Streptokokken und die Ödemkrankheit können eine ähnliche Klinik entwickeln. Dann kommt es auf eine gründliche Diagnostik an, wie dieser Fall aus einem Mastbetrieb zeigt.
Dr. Ulf Höner, Tierärztliche Praxis Schöppingen
Sauenhalter Jonas Walter (Name geändert) aus dem nördlichen Ruhrgebiet konnte es sich nicht erklären. Seit geraumer Zeit kam es bei den wöchentlichen Ferkellieferungen an einen Mastbetrieb zu Reklamationen. Der Mäster, zu dem Walter seit Jahren eine vertrauensvolle Partnerschaft pflegt und der rund dreiviertel seiner Ferkel abnimmt, beklagte kontinuierlich mehrere Totalverluste in den ersten zwei Wochen nach der Einstallung.
Für den Ferkelerzeuger eine belastende Situation, zumal er seinen Bestand auf einem guten Gesundheitslevel wähnte. Die Sauen werden gegen PRRS, Parvo-Rotlauf und Influenza geimpft. Bei den Ferkeln erfolgt eine Immunisierung gegen Mycoplasma hyopneumoniae (M.hyo) und PCV2. Die interne und externe Biosicherheit bewerteten wir als betreuende Tierarztpraxis als gut. Auch die Bausubstanz des 400er-Sauenbetriebes ist nicht zu beanstanden. So ist der Aufzuchtstall erst wenige Jahre alt.
Streptokokken als ursache?
Der Mäster und sein Hoftierarzt äußerten die Vermutung, dass die Ferkel mit einem hohen Streptokokken-Druck in die Mast kommen. Der Transportstress und die neue Umwelt würden dann zum Krankheitsausbruch führen. Dazu passten die Beobachtungen des Mästers, wonach sich einige betroffene Tiere festlegten und sensorische- bzw. motorische Ausfallerscheinungen zeigten, bevor sie verstarben. Andere Tiere verendeten dagegen perakut, also ohne vorherige Krankheitsanzeichen.
Um diesen Anfangsverdacht zu bestätigen, wurden einige verendete Tiere zur Sektion gebracht. Allerdings konnte bei mehreren Untersuchungsgängen nur einmal ein Streptokokken-Befund ermittelt werden, woraufhin sich die Frage nach der klinischen Relevanz dieses Einzelbefundes stellte.
Wichtige Infos durch Videos
Auch Ferkelerzeuger Jonas Walter zweifelte daran, dass man hier der richtigen Spur folgte. Denn Probleme mit Streptokokken zeigen sich in betroffenen Sauenbetrieben in der Regel etwa zwei bis drei Wochen nach dem Absetzen. In dieser Phase schwächt der Schutz der maternalen Antikörper immer stärker ab und es treten prädisponierende Faktoren, wie z.B. das Umstallen, die neue Umgebung und Rangordnungskämpfe, auf. Bei Walter durchliefen die Absetzferkel diese Phase allerdings ohne große Probleme, was auch die niedrige Mortalitätsrate von 1,5% untermauert.
Aufgrund der anhaltenden Unklarheit schalteten wir uns mit der Tierarztpraxis des Mästers zusammen und vereinbarten einen gemeinsamen Besuch des Mastbetriebes. Bei vorherigen Stallvisiten konnte die Bestandstierärztin keine Tiere mit Klinik ausmachen und auch während unseres gemeinsames Stallrundganges fielen keine kranken Schweine auf. Dafür hatte der Mäster wenige Tage zuvor Videos von betroffenen Ferkeln gemacht.
Als wir das Videomaterial sichteten entstand schnell der Verdacht, dass wir es nicht mit einer Streptokokken-Infektion, sondern mit der Ödemkrankheit zu tun haben. Bei dieser Erkrankung zerstören E.coli-Bakterien (STEC) durch die Bildung hochgiftiger Shigatoxine 2e (Stx2e) die Endothelzellen kleiner Blutgefäße. Es kommt zu Blutgerinnseln und die inneren Organe werden nicht mehr ausreichend versorgt. Die Tiere sterben an einem multiplen Organversagen.
Zudem tritt durch das beschädigte Kapillargefäßsystem Flüssigkeit in das Unterhautgewebe sowie in die Magen- und Dünndarmwände. Dadurch können sich innerhalb weniger Stunden nach der Infektion eine Reihe typischer klinischer Symptome entwickeln, wie Lidödeme und Schwellungen der Nasenrücken.
Hohe Verwechslungsgefahr
Besonders charakteristisch sind auch die heiseren oder fast tonlosen Rufe der Tiere, die mit dem Anschwellen der Kehlkopfschleimhaut zusammenhängen. Die durch Ödeme im Gehirn ausgelösten neurologischen Ausfallerscheinungen, wie Krämpfe, Lähmungen und Ruderbewegungen in Seitenlage, können dagegen bei der Diagnose in die Irre führen. Denn speziell diese unkoordinierten Ataxien von am Boden liegenden Tieren treten auch als Klinik einer Streptokokken-Infektion auf.
