Ab 2019 darf bei uns nicht mehr betäubungslos kastriert werden. Welche Erfahrungen hat die Schweiz mit der Ferkelnarkose gemacht?
Heinrich Niggemeyer, SUS
Beim Thema Ferkelkastration drängt die Zeit. In gut zwei Jahren wird die betäubungslose Kastration verboten sein. Dann reicht die derzeit übliche Schmerzbehandlung vor der Frühkastration nicht mehr aus.
Alternative Verfahren sind auf dem Prüfstand. Dazu gehören die Mast intakter Eber, die Impfung gegen Ebergeruch sowie die Ferkelkastration unter Narkose. Nach derzeitigem Stand ist keine dieser Varianten frei von Nachteilen. Somit muss sich jeder Halter überlegen, welche Kompromisse er in Zukunft eingehen möchte.
Die Ebermast bzw. das Verfahren mit Impfung gegen Ebergeruch berühren vor allem Aspekte des Tier- oder Verbraucherschutzes. Bei der Kastration unter Narkose sind es unter anderem die Kosten, die auf die Ferkelerzeuger zukommen. Viele befürchten, dass sie diese weder weitergeben noch kompensieren können.
Mehrjährige Erfahrungen aus der Schweiz
In der Schweiz ist seit dem Jahr 2010 die chirurgische Ferkelkastration verboten. Für die Schmerzausschaltung werden einerseits die Inhalationsnarkose mit Isofluran und andererseits die Injektionsnarkose mit Ketamin und Azaperon (Stresnil) empfohlen.
Die Isoflurannarkose darf in der Schweiz vom Landwirt durchgeführt werden. Die intramuskuläre Applikation der Injektionsanästhetika ist jedoch zwingend vom Tierarzt auszuführen. Sie wird vor allem in kleineren Betrieben angewendet. Die Ebermast sowie die Impfung gegen Ebergeruch spielen in der Schweiz keine Rolle.
Um die Umsetzung der schmerzfreien Ferkelkastration zu beurteilen, wurden insgesamt 600 Fragebögen an zufällig ausgewählte Ferkelerzeugerbetriebe versandt. Von den verschickten Bögen kamen 243 ausgefüllt zurück, was einer Rücklaufquote von 40,5% entspricht. Das Department für Nutztiere, Abteilung Schweinemedizin, an der Universität Zürich wertete 60 Fragebögen zum Thema Injektionsanästhesie und 183 Fragebögen zur Inhalationsnarkose aus.
Im zweiten Schritt wurden weitere Adressen von 185 Betrieben ausgewählt. Die Betriebsleiter wurden telefonisch informiert und anschließend besucht. 100 der besuchten Betriebe wendeten die Inhalationsnarkose an. Weitere 30 Betriebe setzten die Injektionsnarkose um.
Während des Besuches sollten die Betriebsleiter bzw. deren Tierärzte die Kastration wie gewohnt durchführen. Anhand eines Protokolls wurden alle relevanten Daten zur Narkose, zur Kastration und zum Management erfasst.
Saugferkel waren bei Narkose älter
Bezüglich des Alters der Ferkel traten große Unterschiede zwischen der Injektions- und Inhalationsnarkose auf.
Zunächst zur Injektion: Zum Zeitpunkt der Kastration waren lediglich 3% der Ferkel jünger als 8 Tage. Insgesamt wurden 28% der Tiere in den ersten zwei Wochen und 65% der Ferkel in der dritten und vierten Lebenswoche kastriert. Im Mittel wogen die Ferkel bereits 5 kg.
Wurde die Inhalationsnarkose angewendet, waren die Ferkel deutlich jünger. In 43,5% der befragten und in 42% der besuchten Betriebe wurden die Ferkel in der ersten Lebenswoche kastriert. Bei 53,5% der befragten und bei 52% der besuchten Betriebe waren die Ferkel bei der Kastration ein bis zwei Wochen alt und in 3% der befragten und 6% der besuchten Betriebe wurden die Ferkel erst nach der zweiten Lebenswoche kastriert.
