Immer mehr Handelsketten steigen in ein eigenes Label für Schweinefleisch ein. Was steckt dahinter?
Matthias Quaing, ISN
Schweinehalter, die direkt bei einem Lebensmitteleinzelhändler unter Vertrag stehen, das gibt es bisher kaum in Deutschland. Die ablehnende Haltung geht scheinbar von beiden Seiten aus: Händler wollen sich nicht abhängig machen und nutzen die Austauschbarkeit der Lieferanten, um preislich die Schmerzgrenze auszuloten. Die Landwirte fürchten dagegen, zu unmündigen Lohnmästern der übermächtigen Lebensmittelhändler zu werden.
Angebotsvielfalt nimmt zu
Doch die Anzahl Betriebe, die der LEH vertraglich an sich bindet, könnte steigen. Denn die Handelsketten suchen nach Alleinstellungsmerkmalen – auch beim Schweinefleisch.
Selbst beim deutschen Discount scheint ein Umdenken einzusetzen. Deren Kernkompetenz war bislang der Vertrieb von preisgünstigen Handelsmarken. Nun folgt die Abkehr vom Standard und das eigene Angebot wird mit besonderen Artikeln aufgewertet. Zu diesem Zweck haben sogar viele Discounter ihre Verkaufsflächen und die Ladenkonzepte überarbeitet.
Ein Beispiel, wie facettenreich inzwischen die Produktauswahl bei einem ehemaligen Billigmacher aussehen kann, ist das Hackfleisch-Angebot in den bayerischen Lidl-Filialen. Das umfasst seit Neustem neben der konventionellen und Bio-Variante ein regionales „Ohne Gentechnik“-Produkt.
Damit folgt man ein Stück weit den in der Vergangenheit sehr erfolgreichen Vollsortimentern, allen voran Edeka. Diese vertreiben von fast allen Produkten verschiedene Preis- und Qualitätskategorien. So auch bei Wurst und Fleisch, wo neben der Handelsmarke, dem Markenprodukt und der Bio-Variante die fleischlose Tofu-Wurst liegt.
Regionale Rohstoffe sichern
Neben diesem Trend zur Angebotsdifferenzierung wollen die Handelsketten ihre Rohstoffbasis vor Ort absichern. Denn der Stellenwert der Regionalität als Verkaufsargument ist unbestritten. Studien besagen, dass den meisten Verbrauchern die Herkunft noch wichtiger ist als eine ökologische Erzeugung.
Weil auf dieses Pferd mittlerweile nicht nur Vollsortimenter, sondern auch Discounter setzen, gewinnen die Labelprogramme insbesondere im Süden und in der Mitte Deutschlands stark an Präsenz. Denn das sind genau die Regionen, in denen die Schweinehaltung in den vergangenen Jahren massiv zurückgegangen und der Rohstoff vor Ort entsprechend knapp ist.
Langfristige Verträge
In den Veredelungsregionen sieht das anders aus. Hier sind es vornehmlich die Schlachtunternehmen, die Erzeuger unter Vertrag nehmen, um die eigenen exklusiven Liefervereinbarungen mit den Einzelhandelsketten bedienen zu können.
Je höher die Auflagen und damit die spezifischen Investitionen in den Stall sind, desto größer ist das Bedürfnis der Landwirte, sich vertraglich abzusichern. Labelprogramme mit bis zu zehn Jahren Vertragslaufzeit stehen da hoch im Kurs.
Auf der Suche nach Betrieben spielen den Labels auch die bundes- bzw. landesweiten Förderprogramme in die Karten. In Baden-Württemberg werden Tierwohl-Ställe mit bis zu 40% gefördert. Dadurch kann z.B. das Investitionsvolumen für einen Außenklimastall auf das Niveau eines konventionellen Stalles sinken. Das erhöht auf Erzeugerstufe die Bereitschaft, sich auf solche Projekte einzulassen.
Schwierige Kostenumlage
Denn die Landwirte wissen auch, dass vorher genau gerechnet werden sollte und nicht jedes Labelprogramm automatisch zur Erfolgsgeschichte wird. Ein Beispiel ist das Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzbundes. Gemeinsam mit der Vion und dem Händler Coop Kiel plante man, 187 Märkte mit Ware aus dem Tierschutzlabel-Programm zu beliefern. Dazu sollten über 20 Betriebe zertifiziert werden. Von diesen Betrieben ist heute nur noch einer an Bord!
Die Erfahrungen mit den verschiedenen Labeln und Qualitätsprogrammen der Händler zeigen, dass die meisten Verbraucher sich eine gute Qualität zum fairen Preis wünschen. Deshalb sind die Marktanteile von Premiumprogrammen insbesondere im Schweinefleischbereich, wo die Preisaufschläge oft sehr groß sind, überschaubar.
Aus diesem Grund sind die Händler umso bemühter, nicht nur die Edelteile eines teuren Vertragsschweines hochpreisig an den Mann zu bringen. Wer hier über eigene Verarbeitungskapazitäten für Wurst- und Fleischwaren verfügt und die Logistikkosten niedrig hält, ist klar im Vorteil. Das fünfte Viertel allerdings, dazu zählen Backen, Pfoten und Co., wird wohl auch die beste Vermarktungsstrategie nicht im Hochpreissegment unterbringen können.
Aber auch wenn so wirtschaftliche Belange oftmals auf der Strecke bleiben: Allein schon, um dem gesellschaftlichen Druck nach höheren Standards in der Nutztierhaltung nachzukommen, werden diese Nischenprodukte in den Regalen des LEH ihren Platz bekommen. Und unter den passenden Rahmenbedingungen kann das auch im Sinne der Schweinehalter sein.
Fazit
Im hart umkämpften LEH sind Alleinstellungsmerkmale auch im Segment Schweinefleisch sehr gefragt. Immer mehr Einzelhändler streben deshalb direkte Lieferbeziehungen mit den Landwirten an. Dahinter steckt der Ansatz, die Versorgung mit regionalen Erzeugnissen langfristig abzusichern.
Die Schweinehalter können über gut honorierte und langfristige Abnahmeverträge von diesem Trend profitieren. Zudem senken staatliche Förderprogramme für mehr Tierwohl das Investitionsrisiko.
Eine Erfolgsgarantie gibt es allerdings nicht. Das Einkaufsverhalten der Verbraucher ist immer noch stark preisgetrieben. Zudem fällt es bei der heutigen Ernährungsweise schwer, die Preiszuschläge auf den ganzen Schlachtkörper zu verteilen.