Was uns letztlich in unserem Verdacht bestärkte, waren die Anzeichen einer Dyspnoe, sprich eine auffällig schwerfällige Atmung bzw. Schnappatmung, bei den gefilmten Tieren. Denn bilden sich in der Lunge Ödeme, kommt es dort ebenfalls zu Flüssigkeitseinlagerungen und die Tiere bekommen immer schlechter Luft. In einigen Fällen ist dann zu beobachten, dass die Schweine sich durch eine Hundesitzhaltung Entlastung verschaffen wollen.
Dass in den Videos eine so klare Klinik zu beobachten war, war ein glücklicher Zufall. Denn bei den Sektionen war nur einmal ein Coli-Keim nachgewiesen worden, was auf eine diagnostische Lücke schließen lassen könnte. Zudem waren in der Aufzucht die sonst häufig mit einer Coli-Erkrankung verknüpften Symptome, wie Ohrrand- und Schwanzspitzennekrosen oder sehr heterogene Tiergruppen, nicht aufgetreten.
Kaustrickproben eingesetzt
Um die Verdachtsdiagnose abzusichern, nahmen wir direkt am Tag nach dem Treffen Kaustrickproben in der Aufzucht. Eine bakteriologische Untersuchung von Kotproben ist bei einer Ödemkrankheit nicht immer zielführend, weil zeitlich ein Abstand von bis zu zwei Tagen zwischen der bakteriellen Besiedlung des Dünndarms bzw. dem Auftreten klinischer Symptome und dem meist raschen Tod des Tieres liegen können.
Für die Probennahme wurden zwei verschiedene Altersgruppen ausgewählt und in insgesamt zwölf Buchten für 20 Minuten Kaustricke aufgehangen. Anschließend wurden die Stricke ausgewrungen und die gewonnenen Speichelproben ins Labor gegeben. Wenige Tage später war das Ergebnis des PCR-Tests da und der Anfangsverdacht eindeutig bestätigt. Im Sauenbetrieb schlummerte eine Ödemerkrankung mit subklinischem Verlauf.
Wäre man in diesem Fall bei der Verdachtsdiagnose Streptokokken geblieben und hätte eine entsprechende Therapie eingeleitet, hätte man unter Umständen die Lage deutlich verschlimmert. Denn bei einer ausgewiesenen Streptokokken-Infektion wird häufig auf das Antibiotikum Amoxicillin zurückgegriffen, welches sehr effektiv gegen grampositive Bakterien wie Streptokokken wirkt. Bei einem Einsatz auf unserem betroffenen Betrieb hätte eine Amoxicillin-Therapie allerdings die natürliche Bakterienflora zugunsten der gramnegativen Bakterien verändert. Und zu denen gehören die Coli-Keime.
mit Impfung gestartet
Als kurzfristige Gegenmaßnahme ging der Mastbetrieb dazu über, dass angebotene Begrüßungsfutter mit einer organischen Säure zu versetzen. Denn pathogene E.coli-Stämme bevorzugen ein leicht alkalisches Milieu. Der Betrieb beschränkte sich in diesem Fall auf das Futter, wobei auch eine moderate Ansäuerung des Wassers mit z.B. Ameisensäure sinnvoll sein kann.
Allein über das Futter lassen sich Probleme mit der Ödemkrankheit allerdings nicht ausmerzen, weshalb viele Sauenbetriebe zur Ferkelimpfung übergehen. Die beiden aktuell in Deutschland verfügbaren rekombinanten Stx2e-Toxoid-Vakzine führen zur Bildung von Antikörpern, die das Bakterientoxin aus dem Darm neutralisieren, bevor es zu den Zellen in den kleinen Blutgefäßen gelangt. Vorausgesetzt, die Impfung wird fachgerecht ab dem vierten Lebenstag der Ferkel gesetzt, baut sich innerhalb von drei Wochen eine wirksame Immunität auf, die bis in die Mast reicht.
Auch Jonas Walter begann mit der Impfung. Diese ließ sich relativ einfach in die Ferkelbehandlungen integrieren und zur Freude des Sauenhalters zeigten sich bereits in der Aufzuchtphase positive Effekte. So bemerkte der Landwirt, dass seine ohnehin schon niedrige Verlustrate nochmals deutlich nach unten ging. Zudem stieg der Anteil der vermarktungsfähigen Ferkel.
Auch der Mäster war mit den geimpften Ferkeln gut zufrieden. Als er nach einigen Wochen die ersten geimpften Tiere aufstallte, blieben die Verluste aus. Da sich im Vorfeld die Probleme auf die Vormast konzentrierten, war er auch bereit dazu, einen Großteil der Impfkosten zu tragen.