Schwanzbeißen ist eine weit verbreitete Verhaltensstörung. Welche Rolle spielen Nekrosen an der Schwanzspitze?
Das Phänomen Schwanzbeißen tritt in allen Betriebsgrößen und unter verschiedensten Haltungsbedingungen auf. Die bislang sicherste Methode, um das Schwanzbeißen zu verringern oder zu vermeiden, stellt das Kürzen der Schwänze im Saugferkelalter dar. Diese vorbeugende Maßnahme ist streng genommen jedoch nur im Einzelfall erlaubt.
Deshalb sucht die Wissenschaft nach Wegen, dem Problem entgegenzutreten, ohne die Schwänze zu kürzen. Unklar ist die genaue Rolle von sogenannten Schwanznekrosen, die gerade aktuell wieder häufig zu beobachten sind.
Nekrose: Ursache oder Folge?
Am häufigsten treten Schwanznekrosen innerhalb der ersten 14 Tage nach dem Absetzen auf. Direkt danach beginnt die kritische Phase für das Schwanzbeißen. Während häufig ein direkter Zusammenhang besteht, treten beide Phänomene auch unabhängig voneinander auf.
Die Entstehung der Nekrosen ist multifaktoriell bedingt. Als ein wichtiger Auslöser werden Endotoxine identifiziert, welche die Gefäßinnenwände, insbesondere peripherer Körperteile, schädigen und am Ende zum Gefäßverschluss führen.
Mykotoxine oder verschiedene Krankheitserreger wie PRRSV, Streptokokken, Mykoplasmen oder Circoviren können ebenfalls Einfluss auf das Krankheitsgeschehen nehmen, auch wenn diese nicht als einzige auslösende Faktoren für Schwanz- und Ohrnekrosen gewertet werden.
Oft gehen Hautverletzungen oder kleinste Schürfwunden der Nekrose voraus. Insbesondere bei Ohrnekrosen können diese durch die Haltungs- und Fütterungstechnik ausgelöst und verstärkt werden. Eine besondere Rolle bei diesem Phänomen spielt offensichtlich auch das Futterkonzept.
Die mit Nekrosen einhergehenden Probleme werden in der internationalen Literatur meist als vorübergehend beschrieben, die kaum Auswirkungen auf Leistung und Wohlbefinden haben. In Deutschland hingegen ist die besondere Bedeutung der Nekrosen vor allem durch die in letzter Zeit durchgeführten Experimente mit unkupierten Tieren deutlich geworden.
Versuch mit 2 000 Ferkeln
Ob die Nekrosen das Schwanzbeißen fördern oder das Schwanzbeißen zuerst auftritt, sollte ein Versuch im Lehr- und Versuchsgut Köllitsch zeigen. Hierfür wurden insgesamt 2 086 Ferkel innerhalb der Würfe unterschiedlich kupiert bzw. blieben unkupiert.
Bei 674 Ferkeln wurde das letzte Drittel des Schwanzes, bei 651 Ferkeln zwei Drittel des Schwanzes kupiert. Letzteres stellt das überwiegend angewandte Verfahren in der Praxis dar. Die restlichen Ferkel blieben unkupiert.
Die Haltung sowie die Fütterung waren in den drei Gruppen gleich, ebenso die Ein- und Ausstallgewichte bei den Ferkeln und Masttieren. Jeweils zu den Wägezeitpunkten wurden die Schwänze nach vorgegebenem Schema bonitiert. Zudem beobachteten die Betreuer die Tiergruppen zweimal wöchentlich, um die auslösenden Faktoren möglicher Verhaltensstörungen und die mit der Störung beginnenden Tätertiere zu identifizieren.
Übersicht 1 zeigt die biologischen Leistungen. In der Aufzucht erreichten die Ferkel 392 bis 403 g tägliche Zunahmen. In der Mast lagen die Tageszunahmen zwischen 858 und 859 g. Lediglich vier Tiere erreichten das Mastende nicht.
Paralleler Verlauf
Beim Absetzen der Ferkel wurden weder Schwanznekrosen, noch -verletzungen beobachtet. Diese traten erst vereinzelt zu Beginn der Ferkelaufzucht auf. In der zweiten Hälfte der Aufzuchtphase verstärkte sich das Problem. Am Ende der Aufzucht war die Frequenz am höchsten.
Zu diesem Zeitpunkt lag in der Gruppe der Langschwänze der Anteil von Kannibalismus betroffener Tiere bei 15 %, der Anteil Tiere mit Schwanznekrosen bei 17 %. Im weiteren Verlauf der anschließenden Mast nahmen die Frequenzen wieder ab (Übersicht 2).
