Kann die Zucht einen Beitrag leisten, um Schweine mit unkupierten Schwänzen besser zu halten? Welche Ansätze sollten Problembetriebe verfolgen?
Hubert Henne und Dana Madey-Rindermann, BHZP
Schwanzbeißen stellt eine Verhaltensstörung dar, deren Ursachen vielfältig sein können. Häufig greifen sie ineinander bzw. begünstigen sich gegenseitig (s. Übersicht 1). Probleme entstehen, wenn Schweine die Schwänze ihrer Buchtengenossen mit dem Maul fassen, darauf kauen und schließlich die Hautbarriere durchbrechen. Tritt erst einmal Wundsekret aus, ist der verletzte Schwanz für weitere Schweine in der Bucht interessant. Es drohen regelrechte „Ausbrüche“, wenn das gebissene Tier nicht unverzüglich separiert wird.
Täter bleiben oft unerkannt
Die überwiegende Mehrheit der Untersuchungen zum Schwanzbeißen beziehen sich auf Schwanzverletzungen und damit auf die Opfer. Der Ansatz ist sinnvoll, um die Risikofaktoren für das Auftreten von Schwanzbeißen zu analysieren. Er lässt aber die Täter außer Acht. Ebenso wurden bisher keine leicht erfassbaren Indikatoren zur Vorhersage gefunden, welche Schweine zum Schwanzbeißen neigen.
In einer englischen Studie aus 2003 wurden auf einem Nukleusbetrieb zweimal pro Woche die Tiere für mehrere Minuten beobachtet. Auffälliges Verhalten bis hin zur eindeutigen Täteridentifikation wurde registriert. Trotz des enormen Aufwandes konnte für das Merkmal „Täter, ja oder nein“ nur 3% Erblichkeit für Landrasse geschätzt werden. In der Large White-Linie war keine genetische Varianz feststellbar.
In anderen Studien werden Unterschiede zwischen Rassen diskutiert, die teilweise widersprüchlich sind. Es kristallisiert sich dabei heraus, dass weibliche Tiere und Mutterrassen eher zum Schwanzbeißen neigen. Vaterlinien hingegen scheinen insgesamt weniger betroffen.
Aufwendige Versuche erforderlich
Um herauszufinden, wie groß der genetische Einfluss tatsächlich ist, erprobt BHZP in drei Vermehrungs- und einem Basiszuchtbetrieb die familienbezogene Aufstallung. Das bedeutet, dass sich nur Nachkommen eines Ebers in einer Bucht befinden. Sollte Kannibalismus auftreten, ist automatisch die väterliche Abstammung des ansonsten schwer zu identifizierenden Täters bekannt.
Zudem werden seit mehr als einem Jahr in einem Basisbetrieb intensive Buchtenbeobachtungen in Anlehnung an den englischen Versuch getestet. Dazu werden einmal pro Woche alle (!) Buchten in der Aufzucht für mehrere Minuten beobachtet und auffällige Tiere als potenzielle Täter identifiziert und erfasst.
Diese Maßnahmen werden nun in dem Projekt „PigsWithTails“ in Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen, der LfL Bayern und der LSZ Boxberg intensiviert. Ziel des vom BLE geförderten dreijährigen Projektes ist, eine ausreichende Datengrundlage für das Merkmal „Schwanzbeißen“ in drei großen deutschen Zuchtpopulationen zu erarbeiten. Schließlich sollen Heritabilitäten und genetische Korrelationen zu anderen Verhaltens- und Leistungsmerkmalen abgeleitet und ggf. eine genomische Zuchtstrategie entwickelt werden, um das Schwanzbeißen zu vermindern.
Darüber hinaus sollen weitere Effekte wie die Saugferkelordnung am Gesäuge (Frühprägung) bis hin zur sog. sozialen Selektion näher untersucht werden. In einem weiteren Versuch soll die genetische Variation von Schwanzlängen analysiert werden. Das Ziel ist herauszufinden, ob eine Selektion gegen Schwanzlängen sinnvoll sein kann, um der Caudophagie entgegenzuwirken.
Zuchteffekte nicht überbewerten
Bleibt festzuhalten, dass der genetische Hintergrund zum Schwanzbeißen bislang wenig bekannt ist. Bisherige Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass der genetische Einfluss im Vergleich zu den bekannten Managementfaktoren klein ist.
In diesem Zusammenhang sind die Resultate der Dissertation von Sarah Pütz aus dem Jahr 2014 aufschlussreich. In 14 Betrieben mit unterschiedlichen Genetiken wurde das Schwanzbeißen bei nicht kupierten Schweinen erhoben. Dabei zählten die Betriebe, die im ersten Durchgang am besten abschnitten, im zweiten Durchgang eher zu den schlechteren (vergleiche Übersichten auf Seite 40). Im dritten Durchgang, an dem nur noch fünf Betriebe teilnahmen, änderte sich dieses Bild wiederum.
Dies zeigt, dass ein Problem mit Schwanzbeißen nicht durch den Wechsel der Endprodukteber zu lösen ist. Vielmehr liegt dem Problem eine Kombination mehrerer Risikofaktoren zugrunde. Um diese aufzudecken, muss auf jedem betroffenen Betrieb eine umfangreiche Schwachstellenanalyse erfolgen.
