Berlin hält strikt am Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration ab 2019 fest. Werden die deutschen Ferkelerzeuger mögliche Wettbewerbsnachteile verkraften?
Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen
Gut zwei Jahre bleiben noch, um praktikable Antworten auf die Vorgaben des deutschen Tierschutzgesetzes zu finden. Danach wird ab 2019 die Ferkelkastration nur noch unter Betäubung oder wirksamer Schmerzausschaltung erlaubt sein. Die Bundesregierung hat diesen Passus erst im Jahr 2013 aufgenommen und damit als einziges EU-Land diesbezüglich Fakten geschaffen. Hierdurch werden die Schweinehalter unter enormen Handlungsdruck gesetzt.
Ebermast tritt auf der Stelle
Wie konnte das geschehen? Im Vorfeld der Gesetzesinitiative, also in den Jahren 2012 und 2013, wurde die Möglichkeit einer flächendeckenden Ebermast positiv gesehen. Doch inzwischen sind die Zweifel größer geworden, ob mit dem vollständigen Verzicht auf Kastration oder alternativ mit der Impfung gegen Ebergeruch ein deutschlandweit akzeptabler Weg gefunden ist.
Immer mehr Vermarktungseinschränkungen, z.B. im Export von Schweinefleisch nach Asien oder auch im innereuropäischen Markt, erschweren diesen Weg. Die Abnehmer sehen Probleme in Bezug auf Tier- und Verbraucherschutz, die nicht überzeugend geklärt werden können.
So schritt der Ausbau der Ebermast wesentlich langsamer voran als von vielen erhofft worden ist. Nur vier Schlachtunternehmen führen derzeit in einem nennenswerten Umfang Eberschlachtungen durch. Dazu gehören neben den drei Großen Tönnies, Vion und Westfleisch (Übersicht 1) auch das Unternehmen Ulmer Fleisch. Danish Crown hingegen verzichtet bewusst auf die Schlachtung und Verarbeitung von Ebern. Unter den in Deutschland geschlachteten männlichen Tieren dürften die Eber derzeit einen Marktanteil von 10 bis 12% einnehmen.
Knackpunkt Geschlechtsgeruch
Die Geruchsbelastung des Fleisches, die bei der Ebermast auftreten kann, ist im Wesentlichen auf die Stoffe Androstenon und Skatol zurückzuführen. Verbraucher sind genetisch bedingt unterschiedlich empfindlich für die Wahrnehmung dieser Stoffe.
Zwar verstehen wir mittlerweile immer besser, welche Faktoren aus Fütterung, Haltung und Tiertransport die Entstehung von Ebergeruch minimieren. Dennoch bleiben einige Prozent der Schlachttiere mit einer erheblichen Geruchsabweichung zurück.
Eine sichere Geruchsdetektion ist trotz intensiver Forschung bislang noch nicht praxisreif. Notwendig wären automatische Messsysteme, die eine objektive sichere Geruchserkennung bei den relativ hohen Schlachtbandgeschwindigkeiten zulassen. Die meisten Schlachtunternehmen praktizieren derzeit aufwendige subjektive Verfahren, um Abweichungen festzustellen.
Nachteil Verarbeitungsqualität
Aber auch aus Tierschutzgründen gibt es Vorbehalte. Denn in der Ebermast können Probleme mit gegenseitig beigebrachten, schmerzhaften Verletzungen auftreten. So berichten einzelne Betriebe von vermehrtem Penisbeißen und Sprungverletzungen, die entstehen können, wenn sich die Tiere bespringen. Zudem müssen die Jung-eber getrennt geschlechtlich aufgestallt werden, um das Risiko von Trächtigkeiten bei Jungsauen zu vermeiden.
Neben den auftretenden Geruchsabweichungen sind aus Sicht der aufnehmenden Fleischwarenindustrie die Verarbeitungs- und Qualitätsunterschiede von Ebern im Vergleich zu Kastraten ein ernstzunehmendes Problem. Zwar hat der Bundesmarktverband für Vieh und Fleisch kürzlich in einer Studie festgestellt, dass die Jungebermast auf bis zu 33% der männlichen Schweine ausgedehnt werden kann. Ein solcher Marktanteil setzt jedoch voraus, dass die oben angesprochenen Probleme gelöst werden.
Geruchsimpfung als Ausweg?
Insofern könnte die Bedeutung der Immunokastration mit der zweimaligen Impfung gegen Ebergeruch künftig eine gangbare Alternative darstellen. Augenblicklich spielt das Verfahren u.a. wegen der hohen Kosten nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings könnte sich dies aufgrund des auslaufenden Patentschutzes und des infolgedessen zu erwartenden zusätzlichen Wettbewerbs in den nächsten Jahren rasch ändern.
Zudem hat das Verfahren bislang eine relativ deutliche emotionale Ablehnung vieler Marktbeteiligter erfahren. Aufgrund mangelnder Alternativen und des immer näher rückenden Datums findet derzeit in der Öffentlichkeit und vor allem bei einigen Tierschutzorganisationen ein Umdenkprozess statt.
