Um Kontaminationen am Schlachtband zu minimieren, testen einige Schlachtereien die risikoorientierte Fleischbeschau. Die Firmen Vion und Westfleisch haben ihre Pilotprojekte jetzt abgeschlossen. Die konventionelle Fleischuntersuchung, eingeführt, um die Gesundheit des Verbrauchers nicht durch Schweinefleisch zu gefährden, ist über 100 Jahre alt und reif für eine Überarbeitung. Denn das routinemäßige Abtasten der Schlachtkörper und Anschneiden der Organe ist angesichts „unsichtbarer“ Gefahren durch Salmonellen & Co nicht mehr zeitgemäß. Heute sind mikrobiologische oder serologische Tests gefragt. Zudem fordert die Europäische Kommission im Rahmen des neuen EG-Lebensmittelhygienerechts mehr Eigenverantwortung seitens der Lebensmittelproduzenten. Die Qualität der Rohware Schwein soll künftig eine größere Rolle spielen. Zoonose-Erreger meist nicht sichtbar Vor diesem Hintergrund bereiten sich einige Schlachthöfe auf die visuelle bzw. risikoorientierte Fleischuntersuchung vor. Bei ihr werden die Schlachtkörper nicht mehr routinemäßig angeschnitten, sondern nur noch begutachtet. Damit die Fleischuntersuchung auf eine reine Begutachtung beschränkt werden kann, müssen laut EG-Verordnung Nr. 1244/2007 einige Voraussetzungen erfüllt sein: Die Schlachttiere müssen seit Absetzen unter kontrollierten Bedingungen und in integrierten Produktionssystemen gehalten werden. Der einzelne Lebensmittelunternehmer muss entsprechende Informationen zur Lebensmittelkette bereit stellen. Eine Anzahl ausgewählter Tiere muss regelmäßig serologisch und/oder mikrobiologisch überwacht werden. Für die Schlachthöfe bedeutet die risikoorientierte Fleischuntersuchung, dass sie entsprechende Maßnahmen zur Einschätzung und Beherrschung der Risiken einer Schlachtpartie in ihre Kontrollsysteme integrieren müssen. Denn die Bedingung der Umstellung ist, dass die risiko–orientierte Fleischuntersuchung mindestens die gleichen Garantien für die Unbedenklichkeit des Fleisches bietet wie bei der konventionellen Vorgehensweise. Abgesehen davon sind die Unternehmen frei in der Umsetzung, denn die EU-Verordnungen richten sich an Unternehmen und nur bedingt an Behörden. Wichtig dabei: Kein Unternehmen ist gezwungen, die Verordnung umzusetzen, aber im Interesse der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes sowie eventuell auch der Kostenreduzierung werden wohl viele Schlachtbetriebe daran interessiert sein. Vion setzt auf Blutuntersuchungen Einer der Vorreiter auf dem Gebiet der risikoorientierten Fleischbeschau ist der Vion-Konzern. In den Niederlanden sind schon länger einige Konzern-Schlachthöfe auf das neue Konzept umgestellt. Ende Februar hat nun auch der erste Standort in Deutschland nach einer zweijährigen Pilotphase die offizielle Zulassung seitens der Behörden erhalten. Seitdem verzichtet Vion am Standort Zeven bei pro Tag bis zu 75 % der gelieferten Schweine auf routinemäßige Anschnitte von Kopflymphknoten und Herz. Vielmehr konzentriert sich der amtliche Veterinär auf sichtbare Veränderungen und führt Anschnitte nur noch bei Verdacht durch. Dazu schleust er verdächtige Schlachtkörper auf das so genannte Beanstandungsband aus, um mehr Zeit für die Untersuchung der Schlachtkörper zu haben. Mit in den neuen Ansatz einbezogen sind Landwirte aus dem Verbund der Vereine zur Förderung der bäuerlichen Veredelungswirtschaft (VzF) und der Erzeugergemeinschaft Schleswig-Holstein. Auch Veterinäre des Landkreises Rotenburg-Wümme sowie das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) sind ebenso am Projekt beteiligt wie Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Voraussetzung für die Teilnahme der Mäster ist die QS-Zertifizierung und das Ausfüllen eines zusätzlichen Fragebogens, der u. a. klärt, ob die Schweine auf dem jeweiligen Betrieb kontrollierten Freigang haben, auf Einstreu liegen und ob sie mit Kompost, Torf oder Erde in Berührung kommen. Weiteres Kriterium zur Risikoeinschätzung ist ein Blutrisikoprofil für das Mykobakterium avium (siehe Kasten). Dafür werden die Schweine eines Betriebs an drei aufeinander folgenden Lieferungen mit je sechs – also insgesamt 18 Blutproben – beprobt. Bei geringem Risiko qualifizieren sich die Betriebe für die neue Fleischuntersuchung, dann reduziert sich auch der Probenumfang. Mit diesen Daten erstellt der Schlachthof ein