Warum wird der Rohfaser-Versorgung wieder mehr Beachtung geschenkt? Was hat das mit dem Tierwohl zu tun? Stalljohann: Im Sinne des Tierwohls ist es ein Ziel, dass die Rohfaser die Schweine möglichst lange mit dem Fressen und Verdauen beschäftig und intensiver sättigt. Der Einsatz von Rohfaser wirkt sich darüber hinaus unmittelbar auf die Darmgesundheit der Schweine aus. Faser sorgt eher für ein stabileres Keimmilieu, indem sie möglichst erwünschten Mikroorganismen im Dickdarm als Nahrungsquelle dient. Außerdem regt die schwerer verdauliche Faser die Darmperistaltik an und beugt so Verstopfungen vor. Gibt es rechtliche Vorgaben zum Rohfaser-Einsatz? Stalljohann: Tragende Sauen sind mit Rohfaser in einer ausreichenden Menge und Qualität zu versorgen. Das schreibt Artikel 25 der Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung von 2006 vor. Der Rohfaser-Anteil im Alleinfutter muss mindestens 8 % bzw. 7 % bei 88 % Trockensubstanz betragen. Alternativ sind die Sauen so zu füttern, dass die tägliche Aufnahme von 200 g Rohfaser je Tier und Tag gewährleistet ist. Dies gilt für die tragenden Jungsauen und Sauen bis eine Woche vor dem errechneten Abferkeltermin. Was gilt für Ferkel und Mastschweine? Stalljohann: Für diese Tiergruppen gibt es in der Verordnung keine konkreten Vorgaben. Wir empfehlen aber für Mastschweine einen Anteil von über 3,5 % Rohfaser. Bei sauren Mischungen z. B. mit CCM sollten es stets über 3,0 % sein. Diese Werte liegen unter denen für Sauen. Denn erst mit dem Alter der Tiere nimmt die Enzymtätigkeit zu und die Verdaulichkeit schwer verdaulicher Faserstoffe steigt an. Oder anders ausgedrückt: Je älter das Tier ist, desto mehr Faserstoffe fordert der Darm. Rohfaser ist nicht gleich Rohfaser. Stalljohann: Richtig! Aus diesem Grund verabschieden wir uns in der Tierernährung immer mehr von dem Begriff der „Rohfaser“. Warum? Stalljohann: Der Begriff Rohfaser ist zu ungenau. Er reicht nicht aus, um die Qualität der im Futter enthaltenen Faser zu beurteilen. Rohfaser bezeichnet lediglich „schwerer verdauliche Kohlenhydrate mit Lignineinlagerung“, das entspricht dem heterogenen faserigen Rückstand bei der Weender-Analyse. Diese ist schon über hundert Jahre alt, doch nach wie vor Standard. Ernährungsphysiologisch sind wir aber schon viel weiter. Der Anteil Rohfaser schließt zum Beispiel die Hemicellulosen nicht ein. Dabei sind sie für die Fermentation im Dickdarm sehr wichtig. Uns interessiert nicht nur ein Teil, sondern die Summe der Gerüstsubstanzen in pflanzlichen Futtermitteln, die NDF. Was heißt die Abkürzung NDF? Stalljohann: NDF steht innerhalb der Kohlenhydrat-Fraktionen für „neutrale lösliche Detergentienfaser“. Es umfasst wie gesagt die pflanzlichen Zellwandbestandteile in einem Futtermittel: Cellulose, Hemicellulose, Pektin und Lignin. Den unverdaulichen Teil der Zellwandbestandteile bezeichnet man als ADF. Dies steht für „saure lösliche Detergentienfaser“. Die Differenz von NDF und ADF ist fast gleich dem Anteil fermentierbarer Zellbestandteile. Über diesen Anteil freuen sich vor allem die Dickdarmbewohner. Fermentierbare Faser ist also das Stichwort? Stalljohann: Ja. Die BFS ist die bakteriell fermentierbare Substanz, die den Bakterien im Darm als Nahrungsquelle zur Verfügung steht. Die Bewertung von Schweinefutter direkt anhand der BFS wäre sinnvoll, ist aber in der Praxis zu teuer und aufwendig. Es ist zwar möglich, die BFS bei Einzelkomponenten zu bestimmen. Aber zur Bewertung von Rationen bräuchten wir nicht nur die genaue Aufstellung der Nährstoffe, sondern auch die Verdaulichkeiten der einzelnen Komponenten. Deshalb favorisieren wir die Bewertung nach NDF. Welche Anteile in der Ration bzw. welche Gesamtmengen NDF und ADF sind anzustreben? Stalljohann: In den vorläufigen Empfehlungen wird für tragende Sauen ein NDF-Wert von mehr als 200 g/kg Futter und ein ADF-Gehalt von weniger als 80 g/kg Futter angestrebt. Bei laktierenden Sauen sollten Werte von mehr als 160 g NDF und weniger als 70 g ADF angepeilt werden. In der Mastschweinefütterung werden NDF- und ADF-Gehalte von mehr als 140 g bzw. weniger als 40 g/kg Futter angestrebt. In sauren Mischungen z. B. CCM-reiche Rationen können auch geringere Gehalte an NDF und ADF toleriert werden. Wie lassen sich die NDF-Werte bestimmen? Stalljohann: Bei Mischfutterproben werden NDF und ADF mittels nasschemischer Analyse ermittelt. Das kostet