Deutsche Schweinehalter kämpfen mit steigenden Auflagen zum Tierschutz.Anderen EU-Ländern genügt der Mindeststandard. Ein Überblick.
Prof. Martin Ziron, FH Soest
Die Nutztierhaltung steht im Fokus von Gesellschaft und Politik. Insbesondere die Tierschutzverbände fordern mehr Tierwohl. Die deutsche Debatte suggeriert, dass der Gesetzgeber seinen Aufgaben zu wenig nachkommt.
Dabei gibt es auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche Vorgaben. Basis sind die EU-Richtlinien zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere. Ergänzend gibt es separate EU-Richtlinien für die Nutztierarten, z.B. die EU-Richtlinie 91/630/EG zum Schutz von Schweinen. Sie sind Grundlage für nationale Verordnungen und stellen die Mindestanforderungen dar.
Deutschland hat mit dem Tierschutzgesetz bereits 1972 einen rechtlichen Rahmen gesetzt. Berlin hat das Gesetz 2006 neu gefasst und mehrfach ergänzt. Zusätzlich hat Deutschland 2006 die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung auf den Weg gebracht.
Obwohl mit den EU-Vorgaben eine gemeinsame Basis beim Tierschutz gilt, weisen die Staaten große Unterschiede bei der Ausgestaltung auf.
Kastenstand erlaubt?
Besonders stark sind die Unterschiede bei der Kastenstandhaltung. In skandinavischen Ländern sind Kastenstände über alle Haltungsabschnitte seit 1988 verboten. Zudem muss in Schweden 50 % der Buchtenfläche planbefestigt und mit Stroh eingestreut sein. Auch Dänemark hat für Neubauten enge Vorschriften zum Kastenstand. Dort ist eine Fixierung nur für drei Tage während der Rausche zulässig. Allerdings räumt Kopenhagen für bestehende Betriebe eine lange Übergangsfrist bis 2035 ein. Auch in Holland müssen Sauen seit 2013 zumindest in neu- und umgebauten Ställen spätestens vier Tage nach Belegen in die Gruppe.
Deutschland befindet sich in einer Umstrukturierung. Insbesondere nach dem Magdeburger Urteil stehen Kastenstände in der Kritik. Nach zahlreichen Fachgesprächen hat das Berliner Agrarressort im Sommer 2017 ein Eckpunktepapier vorgelegt. Dieses sieht eine Einzelhaltung für bis zu acht Tage nach dem Absetzen vor. Es soll 15 Jahre Bestandsschutz geben.
Deutlich entspannter sieht man die Haltung im Kastenstand in Belgien, Polen und Spanien. Sie orientieren sich an den EU-Vorgaben und lassen eine Einzelhaltung im Kastenstand bis vier Wochen nach dem Belegen zu.
Die Gruppenhaltung tragender Sauen ist in allen EU-Ländern Pflicht. Ergänzend machen einige Länder Vorgaben zum Liegebereich. Dieser muss z.B. in Dänemark eingestreut werden. Auch in Schweden oder Norwegen sind planbefestigte Liegeflächen mit Stroheinstreu Pflicht.
Das krasse Gegenteil zeigt sich in den USA, wo mehr als 75% der tragenden Sauen in Einzelhaltung stehen. Die Gruppenhaltung wird bislang nur von Betrieben umgesetzt, die zum Marktführer Smithfield gehören.
Mehr Platz zum Abferkeln
Auch bei den säugenden Sauen reicht die Bandbreite vom klassischen Ferkelschutzkorb über Bewegungsbuchten mit klappbarem Ferkelschutzkorb bis hin zur freien Abferkelbucht mit und ohne Fixiermöglichkeit.
Als weitere Option gibt es die Gruppenhaltung der säugenden Sauen. Die Varianten unterscheiden sich vor allem bei ihrem Platzbedarf. So sind bei Bewegungsbuchten mindestens 6 m² und beim freien Abferkeln bis zu 9 m² pro Sau einzuplanen.
In Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern ist der klassische Kastenstand am häufigsten zu finden. Hingegen schreiben Schweden und Norwegen das freie Abferkeln vor. Allerdings gibt es in beiden Ländern eine Sonderregelung für aggressive Sauen. Diese dürfen z.B. in Norwegen für bis zu sieben Tage fixiert werden. Einen anderen Weg geht Dänemark. Hier ist das Ziel die Gruppenhaltung säugender Sauen. Für das Jahr 2020 strebt Dänemark 10 % Gruppenhaltung im Abferkelbereich an. Und nach 2021 soll beim Bau neuer Ställe die Gruppenhaltung für säugende Sauen verpflichtend sein. Planbefestigte Flächen mit Stroheinstreu sind im Abferkelbereich bislang nur in den skandinavischen Ländern vorgeschrieben.
Im totalen Gegensatz dazu stehen die Abferkelbuchten in den USA. Dort sind säugende Sauen durchgängig in konventionellen Ferkelschutzkörben untergebracht. Die Buchten sind mit etwa 4 m² klein bemessen und durchgängig mit Dreikantstahlrosten ausgelegt.
Stroh zur Ablenkung
Auch bei den Böden für Ferkel und Mastschweine gibt es große Unterschiede. Sehr Produzenten-freundlich sind Polen und Spanien. Beide Länder machen keine Vorgaben zur planbefestigten Buchtenfläche für Ferkel und Mastschweine. In Deutschland muss die Hälfte der Bucht als Liegefläche vorgesehen sein. Wobei im Liegebereich ein reduzierter Perforationsanteil von bis 15 % zulässig ist.
In den übrigen EU-Ländern sind 30 bis 50 % der Bucht planbefestigt anzulegen. In Schweden müssen die planbefestigten Liegebereiche zusätzlich mit Stroh eingestreut sein.
Nord-Süd-Gefälle
Relevant ist außerdem das Beschäftigungsmaterial. Laut EU-Richtlinie müssen alle Schweine ständig Zugang zu manipulierbaren Materialien in ausreichenden Mengen haben. Diese müssen untersuchbar und bewegbar sein. Die deutsche Nutztierhaltungsverordnung fügt hinzu, dass das Material veränderbar sein muss. Der Begriff wird allerdings nicht näher differenziert. So gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Auslegungen.
Abweichend zu den europäischen Vorgaben ist in Schweden grundsätzlich Stroh als Beschäftigungsmaterial vorgeschrieben. Im Gegensatz dazu gibt es diesbezüglich in den USA keinerlei Vorgaben.
Die Übersicht (S. 19) zeigt, dass sich die Länder anhand ihrer Vorgaben zum Tierschutz in vier Gruppen aufteilen:
- Norwegen und Schweden haben sehr hohe Tierwohlstandards,
- Deutschland, Holland, Italien und Belgien haben hohe Standards,
- Polen und Spanien fallen mit niedrigem Tierwohlstandard auf,
- in den USA hat Tierwohl bislang kaum eine Bedeutung.
Die unterschiedlichen Standards beim Tierwohl wirken sich stark auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweinehalter aus. Das gilt insbesondere innerhalb der EU, wo die Erzeugerländer praktisch denselben Markt bedienen.
Dass dies verheerende Folgen für die heimische Schweinehaltung haben kann, zeigt Schweden. Aufgrund der sehr hohen Tierwohlstandards mussten die Skandinavier einen deutlichen Rückgang an Schweinen im Land feststellen. Hatte Schweden 1996 noch einen Selbstversorgungsgrad von 90 %, liegt dieser aktuell unter 60 %! Selbst die Bereitschaft vieler Schweden, mehr Geld für heimisches Fleisch zu bezahlen, konnte den Negativtrend nicht stoppen.
Zu beachten ist auch, dass in den skandinavischen Ländern nicht einmal 10 % der Schweine stehen wie z.B. in Deutschland. Die Übertragbarkeit höherer Tierwohlstandards auf Länder mit größeren Tierzahlen ist begrenzt.
Fazit
Die EU-Länder weisen große Unterschiede beim Tierschutz auf:
- Die Skandinavier zeigen aufgrund sehr hoher Standards einen drastischen Rückgang der Schweinebestände.
- Länder mit niedrigem Tierwohl-Niveau wie Polen und Spanien boomen.
- Tierwohlauflagen erhöhen die Kosten und müssen durch höhere Fleischpreise kompensiert werden.
- Jedoch kann der Verbraucher auf günstigere Importware zurückgreifen.
- Prescht Deutschland bei Kastration und Kupierverzicht im Alleingang vor, sind viele Existenzen in Gefahr.
- Die USA haben praktisch keine Vorgaben zum Tierschutz. Freihandelsabkommen sind daher kritisch.