betriebsspezifisches Risikoprofil und entscheidet dann, ob die Schweine dieses Betriebs ein geringes Gesundheitsrisiko aufweisen und damit messerlos untersucht werden können. Auch die Salmonellen-Antikörper werden mit diesen Blutproben statt mit Fleischsaft ermittelt. Außerdem erfolgt ein engmaschiges Monitoring auf Antibiotika-Rückstände insbesondere bei Betrieben, deren Lungen- und Brustfellbefunde vorheriger Schlachtungen deutlich erhöht waren. Für die Zukunft plant Vion, die Blutproben für den Aufbau einer Blutbank zu nutzen und sie dafür mindestens drei Monate tiefgekühlt zu lagern. So soll die Serologie neue Ansätze zur Bekämpfung von Tierseuchen wie Schweinepest bringen. In Krisenfällen stünden laut Vion unmittelbar viele Proben aus der Region für schnelle Analysen bereit. Da zu den Vorgaben des neuen Systems auch gehört, dass jeder liefernde Landwirt seinen Futtermittelhersteller angeben muss, erhöht dies die Reaktionsfähigkeit im Krisenfall laut Vion erheblich, denn der weitaus größte Teil akuter Lebensmittelrisiken habe seinen Ursprung in der Verunreinigung von Futtermitteln. In Zeven setzen ca. 90 % der Betriebe Futtermittel von 13 Herstellern ein, das ist vergleichsweise überschaubar, doch leider nicht die Regel an anderen Schlachthöfen. Kreuzkontaminationen vermeiden Für den teilnehmenden Landwirt verläuft das Prozedere völlig unbemerkt. Er meldet seine Schweine am Vortag wie immer per Lieferschein zur Schlachtung an, den Rest macht der Schlachthof. Mitarbeiter gleichen die Daten ab, tragen ihn in die Anmeldeliste ein und übergeben diese dem amtlichen Tierarzt, der dann wiederum passende Betriebe zur messerlosen Fleischuntersuchung zulässt. In der Durchführung achtet Vion Zeven darauf, dass die neue Fleischuntersuchung im Block läuft, also mindestens zwei Stunden am Stück, um Kreuzkontaminationen zu verhindern. Diese Kreuzkontaminationen sind mit ein Grund, weshalb Vion dieses neue Verfahren favorisiert, denn die konventionellen Anschnitte der Lymphknoten bringen ein großes Risiko mit sich, mit dem Messer Keime an den Schlachtkörper zu verschleppen. Mit der messerlosen Untersuchung fällt dieses Risiko weg, das erhöht die Lebensmittelsicherheit für den Verbraucher. Und was hat der Landwirt davon? Zunächst einmal hilft der Informationsrückfluss aus der Schlachtung, den Tiergesundheitsstatus zu erkennen und zu verbessern. Zudem können die Landwirte die Blutproben, die Vion sowieso zieht und auf die Antikörper von Salmonellen und Mykobakterium avium untersuchen lässt, auch für eigene Analysen nutzen. Es ist möglich, über das Labor den kompletten Gesundheitsstatus des Schweinebestandes zu erfahren, indem die Proben auch noch auf PRRS, PCV2, APP etc. untersucht werden. Völlig unklar ist allerdings bisher, ob dieses Angebot auch umfangreich genutzt werden wird. Die Situation in Zeven ist für die visuelle Fleischuntersuchung besonders günstig, weil der Hauptteil der Schweine von zwei Erzeugergemeinschaften stammt. Denn aufgrund der für das neue System benötigten „Lieferhistorie“ eignet sich das System speziell für liefertreue Betriebe. Trotzdem will man das System jetzt natürlich auf andere geeignete Vion-Standorte übertragen. In Vilshofen startete unlängst ein neues Pilotprojekt. Westfleisch setzt auf Infos am Schlachtband Bundesweit arbeiten weitere Schlachtunternehmen an der Umsetzung der risikobasierten Fleischuntersuchung. Bei der Westfleisch an der Schlachtstätte Paderborn lief dazu ebenfalls seit Anfang 2008 eine Testphase, seit Anfang Februar 2010 ist dort die risikobasierte Fleischuntersuchung auch von amtlicher Seite „zugelassen“. Bis zu 95 % der Mastschweine werden dort schon visuell untersucht. Voraussetzung für die visuelle Fleischuntersuchung ist die Teilnahme der Betriebe am QS-System sowie die Einhaltung der so genannten „Kontrollierten Haltungsbedingungen“, die seit April 2009 verpflichtend bei jedem Audit abgeprüft werden. Betriebe, die vorher gültig auditiert sind, müssen diese Bedingungen in einer Eigenerklärung zusichern. Die Zuliefererstruktur für Paderborn wies insbesondere in der Anfangsphase des Projektes noch viele Nicht-QS-Betriebe auf, die kleinere Mastpartien zur Schlachtung anliefern. So versuchte man, die unterschiedlich zu untersuchenden Partien auf bestimmte Schlachttermine zu kanalisieren, wie Dr. Dieter