Sachsen-Anhalt hat die Tierschutzkontrollen verschärft. Über die Hintergründe sprach SUS mit Werner Gutzmer, Vorsitzender des Schweinewirtschaftsverbandes.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Immer wieder werden die Schweinehalter und deren Haltungsverfahren kritisiert. In Sachsen-Anhalt ist die Schweinehaltung vor etwa zwei Jahren sogar unter den Generalverdacht geraten, systematisch gegen den Tierschutz zu verstoßen.
Das drückte sich nicht nur durch eine zunehmende Anzahl Kampagnen professionell organisierter Tierschutzvereine aus, sondern beeinflusste zunehmend auch die politische Arbeit. So waren immer mehr Entscheidungsträger auf verschiedenen Ebenen der Meinung, alle Betriebe Sachsen-Anhalts zeitnah und systematisch überprüfen zu müssen, ob die Tierschutz-relevanten Vorschriften ausreichend beachtet werden.
Um dies umzusetzen, wurden Anfang 2015 erste Pläne für eine Task Force Tierschutz geschmiedet. Diese sollte ganzheitliche Kontrollen im Auftrag der zuständigen Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter durchführen. Durch diese Entwicklung fühlten sich die Schweinehalter massiv verunsichert und gründeten im April 2015 den Schweinewirtschaftsverband Sachsen-Anhalt e.V.
Der neu formierte Verband sollte den Schweinehaltern eine deutlich hörbare Stimme gegenüber der Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit geben. Zum Vorsitzenden des Schweinewirtschaftsverbandes wurde Werner Gutzmer gewählt. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender einer größeren Agrargenossenschaft und war früher deren Geschäftsführer.
Herr Gutzmer, was war der Auslöser für die verschärften Tierschutzkontrollen in Sachsen-Anhalt?
Gutzmer: Auslöser waren die Verstöße gegen das Tierschutzgesetz auf den Betrieben der Straathof GmbH, die der Kreis Jerichower Land aufdeckte. Die Politik sah sich gezwungen, auch den anderen Schweinehaltern auf die Finger zu schauen und die Haltungen systematisch zu überprüfen.
Wie viele dieser Kontrollen sind bislang durchgeführt worden?
Gutzmer: Auf rund 25 Schweinebetrieben unterschiedlicher Größe und Ausrichtung fanden bislang verschärfte Kontrollen statt. In Sachsen-Anhalt gibt es 120 größere Schweinebetriebe.
Wie läuft eine solche Kontrolle ab?
Gutzmer: Fünf bis sieben Kontrolleure, darunter Amtsveterinäre, erscheinen unangemeldet frühmorgens auf dem Betrieb. Die Task Force bringt Schutzkleidung und Messinstrumente wie Zollstock, Fotoapparat, Lichtmesser und Thermometer mit. Nach einem kurzen Eingangsgespräch erfolgen das Einschleusen der Personen sowie der Messausrüstung.
Wie geht die Task Force weiter vor?
Gutzmer: Zunächst verschafft sie sich einen Überblick über die Bereiche und Abteilungen des Betriebes und teilt sich in der Regel auf. Die einzelnen Untergruppen werden, wenn möglich, von einem Betriebsangehörigen begleitet. Je nach Betriebsgröße kann eine solche Kontrolle den ganzen Tag dauern.
Was genau wird kontrolliert? Geht es der Kontrollbehörde um die Tiergesundheit im Bestand?
Gutzmer: Vorrangig geht es um die Einhaltung der Tierschutz-relevanten Vorschriften. Dabei ist die Tiergesundheit ein wichtiger Schwerpunkt. Auffällig kranke bzw. in den Krankenbuchten abgesonderte Tiere werden einzeln untersucht. Alle äußerlich erkennbaren Verletzungen zum Teil sogar per Foto dokumentiert. Zudem prüfen die Veterinäre, ob für jede Altersgruppe genügend Krankenbuchten vorgehalten und ob die täglichen Tierkontrollen, die ja vorgeschrieben sind, auch dokumentiert werden.
Welche weiteren Punkte sind im Fokus?
Gutzmer: Auch die Temperatur- und Lichtverhältnisse im Stall werden kontrolliert und protokolliert. Hierzu werden die Messinstrumente eingesetzt.
Wie genau sind die Licht-Messungen?
Gutzmer: Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass es äußerst schwierig ist, in belegten Buchten korrekt die Lichtverhältnisse zu erfassen. Denn ob die Messung hinter einem Pfeiler, im Tierbereich oder direkt auf den Spalten erfolgt, hat großen Einfluss auf den Wert. Auch stellt sich die Frage, ob in einer strukturierten Bucht mit Ruhe- und Aktivitätsbereich überall die gleiche Luxzahl erreicht werden muss. Aus fachlicher Sicht gibt es noch einiges zu klären.
