Für viele Betriebe ist sie ein unbekanntes oder nur sporadisches Geschehen. In anderen Beständen ist sie ein schrecklicher, jahrelanger Begleiter in der Ferkelaufzucht: Die Ödemkrankheit. Es handelt sich hierbei um eine Infektion mit dem bekannten Erreger E. coli. Jedoch unterscheidet sich der coli-Typ grundlegend von den Stämmen, die insbesondere frühe Saugferkel- sowie Absetzdurchfälle verursachen. Im Gegensatz zu den Diarrhoe-Erregern wird bei der Ödemkrankheit ein spezielles Gift namens Shiga-Toxin 2 gebildet. Das Gift bilden die coli-Bakterien im Darm. Es gelangt dann über die Blutbahn in den Körper. Dort löst es die charakteristischen Krankheitssymptome aus. Dabei kommt es in der Regel nicht zu Durchfällen, wie landläufig immer noch vermutet wird. Typische klinische Anzeichen der Ödemkrankheit sind geschwollene Augenlider (Lidödem) und zentralnervöse Störungen. Hierzu gehören Koordinationsstörungen, die Seitenlage sowie das typische Zittern der Augen. Durch den perakuten Verlauf der Intoxikation sterben erkrankte Tiere oft in kürzester Zeit, ohne dass man die Symptome erkennt. Die Erkrankung betrifft häufig nur Einzelgruppen. Trotz aller Bemühungen kann aber auch die gesamte Ferkelaufzucht und teilweise die Vormast betroffen sein. Krankheitseinbrüche führen zu massiven Verlusten. Ausmaß und Schnelligkeit, mit der die Ödemkrankheit zuschlägt, lassen die Ferkelhalter zeitweise verzweifeln. Betriebe, in denen die Ödemkrankheit nachgewiesen wird und die Erfahrung mit den Vorboten haben, erhöhen die Frequenz der Kontrollgänge. Dies ermöglicht ein schnelles Eingreifen. Da in vielen Betrieben eine gewisse Regelmäßigkeit des Auftretens zu erkennen ist, kommt zuerst oft die Fütterungsstrategie auf den Prüfstand. Denn die gleichmäßige Futteraufnahme ist ein Schlüsselfaktor für die Stabilität der Darmflora. Ansatzpunkte sind hier u. a. schmackhaftes Futter, gleitende Futterwechsel, optimale Tier-Fressplatz-Verhältnisse und eine exzellente Futterhygiene. Verschiedenste Säurekombinationen sollen zudem die Darmstabilität verbessern. Doch leider gibt es Betriebe, in denen diese Bemühungen nur bedingt Erfolg bringen. Denn auch orale Wassersubstitute erreichen in der Regel keine befriedigende Wirkung. Zudem ist der prophylaktische Einsatz von Zinkverbindungen im Futter in Deutschland verboten. Mangels Erfolg wird in extrem betroffenen Betrieben sogar eine Proteinreduktion des Aufzuchtfutters erwägt. Sie soll die Vermehrung der coli-Keime reduzieren. Jedoch wird die eiweißreduzierte, rohfaserreichere, restriktive Fütterung dem Wachstumspotenzial der Tiere nicht gerecht. Daher sind neben einer verlängerten Aufzucht später auch verminderte Mastleistungen zu beobachten. Erkennt der Tierarzt die Ödemkrankheit, verordnet er in der Regel die orale Gabe oder im Ernstfall auch die Injektion von Antibiotika. Ziel ist, die Tierverluste zu reduzieren. Doch der Einsatz von Antibiotika hat ebenfalls Grenzen. Da die E. coli-Keime, die die Ödemkrankheit auslösen, endemisch im Bestand vorhanden sind, kann es zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten in der Aufzucht zur Vermehrung im Darm und zum Übertritt des Giftes in den Körper kommen. Es gibt sogar Betriebe, in denen mehrere Ödemphasen in einer Gruppe auftreten. Diese unüberschaubare Situation führt teilweise zur mehrmaligen antibiotischen Therapie. Diese ist allerdings gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Antibiotika nicht dauerhaft zu befürworten. Die Therapie mit wirksamen Antibiotika kann nur eine Akutmaßnahme sein! Die Entwicklung einer neuen prophylaktischen Maßnahme gegen die Ödemkrankheit kommt daher Tierärzten und Landwirten entgegen. So ist es nach zahlreichen erfolglosen Versuchen jetzt gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln, der die Ferkel vor der Ödemkrankheit schützen kann. Es handelt sich im Gegensatz zu früheren Bemühungen nicht um die Verhinderung der Anheftung der E. coli-Keime im Darm. Vielmehr blockiert der neue Impfstoff die beschriebene Toxinwirkung im Organismus. Vereinfacht dargestellt ist das im Impfstoff enthaltene Shiga-Toxin genetisch so verändert, dass es eine sichere Antikörperbildung induziert. Gleichzeitig verursacht es bei der Applikation