Dr. Friedrich Schmoll, Universität Leipzig Circovirus die schwierige Suche nach Lösungen. Circoviren bereiten große Sorgen, und wirklich durch-schlagende Lösungsansätze sind bislang nicht gefunden worden. Jetzt hoffen viele Schweinehalter auf die Impfung. B eim Krankheitsbild PMWS (Postweaning and Multisystemic Wasting Syndrom) kommt es zum Kümmern der Tiere nach dem Absetzen durch Erkrankung verschiedener Organsysteme. Schon seit Jahrzehnten ist das Krankheitsbild in Schweinebeständen zu finden, hochgradige Verluste mit mehr als 20 % Ausfällen im Ferkelaufzuchtstall treten in größerem Umfang jedoch erst seit Mitte der 90iger Jahre auf. Warum, darüber kann bis heute nur spekuliert werden. Auf der Suche nach Erklärungen stoßen Forscher weltweit immer wieder an Grenzen. Vergrößerte Lymphknoten Das mit dem Circovirus in Verbindung gebrachte Krankheitsbild PMWS ist durch eine ausgeprägte Erkrankung des lymphatischen Gewebes gekennzeichnet. Der Krankheitsverlauf äußert sich durch das zunehmende Kümmern der Ferkel besonders im Alter von acht bis 14 Wochen. In manchen Betrieben werden Ausfälle von bis zu 30 % beschrieben. Neben dem Abmagern sind die häufigsten klinischen Symptome Nasen- und Augenausfluss, Atemnot, Husten sowie Gelbsucht. Häufig werden auch Durchfälle beschrieben. Als wichtigster und entscheidendster klinischer Anhaltspunkt für eine Erkrankung gelten stark vergrößerte Lymphknoten, die besonders bei der Sektion der Tiere auffallen. Bei der mikroskopischen Untersuchung kann zudem eine Verarmung an bestimmten Immunzellen beobachtet werden. Auch kommt es zur Bildung von mehrkernigen Riesenzellen und zum Auftreten von so genannten Einschlusskörperchen. Hierzu kommt es, wenn die Tiere es mit Hilfe ihres Immunsystems nicht mehr schaffen, mit der Circovirusinfektion fertig zu werden. Besonders problematisch für die Forscher ist die Tatsache, dass das Virus in sehr vielen Betrieben nachzuweisen ist, aber nur in einigen Beständen deutliche Krankheitssympthome auftreten. Die Diagnose PMWS kann deshalb nicht ausschließlich über den Nachweis des Virus oder der Antikörper gestellt werden, wie dies bei vielen anderen Infektionskrankheiten üblich ist! Anders als zum Beispiel bei Schweinepest oder PRRS ist bei Circoviren der Virusnachweis nicht gleichbedeutend mit der Erkrankung. Da auch nicht jedes Kümmern selbst mit Circovirusnachweis gleich PMWS bedeutet, wurde im Jahre 2000 per Definition festgelegt: Die Diagnose PMWS darf nur dann gestellt werden, wenn alle drei nachstehenden Kriterien für ein Schwein bzw. für eine Gruppe erfüllt sind. Diese Kriterien sind die zuvor beschriebenen klinischen Befunde, die charakteristischen pathomorphologischen Veränderungen und der Erregernachweis in den charakteristischen Veränderungen. Diese Faktoren spielen eine Rolle Welche Faktoren neben der porcinen Circovirusinfektion tatsächlich den Ausbruch der Erkrankung auslösen, ist nach wie vor Inhalt zahlreicher Forschungsprojekte. Koinfektionen: Zur Diskussion stehen Koinfektionen mit PRRSV, Schweineinfluenzavirus, Porzinem Parvovirus, Mykoplasmen, Pasteurellen, Haemophilus parasuis, Salmonellen usw. (siehe Übersicht 1). Die Koinfektionen begünstigen dabei nicht nur die Entstehung von PMWS, sondern das verantwortliche Circovirus vom Typ 2 (PCV 2) beeinflusst umgekehrt auch die Immunitätsausbildung im Zuge von Infektionen oder Impfungen. So haben PRRSV-vakzinierte, PCV 2-positive Tiere einen wesentlich geringeren Schutz gegenüber einer nachfolgenden PRRSV-Infektion als PCV 2-negative Kontrolltiere. Stress: Als weitere Einflussfaktoren werden Stress, verursacht durch Haltungs-, Fütterungs- und Stallklimamängel sowie Neugruppierungen und die Verabreichung von Stoffen, die