Kannibalismus ist in vielen Betrieben eine große Herausforderung. Die Rationsgestaltung, das Fütterungsmanagement sowie diverse Futterzusätze können helfen. Kannibalismus ist eine Verhaltensstörung und führt zu gravierenden Verletzungen, erhöhten Ausfällen, Wachstumsdepressionen, schlechter Futterverwertung und Verwerfungen am Schlachtband. Oft geht das Problem von einem Einzeltier in der Bucht aus. Welche Faktoren bzw. welche Kombination von Einflüssen letztlich zu dem Fehlverhalten führen, ist bislang nicht eindeutig geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass das Schwein bei anhaltendem Unwohlsein Kannibalismus als stressabbauende Verhaltensweise entwickelt. Stress spielt somit eine entscheidende Rolle! Auslöser für Stress können unter anderem Fütterungsfehler sein. Wenn zum Beispiel ein Schwein Hunger verspürt, ist es in der Regel unruhig und unausgeglichen. Um eine nachhaltige Sättigung bei den Tieren zu erreichen, sind Rohfasergehalte im Ferkelfutter von 3,5 bis 4,0 % und im Mastfutter zwischen 4,0 und 4,5 % anzustreben. Diese Werte sind auch bei hohem Energiegehalt im Futter umzusetzen. Um dies sicherzustellen, müssen die Komponenten allerdings sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. Insbesondere bei einer rationierten Fütterung kann es sinnvoll sein, mit z. B. 3 bis 5 % Biertreber-Silage oder 3 % Sojabohnen-Schalen in der Ration den Rohfasergehalt gezielt einzustellen. Auch der Austausch von 10 % Weizen gegen 10 % Gerste erhöht den Rohfaseranteil in der Ration. Denn Gerste weist im Schnitt 5 % Rohfaser auf. Allerdings sollte bei allen Rohfaserträgern auf einen hohen Hygienestatus geachtet werden. Gelegentlich kommt es vor, dass Einzeltiere oder ganze Gruppen trotz reichhaltigem Futterangebot zu wenig fressen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn den Tieren das Futter nicht schmeckt. So kann zum Beispiel ein überhöhter Säureeinsatz dazu führen, dass die Tiere den Trog nicht leer fressen. Aber auch einseitige Rationszusammensetzungen mit z.B. reichlich Roggen/Triticale oder Rapsextraktionsschrot sind zu vermeiden. Diese Komponenten beinhalten Stoffe, die sich negativ auf den Geschmack der Futtermischung auswirken können. Selbstverständlich kann auch eine ungünstige Buchtenstruktur oder zu wenig Platz am Trog dazu führen, dass einzelne Tiere zu wenig Futter aufnehmen. Führt darüber hinaus Futterneid am Trog zu Aggressionen, trauen sich betroffene Tiere oft nicht, freie Fressplätze einzunehmen. In diesem Fall sollten zusätzliche Fressplätze geschaffen werden, indem z.B. ein zusätzlicher Automat aufgestellt wird. Zudem ist in diesem Zusammenhang auch auf eine ausreichende Fressplatzbreite von mindestens 34 cm zu achten. Um optimale Zunahmen zu erreichen, werden heute vielfach hoch energetische Futterrationen angeboten. Doch Vorsicht: Je höher die Energiedichte im Futter ist, desto weniger Futtermenge nehmen die Tiere auf. Hieraus folgt, dass die Gehalte der Inhaltsstoffe wie Aminosäuren, Vitamine und Mineralien nach oben angepasst werden müssen, um den Tagesbedarf der Hochleistungstiere abzudecken. Generell ist auf eine den Bedarfswerten angepasste Ration zu achten, denn auch zu hohe Rohproteingehalte oder zu geringe Mineralstoff- und Vitamingehalte können sich negativ hinsichtlich Kannibalismus auswirken. Inhaltsstoffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt werden, sind Vitamin E und B1 sowie Selen und Magnesium. Positiv hingegen wirkt sich der Einsatz von Fischmehl in der Ration aus, vermutlich wegen der essenziellen Fettsäuren. Auch der Zugabe von Blutplasma wird eine positive Wirkung zugeschrieben. Da es jedoch mit ca. 700 € je dt recht