibt Hinweise
Die Wissenschaftler fragten sich, ob man die Prolaps-gefährdeten Sauen schon vorab erkennen könne. Dazu führten sie ein dreistufiges Bewertungssystem ein, den sogenannten Perineal Score. Perineal steht für den Genitalbereich rund um Vulva und Rectum der Sau. Die drei Stufen unterscheiden sich wie folgt:
- Stufe 1, kein bis wenig Prolaps-Risiko: keine Schwellung, kein „Hervortreten“ von Vulva und Rectum,
- Stufe 2, mäßiges Risiko: leichte Schwellung, leichtes „Heraustreten“,
- Stufe 3, hohes Risiko: sichtbare Schwellung und „Hervortreten“ von Vulva und Rectum, möglicher beginnender Prolaps.
Auf 62 der 104 untersuchten Schweinebetriebe wurden insgesamt 5000 Sauen mithilfe des Perineal Score bewertet. Dabei fand man heraus, dass es wichtig ist, den Genitalbereich im Liegen zu beurteilen, also in der Position, in der die Sau auch abferkelt.
Zunächst wurden die Sauen in der 11. bis 12. Woche der Trächtigkeit bewertet. Hier gab es jedoch keine großen Unterschiede und die allermeisten Sauen wurden in Stufe 1 eingeordnet. Ab der 13. und 14. Trächtigkeitswoche sah man eine Verschiebung der Werte, hauptsächlich von Stufe 1 hin zu Stufe 2. Zudem wurden jetzt die ersten Sauen in 3 eingestuft.
Vor der Abferkelung befanden sich 45,1% der Sauen in Stufe 1, 46,8% in Stufe 2 und 8,1% in Stufe 3. Beckenorganvorfälle ereigneten sich dann tatsächlich überwiegend bei den Sauen in Stufe 3 (siehe Übersicht 2): 7,2% der Sauen erlitten einen Prolaps, in Stufe 1 und 2 waren es „lediglich“ 1,1 bzw. 0,8%.
Die Forscher schließen daraus, dass man viele Prolaps-gefährdete Sauen bereits vor der Abferkelung identifizieren kann. Sie empfehlen, die Sauen 6 bis 10 Tage vor der Geburt anhand des Perineal Score einzustufen. Darüber hinaus vermuten sie, dass die Ursachen für einen Prolaps bereits in der späten Trächtigkeit zu finden sind.
Ob und womit man die Sauen in Stufe 3 behandeln kann, wird aktuell noch untersucht. Manche Tierärzte empfehlen eine Behandlung mit einem Entzündungshemmer, um die Schwellung des Genitalbereichs zu reduzieren.
Unterschiede im Mikrobiom
Im weiteren Verlauf der Studie haben die Wissenschaftler Blutserumproben und Vaginalabstriche von Sauen aus Perineal Score Stufe 1 und 3 entnommen, um unter anderem das Mikrobiom der Fortpflanzungstrakte zu untersuchen.
Die Ergebnisse: Das vaginale Mikrobiom von Sauen in Stufe 1 und Stufe 3 unterscheidet sich. So war beispielsweise auffällig, dass Sauen in Stufe 3 erhöhte Werte an Treponema-Bakterien aufwiesen. Bestimmte Trepomena-Bakterien verursachen beim Menschen die Syphilis. Auch Prevotella-Bakterien wurden bei Stufe 3-Sauen gehäuft gefunden; sie werden beim Menschen mit Beckeninfektionen in Verbindung gebracht.
Die Blutuntersuchungen brachten bei den Sauen in Stufe 3 höhere Entzündungsfaktoren ans Licht. So zirkulierten im Blut von Risikosauen offenbar weniger Monozyten und Lymphozyten, also Abwehrzellen des Immunsystems.
Darüber hinaus wurden höhere Mengen bestimmter Biomarker, u.a. eines Proteins, das Lipopolysaccharide bindet, sowie höhere Konzentrationen an Steroid-Hormonen, beispielsweise Östrogen, nachgewiesen. Was diese erhöhten Konzentrationen genau bewirken und warum damit offenbar ein gesteigertes Prolaps-Risiko einhergeht, soll nun in weiteren Studien untersucht werden.
