Die züchterischen Möglichkeiten gegen das Schwanzbeißen sind derzeit begrenzt. Doch es gibt neue Ansätze, die aktuell erprobt werden.
Dr. Hubert Henne, BHZP GmbH
Die Ursachen für Schwanzbeißen sind vielfältig und begünstigen sich häufig gegenseitig. Zu den wichtigsten Einflussfaktoren zählen die Tiergesundheit, die Wasserversorgung, die Fütterung, das Stallklima, die Buchtengestaltung und viele mehr. Diese üben Stress auf die Tiere aus und können zu Verhaltensstörungen führen. Welcher Faktor letztendlich das Fass zum Überlaufen bringt, ist schwer vorhersagbar.
Geht das Schwanzbeißen los und tritt Wundsekret aus, kann es zu einem regelrechten Ausbruch kommen, wenn das gebissene Schwein oder der Täter nicht unverzüglich separiert werden. Hier sind eine gute Tierbeobachtung und ein schnelles Eingreifen gefragt.
Umweltfaktoren dominieren das Auslösen eines Beißgeschehens. Der Beitrag der Zucht ist nach aktuellem Stand dagegen von geringerer Bedeutung, hätte aber den riesigen Vorteil, nachhaltig zu sein. Die aktuellen Möglichkeiten der Züchter, die Schwierigkeiten und woran geforscht wird, stehen in diesem Beitrag im Vordergrund.
Daran wird geforscht
Frei nach dem Motto, Probleme soll man nicht lösen, sondern beseitigen, ist im Rahmen einer Promotionsarbeit von Thomas Kunze der Frage nachgegangen worden, ob Schwänze weggezüchtet werden können. Dazu wurden in einem BHZP-Basiszuchtbetrieb neben den Einzelgewichten die Schwanzlängen von 6428 Ferkeln zur Geburt erfasst.
Ergebnis: Das Merkmal zeigt eine gute Erblichkeit und würde eine Selektion gegen Schwanzlänge zulassen. Allerdings besteht ein extrem ausgeprägter Antagonismus zum Geburtsgewicht der Ferkel (Übersicht 1). Das schließt eine sinnvolle Selektion gegen Schwanzlänge nahezu aus!
Demnach kann eine Zucht gegen Schwanzbeißen nur sinnvoll sein, wenn sie auf das Merkmal Kannibalismus direkt abzielt. Die überwiegende Mehrheit der Untersuchungen dazu bezieht sich auf etwaige Schwanzverletzungen und damit die Betrachtung der Opfer. Der Ansatz ist sinnvoll, um umweltbedingte Risikofaktoren für das Auftreten von Schwanzbeißen zu analysieren. Da in den meisten Studien mit Betrachtung der Opfer keine oder nur geringe Erblichkeitsgrade ermittelt werden konnten, scheint dieser Ansatz für Züchter weniger erfolgversprechend.
Täter aufspüren
Somit kommt man nicht umhin, die Täter (Beißer) zu identifizieren und deren genetische Veranlagung zu untersuchen. Dabei reicht es für die Zucht nicht aus, einmal hier und da einen Täter zu entdecken. Zu allen Prüftieren muss die Information vorliegen, ob sie Täterpotenzial haben oder nicht. Dazu ist eine flächendeckende Tätersuche notwendig, die selbst in Zuchtbetrieben nur schwer zu realisieren ist.
Daher kommt die Videobeobachtung häufig zum Einsatz. Risikobuchten werden 12 bis 24 Stunden gefilmt, um die Beißer zu finden. Da auf den Videos Tierohrmarken i.d.R. nicht lesbar sind, die Einzeltieridentifizierung für die Zucht jedoch zwingend erforderlich ist, müssen die Tiere beim Beginn der Aufzeichnungen videotauglich gekennzeichnet werden.
Zunächst gelten sämtliche Tiere als „Nicht-Täter“. Tiere mit erhöhter Aktivität am Schwanz der Buchtengenossen werden als Täter eingestuft. Es gilt, die Dunkelziffer der nicht erkannten Täter niedrig zu halten. Das birgt andererseits die Gefahr, Tiere fälschlicherweise als Täter einzustufen.
Die aktuell laufende genetische Analyse der Daten gestaltet sich sehr kompliziert. Neben der Ungenauigkeit der Täterdefinition bereiten Umwelteinflüsse große Probleme. Das Schwanzbeißen tritt häufig in Wellen auf. In Phasen geringen Umweltstresses tritt kein Schwanzbeißen auf, potenzielle Täter bleiben unerkannt. In extrem ungünstigen Phasen und massivem Ausbruch kann es Trittbrettfahrer geben. Das heißt, Tiere ohne genetische Veranlagung werden zu Tätern (falsch Positive).
Familienaufstallung
Der zweite Ansatz, den genetischen Hintergrund des Schwanzbeißens zu durchleuchten, ist die familienbezogene Aufstallung, die das BHZP in vier Betrieben erprobt. Das bedeutet, dass nur Nachkommen eines Ebers in einer Bucht vorkommen. Tritt dort Kannibalismus auf, ist damit automatisch die väterliche Abstammung des Täters bekannt, ohne ihn aufwendig innerhalb der Gruppe identifizieren zu müssen.