Je älter die Tiere bei der Kastration sind, desto größer fällt der Schnitt aus und desto länger dauert es, bis die Wunde verheilt ist. Da die Ferkel bei der Narkose generell etwas älter sind, wäre dies ein Minuspunkt. Bei der Befragung wurde die Wundheilung jedoch generell noch als gut bezeichnet, auch wenn sie im Vergleich zur Kastration ohne Schmerzausschaltung als schlechter eingestuft wurde.
Narkose bei über 4000 Ferkeln beurteilt
Die meisten der befragten Landwirte gaben an, dass die Kastration unter Schmerzausschaltung viel ruhiger abläuft und angenehmer ist als während der Zeit ohne Schmerzausschaltung. Gelegentlich auftretende Abwehrbewegungen wurden toleriert und nicht mit der Qualität der Narkose in Verbindung gebracht.
Zu aussagekräftigeren Ergebnissen führten die Bewertungen der Narkosetiefe bei den Besuchen. Hier wurde die Qualität der Anästhesie anhand der Reaktionen der Ferkel während der Kastration in Grade von 1 (keine Bewegung) bis 4 (starke Bewegungen/Vokalisation) eingeteilt.
Zunächst zur Injektion: Während der 30 Betriebsbesuche wurde bei 371 Ferkeln das Abwehrverhalten beobachtet. Rund zwei Drittel der kastrierten Ferkel zeigten keine oder leichte, nicht unmittelbar mit der Kastration in Zusammenhang stehende Bewegungen der Gliedmaßen (Grad 1 und 2). Das restliche Drittel der Ferkel führte während der Kastration teils recht starke Abwehrbewegungen aus (siehe Übersicht).
Im Vergleich dazu sind die Ergebnisse bezüglich der Inhalationsnarkose etwas günstiger: Hier wurde im Rahmen der Besuche das Abwehrverhalten von 3809 Ferkeln beurteilt. 86% der Ferkel wurden Grad 1 und 2 zugeteilt. Bei den restlichen 14% stellte man eine unzureichende Narkosetiefe fest (Grad 3/4).
Dass bei der Injektion häufiger eine unzureichende Narkosetiefe bemängelt wird, könnte mit der schwierigen Dosierung des Narkosemittels bei kleinen Ferkeln zusammenhängen. Schwerere Ferkel zeigten tendenziell weniger häufig Anästhesien mit Graden 3 und 4.
Aufwachphase variiert
Der gravierendste Unterschied zwischen den Narkoseverfahren besteht bei der Länge der Nachschlafphase. Zunächst zur Injektion: Die Zeit, bis 50% der narkotisierten Ferkel sich in Sternallage (auf das Brustbein gestützt) befanden, betrug 48 Minuten. 50% der Tiere standen nach durchschnittlich 69 Minuten und 50% gingen nach 112 Minuten koordiniert.
Ganz anders bei der Inhalationsnarkose; hier war das Aufwachen völlig problemlos. Nach den Angaben aus der Umfrage wachten 37% der Ferkel nach weniger als zwei Minuten und 62% der Tiere innerhalb von 2 bis 5 Minuten wieder vollständig auf.
Auch wurde um eine Einschätzung bezüglich der Verlusten während der Aufwachphase gebeten. Während der Besuche auf den Betrieben mit der Injektionsnarkose verendete kein einziges Tier. Jedoch berichteten 83% der befragten und 70% der besuchten Betriebsleiter von Verlusten in der Vergangenheit.
Wie die Landwirte versicherten, hängt dies mit der relativ langen Nachschlafphase zusammen. Eine Verbindung zum häufiger beobachteten Nachbluten oder der vorherigen Gewichtserfassung zur exakten Dosierung des Narkosemittels ließ sich nicht herstellen.
Bei der Inhalationsnarkose wurden blutungs- oder kastrationsbedingte Verluste noch seltener beobachtet. 82% der befragten und 83% der besuchten Betriebe hatten noch nie einen solchen Todesfall zu beklagen.
Bei den Besuchen und bei der Befragung betonten die Landwirte, dass sie den vermehrten Zeitaufwand als nachteilig empfinden. Doch wie schnell geht die Kastration mit Narkose tatsächlich über die Bühne?
