Dr. Jens Ingwersen, Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion, Bonn Weniger Bürokratie käme allen zugute! Berlin hat eine Entbürokratisierung versprochen. Werden jetzt lästige Vorschriften über Bord geworfen und verstaubte Gesetze entrümpelt? Der ZDS berichtet. Entbürokratisieung, das war eines von vielen Zielen der Bundesregierung bei Amtsantritt vor nunmehr anderthalb Jahren. Zu diesem Thema wurden inzwischen etliche Kommissionen einberufen, Arbeitsgruppen gebildet und Vorschläge ausgearbeitet. Zu jedem neuen Verordnungs- oder Gesetzesvorhaben muss heute der Bürokratieaufwand angegeben werden. Sicher ist es lobenswert, dass der Gesetzgeber sich dieses Ziel immer wieder vor Augen hält. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Bürokratie aus Sicht der Praxis oft anders definiert wird als aus Sicht von Behörden. Nachfolgend einige Beispiele dafür, welche Gesetze und Verordnungen derzeit diskutiert werden und wie die Entbürokratisierung in der praktischen Gesetzgebung gehandhabt wird. Salmonellen-Verordnung: Jetzt müssen alle mitmachen Um die Infektionen beim Menschen durch Salmonellen zu senken, sollen die Bestimmungen für alle Stufen der Fleischproduktion verschärft werden. Deutsche Schweinebestände werden seit 2002 durch QS auf Salmonellen überwacht. Immerhin konnten bislang rund 85 % der deutschen Schlachtschweine in QS etabliert werden. Jetzt hat die Bundesregierung nach mehreren Anläufen dem Bundesrat Anfang Dezember 2006 einen Entwurf für eine Salmonellenverordnung zugeleitet. Im Vorgriff auf Bekämpfungsmaßnahmen gemäß EU-Zoonosenverordnung, die für Schlachtschweine ab 2010 verpflichtend eingeführt werden müssen, soll mit der jetzt vorgelegten Verordnung flächendeckend eine Salmonellenüberwachung und -bekämpfung in Mastbetrieben eingeleitet werden. Abweichend vom QS-Programm sollen jedoch kleinere Betriebe verschont bleiben − zumindest vorerst. So gilt die neue Verordnung in den ersten zwei Jahren nur für Betriebe ab 100 Mastplätzen und ab 2009 für Betriebe mit mehr als 50 Mastplätzen. Die Nichtberücksichtigung der kleineren Betriebe ist aus Sicht des ZDS fachlich nicht zu begründen. Denn jeder unkontrollierte Betrieb ist eine Quelle für Kreuzkontaminationen, sei es auf dem Transport oder auf dem Schlachthof. Korrekturbedarf sieht der ZDS auch für die Frist bis zur ersten Kategorisierung der Betriebe. Im Verordnungsentwurf ist lediglich ein Jahr für die Probenziehung vorgesehen, um danach eine erste Statuseinstufung vornehmen zu können. Um jedoch die Anforderungen organisatorisch erfüllen zu können, sind mindestens zwei Jahre Übergangsfrist erforderlich. Schließlich müssen die Abläufe der Beprobung automatisiert werden. Das gilt insbesondere für die geforderte Übermittlung von Informationen zwischen dem beteiligten Mastbetrieb, dem Transporteur, dem Schlachtbetrieb, dem Labor und der Tierarztpraxis. QS zeigt, wie das auf elektronischem Wege funktioniert. Die Verordnung sieht unter anderem ein Begleitpapier für Schlachtschweinelieferungen und einen Probenahmebericht vor. Hier müssen Schnittstellen zu anderen Dokumentationssystemen geschaffen werden. Auch muss eine elektronische Übermittlung und Speicherung der Informationen möglich sein, wobei nicht mehr gefordert werden sollte, als bereits im QS-Programm geleistet wird. Das von QS eingeführte Datenbanksystem hat sich bewährt. Für Betriebe, die in die Kategorie III eingestuft werden, verlangt die Verordnung, dass der zuständige Amtstierarzt informiert und der Betreuungstierarzt für die Ursachenanalyse und -beseitigung eingeschaltet werden. Das setzt allerdings eine entsprechende Schulung der Tierärzte über das Vorkommen, die Verbreitung und die Bekämpfung von Salmonellen voraus, um angemessene und Erfolg versprechende Maßnahmen einleiten zu können. Handlungsbedarf bei der