Meermeier, zuständiger amtlicher Tierarzt, bestätigt. Sobald dies nicht möglich war, mussten die Partien bezüglich der Untersuchungsform gekennzeichnet, d. h. die Form der Untersuchung an den Terminals im Schlachtband visualisiert werden. Betriebe, die zunächst als Teilnehmer für das Projekt in Frage kamen, waren die mit der Schlachtfirma vertraglich gebundenen Mäster. Deren Daten sind über Jahre bekannt. Neu hinzukommende Betriebe werden in der Anfangsphase gezielt in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung beobachtet. Die Entscheidung über weitergehende Untersuchungen wird gegebenenfalls vor Ort vom amtlichen Tierarzt getroffen. Befundgruppen für Risikoprofil Alle Betriebe werden in ein Risikoprofil eingeteilt: Dazu bezieht Westfleisch die Schlachtkörperbefunde aller Lieferungen des jeweils vergangenen halben Jahres ein und teilt sie in verschiedene Befundgruppen wie Milkspots, Pleuritiden, Pneumonien, Pericarditiden, Teilschäden, untaugliche Schweine und Anteil der möglicherweise mykobakterienbedingten Veränderungen der Unterkieferlymphknoten ein. Überschreitet ein Betrieb einen definierten Richtwert (i.d.R. das doppelte Schlachthofmittel des jeweiligen Befundwertes), ist diese Information zu jeder Schlachtpartie auf einem Terminal direkt am Schlachtband zu sehen. Diese spezifischen Befunde des Betriebes ermöglichen eine zielorientierte Probenahme z. B. zur Rückstandsuntersuchung. Des weiteren kann durch die Informationen eine zielgenauere Untersuchung stattfinden. Auffällige Tiere werden direkt am Band ausselektiert. Am Beanstandungsband erfolgt das genauere Hinsehen, Abtasten und auch Anschneiden, um jegliches Risiko auszuschließen. Westfleisch arbeitet bisher ohne die Serologie mittels Blutproben zur Untersuchung auf Mykobakterien. Die dafür notwendige Methodik war noch nicht validiert und kommerziell verfügbar. Ob Mykobakterium avium tatsächlich relevant für den gesundheitlichen Verbraucherschutz ist, ist abschließend noch nicht geklärt. Dr. Dieter Meermeier gibt zu bedenken, dass es zudem nicht sinnvoll sei, dass Tiere aus Beständen mit einem hohen Mykobakterienrisiko, die aus der visuellen Fleischuntersuchung herausfallen, konventionell durch Anschnitte untersucht würden, denn dadurch entstünden die Kreuzkontaminationen, die man gerade mit dem neuen System vermeiden möchte. Die visuell erfassbaren Veränderungen, die das Mykobakterium avium an den Lymphknoten verursacht, dokumentieren die Untersucher des Kreises Paderborn tierindividuell, so dass gegebenenfalls Nachuntersuchungen veranlasst werden können. Die Salmonellen-Antikörper werden nach wie vor über den Fleischsaft analysiert, denn das Verfahren ist erprobt. Im Gegenteil, man überlege laut Dr. Meermeier derzeit, ob sich Fleischsaft nicht noch zu weiteren Analysen auf andere Erreger eigne. Für die Beratung der teilnehmenden Landwirte hat die Westfleisch extra einen Tierarzt angestellt, der gemeinsam mit dem Hoftierarzt direkt vor Ort berät. Dr. Dieter Mischok besucht „Problembetriebe“, also Betriebe, die hinsichtlich ihrer Befundhistorie stark vom Schlachthofmittel abweichen. Häufig sind Milkspots der Grund, aber auch Pleuritiden, also Rippen- und Brustfellentzündungen oder Pneumonien. Diese Beratung ist kostenlos. Geplant ist nun die Ausweitung des neuen Systems auf weitere Schlachtbetriebe der Gruppe, so dass mittelfristig alle Schweine bei der Westfleisch nur noch messerlos untersucht werden. Im Standort Coesfeld läuft derzeit die nächste Pilotphase. Fazit In Deutschland sind erste Schlachtstätten auf die risikoorientierte Fleischuntersuchung umgestellt worden, weitere sollen folgen. Mit der neuen Fleischbeschau verbinden die Schlachtbetriebe eine Verbesserung der Lebensmittelsicherheit. Als übergeordnete und koordinierende Behörde ist das Bundesamt für Risikobewertung eingebunden. Die Ergebnisse aus diversen Pilotprojekten sollen gebündelt und im Idealfall ein bundeseinheitlicher Standard für die risikoorientierte Fleischuntersuchung geschaffen werden. Kontrovers wird in diesem Zusammenhang die Einführung der Mykobakterium avium-Serologie diskutiert. Die regelmäßige Probenentnahme am Schlachtband wird hingegen von den Experten begrüßt. So könnte eine Plattform geschaffen werden, bei Bedarf auch auf andere Krankheits- und Seuchenerreger zu untersuchen.