Um das Fernziel Kupierverzicht zu erreichen, müssen alle Register gezogen werden. Welchen Beitrag die Fütterung leisten kann, zeigen umfangreiche Literatur-Recherchen.
Dr. Eckhard Meyer und Katja Menzer, LfULG Köllitsch
Früher wurde Kannibalismus als ein Problem der Schweinemast bis 80 kg gesehen. Aktuelle Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Schwerpunkt des unerwünschten Phänomens in der Ferkelaufzucht und Anfangsmast liegt.
In diesen Bereichen werden heute viel höhere Zunahmen realisiert als früher. Dadurch steigt die Stoffwechselbelastung und die Bedeutung einer bedarfsgerechten Nährstoffversorgung. Weitere Auslöser können eine hohe Myko- oder Endotoxinlast sein. Auch Fütterungsregime und -technik haben Einfluss auf das Tierverhalten. Erst zum Schluss kommt die direkte Wirkung diverser Inhaltsstoffe auf Futteraufnahme und Tierverhalten. Das zeigt die Literatur-Recherche, deren Ergebnis in der Übersicht zusammengefasst wird.
Stoffwechsel entlasten
Spitzenleistungen setzen eine hohe Futterakzeptanz und eine gleichmäßig über den Tag verteilte Futteraufnahme voraus. Bei gesunden Schweinen führt eine hohe Lysin- bzw. Proteinausstattung des Futters zu besseren Zunahmen.
Doch Vorsicht: Kann das Futter nicht in Körperprotein umgesetzt werden, setzt eine energetische Verwertung der Aminosäuren ein. Dies belastet den Leberstoffwechsel. Um die anfallenden Harnstoffmengen über die Leber ausscheiden zu können, müssen die Tiere mehr Wasser aufnehmen. Hierin liegt auch die besondere Bedeutung einer gesicherten Wasserversorgung.
Um die Stoffwechselbelastung so gering wie möglich zu halten, muss die Proteinversorgung an das von der Genetik und der Tiergesundheit vorgegebene Zunahmenniveau angepasst werden. Grundsätzlich ist eine bedarfsgerechte Futteroptimierung auf rein pflanzlicher Basis möglich. Mithilfe von hochwertigen Proteinträgern tierischen Ursprungs könnten die Rationen jedoch bedarfsgerecht und mit relativ geringem Rohproteingehalt ausgestattet werden. Auch die biologische Wertigkeit der Mineralstoffe wäre höher. Im Hinblick auf ein mögliches Kupierverbot ist die Wiederzulassung hygienisch einwandfreier und gesicherter Produkte, z.B. aus der Lebensmittelkette, wünschenswert.
Nekrosen vermeiden
Nekrotische Veränderungen an Ohren und Schwänzen haben, wie das Schwanzbeißen selbst, juckende, entzündliche Gewebeveränderungen und Blutaustritt zur Konsequenz. Ursache und Folge sind allerdings nicht sicher zu unterscheiden: Das Schwanz- bzw. Ohrbeißen kann genauso die Ursache für die beobachteten Nekrosen sein, wie umgekehrt. Eigene Versuche belegen, dass das Kürzen der Schwänze in gleicher Weise das Risiko für die Ausbildung der Schwanznekrosen in etwa um den Faktor 4 bis 6 (!) senkt. Leider wirkt keine andere Maßnahme so nachhaltig.
Um die Gefahr der Nekrosen soweit wie möglich zu minimieren, ist die Endo- und Mykotoxinlast über das Futter zu senken. Mykotoxine beeinflussen nicht nur die Futteraufnahme, sie verstärken die Folgen von Infektionen und Durchblutungsstörungen. Routineuntersuchungen von Mais der letzten zehn Jahre in Sachsen zeigen, dass die Mykotoxinlast, abgesehen vom Jahr 2015, kontinuierlich ansteigt.
Das Problem lässt sich, wenn überhaupt, nur über Fruchtfolge, Sortenwahl, Bodenbearbeitung und Pflanzenschutz lösen. Um ein reales Bild der Belastung zu erhalten, sind Sammelproben während der Ernte notwendig. Stärker mit Mykotoxinen belastete Partien müssen getrennt gelagert werden. Für Sauenbetriebe sind Futter, die nicht einmal die halben Orientierungswerte erreichen, bereits kritisch.