teuer ist, wird Blutplasma in der Regel nur in der ersten Phase der Ferkelaufzucht eingesetzt. Um Stress bzw. Mangelsituationen vorzubeugen, sollten bei der Ferkel- und Mastschweinefütterung folgende Regeln beachtet werden: Selten liegen bei einem Kannibalismus-Problem die Ursachen klar auf der Hand. Vielmehr muss in der Regel sehr viel Zeit investiert werden, um mögliche Einflussfaktoren zu überprüfen. Oft macht es Sinn, einen kompetenten Fachmann hinzuzuziehen. Einige Beispiele aus der Beratungspraxis: In einem Kombibetrieb traten bei den ca. 40 kg schweren Schweinen Probleme mit Kannibalismus auf. Sofort wurden Rationsgestaltung und Futterqualität unter die Lupe genommen. Die Untersuchungen brachten aber keine Hinweise. Erst als die Ferkelfütterung mit einbezogen wurde, kam man dem Problem auf die Spur. Denn in diesem Bereich wurden deutliche Unterschreitungen bei der Versorgung mit Lysin und wichtigen Spurenelementen festgestellt. Dieser Fütterungsfehler machte sich in der Ferkelaufzucht jedoch noch nicht bemerkbar. Erst einige Zeit später reagierten die Tiere mit Kannibalismus. In einem zweiten Betrieb wurde Roggen bzw. Triticale im Endmastfutter eingesetzt. Mit der Umstellung auf die dritte Phase fraßen die Schweine schlecht. Sie wurden unruhig und zum Teil aggressiv. Offensichtlich waren die Tiere nicht an die neuen Komponenten im Futter gewöhnt. Richtig wäre ein vorsichtiger Einsatz auch in den Vor- und Mittelmastrationen gewesen, um die Tiere darauf einzustellen. Das Gleiche gilt, wenn wenig schmackhafte Komponenten aus der Brennerei oder aus der Rapsverarbeitung verfüttert werden. Auf Problembetrieben ist der in der Praxis übliche Sicherheitszuschlag für Rohprotein, Lysin und andere essenzielle Spurenelemente oft durch Schwankungen der einzelnen Futterkomponenten oder Verlust während der Lagerung aufgebraucht. Dies wurde in einem dritten Beispiel unterstellt. Hier waren die Haltungsbedingungen insgesamt ungünstig und die Tiere, vermutlich durch Stress, in ihrem Immunsystem geschwächt. Zudem war das Futter zu fein geschrotet, was sich zusätzlich negativ auf die Magen-/Darmgesundheit und auf das Wohlbefinden auswirken kann. Die Probleme mit Kannibalismus wurden weniger, als der Vermahlungsgrad korrigiert und insgesamt eine hochwertigere Fut-terration vorgelegt wurde. Nicht nur die Rationsgestaltung ist ein wichtiges Thema, sondern auch die Futterhygiene. So kann ein hoher Keimgehalt im Futter neben anderen Erscheinungen zu nervösen Schweinen und damit unter Umständen auch zu Kannibalismus führen. Deshalb ist bereits bei der Einlagerung des Futters auf die optimale Hygiene zu achten. Eine Getreidereinigung wirkt sich hier vorteilhaft aus. Erhöhte Myko- und Endotoxingehalte im Futter werden ebenfalls mit Kannibalismus in Verbindung gebracht. Der Einfluss von Pilz- und Bakteriengiften auf die Entstehung von z. B. Ohrrand-Nekrosen ist zwar nicht restlos geklärt. Da aber bekannt ist, dass sich bereits geringe Mengen an Myko- und Endotoxinen negativ auf Stoffwechsel und Fruchtbarkeit auswirken, vermutet man auch hinsichtlich der Nekrosen einen negativen Einfluss. Sind erst einmal juckende Nekrosen entstanden, lässt sich das Schwein gern von Buchtengenossen beknabbern. Was oft harmlos beginnt, kann schnell um sich greifen und ein Kannibalismus-Problem hervorrufen. Die Futterhygiene ist auch deshalb zu beachten, weil Mikroorganismen freie Aminosäuren vernichten, so dass hier ein Mangel auftreten kann. Deshalb ist die Ration nicht nur zu optimieren, sondern auch zu prüfen, welche Nährstoffe tatsächlich bei den Tieren ankommen. Dieser Soll-Ist-Vergleich ist regelmäßig durchzuführen. Insbesondere Flüssigfütterungsanlagen