Dass das Aufkommen von Nekrosen und Schwanzverletzungen in der absoluten Höhe und im zeitlichen Verlauf sehr ähnlich verlaufen, belegen einen engen Zusammenhang. Wobei häufig nur schwer zu erkennen ist, ob eine Schwanzspitze aufgrund einer Nekrose oder aufgrund von Schwanzbeißen entzündlich verändert ist oder blutet.
Die etwas höhere Frequenz an Tieren mit Schwanznekrosen, insbesondere in der ersten Hälfte der Ferkelaufzucht legt jedoch nahe, dass die Nekrose eher vor dem Schwanzbeißen auftritt als umgekehrt.
Die Ergebnisse sind im Vergleich zu anderen Praxiserhebungen als „gut“ zu bezeichnen. Dies ist zum einen auf die praxisferne Intensivbetreuung zurückzuführen. Auch der Gesundheitsstatus sowie die Genetik spielen hier eine Rolle.
Die zum Teil erheblichen Verletzungen durch Kannibalismus und/oder Nekrosen in der zweiten Hälfte der Ferkelaufzucht waren leistungsrelevant. Sie führten in der Gruppe der Langschwänze zu geringeren Zunahmeleistungen in der Größenordnung von 20 g pro Tag.
Die Theorie, dass männliche Schweine häufiger von Schwanznekrosen betroffen sind, konnte nur tendenziell bestätigt werden. Allerdings wurden im Rahmen der Tätertierbeobachtungen mehr weibliche Tiere als Täterschweine identifiziert; die männlichen Ferkel waren häufiger die Opfer der Beißattacken.
Kupieren schützt
Eindeutig beweisen ließ sich, dass das Kupieren zu allen Untersuchungszeitpunkten zu weniger Schwanzverletzungen durch Beißen oder Nekrosen führte. Lag am Ende der Aufzucht die Rate verletzter Tiere im zweistelligen Prozentbereich, wurden in den Gruppen mit 1/3 kupierten Schwänzen nur 5 % Tiere mit Beißschäden bzw. 3 % der Tiere mit Nekrosen gefunden. In der Gruppe der Tiere mit 2/3 kupierten Schwänzen lag der Anteil jeweils nur bei 1 % (siehe Übersicht 2 ).
Somit hat das Kupieren wesentlichen Einfluss darauf, ob ein Tier gebissen wird oder nicht. Der in der Literatur abgeleitete Faktor einer 3- bis 4-mal höheren Frequenz von verletzten Tieren, die nicht kupiert wurden, kann in etwa bestätigt werden.
Auch mussten nicht kupierte Tiere häufiger aus den Gruppen genommen werden. Die Folge von nicht rechtzeitig erfolgten Selektionen sind erfahrungsgemäß Nottötungen oder gefallene Tiere.
Gelingt es trotz intensiver Betreuung und objektiv guten Haltungsverhältnissen nicht, Schwanznekrosen und -beißen zu verhindern, dann ist ein Nichtkupieren als tierschutzrelevant einzustufen! Den möglichen akuten und chronischen Schmerzempfindungen durch das Kupieren steht die nachweislich höhere Frequenz an akut verletzten Tieren gegenüber.
Die Unterschiede zwischen den Gruppen „1/3 kupiert“ und „2/3 kupiert“ waren nicht groß. Die Kupierlänge ist dennoch geeignet, um sich auf den Weg zum Fernziel Kupierverzicht zu bewegen. Voraussetzung dafür sind aber die Möglichkeiten der Betriebe, die Haltungsverhältnisse unter diesem Gewichtspunkt neu zu optimieren und auch hochgesunde Bestände.
Fazit
Untersuchungen an über 2 000 kupierten und nicht kupierten Ferkeln lassen folgende Schlussfolgerungen zu:
- Es traten sowohl Schwanznekrosen als auch Schwanzbeißen auf. Wahrscheinlich gingen die Nekrose dem Schwanzbeißen voraus.
- Bei den unkupierten Ferkeln traten 3- bis 4-mal häufiger Tiere mit nekrotisierten oder verletzten Schwänzen auf.
- Verletzungen durch Kannibalismus und Nekrosen in der zweiten Hälfte der Ferkelaufzucht führten zu geringeren Zunahmen.
- Solange wie die Vielzahl der möglichen auslösenden Faktoren nicht sicher beherrscht wird, ist das Nichtkupieren als tierschutzrelevant einzustufen.