Schweinepestbekämpfung Mit den Schweinepestausbrüchen Anfang 2006 in Nordrhein-Westfalen ist den Beteiligten klar geworden, dass die Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen optimiert werden müssen. Die zuständigen Überwachungsbehörden und Seuchenexperten sehen hier großen Handlungsbedarf. Einige Beispiele: Hygienisch vorbildlich geführte Betriebe sollten belohnt werden, indem z. B. die Tierseuchenkassenbeiträge nach dem Hygienestandard der Betriebe gestaffelt werden. Es müssen klare Regeln zur systematischen Bejagung der Wildschweine sowie zur Überwachung und Vorsorge gegen eine Verbreitung der Schweinepest in Wildschweinpopulationen aufgestellt werden. Das heißt, dass die Jagdverbände und Hegeringe konsequent in die Maßnahmen zur Seuchenvorsorge einzubeziehen sind. Für Jagdhunde muss ein absolutes Stallverbot gelten. Zur besseren Früherkennung von Infektionen in Schweinebeständen müssen routinemäßige, kostenlose Untersuchungen auf Schweinepest etabliert werden. Beispielsweise könnte dies im Rahmen der Differenzial-Labordiagnostik für verendete Tiere geschehen. Das System der Bestandsregisterführung und die Dokumentation der Arzneimittelanwendung in den Betrieben bedarf einer Überprüfung und Optimierung, um die Herkunft und Verbreitung der Seuche schneller rekonstruieren zu können. Es gilt, Kontakte im Rahmen des An- und Verkaufs von Tieren, aber auch im Rahmen der tierärztlichen Bestandsbetreuung sicher zu erkennen und zu bewerten. Der in Nordrhein-Westfalen erstmals genutzte Realtime-PCR-Test für den Virusnachweis eröffnet neue Möglichkeiten für die schnellere Feststellung infizierter Tiere, für die deutliche Verkürzung von Restriktionsmaßnahmen und insbesondere für die Minimierung von Tötungsanordnungen. Die Bekämpfungsvorgaben sind entsprechend anzupassen. Nicht zuletzt muss geklärt werden, in welcher Form ggf. die von der EU geschaffene Impfoption genutzt werden kann. Hierzu bedarf es entsprechender Modelle und Simulationsanalysen für verschiedene Szenarien, insbesondere für einen Ausbruch in Intensivregionen. Um in allen Bundesländern eine schnelle und effizient funktionierende Seuchenbekämpfung gewährleisten zu können, ist schließlich eine Qualitätssicherung der Seuchenbekämpfung auf allen Ebenen erforderlich. Dafür muss auf Bundesebene ein übergeordnetes Expertenteam eingesetzt werden, das die Schulung und Beratung sowie im Krisenfall die Unterstützung des Bekämpfungsmanagements in den Regionen sicherstellt. EU-Transportverordnung mit neuen Auflagen Anfang des Jahres hat Brüssel eine neue Tierschutztransportverordnung in Kraft gesetzt. Sie muss unmittelbar in den Mitgliedsstaaten angewendet werden und löst somit die Bestimmungen der bisherigen nationalen Transportverordnung ab. Lediglich die Sanktionierung von Verstößen ist durch die Mitgliedstaaten zu regeln. Dazu wurde im November 2006 ein entsprechender Verordnungsentwurf vorgelegt. Die EU-Verordnung definiert, dass künftig alle Transporte über acht Stunden Fahrzeit als lange Beförderung zu werten sind. Die Beförderungsdauer ist wichtig, denn danach werden die Anforderungen an die technische Ausstattung der Fahrzeuge, an die Betreuung der Tiere und an die Ladedichte unterschieden. Allerdings ist noch nicht eindeutig geklärt, ob die Acht-Stunden-Frist bereits mit der ersten Beladung beginnt und die Zeit für das Entladen enthält. Ein weiterer, gravierender Knackpunkt ist die Temperaturüberwachung im Transportfahrzeug. Bis zuletzt war offen, ob es neue Vorgaben für die Temperaturgrenzwerte geben wird. Da die EU-Kommission der Aufforderung, bis Mitte 2005 einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten, erst im Dezember 2006 nachgekommen ist, wurde kurzfristig entschieden, zunächst die bisherige Temperaturregelung beizubehalten. Danach müssen die Fahrzeuge für Langzeittransporte