Wie steht es um die Kastenstände?
Gutzmer: In Sachsen-Anhalt verweisen die Behördenvertreter auf das Urteil des OVG Magdeburg vom 24.11.2015. Hiernach müssen alle Sauen gleichzeitig die Beine ausstrecken können. Entweder ist der Kastenstand so breit wie die Sau hoch ist. Oder die Sauen können ihre Beine in einen freien Nachbarkastenstand stecken. Ob eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen wird und es zu einer erfolgreichen Revision des Urteils kommt, ist schwer abzuschätzen. Bis dahin werden bei den Tierschutzkontrollen alle Kastenstände im Deckstall moniert, die ein bislang übliches Maß von 65 bis 80 cm Breite aufweisen.
Wie können die Betriebe reagieren?
Gutzmer: Wörtlich betrachtet dürfte nur noch jeder zweite Stand belegt werden und die Betriebe müssten massiv abstocken. In zwei Fällen sind die Betreiber ganz aus der Ferkelproduktion ausgestiegen. Wenn das Magdeburger Urteil die Grundlage sein soll, ist meiner Meinung nach zumindest mittelfristig die Umrüstung auf Fress-Liegebuchten unausweichlich.
Wird dadurch der Tierschutz verbessert?
Gutzmer: In diesem System werden die Sauen nur eine kurze Zeit vor, während und nach der KB im Stand fixiert und früh in die Gruppenhaltung entlassen. Erfahren die besamten Sauen Stress, können die Umrauschraten steigen. In diesen Fällen kann man nicht von verbessertem Tierschutz sprechen.
Wie werden die Betriebe unter Druck gesetzt?
Gutzmer: Zunächst einmal führten die vorgefundenen Sachverhalte und Feststellungen zu zahlreichen Ordnungswidrigkeiten. Neben den Geldstrafen sind sogar einige Strafanzeigen anhängig. Hinzu kommt, dass die Betriebe aufgefordert wurden, in kürzester Zeit Nachbesserungen vorzunehmen. Das war in der Praxis gar nicht möglich.
Wie geht es weiter?
Gutzmer: Derzeit hält man auf politischer Ebene inne. Basierend auf den bisherigen Erfahrungen und Ergebnissen soll nun das Konzept der Kontrollen überarbeitet werden. Es bleibt abzuwarten, wie in Sachsen-Anhalt künftig die Tierschutzkontrollen durchgeführt werden.
Wie sollen die noch nicht aufgesuchten Schweinehalter reagieren?
Gutzmer: Wir empfehlen den Betrieben z.B. in Fragen der Kastenstände, aktiv auf die Behörden zuzugehen. Zwar müssen sie mit der Aufforderung rechnen, umzubauen. Nach jüngsten Erfahrungen räumen die Behörden dann zumindest deutlich mehr Zeit für die Umstellung ein.
Wer entscheidet, ob das vorgelegte Stallkonzept den Ansprüchen der kontrollierenden Behörden genügt?
Gutzmer: Der Umbau eines Deckzentrums muss in den Großbetrieben oft nach Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigt werden. Somit ist das Veterinäramt involviert und der Amtstierarzt muss sich äußern. Dies sollte die nötige Planungssicherheit geben.
Können Sie mit den aktuellen Gesetzesauslegungen leben?
Gutzmer: Zunächst einmal muss die sachliche Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen einer tierschutzkonformen Schweinehaltung weiter fortgesetzt werden. In jedem Fall müssten in Zukunft Regelungen getroffen werden, die in allen Bundesländern gleichermaßen gelten. Nur so können Rechtsstreitigkeiten vermieden werden bzw. schafft man Planungssicherheit für die Betriebe. Die Schweinehaltungsverordnung weist nach unserem Verständnis Lücken auf. Die Tierschutzbeauftragten der Länder beraten derzeit über einen Vorstoß des Bundesrates, die Schweinehaltungsverordnung in einigen Punkten zu präzisieren. Dies ist aus Sicht der Schweinehalter in Sachsen-Anhalt einerseits zu begrüßen. Allerdings befürchten Kollegen anderer Bundesländer, dass dann bundesweit die Tierschutzregelungen verschärft werden.
Welche Bilanz ziehen Sie als Vorsitzender des Schweinewirtschaftsverbandes nach einem Jahr Arbeit?
Gutzmer: Unser Ziel war, die koordinierende Stimme der Schweinehalter Sachsen-Anhalts zu werden. Tatsächlich konnten wir uns bei den Politikern entsprechend Gehör verschaffen und fachliches Know-how einbringen. Die letzten Monate stimmen uns positiv, so dass wir die Arbeit in enger Abstimmung mit dem Bauernverband und gut vernetzt mit anderen Interessensvertretungen im Schweinebereich fortsetzen wollen.