Höhere Tierwohl-Standards gibt es nicht zum Null-Tarif. SUS zeigt, was ein zusätzliches Platzangebot sowie attraktiveres Spielzeug kosten und welche Systeme praktikabel sind.Das Thema Tierwohl ist in aller Munde. Gleich auf mehreren Ebenen arbeitet man mit Hochdruck an Konzepten, die mehr Tierschutz bzw. Tierwohl bieten sollen: Der Druck ist groß. Doch die Praktiker stellen sich die Frage, welche Tierwohl-Konzepte überhaupt umsetzbar sind. Die Funktionssicherheit der Ställe darf auf keinen Fall auf der Strecke bleiben. Der zweite Knackpunkt sind die Mehrkosten. Zwar scheint eine Teilgruppe der Verbraucher bereit, für Fleisch aus besonders tierfreundlichen Haltungssystemen mehr zu bezahlen. Doch für die breite Masse bleibt der Preis das Kaufkriterium Nummer 1. Das heißt: Die Luft für Preissteigerungen ist dünn! Im Folgenden bewerten wir zentrale Tierwohl-Aspekte hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit sowie ihrer Kosten. Wobei der Fokus auf der Mast liegt. Zum Start unserer Betrachtung geht es um ein erhöhtes Platzangebot für die Schweine. Denn dies ist stets ein Kernpunkt in der Diskussion um mehr Tierwohl. Basis der Kostenkalkulation ist das gesetzliche Platzangebot von 0,75 m2 je Mastschwein. Das erhöhte Platzangebot orientiert sich am so genannten Silber-Standard im Tierwohllabel des Deutschen Tierschutzbundes. Dieser fordert mit 1,1 m2 je Schwein rund 47 % mehr Platz als der Gesetzgeber. Zur Berechnung der Mehrkosten ermitteln wir die Direktkostenfreie Leistung (DkfL) eines vorhandenen Stallgebäudes. Dieses beherbergt bei 0,75 m2 Buchtenfläche je Tier rund 1 000 Schweine. Bei 2,8 Durchgängen und 3 % Verlusten kommen jährlich 2 716 Mastschweine an den Haken. Setzt man eine mittlere DkfL von 25 €/Tier an, erzielt der Stall rund 67 900 € DkfL im Jahr. Bei 1,1 m2 Buchtenfläche bietet derselbe Stall nur Platz für 682 Tiere. Aufgrund der geringeren Belegdichte könnte aber eventuell eine etwas bessere Wachstumsleistung erreicht werden. Für die weitere Kalkulation setzen wir ein Plus von 25 g täglicher Lebendmassezunahme an. So können 2,9 statt 2,8 Durchgänge abgeschlossen werden. Gleichzeitig unterstellen wir, dass ein zusätzliches Platzangebot sich positiv auf die Tiergesundheit auswirkt. Dies wird in der Kalkulation durch 0,5 % verminderte Verluste berücksichtigt. Insgesamt kommen im Tierwohl-Stall jährlich 1 928 Tiere zum Verkauf, was bei wiederum 25 € DkfL je Tier einer DkfL von 48 200 € für den Stall entspricht. Hinsichtlich der Energiekosten liegen beide Varianten in etwa gleichauf. So bringt die verminderte Belegdichte zwar geringere Lüftungskosten. Dem stehen jedoch höhere Heizkosten gegenüber. Unterm Strich gehen durch das erhöhte Platzangebot jedes Jahr 19 700 € DkfL verloren, weil weniger Tiere erzeugt werden. Das entspricht Mindererlösen bzw. erhöhten Produktionskosten von 10,20 € je Tier (siehe Übersicht 1). Der Verlust wächst, je erfolgreicher der Betrieb bisher mästet bzw. je höher der Schweinepreis ist. Die Umsetzbarkeit des erhöhten Platzangebotes scheint in Vollspalten-Ställen relativ problemlos. Bei Teilspalten steigt dagegen die Gefahr der Buchtenverschmutzung. Der zweite