Endotoxinlast gering halten
Während Mykotoxin-belastetes Ge-treide weggelassen oder verschnitten werden kann, ist die Reduzierung der Endotoxinlast viel schwieriger. Eigentlich dürften die Giftstoffe aus abgestorbenen Darmbakterien nur bei Stress die Darmschranke passieren. Doch Erfahrungen mit bestimmten Herkünften lassen vermuten, dass die Zucht auf hohe Futteraufnahme und -verwertung auch die Barriere-Eigenschaft des Darms beeinflusst.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Minderung der Endotoxinlast ist die Rohfaserversorgung. Denn Grobfutter kann u.a. die Darmflora beeinflussen. Dies ist im positiven Sinne aber nur über eine fermentierbare Rohfaser möglich. So übt z.B. Stroh mechanische Reize auf den Darm aus, ist aber größtenteils unverdaulich.
Früher galt die Rohfaser als Nährstoffverdünner. Heute setzt sich die Erkenntnis durch, dass sogar Aufzuchtferkel besser wachsen, wenn der Rohfasergehalt bei mindestens 4 % liegt. Für die Mast sind nach praktischer Beobachtung 5 % das Ziel. Entscheidend ist auch hier die hygienische Qualität und Mykotoxinbelastung.
Zusatzstoffe, die Endotoxine binden, haben sich in Versuchen bewährt. Von einem Zusatz von Salicylsäure (Aspirin) ist jedoch abzuraten. Von der blutverdünnenden Wirkung geht zwar eine gewisse Metaphylaxe aus, insbesondere beim Kampf gegen die Ohrnekrosen. Kommt es jedoch zu Bisswunden, steigt der Blutverlust. Dieses Risiko ist nicht zu vertreten!
Tryptophan beruhigt
Untersuchungen zum Kannibalismus konzentrieren sich vor allem auf die schwefelhaltige Aminosäure Tryptophan. Diese spielt eine Rolle bei der Ausschüttung von Serotonin, dem eine beruhigende Wirkung nachgesagt wird.
In einer Studie wurde eine Wirkung durch Tryptophan erst bei einer Zulage erreicht, die zwei- bzw. vierfach über dem Bedarf liegt. Dann lagen die Tiere mehr und die Dauer der Kämpfe reduzierte sich um etwa die Hälfte. Andere Studien belegen solche Zusammenhänge nicht. Eine Tryptophan-Zulage von 5 bis 6 g/kg Futter hatte einen positiven Effekt auf die Tiergesundheit, wirkte sich aber nicht auf das Tierverhalten beim Absetzen und beim Neugruppieren aus.
Verstärktes Suchverhalten
Davon zu trennen sind mögliche Effekte über die Bedarfsgerechtheit. Eine nicht bedarfsgerechte Aminosäuren-Ausstattung (gering: 122 g RP/kg; mittel: 206 g RP/kg; hoch: 240 g RP/kg) führte bei ad libitum-Fütterung zu einem signifikanten Ansteigen der Verhaltensweisen Stehen, Laufen und Wühlen. Das Futtersuchverhalten wird also durch Mängel in der Rationsgestaltung verstärkt. Die Tiere suchen das, was ihnen fehlt. So steigt durch das Weglassen von Protein bzw. Soja aus der Kontrollration (17 % Soja) die Vorliebe für Kaustricke mit getrocknetem Schweineblut.
Auch wenn der Sojaersatz durch heimische Eiweißträger wünschenswert ist, hat er in Bezug auf den Kupierverzicht offensichtlich auch Grenzen. So sanken beim Austausch von Soja durch Raps (10 %, 15 %, 16,5 % Rapsanteil) bei gleicher Nährstoffausstattung die Zu-nahmen, während sich Schwanzbeißen und Raufereien häuften. Das kann mit dem für Schweine etwas ungünstigeren Aminosäurenmuster von Raps gegenüber Soja zusammenhängen, was eine höhere Stoffwechselleistung erfordert. Gleichzeitig sind auch bei modernen Rapssorten unerwünschte Stoffe mit Wirkung auf die Schilddrüsenaktivität nicht völlig ausgeschlossen.
