Wie ist die Position der ISN zur Ferkelkastration, zum Schwänzekupieren und zum Tierschutz-Label? SUS hat mit den Vorstandsmitgliedern Philipp Schulze Esking und Christian Schulze Bremer diskutiert.SUS: Auf Bundes- und Landesebene wird derzeit viel über Tierschutz diskutiert. Welche Initiativen gibt es? Schulze Esking: Bundesministerin Ilse Aigner möchte mit der „Charta für Landwirtschaft” die Anforderungen an eine zukunftsorientierte Agrarwirtschaft herausarbeiten. Die Diskussionen unter den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen laufen, und die ISN ist daran beteiligt. Als Vorreiter sehen wir jedoch Landwirtschaftsminister Gert Lindemann aus Niedersachsen mit seinem umfassenden Tierschutzplan. Schulze Bremer: Der Lindemann-Plan soll offensichtlich die Spur ziehen. Er kommt aus den Reihen der CDU und könnte möglicherweise von anderen politischen Gruppierungen noch übertrumpft werden. Das macht uns Sorgen. Hinzu kommen einzelne Initiativen z. B. zum Bau- oder Verbandsklagerecht aus NRW, die nicht zu unterschätzen sind. SUS: Um welche konkreten Themen geht es? Was kann die ISN bewirken? Schulze Esking: Hier gibt es einen ganzen Strauß, wobei Themen rund um das Ferkelkastrieren und Schwänzekupieren natürlich viel Raum einnehmen. In den Diskussionsrunden kommen aber auch Themen wie Arzneimitteleinsatz oder Klimaschutz zur Sprache. Wir können die Diskussionen nicht verhindern, aber zumindest an wesentlichen Stellen steuernd eingreifen, z. B. wenn es um Stroh als zusätzliche Einstreu geht. Schulze Bremer: Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig unsere Teilnahme an den diversen Arbeitsgruppen ist. Wir müssen versuchen, mitzugestalten. Setzen wir uns nicht mit an den Tisch, wird ohne uns diskutiert. SUS: Wie viel Sachverstand gibt es in diesen Gruppen, die Gesetze vorbereiten? Schulze Bremer: Auch wenn viele dieser Leute noch nie einen Stall von innen gesehen haben, möchte ich keinem Sachverstand absprechen. Andererseits schadet es nicht, wenn wir Interessierte aus diesen Gruppen mit in den Stall nehmen und vor Ort diskutieren. Schulze Esking: Insgesamt muss man sich im Klaren sein, dass die Mehrzahl dieser Teilnehmer Deutschland nicht als Agrarland sieht. Oft bleibt sogar der Eindruck, dass über den Deckmantel Tierschutz die Produktion gedeckelt werden soll. SUS: Wie ist Ihre Einschätzung zur betäubungslosen Ferkelkastration? Schulze Esking: Der Plan ist, bis 2018 flächendeckend in der Lage zu sein, Eber zu mästen. Dann soll aus der Ferkelkastration, die heute unter Schmerzmitteleinsatz durchgeführt wird, ausgestiegen werden. Darauf hat man sich in der Düsseldorfer Erklärung verständigt. Die großen Schlachtunternehmen forcieren die Ebermast und finden auch genügend Mäster, die mitmachen. Insbesondere kleinere und mittlere Schlachtbetriebe brauchen die Zeit bis 2018, um sich auf die Verarbeitung und Vermarktung von Eberfleisch einzustellen. Auch die automatische Geruchserkennung am Schlachtband ist noch nicht gelöst. Schulze Bremer: Wir sollten die Forschung intensivieren und auf das Tempo drücken, auf anderer Ebene dafür aber nicht. Dass jetzt einige Bundesländer den Ausstieg aus der Ferkelkastration deutlich vor 2018 diskutieren, dafür haben wir kein Verständnis! SUS: Werden Alternativ-Verfahren wie Isofluran-Narkose bzw. Immuno-Kastration noch weiterverfolgt? Schulze Bremer: Die Ebermast sollte nicht der einzige Weg sein. Wenn Spezialmärkte Eberfleisch ablehnen, müssen die Ferkel unter Betäubung kastriert werden können, und zwar vom Landwirt selbst. Alles andere ist kaum wirtschaftlich darzustellen. Ob die Immuno-Kastration als Alternative eine Rolle spielen kann, ist noch nicht abschließend zu beantworten. Es besteht die Gefahr, dass dieses Verfahren beim Verbraucher auf große Vorbehalte stößt. SUS: Nun zum Thema Schwänzekupieren, wie ist dort der Stand? Schulze Esking: Das ist die größte Herausforderung in Sachen Tierschutz. Das obligatorische Schwänzekürzen bei Ferkeln wird zwar von Tierschützern kritisiert, verzichten können wir darauf aber in den allermeisten Fällen nicht. Praktikable Lösungen sind derzeit nicht in Sicht. Uns fehlen belastbare Daten, welche Faktoren Auslöser für Schwanzbeißen sind. Deshalb muss zunächst intensiv geforscht werden, bevor den Landwirten rechtliche Vorgaben übergestülpt werden. Schulze Bremer: Es muss klar sein, dass wir Lösungen für bestehende Haltungssysteme entwickeln müssen. In diesem Zusammenhang gibt es Punkte, wo wir sagen: Mit uns nicht. Hierzu gehört z.B. der flächendeckende Einsatz von Stroh als Ablenkungsmaterial. Klar ist aber auch, dass wir offen für Veränderungen sein müssen. Wenn aufgrund neuer Erkenntnisse die Standards angepasst werden, müssen die Vorgaben jedoch europaweit gelten! Es kann nicht sein, dass wir das Kupieren einstellen und die Mäster