Andre und Sandra Angenendt erzielen durch innovative Ideen Topleistungen. Damit es auch mit unkupierten Tieren klappt, setzen sie auf Beschäftigungsmaterial mit Abkühleffekt.
Michael Werning, SUS
Pfiffige Ideen entwickeln und testen, ob es wirklich etwas bringt. Das ist die Passion von Schweinehalter Andre Angenendt. Zusammen mit seiner Frau Sandra führt er einen Kombi-Betrieb mit 160 Sauen in Dingden, Kreis Wesel. Hier verfolgen sie seit Jahren innovative Ansätze, um die Haltung weiter zu optimieren und die biologischen Leistungen zu steigern.
„Dass wir im Stall gerne und viel experimentieren, ist weithin bekannt. Das hat sich sogar zu einem Betriebszweig entwickelt“, erzählt der Landwirt. Inzwischen erhalten Angenendts Projektaufträge und vermarkten Futterzusatzstoffe sowie Management-Tools. Außerdem veranstalten sie Workshops.
Seit Juni Langschwänze
In ihrem neusten Projekt sollen sie als Demo-Betrieb der BMEL-Tierschutzinitiative praxisorientierte Lösungen für die Haltung unkupierter Schweine entwickeln. „Eine spannende Herausforderung“, sind sich beide einig.
In den letzten Jahren schraubten sie ihre Leistungen auf ein absolutes Topniveau hoch. So benötigen ihre Tiere von der Geburt bis zum Erreichen des gewünschten Verkaufsgewichtes von 118 kg durchschnittlich nur 166 Lebenstage! Gleichzeitig erzielt der Betrieb mit 1,00 Ixp/kg SG Schlachtleistungen, die sich sehen lassen können.
„Dass solch ein Produktionsniveau mit einem hohen Maß an Tierwohl vereinbar ist, wollen wir nun mit den Langschwänzen beweisen“, sind Angenendts hoch motiviert. Daher wird seit Juni versuchsweise auf das Schwanzkupieren verzichtet. „Geplant sind zunächst vier Durchgänge. Aktuell verkaufen wir die schlachtreifen Versuchstiere des ersten Durchganges – mit heilem Schwanz“, gibt Andre Angenendt eine erste Wasserstandsmeldung ab.
Damit es so weitergeht, führt er regelmäßig ganzheitliche Risikobewertungen durch. „Genetik, Futterkomponenten, Stalltechnik, Betreuung und vieles mehr. Man muss immer wieder alles hinterfragen“, beschreibt der Schweinehalter seine Herangehensweise.
Regelmäßige Bonitur
Dabei greift er auf eine umfangreiche Datengrundlage zurück. Denn seit 2010 ist der Ferkelerzeuger Prüfbetrieb seiner Besamungsstation. Die dafür notwendige mobile Einzeltiererfassung und Leistungsprüfung hat er aus Eigenantrieb auf die gesamte Schweineproduktion ausgeweitet.
Im Zuge des BMEL-Projektes kam die Langschwanz-Bonitierung hinzu. „Fallen dabei Tiere negativ auf, können wir mithilfe der webbasierten Datenbank direkt Ursachenforschung betreiben“, erklärt Sandra Angenendt.
Ihre routinemäßigen Kontrollgänge machen die beiden morgens und abends. Häufiger wird selbst nach den unkupierten Tieren nicht geschaut. „Anfangs haben wir viel kontrolliert und es brachte nur unnötig Unruhe in die Ställe. Wenn man kontrolliert, muss man dafür aber umso genauer hinschauen“, so die Betriebsleiterin.
Attraktive Eiswürfel
Auch beim Thema Beschäftigungsmaterialien haben die Praktiker ganz eigene Erfahrungen gemacht. „Unserer Einschätzung nach sorgt ein zu großes Beschäftigungsangebot für Unruhe und steigert das Schwanzbeiß-Risiko“, warnen sie vor einer „Überspaßung“. Auf Raufutter verzichten Angenendts, weil sie durch mangelhafte Qualitäten gesundheitliche Beeinträchtigungen für ihre Tiere fürchten.
