Was ist Resilienz und wie werden die dazugehörigen Eigenschaften vererbt? Können wir darauf züchten? Antworten gibt Pieter Knap, Zuchtleiter der PIC-Deutschland.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Was versteht ein Züchter unter Resilienz?
Die Produktionsleistung eines Nutztieres hängt von seinem genetischen Potenzial ab, und noch mehr von den Haltungs- und Fütterungsbedingungen. Wenn sich durch widrige Umstände oder Fehler im Management die Umweltbedingungen verschlechtern, wird ein Tier mit einer besseren Resilienz eher in der Lage sein, sein genetisches Potenzial zum Ausdruck zu bringen und somit seine Leistung aufrechtzuerhalten.
Geben Sie Beispiele für widrige Umstände.
Dazu zählt alles, was die Leistung beeinträchtigen kann: Schlechte Futterqualität, Einschränkungen bei der Unterbringung, zu kalt oder heiß, zu schlecht belüftet, sozialer Stress in der Gruppe oder Krankheitsdruck. Die resilienten oder robusten Tiere gehen besser mit diesen Stressoren um. Verbessern sich die Bedingungen wieder, wovon wir immer ausgehen sollten, dann leisten sie noch mehr.
Was macht die Krankheitsresilienz aus?
Dazu gehören Resistenz und Toleranz. Von einer Resistenz oder Widerstandsfähigkeit wird gesprochen, wenn ein Organismus z.B. vor Viren geschützt ist. Die Krankheitsresistenz hängt also u.a. von der Qualität des Immunsystems ab. Funktionieren die weißen Blutkörperchen, dann ist der Körper in der Lage Erreger abzutöten, bevor sie Schaden anrichten. Wird das Immunsystem durch eine Infektion aktiviert, kostet der Aufbau der Antikörper Energie und Eiweiß; die Produktionsleistung geht herunter.
Und wenn die Resistenz nicht ausreicht?
Wenn der Erreger durchbricht, dann ist die nächste Frage, wie der Körper mit den Schädigungen umgeht. Diese beiden Reaktionen des Körpers – auf die Immunreaktion an sich und auf die Schädigungen durch den Erreger – bilden die zweite Komponente der Krankheitsresilienz, nämlich die Toleranz. Es ist ebenfalls ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Merkmal, aber biologisch gesehen eine ganz andere Eigenschaft als Resistenz.
Gibt es Fälle von hochtoleranten Tieren, die nicht resistent sind?
Ja. Das ASP-Virus lebt schon lange mit dem afrikanischen Warzenschwein zusammen. Die Tiere sind nicht resistent, d.h. es vermehrt sich in ihrem Körper und sie stecken einander an. Aber sie sind hochtolerant und das Virus schadet ihnen nicht. Hausschweine sind bekanntermaßen nicht tolerant gegen ASP und sterben daran.
Lassen sich Resistenz und Toleranz messen?
Es ist möglich, aber kompliziert und teuer. Um die Resistenz zu quantifizieren, muss die Menge der Krankheitserreger im Körper erfasst werden. Bei Darmparasiten von Schafen zählt man unter dem Mikroskop die Eier im Kot. Für Bakterien und Viren gibt es Labortests. Mit zusätzlichem Aufwand sind quantitative Aussagen möglich, doch das ist teuer.
Die Messung der Toleranz ist noch aufwändiger, denn es geht um die Reaktion des Körpers auf den Infektionsdruck. Das erfordert mindestens zwei Messungen, eine bei einem niedrigen Infektionsdruck und eine bei einem höheren. Und das bei demselben Tier. Deshalb müssen wir für die Schweinepraxis definitiv auf bessere Technologien warten.
Kann man ohne Daten zu Resistenz und Toleranz überhaupt auf Resilienz züchten?
Wir tun das nächstbeste und selektieren auf Produktionsleistung unter nicht-optimalen Bedingungen, also auf die Resilienz an sich. So steigern wir die Resilienz von einer Generation zur nächsten. Der Nachteil ist, dass wir nicht wissen, inwieweit die Fortschritte auf eine verbesserte Resistenz oder über eine höhere Toleranz fußen.
Warum ist das wichtig?
Wenn Resistenz und Toleranz negativ korreliert sind, kann es leicht zu unerwarteten und unerwünschten Veränderungen von einem der beiden kommen. Meistens ist das Merkmal mit der niedrigeren Erblichkeit betroffen.
Spiegelt die individuelle Resilienz auch die Herdenresilienz wider?
Nicht immer. Zu Resistenz und Toleranz kommen noch die Infektiosität und die Heilungsfähigkeit hinzu. Ein infiziertes Tier ist meistens auch infektiös und kann den Erreger unter seinen Gruppengenossen verbreiten. Inwieweit das geschieht, hängt aber von der Gruppendynamik ab, z.B. wie intensiv es mit ihnen in Kontakt kommt, wie groß die Gruppe ist. Auch spielt die Dauer der Infektiosität eine wichtige Rolle; hochtolerante Tiere können sehr lange infektiös sein. Die Herdenresilienz ist also mehr als bloß der Mittelwert der individuellen Resilienz-Werte.
Gibt es auch das Phänomen der Superspreader?