das Immunsystem der Tiere anregen oder belasten, als Krankheitsauslöser diskutiert. Virustyp: Mittlerweile werden Unterschiede im Genom des Virus vermutet. So behauptet eine Arbeitsgruppe, dass der Anstieg der Verluste in der Ferkelaufzucht von 5,3 auf 7,5 % im Jahr 2005 in einer kanadischen Region, in der jährlich mehr als 1 000 000 Tiere vermarktet werden, auf Sequenzunterschiede im Circovirusgenom zurückzuführen ist. Seit einiger Zeit werden Circoviren daher in PCV 2a- und PCV 2b-Genotypen unterteilt. Auch eine Anfang September erschienene Publikation in der Wissenschaftszeitschrift Journal of Swine Health and Production berichtet über einen möglichen Zusammenhang zwischen stark krankmachenden Virusstämmen aus der Untergruppe PCV 2b. Dabei wurden PCV 2DNASequenzen aus Betrieben mit hohen Verlusten mit Isolaten aus Betrieben verglichen, die zwar PCV 2 positiv sind, aber keine typischen Erkrankungsbilder zeigten. Alle hoch pathogenen Stämme gruppierten sich nach Aussage der Verfasser in die Untergruppe PCV 2b. Bislang wurden in Nord-amerika vielfach nur PCV 2-Isolate aus der Gruppe PCV 2a nachgewiesen. Die Untersuchung wurde in Kansas durchgeführt. PCV 2bIsolate werden in Amerika bislang häufig als neu auftretend und als gefährlich eingestuft. Genauere und globale PCV 2-genetische-Analysen zeigen jedoch, dass Stämme der Gruppe PCV 2b in Europa schon seit Jahren vorkommen und mit denen aus Kansas in einem nahen Verwandtschaftsverhältnis stehen. In Europa werden in den verschiedenen PCV 2Untergruppen sowohl stark pathogene als auch Isolate, die keine Krankheitsbilder und nennenswerten Verluste in den Betrieben verursachen, nachgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen bestimmten, neu auftretenden Virusstämmen und hohen Verlustraten kann daher für Europa nicht schlüssig nachvollzogen werden. Genetik: Auch individuelle und rassespezifische Einflüsse werden diskutiert. In einer französischen und in eigenen Studien konnte gezeigt werden, dass die meisten Ferkel, die PMWS entwickeln, von einigen wenigen Sauen abstammen (Sauen- oder Wurfeffekt). Manchen Rassen oder Linien sagt man eine geringere Empfindlichkeit nach. Studiert man diese Untersuchungen allerdings im Detail, so kann man den Argumenten meist nicht schlüssig folgen, da die verwendete Tierzahl in den experimentellen Untersuchungen meist zu gering ist, oder die unter Feldinfektionen erhobenen Daten nicht wirklich vergleichbar oder reproduzierbar sind. Groß angelegte internationale Forschungsprojekte wären in diesem Bereich deshalb wünschenswert und nötig. PDNS gewinnt an Bedeutung Neben PMWS wurden und werden verschiedene andere Krankheitsbilder mit Circovirus- Infektionen in Zusammenhang gebracht, die heute unter dem Begriff PCVAD oder PCVD zusammengefasst werden (siehe Übersicht 2). Die Abkürzungen stehen für Porcine Circovirus Associated Diseases also Circovirus-bedingte Erkrankungen. Bei aller Circovirusgläubigkeit muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Henle- Kochschen Postulate, die die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Erreger und Wirt beschreiben, ausschließlich für PMWS erfüllt sind. Das heißt: Es ist nach wie vor nicht bewiesen, dass PCV 2 tatsächlich für all diese Krankheitsbilder primär verantwortlich ist! Neben dem PMWS kommt heute dem PDNS (Porzines Dermatitis und Nephropathie Syndrom) eine immer größere Bedeutung zu, weil diese Erkrankung in einigen Betrieben inzwischen doch zu erheblichen finanziellen Verlusten führt und die Abgrenzung gegenüber der Schweinepest sich manchmal schwierig gestaltet. Die Ursache und Entwicklung von PDNS konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden, doch werden sehr häufig PCV 