dann verstärkt ausländische Ferkel kaufen. Da haben wir ganz klar ein Auge drauf! SUS: In Österreich wird der Ferkelschutzkorb wohl zum Wahlkampfthema werden. Droht uns eine ähnliche Diskussion? Schulze Bremer: Diskussionen zum Ferkelschutzkorb stehen zwar momentan nicht im Fokus, werden aber auch bei uns bereits geführt. Auch hier gilt, dass wir uns Daten erarbeiten müssen, um dieses Verfahren richtig einzuordnen. Hier stehen wir ebenfalls am Anfang. SUS: Mit welchen Tierschutzdebatten könnten wir sonst noch konfrontiert werden? Schulze Esking: Wir tun gut daran, uns auch auf Diskussionen zu Ammenhaltung und verkürzte Säugezeiten vorzubereiten. Hin und wieder fallen Stichworte wie „Turbomast” oder „Gebärmaschine”. Auch hier könnten von heute auf morgen Diskussionen losgetreten werden. SUS: Heizen Tierschutzdebatten nicht zusätzlich den Strukturwandel an? Schulze Bremer: Ja! Betroffen sind insbesondere die Ferkelerzeuger. Sie müssen aktuell die Umstellung auf die Gruppenhaltung schultern und wissen nicht, wie sie dies finanzieren sollen. Wenn jetzt bereits weitere Tierschutzauflagen diskutiert werden, werfen noch mehr Praktiker das Handtuch. SUS: Wie beurteilen Sie die Initiativen zu den Tierschutz-Labeln? Schulze Bremer: Insgesamt sehen wir die freiwilligen Initiativen der Wirtschaft positiver als staatlich verordnete Mindeststandards. Wir fordern aber eine ehrliche und vollständige Kostenrechnung. Die Bauern dürfen nicht auf dem Mehraufwand sitzenbleiben. Schulze Esking: Gibt es tatsächlich einen Markt für Produkte aus besonders tierfreundlicher Haltung, werden diese Programme ausgebaut. Der Verbraucher ist jetzt am Zug und muss zeigen, ob er es ernst meint. SUS: Müssen die Tierschutz-Verbände im Label eingebunden sein? Schulze Esking: Ja, nur so erzielt man eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Aber man muss genau hinschauen, wen man mit ins Boot holt. Man muss nicht mit allen zusammenarbeiten wollen. Schulze Bremer: Insofern ist die Aktion mit dem Deutschen Tierschutzbund zumindest für die Vion clever. Andererseits wird damit wahrscheinlich die Latte sehr hoch gelegt. SUS: Wo werden wir bei den Labeln kostenmäßig landen? Schulze Bremer: Erste Erfahrungen aus dem Beter-Leven-Programm in Holland zeigen, dass bei etwas mehr Buchtenfläche je Tier die Kosten je kg Schlachtgewicht bereits um mindestens 15 Cent steigen. Doch das ist ja noch nicht alles. Forderungen wie planbefestigte Böden und Stroheinsatz verteuern die Produktion nochmals deutlich. Im Laden wird die Preissteigerung noch deutlicher ausfallen müssen, weil nicht alle Teilstücke vom Schwein in der Premiumschiene vermarktet werden können. SUS: Haben wir eine Chance, dieses Geld vom Verbraucher zurückzubekommen? Schulze Esking: Nach neuen Studien sollen rund 20 % der Verbraucher bereit sein, etwas mehr für das Fleisch zu bezahlen. Diese Klientel konsumiert aber deutlich weniger Fleisch als der Durchschnittsbürger. So ist aus unserer Sicht der Absatz begrenzt bzw. darf das Angebot nicht die Nachfrage übersteigen. SUS: Was muss beim Neubau beachtet werden, damit auch künftig alle Tierschutz-Standards erfüllt werden können? Schulze Esking: Welche konkreten Anforderungen künftig gestellt werden, wissen wir natürlich nicht. Für bestehende Anlagen muss es auf jeden Fall angemessene Übergangsfristen geben. Schulze Bremer: Aus meiner Sicht sollten neue Ställe so gebaut werden, dass sie flexibel nutzbar sind. In der Mast bieten größere Abteile und Buchten mehr Spielraum. Zudem ist auf ein gut funktionierendes Güllesystem zu achten, um auch bei etwaigen Strukturfutter-Angeboten oder ähnlichem gewappnet zu sein. SUS: Hat die Branche eine Chance, sich beim Thema Tierschutz wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken? Schulze Bremer: Ja! Wichtig ist, dass wir uns aktiv einbringen und uns der Diskussion stellen. So wie wir von der ISN es gerade tun! Dabei versuchen wir, gezielt mit Multiplikatoren wie Journalisten und Politikern ins Gespräch zu kommen. Auf diesem Gebiet leistet auch die Junge ISN gute Arbeit. Ferner sollte jeder für sich im persönlichen Umfeld an der Verbesserung des Images der Schweineproduktion arbeiten. Dabei muss der Verbraucher dort abgeholt werden, wo er steht. Konsumenten bewerten Tierwohl sicherlich nicht anhand von Tageszunahmen und Verlustraten. Schulze Esking: In den verschiedenen Regionen gibt es viele gute Beispiele für gelungene Öffentlichkeitsarbeit. Eine bessere Vernetzung und Erfahrungsaustausch könnten jetzt weitere Impulse bringen. Im Kern geht es darum, mehr Akzeptanz für moderne Tierhaltung zu schaffen. Wir sollten uns proaktiv dem schwierigen Thema stellen und jetzt nicht wegducken. Verbraucher und Gesellschaft wollen diese Auseinandersetzung. -Interview: Heinrich Niggemeyer und Fred Schnippe, SUS Redaktion-