Hochtolerante Tiere werden nicht oder nur wenig krank, können aber wie gerade ausgeführt den Erreger streuen. Sehr tolerant zu sein, ist also für den Einzelnen vorteilhaft, kann aber für die Gruppe sehr gefährlich sein – es sei denn, die ganze Gruppe ist hochtolerant oder hochresistent bzw. vollständig geimpft.
Wie verbessert nun die PIC die Resilienz bei den Schweinen?
Seit 2003 sammeln wir hierzu Daten. Junge Nukleuseber werden erst auf Kreuzungssauen in Praxisbetrieben eingesetzt, bevor sie in der Reinzucht aktiv werden. Die Kreuzungsnachkommen, das sind knapp 100000 jährlich, werden als herkömmliche Mastschweine gemästet und geschlachtet. Ihre Leistungsdaten werden in die Zuchtwertschätzung ihrer reinrassigen Halbgeschwister, die Selektionskandidaten im Nukleus, eingespeist.
Es geht dann um die üblichen Daten, die wir vom Schlachthof zurückgeschickt bekommen: Schlachtgewicht, MFA und Muskel-pH. Und vom Betrieb: Anomalien und Sterblichkeit. Die Herden weisen einen durchschnittlichen Gesundheitsstatus unter kommerziellen Haltungsbedingungen auf. Damit ist die Produktionsleistung ein nützlicher Indikator für die Resilienz.
Sollten die Umwelten auf Prüfbetrieben suboptimal sein bzw. bleiben?
Ja. Wenn sich der Betrieb deutlich verbessert und der Gesundheitsstatus dem eines Nukleusbetriebes angenähert hat, müssen wir in der Tat einen anderen Prüfbetrieb finden. Ohne Probleme gibt es keine Variation, und ohne Variation ist keine Zucht möglich. Solche Daten können nur von Problembetrieben kommen.
Neben der Robustheit in Bezug auf Krankheiten gibt es eine soziale Resilienz.
Soziale Resilienz ist vor allem wichtig in der Gruppenhaltung. Wir Menschen sind in unserem Sozialverhalten sehr variabel und das ist bei anderen Säugetierarten auch so. Die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Gruppengenossen umzugehen, ist auch bei Schweinen variabel und erblich.
Hitze kann ebenfalls belasten.
Hitzestress ist ein wichtiger Stressfaktor bei hochproduktiven Milchkühen im Süden der USA und Südamerika, und die damit verbundene Resilienz ist erblich. Wir sehen das auch bei säugenden Sauen. Aber auch Kälte bedeutet Stress.
Wie hoch sind Resilienz und Toleranz vererblich?
Das hängt von der genetischen Struktur des Resistenz- und Toleranzmechanismus für die jeweilige Krankheit ab. Die Coli-F4- und -F18-Resistenz bei Schweinen wird von einem einzelnen Gen reguliert, das ist sehr hoch erblich. Resistenzmechanismen mit eher konventionellem genetischen Hintergrund, d.h. viele Gene sind beteiligt, zeigen Heritabilitäten von bis zu 40%.
Die Schätzungen für die Toleranz sind niedriger und liegen bei 10 bis 20%. Mir sind zwei Studien zum genetischen Hintergrund der Infektiosität bekannt, in denen eine signifikante genetische Variation festgestellt wurde. Die Heritabilität konnte jedoch nicht berechnet werden, weil die statistischen Modelle zu komplex waren. Aber Infektiosität ist auf jeden Fall erblich.
Wie lange dauert es, resilientere Tiere bereitzustellen?
Wie gesagt, wir arbeiten schon seit 2003 daran; aber genetischer Fortschritt auf klassischem Weg dauert Generationen. Beschleunigt werden könnte der Prozess durch die Genom-Editierung, die wir derzeit anwenden, um z.B. 100% Resistenz gegen PRRS zu erreichen.
PRRSV nutzt einen sehr cleveren Weg, um sich im Körper des Schweins fortzupflanzen: Es kapert ein bestimmtes Protein der weißen Blutkörperchen. Dieses Protein sieht aus wie eine kleine Kette aus neun Perlen, und das Virus bindet sich an die Perle Nummer 5. Wir entfernen das Stückchen DNA, das diese Perle reguliert, aus dem Gen. Das Schwein produziert Perle Nummer 5 dann nicht mehr, und damit kann sich das Virus nicht vermehren; das Schwein ist völlig resistent.
Die Methode an sich wurde bereits 2013 entwickelt, und wir hoffen nun im Jahr 2025 die Genehmigung zum Verkauf dieser Tiere zu erhalten, in erster Linie in Nordamerika und Asien. In Europa wird es noch viel länger dauern.
Sehen Sie weiteren Forschungsbedarf, die Resilienzzüchtung voranzubringen?
Infektionsschutz und Epidemiologie ist ein breites Feld und nur interdisziplinär zu bearbeiten. Einzelheiten zu speziellen Krankheiten, Diagnostik, epidemiologische Studien, neue Statistiken und Rechenmodelle helfen, die Zusammenhänge besser zu verstehen und die Widerstandsfähigkeit der Tiere gegenüber Krankheiten weiter zu verbessern. Wir Züchter hoffen auch auf innovative Ansätze, die Komponenten der Herdenresilienz künftig effektiv und kostengünstig zu erfassen.