Auf diese Mineralien achten
Als relevante Mineralstoffe werden am häufigsten Magnesium (Mg) und Natrium (Na) genannt. So führte in einem Versuch eine Mg-Zulage zu geringeren NEFA-Werten im Plasma (freie Fettsäuren). Dies hatte aber keinen Einfluss auf das Tierverhalten bzw. auf die Futter- und Wasseraufnahme.
Nachweislich führt jedoch das Weglassen von Salz- oder Mineralstoffzusätzen zu einem signifikant höheren Bekauen blutgetränkter Stoffseile. Selbst bei schwacher Mineralstoffversorgung suchen die Schweine ein Stück weit nach dem Stoff, der im Futter fehlt.
Dieses Verhalten ist vor allem bei Defiziten an Kochsalz (NaCl) nachweisbar. Die von vielen Mästern beobachtete positive Wirkung von Molke auf das Tierverhalten kann daher wahrscheinlich mit dem hohen Natriumgehalt der Ration begründet werden.
In einem eigenen Versuch gelang es durch eine sehr Na-arme Fütterung Schwanzbeißen auszulösen und durch Na-Zulage wieder zu beenden. Die Bedarfsempfehlung von 0,2 % Natrium sollte in schwierigen Zeitfenstern auf 0,3 bis 0,35 % gesteigert werden, auch wenn die Na-Toleranz von Schweinen eher gering ist. Nach Na-Zulage trinken sie deutlich mehr; die Wasserversorgung muss dann absolut gesichert sein.
Während das Fehlen von NaCl ein Verlangen nach Blut auslöste, führte das Weglassen aller übrigen Mineralzusätze (Dicalciumphosphat, Calciumcarbonat und die Spurenelemente Eisen, Zink, Mangan, Kupfer sowie Selen) zu einer weitaus geringeren und nicht signifikanten Verhaltensveränderung.
Der Salzgehalt ist allerdings nicht als alleiniger Grund für das gesteigerte Verlangen nach Blut zu sehen. Ausschlaggebend ist auch dessen besonderer Geschmack (Umami). In diesem Zusammenhang wird der Ergänzung mit Folsäure positive Effekte zugerechnet. Die Belastbarkeit dieser Wirkung ist aber als nicht sehr hoch einzustufen.
Von einzelnen Autoren wird die Bedeutung von Mineral- und Vitaminzusätzen sogar gänzlich infrage gestellt. Im Einzelfall konnten durch Weglassen sämtlicher Mineral- und Vitaminzusätze in den 30 Tagen vor der Schlachtung keinerlei Auswirkungen auf die Tiergesundheit und Leistung nachgewiesen oder das Vorkommen von Schwanzbeißen provoziert werden. Dieser späte Altersabschnitt ist aber auch nicht als kritisches Zeitfenster im Hinblick auf ein mögliches Schwanzbeißgeschehen zu sehen.
Fazit
- Für die störungsfreie Haltung kupierter und unkupierter Tiere wird die bedarfsgerechte Fütterung umso wichtiger, je höher das Leistungsniveau liegt. Die Stoffwechselbelastung ist möglichst gering zu halten.
- Eine Myko- oder Endotoxinlast fördert die Ausbildung von Nekrosen. Diese stehen im Zusammenhang mit dem Auftreten von Schwanz- oder Ohrbeißen. Eine Toxinlast ist deshalb bei Ferkeln und in der Anfangsmast so gering wie möglich zu halten.
- Futterinhaltsstoffe mit überprüfbarer Wirkung auf das Tierverhalten lassen sich auf wenige Mineralstoffe (Natrium, evtl. Magnesium) und Aminosäuren (Tryptophan, Arginin) reduzieren.
- Eine ad libitum-Fütterung ist nachweislich günstiger als eine restriktive Fütterung. Der Automat sollte mittig in der Bucht verbaut werden, um als Strukturelement den Tieren Rückzugsmöglichkeiten zu bieten.