wichtige Aspekt in puncto Tierwohl ist ein erhöhtes Angebot von Liegeflächen. Laut Haltungsverordnung müssen in der Mast 50 % der Buchtfläche als Liegefläche bereitstehen. Wobei Spaltenböden mit maximal 15 % Schlitzanteil nach Definition als Liegefläche gelten. Gängige Spaltenböden für die Schweinemast erfüllen diese Vorgabe. Um den Verbrauchern eine Verbesserung im Tierwohl plakativ zu verkaufen, müsste man den Tieren Liegeflächen ohne Schlitze anbieten. Eine planbefestigte Fläche in Größe von 50 % der Bucht scheint somit auf den ersten Blick ein nachvollziehbarer Ansatz zu sein. Für vorhandene Mastställe heißt das: Die Hälfte der Spaltenböden müsste gegen geschlossene Betonelemente ausgetauscht werden. Der Kauf schlägt mit rund 28 € je Quadratmeter zu Buche. Hinzu kommt die Arbeit für das Austauschen des Bodens. Dies ist nicht zu unterschätzen, da u. U. auch Teile der Aufstallung demontiert werden müssen. Bei einem Lohnansatz von 15 €/Stunde kostet der Bodenaustausch etwa 30 € je ausgetauschtem Quadratmeter. Insgesamt muss man bei zehnjähriger Abschreibung mit Mehrkosten in Höhe von 0,80 € je Schwein rechnen. Der große Knackpunkt der Umrüs-tung auf Teilspaltenboden ist jedoch die Buchtensauberkeit. Insbesondere im Sommer besteht die Gefahr, dass die Tiere auf die geschlossene Liegefläche koten und harnen. In der Ebermast erhöht das die Gefahr von Geruchsabweichungen. Gegensteuern lässt sich nur durch eine effektive Stallklimaführung. Bei einigen Ställen bzw. Klimasystemen ist der Umbau auf Teilspaltenboden z. B. nur machbar, wenn der perforierte Boden, sprich der Aktivitätsbereich mit Tränke und Futterautomat, im hinteren Teil der Bucht angeordnet wird. Dies erschwert die Tier- und Futterkontrolle jedoch erheblich. Das heißt: Je nach vorhandenem Lüftungssystem ist der Umbau auf Teilspalten unpraktikabel bzw. nur mit gleichzeitiger Änderung des Lüftungssystems umsetzbar. Anpassungen derartigen Umfangs sind nicht mit vertretbaren Kosten realisierbar. Eng verbunden mit der Forderung nach mehr Platz und Liegeflächen ist die Forderung des Angebotes von Auslauf im Freien. So sieht z. B. der Gold-Standard des Tierwohllabels zusätzlich 0,5 m2 Auslauf je Mastschwein außerhalb des Stalles vor. Doch neben den immensen Mehrkosten ist die Integration eines Auslaufes in konventionellen Ställen praktisch unmöglich. So sind in klassischen Kammställen die wenigsten Buchten direkt an Außenwänden angeordnet, womit ein Zugang nach draußen nicht möglich ist. Zudem wäre aufgrund der Öffnung in der Stallwand eine Gleichdruck-Lüftung notwendig. Diese ist nur im Neubau und mit Mehrkosten realisierbar. Hinzu kommt ein enormes Hygiene-Risiko. Denn Schadnager oder Vögel kann man kaum effektiv vom Auslauf fernhalten. Probleme kann zudem die unkontrollierte Ausbreitung von Gerüchen aus dem Auslauf bereiten. Der nächste wichtige Punkt in Sachen Tierwohl ist der Verzicht auf die betäubungslose Kastration. Als Alternative favorisieren die meisten Tierwohl-Label die Ebermast. Denn das Plus an Tierwohl ist hier gut nachvollziehbar, weil der mit der Kastration verbundene Eingriff am Tier wegfällt. Wichtig sind allerdings Anpassungen im Management. Sonst