SUS: Auf der EuroTier waren viele Abferkelbuchten ohne Schutzkörbe zu sehen. Warum dieses starke Präsenz? Meyer: Ab 2013 sind Kastenstände für tragende Sauen verboten. In den kommenden Jahren wird man möglicherweise den Fokus auf das Deckzentrum und später auf den Abferkelbereich richten. Um Kompetenz zu zeigen, haben etliche Stallbaufirmen auf der letzten EuroTier Prototypen von Bewegungsbuchten ausgestellt. Ohne ins Detail zu gehen: An den Konzepten wird man weiter feilen müssen! Boll: Der politische Druck nimmt zu. Wir sind aufgefordert, Konzepte zu entwickeln, die der säugenden Sau mehr Bewegungsfreiheit bieten. Wir wissen sehr genau, wie eine Bucht mit Ferkelschutzkorb auszustatten ist. Bei der Bewegungsbucht stehen wir aber erst am Anfang. Es hilft wenig, Systeme aus der Biohaltung zu kopieren. Vielmehr sollten wir jetzt zusammen mit der Industrie Konzepte erarbeiten, die in konventionell arbeitende Betriebe passen. Dabei ist der gestiegene Arbeitsdruck ebenso zu berücksichtigen wie die Forderung nach mindestens zwölf gut entwickelten, gesunden Ferkeln je Wurf. Die Entwicklung solcher Konzepte erfordert Zeit. SUS: Bewegungsbuchten gab es schon früher. Hilft der Blick zurück? Boll: Ich glaube nicht! Heute wirft eine Sau 14 bis 16 Ferkel, die leicher sind. Moderne Genetiken verhalten sich anders als jene Sauen, die vor vierzig Jahren in unseren Ställen standen. Die Anforderungen an die Haltungssysteme haben sich grundlegend verschoben. SUS: Welche konkreten Vorteile werden mit dem Freilauf der Sauen verknüpft? Meyer: Bewegung vor dem Abferkeln kann die Geburtsphase verkürzen sowie Verstopfungen und somit MMA vorbeugen. Auch später tut den Sauen Bewegung gut. Möglicherweise lassen sich hieraus positive Effekte für die Gesundheit und Langlebigkeit der Sauen ableiten. Dies ist allerdings in Langzeitstudien noch abzuklären. SUS: Das Erdrückungsrisiko für die Ferkel nimmt zu, wie zahlreiche Studien belegen! Meyer: Erdrückungsverluste treten vorrangig in den ersten 48 Stunden nach der Geburt auf. Für die ersten zwei Tage halte ich derzeit eine Fixierung der Sau für unverzichtbar. In Futterkamp werden die Sauen zunächst mit Ferkelschutzkorb eingestallt, damit sie sich an die Situation gewöhnen. Danach wird der Stand geöffnet, kurz vor der Geburt bis drei Tage nach der Abferkelung jedoch wieder geschlossen. Die Sau bekommt erst wieder Bewegungsfreiheit, wenn die Ferkelbehandlungen abgeschlossen bzw. verkraftet worden sind. Sonst herrscht Chaos in der Bucht. Unsere Erfahrung: Bei anfänglicher Fixierung und fitten, optimal konditionierten Sauen müssen die Ferkelverluste nicht höher ausfallen. Boll: Auch bei schwerfälligen oder kranken Sauen dürfen die Ferkelverluste nicht in die Höhe schnellen. Zudem ist die Funktionalität einer Bewegungsbucht nicht allein an den Ferkelverlusten zu messen. Vielmehr kommt es auch auf die Standsicherheit, ein möglichst geringes Verletzungsrisiko für die Tiere sowie auf die Buchtensauberkeit an. Daneben spielen auch arbeitswirtschaftliche Aspekte und Übersichtlichkeit eine Rolle. SUS: Bewegungsbuchten fallen in der Regel größer aus als konventionelle mit Ferkelschutzkorb. Meyer: Wir haben Buchten mit einer Gesamtfläche von 5,5 m2 im Einsatz, die in der Tat nur für kleinrahmige bzw. junge Sauen geeignet sind. Das heißt, die Buchten müssen größer ausgelegt sein als herkömmliche, konventionelle Abferkelsysteme mit Kastenstand. Laufende Versuche werden zeigen, welche Abmessungen ideal sind. SUS: Die Investitionskosten würden bei Umstellung auf Freilauf also steigen? Meyer: Wenn ich je Bucht nur einen Quadratmeter umbauten Raum mehr berechne, steigen die Investitionskosten um ca. 320 € je Bucht. Auch müssen die Buchtenwände verstärkt bzw. hochgezogen werden. Man kann also durchaus mit einem Aufpreis von 500 bis 1 000 € je Bucht rechnen. Boll: Somit würden die Produktionskosten definitiv ansteigen! Der