mit Auslagerungsbehältern und Restlosfütterung bieten Bakterien, Pilzen und Hefen ideale Wachstumsbedingungen. Bei Trockenfütterungsanlagen und Automatenfütterung ist insbesondere auf anhaftende Staubschichten zu achten, die idealen Nährboden für Mikroorganismen darstellen. Mit einzubeziehen sind auch die Außensilos, die regelmäßig und vollständig entleert und gereinigt werden müssen. Hier bieten diverse Service-Firmen ihre Dienste an. Des Weiteren bietet die Industrie diverse Futterzusätze an, die in Stresssituationen einzusetzen sind, um etwaige Probleme zu vermeiden (siehe Übersicht 1). Die Zusammensetzungen dieser Zusätze sind recht unterschiedlich. Jede Firma verfolgt hier eine eigene Strategie. Oft enthalten diese Produkte tierisches Eiweiß, um so die Tiere besser zu versorgen. Gern werden auch hoch verfügbare Magnesiumverbindungen angeboten, welche den Energiestoffwechsel der Zelle beeinflussen und einer Überreizung der Zellen entgegenwirken. Zudem setzt man verschiedene Spurenelemente und Vitamine zu, um den Tieren bei eventuellen Mangelsituationen zu helfen. Auch ätherische Öle werden gelegentlich zugemischt, die eine beruhigende Wirkung haben sollen. Die Produkte zur zusätzlichen Mineral- und Vitaminversorgung bzw. zur Stressbewältigung sollen bei den ersten Anzeichen von Kannibalismus in der Dosierung ins Futter eingemischt werden, die der Hersteller empfiehlt. Wobei die Futtermittelfirmen darauf hinweisen, dass der Zusatz durchaus für Linderung sorgen kann, das Problem aber nicht zwangsläufig gelöst sein muss. Einige Anbieter empfehlen, bereits im Vorfeld zu reagieren und die Produkte z.B. während einer Stressphase nach dem Umgruppieren einzusetzen. Andere Präparate, die nicht so teuer sind, werden auch für den Dauereinsatz empfohlen. Beim Einsatz von Spezialprodukten zur Verringerung der Aggression ist immer über eine intensive Tierbeobachtung zu prüfen, ob die Tiere tatsächlich ruhiger und ausgeglichener geworden sind und somit sich der Einsatz der Produkte lohnt. Da bei Problemen oft mehrere Maßnahmen gleichzeitig eingeleitet werden, bleibt häufig unklar, welche Umstellung letztlich geholfen hat. Zudem muss der Futterzusatz, der in dem einen Fall geholfen hat, nicht automatisch die Lösung auf einem zweiten Betrieb sein. Das Problem „Kannibalismus“ hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Da die Fütterung erheblichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere ausübt, ist sie bei der Ursachenanalyse mit einzubeziehen. Bei Schwanz- und Ohrenbeißen oft angewendete Maßnahmen sind insbesondere bei rationierter Fütterung die Erhöhung des Rohfasergehaltes sowie generell die Verfütterung von tierischem Eiweiß. Auch die Mineralstoff- und Vitaminversorgung ist zu überprüfen, ebenso die Futter- und Fütterungshygiene, um z. B. Myko- und Endotoxine als Auslöser auszuschließen. Zudem werden Futterzusätze angeboten, die beruhigend wirken bzw. die helfen sollen, dass das Tier schnell aus einer möglichen Mangelsituation herauskommt. Eine Gewähr, dass diese Mittel das Problem lösen, gibt es aber nicht. Hunger macht aggressiv Harmonische Ration für Feinschmecker Kompetente Beratung gefragt Auf Futterhygiene achten Was bringen spezielleFutterzusätze? Fazit Keine krassen Futterwechsel; gleiche Komponenten in aufeinander folgenden Rationen bei einer Phasenfütterung; Nebenprodukte mit einseitiger Nähr- und Mineralstoffausstattung begrenzt einsetzen; auf schwankende Proteinqualitäten achten und gegensteuern; Entmischungen im Lager und auf dem Transport vermeiden. Ein hoher Futter- sowie Fütterungs-Hygienestatus sind die halbe Miete. -Dr. Gerhard Stalljohann, LWK Nordrhein-Westfalen -