rund 64 € pro Probe. Bei Einzelkomponenten ist es einfacher. Hier erfolgt die Bestimmung von NDF per Nah-Infrarot-Reflexions-Spektroskopie, kurz NIRS. Das Verfahren ist sehr schnell und zuverlässig. Bei der Untersuchung von Weizen, Gerste, Roggen, Triticale und Soja analysiert die LUFA die NDF-Werte in der Regel automatisch mit. Für den Landwirt entstehen keine Extrakosten. Er sollte diese Zusatzinfos viel stärker nutzen. Es gibt auch Tabellenwerte. Reichen diese nicht aus? Stalljohann: Für eine grobe Einschätzung können die vorhandenen Tabellenwerte in der Tat dienen. Denn in unseren Untersuchungen sind sie weitgehend bestätigt worden. Allerdings gibt es zum Beispiel bei Getreide eine große Spanne. Das ist stark von der Sorte und vom jeweiligen Jahr abhängig. So liegt zum Beispiel der NDF-Tabellenwert für Gerste bei 163, während er bei den Proben im Jahr 2013 aber im Mittel bei 218 lag. Außerdem gibt es noch viele Einzelfuttermittel, die wir bislang nicht auf ADF und NDF hin analysiert haben. Es ist schwierig, das zu standardisieren. Wie genau muss der NDF-Wert in der Ration eingestellt werden? Stalljohann: Möglichst genau! Schon 20 g NDF je kg Futter mehr oder weniger können Einfluss auf das Tierverhalten haben. Bei Einsatz von faserarmem CCM mit 120 g NDF je kg Futter gingen die Mastschweine buchstäblich die Wände hoch. Bei 140 g fühlten sich die Schweine wieder wohl und blieben ruhig. Schweinehalter, die auf Raps statt Soja setzen, haben hier einen gewissen Vorteil, denn durch die hohen NDF-Anteile im Rapsextraktionsschrot lässt sich die Mischung leichter einstellen. Welche Komponenten eignen sich sonst noch besonders gut zur Einstellung der Orientierungswerte für NDF? Stalljohann: Mischfutterhersteller setzen gerne auf Weizenkleie. Sehr gut eignet sich zum Beispiel auch Hafer, weil dieser mit 282 g NDF je kg ebenfalls besonders hohe Gehalte an Fasersubstanzen aufweist. Damit lässt sich beispielsweise Weizen in der Ration ausgleichen, der im Schnitt bei 106 g NDF pro kg liegt. Gleiches gilt für Obsttrester. Allerdings sind mit diesen Komponenten auch Nachteile verbunden. Weil Hafer spät im Jahr geerntet wird, ist das Risiko hoch, dass er mit Toxinen belastet ist. Obsttrester ist nicht in den großen Mengen verfügbar und auch nicht besonders transportwürdig. Am Ende läuft es für Eigenmischer häufig auf einen Fasermix hinaus. Welche Faktoren spielen noch eine Rolle? Stalljohann: Wichtig ist zudem die Wasserhaltekapazität eines Futtermittels, abgekürzt WHC. Je mehr Wasser eine Komponente binden kann, desto stärker wird der Magen-Darm-Trakt des Schweines gefüllt. Das erhöht das Sättigungsgefühl und sorgt letztlich für mehr Ruhe in der Gruppe. Die Wasserhaltekapazität spiegelt sich nicht immer im NDF-Gehalt wider und sollte daher meiner Meinung nach in Zukunft ebenfalls in der Futtermitteldeklaration ausgewiesen werden. Welche Konsequenzen hat der neue Blick auf die Faser für die energetische Ausstattung des Futters? Stalljohann: Diese muss in Zukunft ganz neu überdacht werden. Denn wie wir heute wissen, können die Mikroorganismen aus den Faserkomponenten im Dickdarm noch Energie ziehen. Diese wird bislang nicht berücksichtigt. Das heißt, bei entsprechender NDF/ADF-Versorgung können wir die Energieausstattung des Futters in Zukunft etwas zurückfahren, ohne Leistung einbüßen zu müssen. Hier sind aber noch einige Fragen offen, wie zum Beispiel die nach den Kombinationseffekten der Rohfaserträger. Inwiefern führt also die neue Bewertung der Faserstoffe zu mehr Tierwohl? Stalljohann: Wie gesagt: Der Rohfaser-Gehalt einer Ration allein sagt noch nichts darüber aus, wie wertvoll die enthaltenen Faserbestandteile für das Schwein sind. Entscheidend ist vor allem, wie gut sie das Tier mechanisch sättigen und was für die Bakterien am Ende im Darm als Nahrung zur Verfügung steht. Erst wenn wir die Futtermittel in dieser Hinsicht bewerten, also zum Beispiel NDF und WHC in die Rationsberechnung einbeziehen, stellen wir die Darmgesundheit und ein ausreichendes Sättigungsgefühl bei den Tieren sicher. Mit einer gezielten Faserversorgung nutzen wir Potenziale aus, ohne dass dies auf Kosten der Energieversorgung gehen muss. -Mareike Schulte, SUS- Der Rohfaser-Versorgung von Schweinen wird heute mehr Beachtung geschenkt. Doch ist die Rohfaser-Analyse noch zeitgemäß? Dr. Gerhard Stalljohann von der LWK Nordrhein-Westfalen sagt Nein.