Die Vion-Spitze hält weiteres Wachstum in der Mast für sehr riskant. Über die Hintergründe hat SUS mit Norbert Barfuß, Chef von Vion Deutschland, und Dr. Heinz Schweer diskutiert.SUS: Viele Schlachthöfe wollen weiter expandieren. Wie ist die Strategie von Vion? Barfuß: Unter jetzigen Vorzeichen halten wir den weiteren Ausbau der Schlachtkapazitäten für gefährlich. Man muss sich vor Augen führen, dass wir in Deutschland bereits mehr als 110 % Selbstversorgung beim Schweinefleisch haben. Gleichzeitig ist der Inlandskonsum eher rücklaufig. Das heißt: Jedes zusätzliche Schwein muss in die hartumkämpften Exportmärkte. SUS: Welche Philosophie verfolgen Sie stattdessen? Schweer: Wir setzen künftig stärker auf die heimischen Märkte in Deutschland, Holland und England. Denn hier haben wir die Kostenführerschaft in Europa. Wachstum allein auf Basis von mehr Exporten ist sehr riskant. Das gilt insbesondere für die Drittlandsmärkte, wo wir direkt mit den Billiganbietern aus Nord- und Südamerika konkurrieren. Bei hohen Haltungs- und Umweltauflagen sind unsere Produktionskosten zu hoch, um mithalten zu können. Im Übrigen sehen wir beim Ausbau der Mast in Deutschland Grenzen. Schon heute werden neue Ställe z. B. in den Intensivregionen Niedersachsens baurechtlich blockiert. SUS: Heißt das, der Export verliert an Bedeutung? Barfuß: Vion zeigt auch künftig mit 17 Auslandsbüros starke Präsenz. Schließlich bietet der Export besonders bei weniger werthaltigen Teilstücken zusätzliche Wertschöpfung. Gute Exportchancen sehen wir zudem in Osteuropa. Dort gehen die Bestände aufgrund des Preisdrucks spürbar zurück. Genau beobachten müssen wir die Entwicklung in Russland, unserem wichtigsten Abnehmer. Staatliche Förderprogramme sollen dort die Produktion ankurbeln. SUS: Sie setzen auf heimische Märkte, doch auch die sind hart umkämpft! Schweer: Richtig. Deshalb befragt Vion regelmäßig 4 000 Haushalte zum Fleischkonsum. So können wir uns frühzeitig positionieren. Mehr als 80 % der Verbraucher wünschen sich mehr Informationen zur Herkunft des Fleisches. Aus diesem Grund bauen wir den Punkt Regionalität aus. Mit ihrer Kaufentscheidung wollen die Konsumenten die landwirtschaftlichen Betriebe in ihrer Region unterstützen. SUS: Mit welchen weiteren Maßnahmen wollen Sie sich positionieren? Barfuß: Um die Wertschöpfung zu steigern, erhöhen wir die Verarbeitungstiefe. Das heißt, die Convenience-Schiene gewinnt an Bedeutung. Zudem setzen wir auf Innovationen. Ein Beispiel ist das Produkt Hackplus, das weniger Fett enthält und gesünder ist. Ein wachsender Teil der Bevölkerung ist zudem bereit, bis zu 20 % mehr für Fleisch aus besonders tiergerechter Haltung zu bezahlen. Hier setzt unser neues Tierwohl-Label an. SUS: Wann kommt das erste Fleisch mit dem neuen Label auf den Markt? Barfuß: Wir bauen derzeit in Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine Pilot-Gruppe mit bis zu 50 Mästern auf. Hier geht es insbesondere darum, das höhere Platzangebot von bis zu 1,1 m2 in der Mast, die stärkere Buchtenstrukturierung sowie die Ebermast umzusetzen. Ab Mitte nächsten Jahres könnte das erste Label-Fleisch bei unserem Marktpartner Coop im Regal liegen. SUS: Wo wollen Sie das neue Tierwohl-Fleisch preislich ansiedeln? Barfuß: Das Label-Fleisch wollen wir preislich zwischen konventioneller und Bioware platzieren. Wir sehen das Label-Fleisch dabei keinesfalls nur als Nische! Vielmehr sind wir überzeugt, dass das Marktvolumen rasch steigt. SUS: Warum haben Sie den Deutschen Tierschutzbund mit ins Boot genommen? Barfuß: Die Beteiligung des Deutschen Tierschutzbundes an unserem Tierwohl-Label sehen wir als wichtigen Erfolgsgarant. Denn die Tierschützer sind das Sprachrohr der Verbraucher und stehen dafür, dass die höheren Haltungsauflagen auch eingehalten werden. SUS: Wie wollen Sie die Landwirte zur Teilnahme am Label bewegen? Schweer: Für die Mäster ist entscheidend, dass sie die höheren Auflagen auch bezahlt bekommen. Die Mehrkosten können je nach Betrieb bis zu 15 Cent/kg Schlachtgewicht betragen. Die Ebermast bringt zusätzliche Leistungssteigerungen und Mehrerlöse. Wichtig ist aber auch die Einstellung der Landwirte zu dieser qualitativen Wachstumsstrategie. Immer mehr Landwirte sehen im Tierwohl-Label ihren Beitrag zur aktuellen Debatte um Tierschutz. Sie