Wohin marschiert Branchenprimus Tönnies, und werden die Schweinehalter mitgenommen? Über aktuelle Entwicklungen und zukünftige Pläne sprach SUS mit Firmenchef Clemens Tönnies und Dr. Wilhelm Jaeger.SUS: An den drei Schlachtorten in West- und Ostdeutschland hat Tönnies im letzten Jahr rund 14,2 Mio. Schweine geschlachtet. Das ist ein Anteil von 24 % aller Schlachtungen in Deutschland. Wollen Sie diesen Anteil weiter ausbauen? Tönnies: Wir waren der Wachstumsmotor der letzten Jahre. Dieses Tempo werden wir in den nächsten Jahren nicht gehen können. Dennoch erwarte ich, dass wir bei den Schlachtungen 6 bis 8 % pro Jahr zulegen. SUS: Eine Wachstumsstrategie sind Übernahmen. Vor kurzem ist Ihre Unternehmensgruppe bei Tummel eingestiegen. Tönnies: Die Firma Tummel aus Schöppingen mit ihrem Schwerpunkt bei der Hälftenvermarktung hat einen guten Ruf sowohl bei den Lieferanten als auch bei der Kundschaft. Als wir angesprochen wurden, brauchten wir nicht lange zu überlegen. Die Hälftenvermarktung ergänzt unser Geschäft, und es ergeben sich Syner-gien auch in anderen Bereichen. SUS: Soll der Tummel-Schlachthof nun umstrukturiert oder erweitert werden? Tönnies: Es wäre falsch, jetzt alles auf den Kopf zu stellen, was in der Vergangenheit richtig war. Es bleibt alles beim Alten. Eine Zerlegung ist aktuell nicht geplant! SUS: Tönnies ist Deutschlands größter Sauenschlachter. Mit geschätzten 70 % Marktanteil in Nordwestdeutschland ist die Vormachtstellung inzwischen bedenklich. Wie hoch ist der Marktanteil genau? Tönnies: Das Sauengeschäft ist nicht regional, sondern bundesweit zu betrachten. Der Marktanteil der gesamten Tönnies-Gruppe an den meldepflichtigen Sauenschlachtungen in Deutschland liegt bei rund 42 %. Da kleinere Schlachtbetriebe nicht melden müssen, ist der tatsächliche Anteil noch geringer. Legt man die Viehzählungen zugrunde, dürfte unser Anteil bundesweit bei 37 % liegen. SUS: Neben Tönnies wollen auch andere Schlachthöfe wachsen. Woher sollen die Schweine kommen? Tönnies: Wir machen uns keine Sorgen, denn die Bauernfamilien haben mit Fleiß und Sachkenntnis erst die Erfolgsstory des deutschen Fleisches ermöglicht! Diese gute Zusammenarbeit wird uns auch in Zukunft die Arbeit und den Markt sichern. SUS: Besteht nicht die Gefahr, dass vorhandene Schlachthöfe schlecht ausgelastet werden? Tönnies: Auch in der Schlachtbranche findet ein Strukturwandel statt, und unrentable Standorte werden herausfallen. Im Übrigen belebt eine leichte Überkapazität die Nachfrage nach Schweinen, was der Landwirtschaft nur recht sein kann. SUS: Der inländische Markt ist gesättigt und jedes zusätzlich geschlachtete Schwein muss exportiert werden. Wie beurteilen Sie die weiteren Ausfuhrmöglichkeiten? Tönnies: Als exportorientierte Branche müssen wir die wichtigen Märkte weiter ausbauen und Teilstücke liefern, die dort gefragt sind. Der Exporterfolg wurde erst möglich, als wir damit anfingen, das Sortiment dem landestypischen Bedarf des Exportlandes anzupassen, z. B. Zuschnitt nach Maßgewicht, Fettgehalt etc. Wir kennen die Auslandsmärkte sehr genau und ich sage, wir stoßen noch lange nicht an Wachstumsgrenzen. SUS: Wie hoch ist Ihr derzeitiger Ex-portanteil? Tönnies: Wir haben im letzten Jahr rund 750 000 t Fleischwaren im Ausland abgesetzt. Das sind 55 % der verarbeiteten Menge. Gemessen am Umsatz fällt die Exportrate etwas geringer aus. SUS: Wie wichtig ist Russland? Tönnies: Eine steigende Eigenproduktion in Russland und weiterhin guter Export von Fleischwaren aus Deutschland sind aus unserer Sicht kein Widerspruch, denn Russland wird seinen Fleischbedarf weiter steigern und dauerhaft ein sehr interessanter Absatzmarkt bleiben. SUS: Wie sehen Sie die Märkte in Asien? Tönnies: Asien als Weltregion mit großem Fleischbedarf wird auch für uns immer wichtiger werden. Hier gilt es, Deutschland insgesamt noch besser zu positionieren. SUS: Tönnies ist in Sachen Ebermast Vorreiter. Warum? Tönnies: Um nachhaltig die Akzeptanz der Schweinehalter in der Öffentlichkeit zu festigen, dürfen wir keine Angriffspunkte z. B. in puncto Tierschutz bieten. Wir sind der Überzeugung, dass das Kastrieren überflüssig ist, wenn alle in der Kette das vorhandene