Im Nordwesten wollen die Schlachtkonzerne ihre Kapazitäten mittelfristig um mehr als 20 % ausbauen. Wer liefert die Schweine? Wer profitiert vom WachstumDer Expansionskurs der deutschen Fleischwirtschaft ist ungebrochen. Mit rund 59,3 Mio. Schweinen haben die Schlachthöfe auch im letzten Jahr einen neuen Rekord aufgestellt. Dies ist ein Zuwachs von 3,5 % gegenüber 2009. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird in diesem Jahr die 60-Mio.-Marke angestrebt. Damit hätte sich die Zahl der Schweineschlachtungen in den letzten 13 Jahren um 20 Mio. Stück erhöht. Und die Bundesrepublik wird noch mehr zur Drehscheibe im europäischen Fleischhandel. Die großen Fleischzentrenbestimmen das Tempo Motor dieser Entwicklung sind insbesondere die großen Fleischzentren. Sie haben die EU-Osterweiterung als Chance gesehen und kräftig investiert. Die Schlachtbranche profitiert dabei auch von den vergleichsweise niedrigen Lohnkosten in Deutschland. Seit 2004 ist der Marktanteil der zehn größten deutschen Schlachtkonzerne somit von 60 auf aktuell 75 % hochgeschnellt. Allein die drei Schlachtriesen Tönnies, Vion und Westfleisch vereinen heute 54 % des Marktes. Es wird deutlich, dass sich der Strukturwandel in der Schlachtbranche weiter beschleunigt. Kleine und mittlere Betriebe geben auf oder werden übernommen. Für die Mäster heißt das: Die Wege zu den Schlachthöfen werden tendenziell weiter, die Vorkosten steigen. Trotz des allgemeinen Wachstums-trends verfolgen die einzelnen Schlachtunternehmen unterschiedliche Strategien. So setzt das Unternehmen B &C Tönnies auf aggressives Wachstum. 2010 stieg der Umsatz trotz sinkender Schweinepreise auf 4,3 Mrd. Euro! An den drei Standorten in West- und Ostdeutschland hat Tönnies im letzten Jahr rund 14,2 Mio. Schweine geschlachtet. Hinzu kommen rund 1,3 Mio. Schweine am dänischen Standort Ballerup. Die Westfleisch wächst sowohl im Schweine- als auch im Rindfleischbereich. Sie hat sich auf diese Weise zu einem echten Vollsortimenter entwickelt. Hier war der letzte Schachzug die Übernahme des Fleischwerkes Barfuß im Jahr 2004. Die aktuelle Ausweitung der Schlachtkapazitäten in Coesfeld ist vor allem auf die Einführung des Zweischichtsystems zurückzuführen. Das international agierende Unternehmen VION Foodgroup hat seine Wurzeln in den Niederlanden, verfügt aber über zahlreiche Schlachthöfe im gesamten Bundesgebiet. Der Konzern befindet sich nach wie vor im Konsolidierungsprozess. Seit der Übernahme der Nord- und Südfleisch vor sieben bzw. sechs Jahren hat sich die Zahl der Schweineschlachtungen kaum verändert. Kapazitäten im Süden schrumpfen Die unterschiedliche Strategie der Schlachthöfe spiegelt sich in der regionalen Entwicklung der Schlachthaken wider. So verzeichnet der Nordwesten gewaltige Zuwächse (siehe Übersicht 1). Im letzten Jahr haben Nordrhein-Westfalen und Niedersachen zusammen gut 35 Mio. Schweine geschlachtet. Das sind fast 60 % der bundesweiten Menge! Deutlich geschrumpft sind dagegen die Schlachtkapazitäten im Süden, insbesondere in Bayern. Dort sind die jährlichen Schlachtungen seit 1993 von 6 auf weniger als 4 Mio. Schweine gesunken. Die Konzentration der Schlachtungen im Nordwesten könnte sich sogar noch verstärken. Denn die dort ansässigen Schlachthöfe sind besonders innovativ. Sie realisieren sehr hohe Standards in der Schlachtung, Verarbeitung und Vermarktung. Zudem haben sie sich in den internationalen Märkten gut positioniert. Es wird deutlich, dass sich die deutschen Schlachtunternehmen technologisch schneller weiter entwickeln als die benachbarten Wettbewerber. Allerdings ist fraglich, wie lange der Lohnkostenvorteil den deutschen Sektor noch stützt. Denn Frankreich macht gegen die deutsche Konkurrenz mobil und hat bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt: Der Vorwurf lautet Sozialdumping gegen Zeitarbeitsfirmen aus Rumänien, Polen und Ungarn. Sollte sich die Klage durchsetzen, wären vor allem die hiesigen Marktführer betroffen. Mehr Wachstum angepeilt Doch vorerst kennt die Schlachtindustrie nur eine Richtung: Volldampf voraus. So zeigt eine aktuelle Umfrage der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, dass die Schlachthöfe im Nordwesten in den nächsten 18 Monaten zum Teil massive Kapazitätsausweitungen planen. Anfragen bei 16 Unternehmen bzw. Standorten ergaben, dass 13 Standorte eine Ausdehnung ihrer Kapazitäten anpeilen. Alle Befragten streben Nettoinvestitionen in der Verarbeitung und Logistik bzw. Rationalisierungen in der Produktion an. Unter dem Strich ist im Nordwesten mittelfristig ein Plus von rund 20 % Schlachthaken zu erwarten. Besonders groß sind die Wachstumspläne beim Branchenprimus Tönnies. Aktuell wächst das Unternehmen durch die Übernahme von 51 % des Schlachthofs Tummel. Allein in seinen Hauptbetrieben in Rheda-Wiedenbrück