wollen keine neuen Gesetze. Die Verbraucher sollen an der Theke abstimmen können, ob sie für mehr Tierwohl auch mehr bezahlen. Ein freiwilliges Label der Marktbeteiligten statt neue staatliche Eingriffe ist die bessere, weil verbraucherorientierte Lösung. SUS: Tierschutz heißt auch Ebermast. Ist diese in den kleineren Vion-Schlachthöfen überhaupt umsetzbar? Schweer: Logistische Engpässe gibt es eigentlich nur in der Umstellungsphase. Denn dann benötigt man neben den Rohrbahnen für Sauen und Kastraten zusätzliche Bahnen für Eber. Momentan konzentrieren wir die Eberschlachtung daher auf die größeren Standorte und bilden regionale Schwerpunkte, aktuell in Emsteck im Norden und Crailsheim im Süden. In den neuen Bundesländern bereiten wir einen weiteren Standort für Eberschlachtungen vor. Ist die Ebermast etabliert, setzen wir sie auch in den kleineren Schlachthöfen um. SUS: In Niedersachsen hat Vion komplett auf AutoFOM umgestellt? Wie sieht die Strategie in Süddeutschland aus? Barfuß: Auch im Süden gewinnt die Bezahlung nach Teilstücken weiter an Bedeutung. Unser Ziel ist, die größeren Standorte in Crailsheim, Waldkraiburg, Landshut und Vilshofen bis etwa Ende 2012 auf AutoFOM III umzustellen. SUS: Vion hat das Schwein mit 55 bis 56 % MFA propagiert. Bleibt es dabei? Schweer: Das hängt von der Herkunft ab. Hiesige Tiere aus Piétrain-Anpaarungen liefern mit 56 % MFA genügend Fleisch. Hingegen gibt es z. B. bei dänischen Herkünften Probleme. Sie erzielen aufgrund ihrer geringen Fettauflage zwar rechnerisch gute FOM-Werte, liefern aber zu wenig Fleisch. Deshalb verlieren die typischen Dänen-Schweine bei AutoFOM so stark. Im Süden setzen wir unsere Doppelstrategie fort. Denn neben der Standard-Schiene gibt es eine umfangreiche Metzger-Vermarktung, die typbetonte Tiere fragt. Wir planen daher eine spezielle Maske für den süddeutschen Markt. SUS: In Holland will Vion zwei Standorte schließen, um Kosten zu sparen. Ist Ähnliches in Deutschland geplant? Barfuß: Nach der Übernahme der angeschlagenen Nord- und Südfleisch waren Umstrukturierungen nötig. Diese sind weitgehend abgeschlossen, so dass aktuell keine Standorte auf der Kippe stehen. Auch an den mittelgroßen Standorten arbeiten wir effektiv und mit hoher Auslastung. Den Einwand, Vion arbeite an seinen kleinen Standorten zu teuer, teile ich daher nicht! SUS: Trotzdem war die Vion-Spitze mit der 2010 erzielten Umsatzrendite von unter 1 % nicht zufrieden. Barfuß: Sicher sind 1 % Umsatzrendite im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen nicht viel. Um uns zu verbessern, wollen wir die Wertschöpfung erhöhen. Wir agieren nach dem Prinzip: Nicht mehr, sondern besser! Hier setzen die genannten Maßnahmen Regionalität, Tierwohl-Label etc. an. SUS: Ein Wettbewerber im Süden zahlt 1 Cent über Notierung. Wie stehen Sie dazu? Barfuß: Ein höherer Auszahlungspreis hilft natürlich kurzfristig, die Schlachtzahlen zu steigern. Danish Crown ist nach der Übernahme von D&S ähnlich vorgegangen. Letztlich hat aber niemand in der Schlachtbranche Geld zu verschenken. Das heißt: Man muss relativ schnell zurück auf das normale Preisniveau, und die Enttäuschung der Mäster ist groß. Ich halte daher wenig von dieser Strategie. SUS: Wegen hoher Futterkosten fordern die Mäster höhere Erlöse. Ist das realistisch? Barfuß: Das ist verständlich. Derzeit benötigen die Mäster knapp 1,60 €/kg SG, um alle Kosten zu decken. Wobei die billigen Ferkel zur Entlastung beitragen. Betrachtet man die ganze Kette inklusive Sauenhaltung, müsste die Notierung auf etwa 1,70 € steigen. Dieses Preisniveau ist bei unserer Abhängigkeit vom Export jedoch Illusion. Sind unsere Schweine zu teuer, haben wir insbesondere bei schwachem Dollar an den ausländischen Märkten schlechte Karten. Dennoch sehe ich die Zukunft unserer Mäster positiv. Denn der Abbau der Bestände in Osteuropa bringt neue Chancen für uns. SUS: Wie sehen Sie die Zukunft in der Ferkelerzeugung? Schweer: Unsere Sauenhalter tragen die Hauptlast des aktuellen Kostendrucks. Man muss leider davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund der Umstellung auf die Gruppenhaltung weitere Betriebe ausscheiden. Die Lücke schließen vermutlich Ferkel aus Holland und Dänemark. Das Interview führten die SUS-Redakteure Dr. Heinrich Niggemeyer und Fred Schnippe.