Ganz allgemein vermuten die US-Forscher, dass sich im Organismus der Sauen etwas abspielt, was äußerlich nicht oder kaum sichtbar ist und nach der Geburt in einem Prolaps enden kann.
Behandeltes Wasser hilft
Im Rahmen der Studie sammelte das Forscherteam auf den 104 US-amerikanischen Betrieben auch viele Daten zum Besamungs- und Geburtsmanagement, zur Fütterung, Wasserversorgung, Haltung, Tierbehandlung etc.
Diese Daten wurden dann mit dem Auftreten von Beckenorganvorfällen in Verbindung gebracht und abgeleitet, in welchem Bereich Unterschiede zwischen den Betrieben vorlagen. Dabei konnte man vier größere Einflussfaktoren identifizieren (Übersicht 3):
- Perineal Score: Wie bereits beschrieben, zeigt eine Schwellung des Genitalbereichs vor der Geburt, welche Sauen ein Risiko für einen Prolaps haben. Es gilt, diese Sauen zu identifizieren und im Auge zu behalten.
- Wasserversorgung: Trinken die Sauen zu wenig Wasser, kann das zu Verstopfungen führen. Folglich müssen sie sich beim Abkoten sehr anstrengen, was die Wahrscheinlichkeit eines Mastdarmvorfalls erhöht.
Damit die Sauen ausreichend trinken, ist eine gute Wasserqualität wichtig. Etliche US-Betriebe behandeln daher ihr Wasser. In der Studie hat sich nun gezeigt, dass die Betriebe mit behandeltem Wasser geringere Sauenverluste im Vergleich zu den Betrieben mit unbehandeltem Wasser hatten. Das betraf sowohl die gesamten Sauenverluste als auch die reinen Beckenorganvorfälle.
Die Farmen, die das Wasser nicht behandelten, beklagten im Schnitt 0,5 Prolaps-Sauen je 1000 Sauen pro Woche. In den Betrieben mit Wasserbehandlung lag die Rate signifikant niedriger bei knapp 0,3/1000 Sauen pro Woche. Welche Art von Wasserbehandlung, mit Chlor oder Peroxid, zum Einsatz kam, spielte dabei keine Rolle.
Risikosauen oft dünn
- Kondition: Die Körperkondition von knapp 5000 Sauen wurde in der späten Trächtigkeit bewertet und die Sauen als dünn, ideal oder dick eingestuft. Nach der Geburt hatten 2,4% der dünnen Sauen einen Beckenorganvorfall, 1,2% der ideal-konditionierten und 0,4% der dicken. Eine dünne Sau hatte also ein doppelt so hohes Risiko für einen Prolaps als eine Sau mit „Idealmaßen“.
- Fütterung: In der späten Trächtigkeit bauen manche US-Betriebe gezielt auf eine Fütterungsstrategie für dünne Sauen, bump feeding genannt. Nachweislich hatten sie mit einer Prolaps-Rate von 0,33/1000 Sauen pro Woche weniger Beckenorganvorfälle als Betriebe, die keine solche Zusatzfütterung durchführten. Ihre Prolaps-Rate lag bei 0,53/1000 Sauen pro Woche.
Die Forscher leiten daraus ab, dass die Futter- bzw. Energieaufnahme vor der Geburt entscheidend dafür ist, ob eine Sau einen Beckenorganvorfall erleidet oder nicht. Sie empfehlen, in den letzten drei bis vier Trächtigkeitswochen die Sauen häufiger zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie ausreichend Futter und damit alle benötigten Nährstoffe erhalten.
Weitere Forschung nötig
Dass auch der Mykotoxingehalt im Futter, Antibiotikagaben, die Genetik und die Größe sowie Kondition der Jungsauen bei der Erstbelegung mögliche Risikofaktoren sein könnten, halten die Forscher für denkbar. Das soll in weiteren Untersuchungen geklärt werden.
Definitiv keinen Zusammenhang sehen die Wissenschaftler zwischen der Betriebsgröße und dem Auftreten von Beckenorganvorfällen. Auch Maßnahmen zur Geburtseinleitung und Geburtshilfe hatten keinen Einfluss, ebensowenig die Schwanzlänge der Sau.