technisch so ausgestattet sein, dass die Temperatur im Fahrzeug innerhalb einer Spanne von 5 °C bis 30 °C mit einer Toleranz von jeweils ±5 °C gehalten werden kann. Der zunächst auf Eis gelegte Vorschlag der EU-Kommission sieht folgende Grenzwerte vor: Für Schweine über 30 kg sollen Temperaturgrenzwerte von 10 °C bis 30 °C und für Ferkel bis 30 kg solche von 14 °C bis 32 °C gelten. Eine wissenschaftliche Absicherung dieser Werte fehlt und es ist nicht geklärt, wie bei einer unvorhersehbaren Über- oder Unterschreitung des Temperaturbereichs zu verfahren ist. Die Entladung der Tiere würde das Problem nicht lösen und ist in der Regel während des Transportes auch nicht möglich. Abgesehen von der skizzierten Temperaturfrage sind seit Anwendung des neuen EU-Rechtes weitere Probleme aufgetreten: Tragende Sauen dürfen nur noch bis zu elf Tage vor der Abferkelung transportiert werden, obwohl sie laut Nutztierhaltungs- VO bis eine Woche vor dem Abferkeln in der Gruppe gehalten werden müssen. Hiervon wären besonders die arbeitsteiligen Systeme betroffen, bei denen der Warteund der Abferkelstall räumlich so weit auseinander liegen, dass die Sauen mit einem Fahrzeug transportiert werden müssen. Ein weiteres Problem der neuen Verordnung ergibt sich aus dem Verbot des Langzeittransportes von mehr als acht Stunden für Ferkel unter 10 kg. Bei einem Absetzen der Ferkel im Alter von drei bis vier Wochen liegt das Durchschnittsgewicht in der Regel unter 10 kg. Um die Verordnung einhalten zu können, müssten also Produktionsrhythmen geändert oder Aufzuchtkapazitäten in der Nähe der Ferkelerzeugerbetriebe geschaffen werden. Tierschutz: Cross-Compliance-relevant Die Nutztierhaltungs-VO ist mit Wirkung vom 4. August 2006 durch eine jahrelang umstrittene Regelung für die Schweinehaltung ergänzt worden. Leider hat sich die Hoffnung der Schweinehalter auf eine 1 : 1 Umsetzung des EU-Rechtes nicht erfüllt. Allerdings konnten einige ursprünglich geplante, kostenträchtige Auflagen abgewendet oder zumindest abgeschwächt werden. Das gilt z. B. für die, in Abhängigkeit von den baulichen Möglichkeiten geforderte, Fensterfläche, für das Platzangebot in den Buchten und für die Übergangsfristen. Auch wenn die verbliebenen zusätzlichen Auflagen auf den ersten Blick nicht gravierend erscheinen, ist deren Umsetzung oftmals mit erheblichen Problemen und Kosten verbunden. Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen die Überwachungsbehörden sich bei der Auslegung der Verordnung nicht an den Erfahrungen der Praxis orientieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass z. T. keine wissenschaftliche Absicherung für die Vorgaben der Verordnung besteht. Davon sind z. B. die Vorschrift zur Beleuchtung (80 Lux, acht Stunden täglich) und die Vorgabe für die Liegeflächengestaltung bei Einzelhaltung von Sauen betroffen. Auch ist ungeklärt, welchen tatsächlichen Bedarf die Tiere an veränderbarem Beschäftigungsmaterial haben bzw. welche Gegenstände als veränderbar betrachtet werden können. Hier ist Augenmaß der Behörden und eine ganzheitliche Beurteilung der Haltungsbedingungen im jeweiligen Einzelbetrieb gefordert. Das gilt nicht nur für die Überwachungsbehörden, sondern auch für die Auditoren des QS-Programms, dessen Anspruch darin besteht, die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben durch entsprechende Kontrollen zu gewährleisten. Bei Cross-Compliance-Kontrollen, die seit dem 1. Januar 2007 auch für die Einhaltung der EU-Vorschriften zum Tierschutz in der Schweinehaltung durchgeführt werden, ist zu beachten, dass nur der EU-Standard als Maßstab gilt. Den Landwirten und Beratern ist zu empfehlen, sich gründlich über die Abweichungen der nationalen Vorgaben von denen der EU zu informieren, um ggf. Einspruch gegen Prämienkürzungen einlegen zu können. - Ingwersen,Jens -