und Weißenfels schlachtet Tönnies derzeit zusammen rund 180 000 Schweine pro Woche (siehe Übersicht 2). Mittelfristig will man an diesen beiden Standorten um rund 30 % auf satte 240 000 Schweineschlachtungen pro Woche zulegen! Auch die Westfleisch und VION Foodgroup wollen weiter wachsen. Allerdings sind ihre Pläne moderater. Die Unternehmen peilen eine Ausdehnung ihrer Kapazitäten zwischen 10 und 20 % an. Doch auch der Mittelstand hat viel vor. So hat das Unternehmen Simon aus Wittlich in Rheinland-Pfalz die Genehmigung erhalten, seine Schlacht-kapazitäten von 8 500 pro Woche auf 18 000 hochzufahren. Dies verwundert, da insbesondere in Rheinland-Pfalz die Schweinehaltung stark rückläufig ist. Beachtlich sind ebenfalls die Pläne, die das Unternehmen Blömer Müller-Ricken (BMR) in Garrel im Kreis Cloppenburg vor Augen hat. BMR strebt mittelfristig nahezu die Verdoppelung der Kapazitäten von 27 000 auf 50 000 Schweine pro Woche an. Auch der Schlachthof Wernke aus Sprehe in Cloppenburg will in Kürze eine Verdopplung der Schlachtkapazitäten erreichen. Von großem Interesse dürfte zudem sein, was das Unternehmen Danish Crown mit der Übernahme der Schlachthofstandorte von D&S in Essen und Cappeln realisieren wird. Dieser strategische Schachzug sagt vieles über die Wachstumschancen, die Danish Crown auf dem Heimatmarkt sieht. Vor dem Hintergrund eines dänischen Selbstversorgungsgrades von deutlich über 600 % sind möglicherweise auch dort die Grenzen des Wachstums erreicht, so dass man nach Süden ausweichen muss. Gegen Wachstum in Dänemark spricht auch, dass Skandinavien sich zum Hochlohnland entwickelt hat. Aufgrund der rückläufigen Schweineproduktion setzt man auf das bessere Wachstumsumfeld in Deutschland. Hier möchte man die Vorteile des niedersächsischen Standortes mit den Stärken von Danish Crown auf dem Gebiet der Internationalisierung kombinieren. Wer liefert die Schweine? Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Schweinemäster im Kerngebiet Nordwest-Europas über eine mangelnde Nachfrage nach Schlachtschweinen künftig nicht beklagen können. Intensiver Wettbewerb um den Rohstoff Schwein ist notwendig für mehr Markt und marktgerechte Preise. Allerdings müssen die Schlachtunternehmen aufpassen, dass keine Überkapazitäten entstehen. Denn das treibt die Kosten. Spannend wird auch die Frage, wo die zusätzlich benötigten Schlachtschweine erzeugt werden sollen? Denn mit Blick auf die europäische Landkarte lassen sich derzeit kaum noch Wachstumsregionen für die Mast identifizieren. So hat Dänemark seit Jahren rückläufige Erzeugungszahlen. Hier wird prognostiziert, dass die momentane Schlachtmenge von aktuell 21 auf 15 bis 17 Mio. Tiere pro Jahr sinkt. War in den vergangenen Jahren der Export von lebenden Schweinen aus Dänemark beachtlich, dürfte dies künftig zurückgehen. Zumal die Preisdifferenz zwischen Dänemark und Deutschland mittlerweile minimal ist. Das heißt: Dänische Erzeuger sehen keinen Anreiz, ihre Schweine mit höheren Vorkosten zu niedrigen Preisen nach Deutschland zu vermarkten. Auch Polen dürfte nicht dazu beitragen, dass lebende Schlachtschweine zu uns kommen. Denn unser Nachbar im Osten ist bestrebt, seine Schlachtindustrie auszulasten. Zwar sind die Schweinebestände wieder gestiegen. Allerdings ist zu bezweifeln, ob Polen in größeren Mengen Schweine für den deutschen Markt bereitstellen kann. Eher ist zu erwarten, dass deutsche Mastschweine wie in den Jahren 08/09 nach Polen gehen. Die europäischen Nachbarländer Österreich, die Schweiz und Tschechien dürften ebenfalls als künftige Erzeugerregionen nicht in Betracht kommen. Sie haben massive strukturelle Defizite. Die Niederlande und Belgien kämpfen mit höheren Umwelt-, Tierschutz- und Raumordnungskosten als Deutschland. Für unsere Nachbarn werden bis zum Jahre 2013 erhebliche Mehrkosten anfallen, die insbesondere die Mastbetriebe benachteiligen. Von daher können zwar aus Benelux mehr Ferkel kommen. Die Lebendexporte an Schlachtschweinen werden wohl zurückgehen. Damit steht fest, dass die Wachstumspläne deutscher Fleischzentren eng mit der Entwicklung der hiesigen Schweineproduktion verknüpft sind. Doch auch bei uns sind eindeutig Grenzen des Wachstums zu erkennen. Aktuell stehen 50 % der deutschen Schweine in Nord-rhein-Westfalen und Niedersachsen. Nur 20 % der Schlachtschweine kommen aus dem Süden. Allerdings sind gerade in NRW und Niedersachsen die Wachstumsaussichten sehr begrenzt. Fazit Die deutschen Schlachtunternehmen haben in den letzten Jahren kräftig zugelegt. Insbesondere im Nordwesten wollen die Schlachtkonzerne weiter wachsen. Da die Lebendimporte nach Deutschland nur begrenzt zunehmen können, hängt die Expansion der Schlachtbranche stark vom Ausbau der hiesigen Mast ab. Allerdings sind die Wachstumsmöglichkeiten in den Schweinehochburgen begrenzt.