Im Halbgeschwisteransatz bleibt die Mutter die unbekannte Größe. Die maßgebliche Beobachtungsgröße ist die Anzahl der Buchten pro Vater, unabhängig von der Anzahl der Tiere. Im Rahmen des Versuchs sind etwa 1800 Buchten erfasst worden. Um halbwegs gesicherte Informationen zu erhalten, sind mindestens 20 Buchten pro Vater erforderlich. Es müssen damit mehr als 1000 Buchten pro Zuchtlinien und Jahr zur Verfügung stehen.
Hilfsmerkmale finden
Da dieses Ziel sehr schwierig zu erreichen ist und nicht in sämtlichen Zuchtlinien realisiert werden kann, wird das Datenmaterial im Wesentlichen für den dritten Ansatz genutzt. Hier geht es um Merkmale, die leicht zu erfassen sind und in Zusammenhang mit dem Kannibalismus stehen.
Teilweise wird dabei eine neue Betrachtungsweise der Merkmale verfolgt. Selektiert man z.B. auf Tageszunahme, werden üblicherweise Tiere mit hohen Zunahmen und Zuchtwerten in diesem Merkmal favorisiert. Im Rahmen einer sogenannten „sozialen Zuchtwertschätzung“ kann zusätzlich der Einfluss des Tieres auf die Zunahmen seiner Buchtengenossen berücksichtigt werden.
Tiere mit hohen Zunahmen, die aber ihre Buchtengenossen negativ beeinflussen, erhalten dann Abstriche im Zuchtwert und umgekehrt. Hier kann ein Zusammenhang zum Schwanzbeißen vermutet werden.
Neben den klassischen Merkmalen aus der Leistungsprüfung wird auch der Zusammenhang des Fressverhaltens, d.h. Häufigkeit, Menge je Besuch, Fressgeschwindigkeit etc., mit der genetischen Disposition zum Schwanzbeißen abgeglichen. In der Ebereigenleistungsprüfung des BHZP stehen die Futterdaten mit mehr als 5 Mio. Besuchen pro Jahr an den Futterautomaten zur Verfügung. Auf dieser Datengrundlage wird abgeglichen, wie weit Besuchsfrequenz, Fressgeschwindigkeit oder Rangordnung, mit der die Tiere fressen, in Verbindung zum Kannibalismus stehen.
Wenn eine genetische Beziehung zwischen solchen Merkmalen, die erblich und einfach zu erfassen sind, und dem Schwanzbeißen existiert, wäre eine indirekte Selektion gegen Kannibalismus effizient. Es ist bisher aber nicht gelungen, dazu belastbare Aussagen zu treffen.
Grundcharakter prüfen
Ein sehr interessantes Merkmal in dem Zusammenhang ist jedoch der Grundcharakter des Tieres. Ein Tier, das auf Stress relativ entspannt reagiert, sollte seltener Schwanzbeißer werden.
Um den Grundcharakter eines Tieres zu bestimmen, muss ein klar definierter Stress auf die Tiere ausgeübt und deren Reaktion darauf möglichst genau erfasst werden. Im Rahmen des Eigenleistungstests der Jungeber werden im BHZP sogenannte B-Scan Ultraschallgeräte eingesetzt. Um gute Ultraschallbilder zu produzieren, muss das Tier relativ ruhig sein. Dazu wurde ein hydraulischer Bock entwickelt, mit dem die Tiere angehoben werden.
Da die Eber bei diesem Test sehr unterschiedlich reagieren, wird ihr Verhalten nach dem Schulnotensystem bewertet und sollte den Grundcharakter des Tieres unter standardisiertem Stress wiedergeben (Übersicht 2).
Zwischenzeitlich wurden mehr als 10000 Eber diesem Test unterzogen. Die geschätzten Erblichkeiten für das Verhaltensmerkmal sind mit 20 bis 30% in den Zuchtlinien hoch. Um den Zusammenhang zum Schwanzbeißen abzuklären, wird das Verfahren aktuell einem Test unter Praxisbedingungen mit Langschwänzen unterzogen. Für den Verhaltenstest wurde eine Zuchtwertschätzung etabliert.
Basierend auf diesen Zuchtwerten wurden die extrem besten und schlechtesten Eber wechselweise in dem Betrieb über mehrere Beleggruppen angepaart. Pro Gruppe stehen mehr als 600 Ferkel zur Verfügung, die laufend bonitiert werden.
In den Gruppen, die von Vätern mit einem sehr ruhigen Grundcharakter abstammen, werden signifikant geringere Frequenzen von Schwanzbeißopfern erwartet. In dieser Konstellation kann der Verhaltenstest der Jungeber effektiv für eine indirekte Selektion gegen das Schwanzbeißen genutzt werden.
Fazit
Umweltfaktoren dominieren das Auslösen des Schwanzbeißens. Die Möglichkeiten der Zucht sind nur gering, aber nachhaltig und sollten genutzt werden.
Dabei ist die Opferbetrachtung einfach, aber unwirksam. Die deutlich aufwendigere und unsichere Täteridentifizierung wird in den BHZP-Zuchtlinien durchgeführt. Täter und ihre Vollgeschwister werden von der Zucht ausgeschlossen, ihre Eltern schnellstmöglich gemerzt.
Mit einem Verhaltenstest auf den Grundcharakter der Tiere steht ein hochinteressantes indirektes Selektionskriterium zur Verfügung, für das eine Zuchtwertschätzung etabliert wurde und sich derzeit im Belastungstest befindet.