So hat sich der Verband für ökologischen Landbau, Naturland, mittlerweile dahingehend positioniert, dass die Impfung aus Sicht der Bio-Schweinefleischerzeugung das optimale Verfahren darstellt.
Premiumschiene gegen Eber
Auch wenn unter Tierschutzgesichtspunkten die Unversehrtheit des Tieres oberste Priorität hat, scheint die vom Markt geforderte Produktqualität ein ebenso starkes Argument zu sein. So sind sich die Experten sicher, dass auch nach 2018 immer noch mehr als die Hälfte der männlichen Mastschweine chirurgisch kastriert sind.
Insbesondere in Süddeutschland haben sich die Metzger und Fleischerfachgeschäfte eindeutig gegen die Vermarktung von Eberfleisch und immunokastrierten Ebern ausgesprochen. Denn der Handwerksbetrieb bzw. der mittelständische Fleischwarenhersteller bürgt mit seinem Namen für die gewohnte Qualität.
Auch weite Teile der fleischverarbeitenden Industrie haben aus qualitativen Gründen und den bekannten Unterschieden in der Fleisch- und Fettbeschaffenheit von unkastrierten Tieren Vorbehalte. Eine Aufsplitterung des Marktes für Fleisch von männlichen Schweinen scheint unausweichlich zu sein.
Betäuben ist Tierarzt-Sache
Bleibt es bei der Kastration, muss diese unter Betäubung durchgeführt werden. In Deutschland gehören Betäubungsmittel per Gesetz ausschließlich in die Hand von Veterinären. Praktiziert werden insbesondere im Rahmen der Bio-Schweineerzeugung die Inhalationsnarkose durch Isofluran sowie die Injektionsnarkose (Übersicht 2).
Als Alternative zur Injektionsnarkose mit Ketamin bzw. Azaperon, die mit einem längeren Nachschlaf einhergeht, wird das nur kurz wirksame Inhalationsnarkotikum Isofluran propagiert. Obschon es bisher in Deutschland nicht für die Anwendung bei Schweinen bzw. Ferkeln zugelassen ist, besteht die Möglichkeit der Umwidmung. Isofluran kann also bei Ferkeln angewendet werden, sofern nach Einschätzung des verantwortlichen Tierarztes geltende arzneimittelrechtliche Voraussetzungen erfüllt werden.
Allerdings ist die Kastration unter Betäubung mit erheblichen Kosten verbunden, weil der Tierarzt zum Einsatz kommen muss. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sowohl in Schweden als auch in der Schweiz Tierhalter nach einer Schulung die lokale Betäubung bzw. Isoflurannarkorse ohne den Tierarzt durchführen dürfen. Hier ist eine Harmonisierung der Ausführungsbedingungen anzustreben.
Ferkelimport könnte steigen
Mit Blick auf die schwierige ökonomische Gesamtsituation in der Ferkelerzeugung ist zu erwarten, dass sich die Wettbewerbsposition der deutschen Ferkelerzeuger in den nächsten Jahren weiter verschlechtern wird. Hiesige Sauenhalter haben bereits jetzt erhebliche strukturell bedingte Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Erzeugern, insbesondere in den Niederlanden und Dänemark. Dies lässt sich an den stark steigenden Ferkelimporten ablesen, die mittlerweile bei 11,5 Mio. Ferkeln jährlich liegen.
Mit dem Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration wird sich der ökonomische Druck insbesondere auf die kleinstrukturierten Familienbetriebe weiter erhöhen. Aufgrund des beschleunigten Strukturwandels in der Sauenhaltung ist mit einem steigenden Anteil importierter Ferkel zu rechnen.
Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in der EU und in Bezug auf den Umgang mit der Kastration von männlichen Ferkeln wird Einfluss auch auf den Fleischmarkt ausüben. So rechnen die Experten damit, dass vermehrt Schweinefleisch auf den deutschen Markt gelangt, welches unter nicht vergleichbaren Tierschutzbedingungen im Ausland produziert worden ist.
Von den agrar- und soziostrukturellen Auswirkungen zeigt sich die Politik bislang wenig beeindruckt. Mit einer Änderung des Tierschutzgesetzes oder der Gewährung einer längeren Übergangsfrist ist derzeit nicht zu rechnen.
Fazit
- Ab 1.1.2019 tritt in Deutschland das Verbot, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, in Kraft.
- Alternative Verfahren wie die Kastration unter Betäubung oder die Impfung gegen Ebergeruch verteuern die Produktion und sind mit Mehrarbeit verbunden. Die Ebermast hat sich bislang nicht als Königsweg erwiesen.
- Sollte außerhalb Deutschlands weiterhin betäubungslos kastriert werden, könnte der Ferkelimport aus Dänemark und den Niederlanden weiter steigen.
- Zudem könnte vermehrt Schweinefleisch auf den deutschen Markt geraten, welches zu nicht vergleichbaren Tierschutzbedingungen im Ausland kostengünstiger erzeugt worden ist.