Auf Husten und Zugluft achten
Bewiesen ist, dass der Gesundheitsstatus direkten Einfluss auf die Entwicklung von Schwanzbeißen nimmt und untrennbar mit dem Wohlbefinden des Tieres verknüpft ist. So berichten Betriebsleiter, dass sie bei Gesundheitseinbrüchen ein Ansteigen des Beißgeschehens beobachten mussten. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen der Atemwege und des Verdauungstrakts.
Eine Studie an der englischen Universität Bristol aus 2003 konnte zeigen, dass das Risiko für Schwanzbeißen sich 1,6-fach erhöhte, wenn die Herde an Atemwegserkrankungen litt. Außerdem wurde eine positive Korrelation zu Darmvorfällen gefunden. Ob Letzteres sich darin begründet, dass stark hustende Schweine auch schneller Darmvorfälle entwickeln, oder darin, dass der herausschauende Darm häufig angefressen wird, ist dabei unklar.
Nicht nur der Tierarzt, sondern auch der Lüftungsberater sollte bei der Ursachenforschung mit eingeschaltet werden. Denn das Schwein reagiert äußerst empfindlich auf Schadgase. Auch kann es seine Körpertemperatur nur begrenzt regulieren. Umso wichtiger ist es, die Schadgaskonzentration zu begrenzen, um nicht den Atemtrakt zu schädigen. Gleichzeitig dürfen die Tiere nicht Zugluft ausgesetzt sein. Dies ist in kalten oder warmen Monaten eine besondere Herausforderung für das Lüftungssystem und dessen Justierung.
In einem Fall verschwand das Schwanz- und Ohrenbeißen, nachdem der Ammoniakgehalt von weit über 40 ppm auf unter 15 ppm gesenkt wurde. Der gesetzliche Grenzwert liegt bei 20 ppm. In einem anderen Fall reduzierten sich die Beißprobleme, nachdem Zugluft durch Beseitigen von Falschluft an undichten Türen unterbunden wurde. Auch zeigen neue Flatdeckbuchten mit verschiedenen Klimazonen und kleinem Einstreubereich vielversprechende Ansätze für die Schwanzbeißprävention.
Ernährungsdefizite vorbeugen
Einige Problembetriebe berichten, dass sie hochwertigere, teurere Komponenten in die Futterration genommen und sich so an die Beherrschbarkeit des Schwanzbeißens herangetastet haben. Umgekehrt haben Betriebsleiter beobachtet, dass Rationen mit „günstigeren Komponenten“ das Beißproblem auslösen oder verschlimmern. Daher sollten sich Problembetriebe nicht scheuen, ihren Fütterungsberater einzuladen, das Fressverhalten der Tiere vor Ort anzusehen. Bei Neukontrakten hat es sich bewährt, gleich eine Pauschale für Futteranalysen mit auszuhandeln. Eine exakte Berechnung der Eigenmischung ist ebenfalls nur nach Analyse der jeweiligen Ernte möglich.
Auch das Fütterungsmanagement nimmt Einfluss. Wenn Tiere am Breiautomaten Schlange stehen, zeigt dies, dass die Schweine um eine ihrer wichtigsten Ressourcen kämpfen müssen. Insbesondere die in zweiter Reihe stehenden Tiere sind gestresst und werden verführt, in den Schwanz des am Automaten stehenden Tieres zu beißen. Zusätzliche Fressplätze können das Geschehen entzerren.
Ebenso kommt der Wasserversorgung eine entscheidende Bedeutung zu, das Risiko zu senken. Viele Landwirte sehen einen deutlichen positiven Effekt, wenn sie genügend sauberes Wasser aus offenen Tränken in ausreichender Zahl anbieten.
Doch Sättigung allein genügt offensichtlich nicht, um Schweine zufriedenzustellen. Eine ausreichende Beschäftigung ist absolut notwendig, damit das Schwein seine natürlichen Verhaltensweisen ausleben kann und nicht sein Wühl- und Beißverhalten auf die Körperteile anderer Schweine lenkt.
Mittlerweile werden in vielen Flatdecks Baumwollseile an Ketten aufgehängt, die von den Schweinen sehr gut angenommen werden. Je nach Bundesland kommen auch Gummischläuche zum Einsatz. Besonders bei größeren Schweinen sind Raufen wieder im Trend, die täglich mit geringen Mengen Heu befüllt werden. Dies wird von vielen als sehr effektiv gegen Schwanzbeißen beschrieben. Der Einsatz solcher Raufen bzw. Seile etc. hat sich meist schnell amortisiert.
Fazit
- Der genetische Hintergrund zum Schwanzbeißen ist aufgrund der äußerst schwierigen Merkmalserfassung wenig bekannt. Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass dessen Einfluss im Vergleich zu den Managementfaktoren sehr klein ist.
- Im Rahmen von aufwendigen Versuchen wird versucht, mehr Wissen zu erlangen, um ggf. in die Selektion einsteigen zu können.
- Auf Problembetrieben sollten möglichst viele vorhandene Risikofaktoren für Schwanzbeißen aufgespürt und Schritt für Schritt abgestellt werden. Hierzu ist eine betriebsindividuelle Beratung in Anspruch zu nehmen.