Sie setzen deshalb nur auf Baumwollseile und Kauketten. Zusätzlich bieten sie den Schweinen aber Möglichkeiten an, ihren Wärmehaushalt zu regulieren. „Das ist ein viel größerer Erfolgsfaktor gerade bei unkupierten Schweinen“, betont der Betriebsleiter.
In der reizarmen Umwelt einer Mastbucht gestaltet sich das allerdings zuweilen sehr schwierig. Einen Teil der Lösung entdeckten die Tüftler zufällig beim Fernsehen. „In einer Zoo-Doku wurde gezeigt, wie die Gorillas zur Abkühlung kleine Eisblöcke mit Fruchtgeschmack bekamen. Das musste natürlich im Stall getestet werden – mit großem Erfolg“, erzählt die Landwirtin.
Für die Eisspezialität füllt Sandra Angenendt zunächst einen 10 l-Eimer zu dreiviertel mit Wasser. Anschließend kommt ein selbst entwickelter Aromastoff als geschmackliche Aufwertung hinzu. Für die spätere Befestigung wird ein Kettenstrang mit in den Eimer gelegt. Dann folgen ca. zwei Tage in der Tiefkühltruhe und der Eiswürfel kann im Stall aufgehängt werden.
„Sobald der Eisblock befestigt ist, lecken und reiben die Schweine ihren Kopf daran“, macht der Anblick den beiden Schweinehaltern sichtlich Freude. Nach ungefähr acht bis zehn Stunden bleibt nur noch die Kette übrig. Alle zwei bis drei Tage, im Sommer häufiger, verschaffen sie so ihren Tieren Abkühlung.
Mikro-Suhle ist der Renner
Doch dabei wollten es Angenendts nicht belassen. Deshalb entwickelten sie in Zusammenarbeit mit der Firma HDT aus Diepholz eine Technik zur partiellen Wasserverrieselung für ihren Aufzucht- und Maststall: die Mikro-Suhle.
Vergleichbar mit einem Düngerstreuer im Mini-Format wird bei der Mikro-Suhle aus einem trichterförmiger Behälter Einstreupulver auf eine darunter montierte Platte ausdosiert. Per Druckluft wird die Einstreu in die Bucht geblasen, wo es zu Boden fällt. Dann sprüht eine ebenfalls auf der Buchtenabtrennung befestigte Duschvorrichtung Wasser darauf. Sofort versammeln sich zahlreiche Tiere unter der „Dusche“ und wälzen sich im Gemisch aus Einstreu und Wasser.
Alle 20 Minuten wird tagsüber vollautomatisch dieses Wellness-Programm eingeläutet. „Der Verbrauch an Einstreu ist zu vernachlässigen. Ein gewisser Mehranfall an Gülle ist zwar nicht zu leugnen, steht aber sicher in keinem Verhältnis zum gesteigerten Tierwohl“, sagt Andre Angenendt zu seinem innovativen Abkühlsystem.
Gesundheitstrunk für Ferkel
Neben der Thermoregulierung legt der Betrieb ein besonderes Augenmerk auf die Ferkel-Fütterung. Vor allem der Absetzphase schenken sie viel Beachtung. „Die Ferkel müssen sich an eine neue Umwelt gewöhnen und die Umstellung von Milch auf feste Nahrung bewältigen. Das erfordert Fingerspitzengefühl“, erklärt der Landwirt.
Sein Futterkonzept richtet sich daher am individuellen Fressverhalten der einzelnen Tiergruppe aus. Vollautomatisch erfasst das sensorgesteuerte Flüssigfütterungssystem Fress-, Ruhe- und Aktivitätszeiten jeder Bucht und erstellt einen darauf abgestimmten Futterplan. Eine starre Futterkurve ist nur als Richtwert für das eigens entwickelte Gesundheitssicherungssystems hinterlegt.
„Junge Ferkel neigen zum Überfressen. Anhand der Soll-Futterkurve legen wir eine Überfressungsrate fest. Wird diese erreicht, schicken wir sie in eine Fütterungspause“, erläutert er die Besonderheit seines Gesundheitssicherungssystems. Wie lang die Pause dauert, ist altersabhängig. Bei vier Wochen alten Tieren setzt der Landwirt sie auf 45 Minuten fest (siehe Übersicht).