können in der Ebermast vermehrt Aggressionen auftreten. Diese können Nachteile beim Tierwohl und den Leistungen verursachen. Die Ebermäster profitieren monetär zunächst von der um etwa 0,2 Punkte besseren Futterverwertung der unkastrierten Tiere. Dies entspricht bei aktuellen Futterpreisen einer Einsparung von etwa 5,70 € je verkauftem Schwein. Sollten die Eber aber höherwertigeres und damit teure-res Futter benötigen, ist der Vorteil bereits bei gut 2 Euro Mehrpreis aufgezehrt. Zudem müsste eine getrennte Futterzuteilung von Sauen und Jungebern gewährleistet werden können. Bei den Tageszunahmen und den Verlusten sind die Eber etwa gleichauf mit den Börgen. Ein zeitlicher Mehraufwand entsteht durch das Sortieren der Eber zum Verkauf. Nach der Einarbeitung scheint der Mehraufwand der Ebermast aber gering. Ob die Ebermast unterm Strich Vorteile für die Landwirte bringt, hängt derzeit letztlich vom Verkaufserlös ab. Wichtig ist dabei auch, ob der Schlachtbetrieb weiter das Riskio für Tiere mit Geruchsabweichungen trägt. Bei den momentanen Rahmenbedingungen können gut aufgestellte Betriebe mit der Mast von Jungebern gegenüber der Börgemast leichte Vorteile erwirtschaften. Ob das bei einer weiteren Etablierung der Ebermast so bleibt, ist jedoch fraglich. Eine weitere Alternative zur betäubungslosen Kastration ist der Einsatz einer Narkose. Erste Praxisstudien zeigen, dass dieser Weg durchaus gangbar ist. Allerdings ist die Kastration unter Isofluran-Narkose mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Diese können je nach Betriebsgröße 1,30 bis 2,50 € je männlichem Ferkel betragen. Kritisch ist zudem der Anwenderschutz zu sehen. Vermutlich bleibt die Kastration unter Narkose eine Lösung für Nischen-Märkte. Ähnlich ist die Einschätzung für eine weitere Alternative: Die Impfung gegen Ebergeruch. Zwar ermöglicht die Immuno-Kastration Vorteile bei den Mastleistungen. Diese werden jedoch durch den Mehraufwand von etwa 4 € je Schwein für die zweimalige Impfung der Tiere wieder aufgezehrt. Hinzu kommt: Es wird vermutlich schwer, beim Verbraucher durch Aufklärung die notwendige Akzeptanz für die Kastration per Spritze zu vermitteln. Ein weiterer Ansatz zur Verbesserung des Tierwohls ist das Angebot von mehr oder attraktiverem Beschäftigungsmaterial. Laut Verordnung muss jedes Tier jederzeit freien Zugang zum Spielmaterial haben, das untersucht, bewegt und verändert werden kann. In der Mast kommen in der Regel Ketten zum Einsatz. An deren Ende sind veränderbare Materia-lien wie Kunststoff oder Holz montiert. Diese Beschäftigungsmaterialien sind zwar haltbar und gut zu reinigen. Sie sind allerdings für die Tiere oft schon nach kurzer Zeit bekannt und daher nicht mehr so interessant. Sie werden entsprechend wenig genutzt. Auch helfen sie meist nur wenig bei Problemen mit Kannibalismus. Die Attraktivität von Spielmaterial zu steigern, ist nicht leicht. Holländische Versuche zeigen, dass Spielzeug interessanter wird, wenn es nur zeitweise bereitsteht, z. B. nur für je zwei Stunden. In Studien wurden verschiedene Spielzeuge an einem Gerüst montiert, das per Seilzug nach oben gezogen werden kann. Die Annahme