Injektion dauert länger
Zunächst die Erfahrungen zur Injektion: Anhand der Daten aus den Fragebögen wurde ein Wert von fast acht Minuten errechnet. Mit einbezogen sind die Vor- und Nacharbeiten sowie die Kastration. Während der Besuche wurde ein Mittel von knapp sechs Minuten je Ferkel erfasst. Hier ist zu vermerken, dass die Herdengrößen der Betriebe dieser Gruppe unterdurchschnittlich waren. Bei einer Inhalationsnarkose betrug die benötigte Zeit pro Ferkel im Mittel 4,25 Minuten und reichte von 1,48 bis 13,7 Minuten.
Um die Arbeitsabläufe zu optimieren, werden gern Maßnahmen kombiniert. Auch auf den Betrieben mit der Injektionsnarkose war dies der Fall: In 17% der besuchten Betriebe wurden während der Injektionsanästhesie zusätzliche Arbeiten wie das Einziehen der Ohrmarken erledigt. In den Fragebögen gaben 37% der Betriebe an, andere Arbeiten mitzuerledigen.
Diese Quote war bei den Betrieben, die mit der Inhalationsnarkose arbeiten, höher: In 57% der befragten und 46% der besuchten Betriebe wurden im Zusammenhang mit der Kastration andere Maßnahmen am Ferkel erledigt. Sehr häufig erfolgte die Eiseninjektion oder das Ohrmarken einziehen.
Isofluran: Knackpunkt Arbeitsschutz
Ein weiterer Punkt ist der Arbeitsschutz. Denn das gesundheitsschädliche Isofluran ist leicht flüchtig. Die Räume, in denen Isofluran eingesetzt wird, müssen darum gut belüftet werden bzw. sollten mit einem aktiven Abzug ausgerüstet sein.
Dennoch beklagten sich im Fragebogen 22% der Ferkelproduzenten über ein Unwohlsein während bzw. nach der Arbeit. Bei den Besuchen sah dies nicht viel anders aus: 27% der Betriebsleiter klagten über Kopfschmerz und Schwindel und 34% hatten grundsätzliche Bedenken bezüglich ihrer Gesundheit.
Dies korreliert sehr stark mit der Zufriedenheit der Ferkelerzeuger insgesamt mit dem Narkoseverfahren. Hinzu kommt, dass bei zunehmendem Alter der Gerätschaft neben der Qualität der Narkose auch die Arbeitsplatzsicherheit abnehmen könnte. Denn schmutzige, poröse Gummiteile der Atemmaske können eine erhöhte Isoflurankonzentration im Raum verursachen.
Bei der Befragung und den Besuchen waren die Narkosegeräte weniger als drei Jahre alt. Dennoch war ein beträchtlicher Anteil von 28% nicht in optimalem Zustand. Ein regelmäßiger Service am Gerät gemäß der Empfehlung der Lieferfirma ist somit dringend durchzuführen, auch wenn die Kosten relativ hoch sind.
Bleibt festzuhalten
In der Schweiz liegen Erfahrungen zur Inhalations- und Injektionsnarkose im Rahmen der Ferkelkastration vor:
- Die Inhalationsnarkose ist für die Tiere äußerst schonend. Die Kastration kann bereits in der ersten Lebenswoche erfolgen und wird oft mit anderen Maßnahmen kombiniert. Die Nachteile: Der apparative Aufwand ist groß. Zudem klagte jeder fünfte Anwender über Unwohlsein während bzw. nach der Arbeit.
- Im Falle der Injektionsnarkose sollten die Ferkel bereits eine Woche oder älter sein. Um Verluste zu vermeiden, sollten die kastrierten Eberferkel die Aufwachphase in einer warmen Umgebung abgetrennt von dem Muttertier verbringen.
- Bei beiden Narkoseverfahren wird der postoperative Kastrationsschmerz nicht verhindert und muss durch eine Schmerzmittel-Gabe vor der Operation gelindert werden.
- Generell besteht bei beiden Verfahren weiterer Forschungsbedarf, um bestehende Defizite bei der Narkosetiefe oder beim Arbeitsschutz zu beseitigen.