In dieser Zeit müssen die Ferkel aber nicht hungern. Meldet der Trogsensor in der Pause einen Leerstand, bekommen die Ferkel allerdings kein Futter, sondern einen „Nachtisch“ vorgelegt. Dabei handelt es sich um mit Futtersäuren versetztes Wasser, welches die Einsäuerung des Futterbreis im Magen unterstützt. „Das fördert ungemein die Darmgesundheit. Gleichzeitig lernt das Tier, dass sich Futterneid nicht lohnt, da es immer etwas gibt. Beides wichtige Faktoren für eine hohe Tiergesundheit bzw. die Langschwanz-Haltung in der Aufzucht und Mast“, ist sich der Schweinehalter sicher.
Suche nach der idealen Bucht
Es gibt auch wichtige Einflussfaktoren, die die Landwirte als solche nicht eingeschätzt hatten. Einer davon ist die mechanische Einwirkung auf den Schwanz. „Wir müssen teils Schwanzverletzungen feststellen, die offenkundig durch scharfkantiges Stallinventar oder Spaltenböden verursacht wurden“, berichtet Sandra Angenendt.
Vermehrt ist dies in den Tiergruppen zu beobachten, die im Versuch bei einer herkömmlichen Belegdichte von 0,75 m2 gehalten werden. In den Versuchsgruppen mit 1,08 bzw. 1,55 m2 je Mastschwein treten derartige Verletzungen seltener auf. „Das ist vergleichbar mit dem Autoverkehr in einer Großstadt. Dort kommt es auch häufiger zu Blechschäden als auf einer Dorfstraße. Allerdings ist solch ein hohes Platzangebot nur durch die Projektfinanzierung ökonomisch tragbar“, gibt Angenendt zu bedenken.
Bei der gerade im Bau befindlichen Erweiterung der Mast achten die Landwirte daher explizit darauf, dass speziell die Stalleinrichtungsgegenstände aus Edelstahl nochmals abgekantet und Spaltenböden entgratet werden.
Angewärmte Frischluft
Als Angenendts 2008 ihren Aufzuchtstall gebaut haben, wussten sie zwar noch nicht, dass sie darin einmal unkupierte Schweine halten werden, die an Eisblöcken lecken und sich suhlen können. Ihnen war aber schon damals klar, welch tragende Rolle ein funktionierendes Lüftungskonzept für eine hohe Tiergesundheit einnimmt.
Entschieden haben sie sich schlussendlich für eine Rieseldecken-Lüftung mit Unterflurabsaugung. Mit dieser Form der Zuluftführung wird eine großflächige Verteilung der Frischluft im Stall erreicht.
Der Vorteil: In Kombination mit einem Luft-Luft-Wärmetauscher, der die Frischluft erwärmt, können selbst im Winterhalbjahr ohne Zugluft-Entwicklung hohe Mindestluftraten gefahren werden. Das fördert die Luftqualität im Stall und federt in den Übergangszeiten die Tag-/Nachtschwankungen ab. „Ein System von dem nicht nur die Tiere, sondern auch wir profitieren“, betonen Angenendts.
Fazit
Der Betrieb Angenendt verzichtet seit mehreren Monaten versuchsweise auf das Schwanzkupieren. Damit dies gelingt, wurden eine Menge Ideen und zusätzliche Maßnahmen umgesetzt:
- Fresspausen und Gesundheitstrunk für Absetzferkel;
- Mikro-Suhle und Eiswürfel als abkühlende Beschäftigung;
- eigene Leistungsprüfung als Managementhilfe;
- optimierte Stalleinrichtung und Lüftung.
Dennoch hält Andre Angenendt eine zeitnahe Umsetzung in der breiten Praxis momentan für schwierig: „Nicht alle unsere Lösungen sind eins zu eins übertragbar. Dennoch kommen wir mit jedem Projekt dem Ziel einen Schritt näher“, sieht sich der Landwirt auf dem richtigen Weg.