durch die Tiere ist hoch, allerdings auch die Mehrkosten. So müssen neben dem Seilzug sehr viele Spielzeuge gekauft werden. Denn während der begrenzten Spielzeiten wollen alle Tiere gleichzeitig zum Zuge kommen. Ein anderer Weg ist das Angebot von Materialien, mit dem die Schweine sich beschäftigen und das aufgenommen werden darf. Verbreitet hat sich dabei Stroh. Denn es bietet die Möglichkeit zum Wühlen, Kauen und Fressen. Wichtig ist aber, dass das Stroh eine hohe hygienische Qualität hat und keine Pilz- oder andere Keimbelastungen aufweist. Die höchste Attraktivität hat für Schweine Langstroh. Der Verbrauch ist allerdings sehr hoch, wenn dieses z. B. in einer Raufe angeboten wird. Bei Langstroh besteht außerdem die Gefahr von Verstopfungen im Güllesystem. Zudem können sich Schwimmschichten bilden, die zur Ausbreitung von Fliegen beitragen können. Ein guter Kompromiss zwischen Attraktivität und Praktikabilität ist der Einsatz von gehäckseltem Kurzstroh. Es lässt sich besser dosieren. Und bei kontrollierter Einsatzmenge ist die Gefahr für das Güllesystem geringer. Zur besseren Dosierung von Kurzstroh hat die Landwirtschaftskammer NRW den „Düsser Wühlturm“ entwickelt. Der rohrförmige Automat stellt das Kurzstroh in einstellbaren Mengen bereit. Der Wühlturm wird sehr gut angenommen. Allerdings ist die notwendige Strohmenge mit 50 g/Tier/Tag nicht zu unterschätzen. Bei aktuellen Preisen entstehen hierdurch Strohkosten von rund 70 Cent je verkauftem Schwein. Hinzu kommt die zusätzliche Arbeit. In einem 120er-Mastabteil sind rund 750 kg Stroh je Durchgang von Hand in den Stall zu bringen! Für die Mehrarbeit sowie die Anschaffung des Strohautomaten kalkuliert die Landwirtschaftskammer NRW Kosten von 1,30 €/Tier. Insgesamt summieren sich die Kosten des Strohangebots auf 2 € je Schwein. Eine weitere Möglichkeit zur Vorlage von Kurzstroh sind gepresste Stangen. Hier ist das Stroh mit Melasse verklebt. Die Strohstangen werden in zylindrischen Vorratsbehältern mit einer Öffnung im unteren Teil vorgelegt. Die Kosten betragen bei durchgängiger Vorlage laut Hersteller im Mittel 2,40 € je Mastschwein. Der Druck zur Verbesserung des Tierwohls ist groß. Doch werden gleichzeitig mehrere Tierwohl-Aspekte gefordert, steigen die Produktionskosten um bis zu 15 € je Mastschwein! Bevor man neue Standards fixiert, sollte man stets die Praktikabilität und die Mehrkosten kritisch prüfen. Außerdem muss sichergestellt sein, dass der Markt die höheren Produktionskosten einspielt und das Geld auch bei den Bauern ankommt. Der Landwirt hat dadurch aber noch keinen höheren Gewinn, obwohl Fleisch für den Verbraucher teurer geworden ist! Was kostet 50 % mehr Platz? Geschlossene Liegefläche macht Probleme Welche Alternativen haben wir zur Kastration? Was kostet attraktiveres Spielmaterial? Stroh kommt gut an, aber … Hoher Strohverbrauch Wir halten fest Lebensmittelhandel und Schlachtbranche diskutieren verschiedene Konzepte für mehr Tierwohl in der Kette. Berlin feilt an verschiedenen Verschärfungen im Tierschutz-Gesetz. Tierschützer und „Die Grünen“ wollen gar unsere gesamten Haltungssysteme radikal umbauen. -Dr. Heiko Janssen, LWK Niedersachsen-