in diese Aufstallung investierende Ferkelerzeuger braucht also höhere Erlöse. Letztlich muss der Verbraucher bereit sein, den verbesserten Tierschutz zu honorieren. SUS: Bei heutigen Varianten mit Ferkelschutzkorb wird für die Standfläche der Sau oftmals ein Kombiboden vorgesehen. Ist dieser passé, wenn die Bewegungsbucht kommt? Meyer: In einer Bewegungsbucht sollte der Boden im Sauenbereich vollperforiert sein. Elemente mit vermindertem Schlitzanteil sind nicht angebracht, da die Liegeposition der Sau wechselt. SUS: Wie sieht es mit der Sauberkeit in der perforierten Bucht aus? Meyer: Nach bisherigen Erfahrungen müssen wir hier noch Kompromisse eingehen! Sauenkot kann im schlimmsten Fall sogar im Ferkelnest oder im Sauentrog landen. SUS: Wie sinnvoll ist die Frische-Nasen-Lüftung in einer Bucht mit wechselnder Liegeposition der Sau? Meyer: Wir müssen Anreize schaffen, dass sich die Sau trotz der Bewegungsfreiheit bevorzugt in gleicher Richtung und Position hinlegt. Wir wissen, dass sie gern das Ferkelnest im Blick hat und unverbrauchte Luft einatmen möchte. Insofern spielt die Positionierung der Zuluftsysteme bei Bewegungsbuchen eine noch größere Rolle. Zudem hat die Frische-Nasen-Lüftung ja auch positive Effekte auf das Wohlbefinden und die Futteraufnahme. SUS: Das heißt, das Ferkelnest sollte doch neben dem Trog und nicht am Gang angeordnet sein? Meyer: Auch dieses Detail ist nicht geklärt, ebenso die Positionierung der Ferkeltränke und vieles mehr. Laufende Praxisversuche werden hierzu Erkenntnisse bringen. SUS: Wie ist es um den Arbeitsschutz bestellt? Meyer: Die heutigen Genetiken sind ruhiger, d. h. weniger aggressiv als frühere Generationen. Doch wenn der Mutter-instinkt durchschlägt, können Abwehrreaktionen für den Betreuer gefährlich werden. Muss ein einzelnes Ferkel für eine Behandlung gefangen werden, kann dies zum Problem werden. SUS: In Futterkamp wurde ein System erprobt, welches das Gruppensäugen zulässt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Meyer: Beim Gruppensäugen geht man noch einen Schritt weiter. Das Problem sind generell niedrigere Absetzgewichte sowie überforderte Erstlingssauen. Zum einen weil sie von den starken Altsauen in ihre Schranken verwiesen werden, zum anderen weil auch Ferkel anderer Sauen lieber die offenbar schmackhaftere Milch der Erstlingssauen trinken wollen. SUS: Tierschützer fordern zusätzliches Nestbaumaterial. Wie stehen Sie dazu? Meyer: Der Nestbau gehört zur Vorbereitung der Sau auf die Geburt dazu. In konventionellen Systemen bearbeiten die Sauen quasi als Ersatz die Buchteneinrichtung. Sie scharren mit den Vorderfüßen und legen sich dabei sehr häufig hin und stehen wieder auf. Derzeit erkennen wir keine Nachteile. Einige Betriebe setzen vor der Geburt z. B. Jutesäcke ein, die allerdings schnell zum Hygieneproblem werden können. Auch eine Handvoll Häckselstroh hilft nicht wirklich. Die Lösung könnten speziell für dieses Bedürfnis entwickelte, hygienisch einwandfreie Spielzeuge sein, welche kurzzeitig zum Einsatz kommen. SUS: Was raten Sie Landwirten, die jetzt in neue Abferkelbuchten investieren wollen? Boll: Da die Stalleinrichtungen über 10 bis 15 Jahre abgeschrieben werden, fordern die Landwirte Planungssicherheit. Dazu gehört ein entsprechender Bestandsschutz für aktuelle Abferkelsysteme mit Kastenstand! Ob und wann herkömmliche Systeme von Bewegungsbuchten abgelöst werden, ist schwer einzuschätzen. Ebenso ist ungewiss, wie viel Zeit uns die Politik geben wird. Meyer: Vor diesem Hintergrund rate ich mittlerweile investitionswilligen Landwirten, großzügige Abferkelbuchten von 2,0 x 2,6 m einzurichten. Die Buchtenfläche liegt dann bereits bei 5,2 m2. Wenn dann noch über Futtergänge Platzreserven eingeplant werden, wäre ein eventuelles Umstellen auf Bewegungsbuchten weniger problematisch. SUS: Wir danken für das Gespräch! -Heinrich Niggemeyer, SUS-