2-Viren in PDNS-positiven Tieren nachgewiesen. Des Weiteren lässt das lokale und zeitlich gemeinsame Auftreten von PDNS und PMWS einen Zusammenhang von PCV 2 und PDNS vermuten. In Infektionsversuchen ist es bis heute allerdings noch nicht gelungen, PDNS konstant zu reproduzieren. Das Krankheitsbild, das besonders durch die punkt- bis flächenförmigen Blutungen der Haut, meist ausgehend von den Hinterschenkeln und den Nierenveränderungen, charakterisiert ist, wurde erstmals 1993 in England beschrieben. Mittlerweile gibt es aber ebenso wie bei PMWS Krankheits- berichte aus fast allen für die Schweineproduktion wesentlichen Ländern. Meistens erkranken nur wenige Tiere in der Regel im Alter von drei bis fünf Monaten. Dabei zeigen sie sich oft gut entwickelt. Die Entzündung in den Blutgefäßen lässt auf ein Krankheitsgeschehen schließen, das durch Veränderungen im Immunsystem ausgelöst wird. Auch hier spielen wahrscheinlich verschiedene Infektionskrankheiten wie PRRSV, Streptokokken und Pasteurellen, aber auch Allergene (Medikamente, Futtermittel, usw.) eine Rolle. Die Bekämpfung der genannten Infektionserreger führte sodann auch zu einer Besserung in einigen Betrieben. Weitere Circovirus-bedingte Krankheitsbilder Neben den zuvor beschriebenen Krankheitsbildern PMWS, PDNS und den verschiedenen Reproduktionsstörungen können PCV 2-Infektionen in unterschiedlichen Organen mehr oder weniger eigenständige Krankheitsbilder hervorrufen. So kann eine mit PCV 2 in Verbindung gebrachte Hepatitis mit massiven Zellnekrosen und Gelbsucht beschrieben werden. PCV 2-Infektionen können außerdem im Darm zu Durchfällen führen. Besonders in Fällen, in denen bakteriologische Untersuchungen keine klaren Befunde ergeben und Therapien ohne Erfolg bleiben, sollte eine PCV 2-Infektion mit abgeklärt werden. Gleiches gilt für Atemwegserkrankungen. So konnte gezeigt werden, dass eine PCV 2-Infektion einerseits Wegbereiter für andere Lungeninfektionen ist, andererseits aber auch selbst schwere Lungenentzündungen hervorrufen kann. PCV 2 wird ebenso mit Störungen des Zentralnervensystems in Verbindung gebracht. Der Nachweis von PCV 2 im Gehirn und im Rückenmark von neugeborenen Zitterferkeln ist bereits gelungen. Auch im Nervensystem von Läufern wurde das Virus entdeckt. Diese Tiere zeigen Störungen in Form von unkoordinierten Bewegungen bis hin zur Seitenlage mit Ruderbewegungen, ähnlich wie dies bei Streptokokken-infektionen zu beobachten ist. Bei der Sektion der befallenen Tiere kann man zum Teil hochgradig gerötete Hirnhäute finden. Daher sollte bei nichteitrigen Entzündungen des Zentralnervensystems, neben den anzeigepflichtigen Krankheiten Schweinepest, Aujeszkysche Krankheit und Teschen/Talfan (Schweinelähme), auch eine Circo-virusinfektion mit abgeklärt werden. Vorsicht bei PCR-Befunden Mit molekulargenetischen Methoden wie der Polymerasekettenreaktion (PCR) werden Circoviren häufig in lebensschwachen, totgeborenen und in abortierten Föten nachgewiesen. So konnten in deutschen und österreichischen Untersuchungen, neben dem Nachweis von anderen Erregern wie PRRSV, Parvovirus usw., in 10 bis über 20 % der diesbezüglich untersuchten Proben Circoviren nachgewiesen werden. In verschiedenen, experimentellen Untersuchungen konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass es bei einer intrauterinen Infektion der Föten nur zu einem langsamen Fortschreiten der Infektion von einem zum nächsten Fötus kommt. Je nach Infektionszeitpunkt und Fortschreiten der Infektion kam es zu Aborten oder normalen Geburten. Dabei wurden Mumien, totgeborene Föten und Ferkel, lebensschwache Tiere aber auch normal entwickelte Ferkel beobachtet. Die zahlreichen PCV 2-positiven PCR- Befunde