Know-how ausschöpfen. SUS: Der Wettbewerb wirft ihnen vor, bei der Ebermast unnötig vorgeprescht zu sein. Tönnies: Die Akzeptanz der Tierproduktion zu steigern ist für die Zukunft das zentrale Thema. Wir haben ein Branchenproblem erkannt und setzen uns für Lösungen ein. Unsere Erfahrungen mit Fleisch von Jungebern haben wir allen Marktbeteiligten offen gelegt, damit auch andere ihre Abläufe anpassen können. SUS: Wie hoch ist der derzeitige Anteil von Jungebern bei Tönnies? Jaeger: Wir schlachten derzeit ca. 14 000 unkastrierte Mastschweine pro Woche. Diese Mengen werden wir weiter steigern. Wir bieten allen unseren Lieferanten den Einstieg in die Ebermast an. SUS: Wie will Tönnies die Geruchserkennung am Band sicherstellen, wenn die Mengen steigen? Jaeger: Auch bei höheren Stückzahlen werden wir über ein dreistufiges System mit geschultem Personal sicherstellen, dass kein geruchsauffälliges Fleisch in den Handel gelangt. Eine automatisierte Geruchserkennung am Band ist leider noch nicht praxisreif, die Entwicklung sehr aufwändig. Hieran wird intensiv gearbeitet. SUS: Wie hoch ist die Rate geruchsauffälliger Tiere? Jaeger: Die Rate liegt bei 4 bis 6 %. Stress vor der Schlachtung hat negativen Einfluss, weswegen wir die Abläufe weiter optimiert haben. SUS: Tierschutz wird künftig eine größere Rolle spielen. Denkt Tönnies über Welfare-Programme oder Tierschutz-Label nach? Tönnies: Das immer wichtiger werdende Thema Tierschutz muss ganzheitlich gesehen werden. Tierschutz ist nicht teilbar und umfasst alle Bereiche vom Stall bis zum Schlachthof. Wir liefern seit Jahren in Welfare-Programme und machen gute Erfahrungen. Die Welfare-Produktion ist aber teurer und der Verbraucher muss mehr zahlen. Wir werden uns knallhart an den Verbraucherwünschen orientieren, denn nur vorne an der Kasse gibt es Geld, nicht hinten. SUS: Ab Oktober sollen neue Klassifizierungsformeln und Abrechnungsmasken angewendet werden. Jaeger: In Rheda-Wiedenbrück wurde kürzlich das neue AutoFOM-III-Gerät in-stalliert. Aktuell sammeln wir Daten und werten aus, können also im Hinblick auf die neue Maske noch nicht konkret werden. Bei den Überlegungen werden wir die Wünsche der Erzeuger nach einer Rücknahme des Schlachtgewichts aufnehmen. SUS: Werden künftig die Eber ausschließlich nach AutoFOM-Klassifizierung bezahlt? Jaeger: Im Handelswert der unkastrierten Schweine zeigen sich große Unterschiede. Daher wird eine handelswertbezogene Bezahlung angestrebt. Den Landwirten werden wir wie zugesagt genügend Vorlauf geben. SUS: Die Mitbewerber wollen mit der alternativen Fleischbeschau die Tiergesundheit noch besser dokumentieren. Ist Tönnies auf diesem Gebiet ebenfalls aktiv? Jaeger: Wir haben uns ebenfalls intensiv mit der risikobasierten Fleischuntersuchung auseinandergesetzt. So arbeiten wir derzeit an Systemen, die den Gesundheitsstatus der Tiere noch besser dokumentieren. Möglicherweise werden wir bei der Fleischbeschau andere Wege gehen. SUS: Das Salmonellen-Monitoring läuft bereits längere Zeit. Wie verfährt Tönnies mit Betrieben, die in der Kategorie III eingestuft sind? Jaeger: Die Salmonellenthematik ist hochkomplex, die Sanierung betroffener Betriebe alles andere als leicht. Wir verlangen, dass sich die Betriebe der Kategorie II und III intensiv mit der Ursachen-analyse beschäftigen. Wer hier die Empfehlungen kompetenter Ansprechpartner umsetzt, braucht keine Abzüge oder sonstige Sanktionen zu befürchten. SUS: Wie steht das Unternehmen Tönnies zur diskutierten Branchenkommunikation? Tönnies: Die Aufklärung über das, was wir tun, wird immer notwendiger. Der DBV mit Franz-Josef Möllers verfolgt einen brillanten Ansatz. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Schlachtbranche braucht keine Finanzhilfen für ausländische Messen oder für die Werbung eigener Produkte. Die Landwirtschaft benötigt aber Medienprofis, die über moderne Kommunikationswege fachliche Inhalte in leicht verständlicher Form vermitteln. Mein Vorschlag: Startet mit 10 Cent je Tier. Das wären über 5 Mio. € im Jahr. Damit kann man schon einiges ausrichten. SUS: Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führten die SUS-Redakteure Dr. Heinrich Niggemeyer und Fred Schnippe.