keine Vergiftung der empfindlichen Saugferkel. Die Verträglichkeit ist gerade bei einem Toxinimpfstoff sehr wichtig. Die Ferkel bilden nach 25 Tagen einen ausreichenden Schutz gegen die Toxinwirkung aus. In den wissenschaftlichen Versuchen wurden bei entsprechender Dosis bei 100 % der geimpften Ferkel nach 35 Tagen protektive Antikörper ermittelt. Die Infektion mit den für die Ödemkrankheit verantwortlichen E. coli-Erregern findet wie gewohnt im Darm statt. Die Erreger vermehren sich und bilden weiter das tödliche Gift. Wenn das Gift über die Darmschranke in das Gefäßsystem gelangt, wird das Molekül von den spezifischen Antikörpern abgefangen und neutralisiert. Die vereinfachte Darstellung des Wirkmechanismus der neuartigen Vakzine macht auch deutlich, dass es in den impfenden Betrieben weiterhin zur Vermehrung des Erregers kommt. Es gibt keine Verminderung des Infektionsdruckes. Der neue Impfstoff ist seit Anfang 2012 unter gewissen Auflagen im Feldeinsatz. Er befindet sich noch in der Zulassung, so dass der Gesetzgeber gewisse Bedingungen an den Einsatz knüpft. So muss in den beantragenden Betrieben anhand von Sektionen eindeutig nachgewiesen werden, dass die entsprechenden E. coli- Stämme zu den Symptomen der Ödemkrankheit führen. Erst bei Vorlage der Laborbefunde erfolgt die Freigabe. Ein Nachweis aus Kotproben ist nicht sinnvoll, da allein das Vorkommen der Erreger im Bestand nicht die Krankheits- und Todesursache erklärt. Blutuntersuchungen geben ebenfalls keinen Sinn. Denn es gibt keinen Test, der das Shiga-Toxin in der Routinediagnostik entsprechend der Klinik nachweisen kann. Die hohen Auflagen zur Freigabe der Vakzine scheinen auf den ersten Blick eine Erschwernis zu sein. Doch in der Praxis ist genau dies der Grundstein zum Erfolg. Denn die Symptome, die klinisch auf Toxin-bildende E. coli-Stämme hinweisen, treten auch bei anderen Infektionserregern auf. Als Differentialdiagnosen müssen unter anderem Glässersche Krankheit, Streptokokken und virale Infektionen ausgeschlossen werden. Auch weniger häufig vorkommende Vergiftungen anderen Ursprungs sind abzuklären. Bei der Sektion frisch verendeter Tiere fallen neben eindeutigen Befunden wie der Ödembildung in Gallenblase und Unterhaut die Veränderungen im Gehirn auf. Häufig müssen mehrere, akut verstorbene Tiere in die Sektion, um einen eindeutigen Befund zu erhalten. Die Frische des zu untersuchenden Materials und sterile Sektionstechniken sind dabei unerlässlich. Der Nachweis der E. coli-Stämme sowie der Nachweis der Shiga-Toxine mit modernen Verfahren sprechen dann für die Impfung. Der hohe Diagnose-Aufwand lohnt sich. So konnten die Betriebe in der Zulassungsstudie mithilfe der Impfung die Ödem-bedingten Verluste nahezu vollständig ausschalten. Auch der Einsatz von Antibiotika zur Therapie dieser Erkrankung konnte eingestellt werden. Im weiteren Verlauf zeigte sich teilweise außerdem ein homogeneres Wachstum der Tiere. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist zudem die psychische Entlastung des Betriebsleiters. Die Injektion des Impfstoffes am vierten Lebenstag verläuft weitgehend ohne Nebenwirkungen. Die Kosten für den noch nicht zugelassenen Impfstoff werden sich in etwa auf dem Niveau des Circo-Impfstoffs bewegen. Die Mehrkosten werden durch die vermiedenen Schäden auf jeden Fall aufgewogen. Zu den Schäden gehören neben den Totalverlusten auch die durch die Shiga-Toxine verursachten Leistungseinbußen und Behandlungskosten. Noch im Laufe dieses Jahres werden die Ergebnisse der Zulassungsstudie veröffentlicht. Viele der teilnehmenden Betriebe haben bereits angekündigt, dass sie die Impfung fortsetzen wollen. Wichtig bleibt nochmals zu betonen, dass coli-Infektionen mit nachfolgenden Absetzdurchfällen trotz der neuen Impfung weiter auftreten können. Diese Symptome sind in der Regel durch Anpassungen bei Fütterung und Management besser zu kontrollieren. Blitzschnell hohe Verluste Bekämpfung oft ohne Erfolg Neuer Impfstoff gegen das Bakterien-Gift Exakte Diagnose ein Muss! Gute Erfolge in Impf-Betrieben -Ruth Wilmsen, Tierarztpraxis Egen, Kevelaer- Die Ödemkrankheit verursacht verheerende Schäden in der Ferkelaufzucht. Ein neuer Impfstoff verspricht jetzt Linderung.