dürfen jedoch nicht überinterpre- tiert werden. Denn nicht jeder PCR-positi- ve Befund bedeutet, dass Circoviren wirk- lich für das vorliegende Geschehen verantwortlich sind. Mit der PCR werden vielmehr nur Teile des PCV 2-Genoms nachgewiesen! Damit wird noch nichts über die Vermehrungsfähigkeit, Infektiosi- tät oder Pathogenität des Virus selbst aus- gesagt. Andere infektionsbedingte und nichtinfektionsbedingte Ursachen für Re- produktionsstörungen sind deshalb unbe- dingt abzuklären. Risikofaktor Eber? Die Bedeutung von PCV 2 bei Besa- mungsebern ist ebenfalls ein viel diskutier- tes Thema. Neben dem Jungsauenbezug sind Eber bzw. deren Samen für viele Be- triebe die einzige Schnittstelle zu anderen Schweinebetrieben und damit als mögliche Erregereintragsquelle für bestimmte Krank- heitserreger von zentraler Bedeutung. In Infektionsversuchen konnte die Aus- scheidung von PCV 2 im Samen mittels PCR nachgewiesen werden. Interessant ist, dass die Ausscheidung nicht kontinuierlich erfolgt. Manchmal ist das Ejakulat der Tie- re positiv, dann wieder negativ. Und wie lange PCV 2 nach einer Infektion ausge- schieden wird, ist noch nicht bekannt, je- denfalls aber mehrere Wochen. Auch unter Feldbedingungen wurde die Ausscheidung von Virus über den Samen dokumentiert. In einigen Untersuchungen wurde in den Ejakulaten von mehr als 30 % der untersuchten Tiere das PCV 2-Genom nachgewiesen. Serologische Untersuchungen der Veteri- närmedizinischen Universitäten in Wien und Leipzig haben gezeigt, dass die Mehr- zahl der Besamungseber Antikörper gegen PCV 2 aufweisen. Akute Infektionen wur- den bei den untersuchten Tieren allerdings nicht nachgewiesen, sodass man darauf schließen kann, dass diese Eber ihre PCV 2- Infektion bereits in der Ferkel- oder Eber- aufzucht erfolgreich überstanden haben. Dennoch wurde bei einigen dieser Eber PCV 2 mittels PCR im Ejakulat nachgewie- sen. Nach eigenen und nordamerikani- schen Untersuchungen ist PCV 2 im Ejaku- lat eher bei jüngeren als bei älteren Ebern nachzuweisen. Interessant sind in diesem Zusammen- hang auch Ergebnisse zu Risikoanalysen für das Auftreten von PMWS. In diesen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Betriebe, die Samen von Eberstatio- nen beziehen, ein geringeres Risiko für die Entstehung von PMWS eingehen als Be- triebe, die mit Bestandsebern arbeiten. Be- troffene Betriebe sollten daher künftig Ebersamen von Besamungsstationen bezie- hen. Dieses Vorgehen bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Sperma von Genetiken zu kaufen, die eventuell weniger empfi ndlich auf PMWS reagieren. Festzuhalten bleibt Circoviren führen in Schweine haltenden Betrieben zu hohen Verlusten. Die Suche nach den Ursachen und nach wirksamen Therapiemöglichkeiten gestaltet sich schwierig. Festhalten lässt sich zum heuti- gen Zeitpunkt: Die Diagnose PMWS darf nur dann ge- stellt werden, wenn eindeutige klinische Befunde und für die Erkrankung charakte- ristische pathomorphologische Verände- rungen vorliegen sowie der Erregernach- weis gelungen ist. Stark in der Diskussion sind Vermutun- gen, dass es aggressive und weniger ag- gressive Circovirustypen gibt. Auch rasse - spe zifi sche Einfl üsse werden mittlerweile vermehrt diskutiert. Dringend notwendig wären groß an gelegte Forschungsprojekte. Inwieweit PCV 2 für andere Krankheits- bilder wie zum Beispiel Darmentzündun- gen, Reproduktionsstörungen usw. verant- wortlich ist, ist weitestgehend unklar. Positive PCR-Erregerbefunde dürfen nicht überinterpretiert werden, da hiermit nur Teile des PCV 2-Genoms nachgewiesen werden. Im Ebersamen konnte PCV 2 bereits nachgewiesen werden. Unklar ist aber, wie lange das Virus ausgeschieden wird. - Schmoll,Friedrich -