Kritiker möchten sogenannte Reserve-Antibiotika für Nutztiere verbannen. Den aktuellen Stand der Diskussionen schildert Fachtierarzt Dr. Andreas Wilms-Schulze Kump.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Es wird viel über Reserve-Antibiotika gesprochen. Was versteht man darunter?
Wilms-Schulze Kump: Der Begriff Reserve-Antibiotika ist, ähnlich wie der Begriff Massentierhaltung, nicht genau definiert. Wir Tierärzte verstehen da-runter Antibiotika, die nur eingesetzt werden, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Andere verstehen darunter Arzneimittel, die nur in der Humanmedizin eingesetzt werden sollten. Weltgesundheitsorganisationen wie WHO und OIE sowie die EMA (Europäische Arzneimittelagentur) bezeichnen Reserve-Antibiotika als CIA – critically important antibiotics, also wichtige, kritische Antibiotika. Diese Bezeichnung ist treffender.
Welche kritischen Antibiotika werden in der Schweinehaltung eingesetzt?
Wilms-Schulze Kump: Es geht um Gyrasehemmer, Cephalosporine der dritten und vierten Generation sowie um Makrolide. Wobei die EMA nur die Gyrasehemmer und Cephalosporine der dritten und vierten Generation unter kritische Antibiotika einordnet. Für die WHO gehören zusätzlich die Makrolide dazu.
Über welche eingesetzten Mengen sprechen wir?
Wilms-Schulze Kump: Nach der sogenannten DIMDI-Studie gehörten 2014 nur rund 1 % der in der Tiermedizin eingesetzten Antibiotika zu der Gruppe der Reserve-Antibiotika.
Haben sich die Mengen in den letzten Jahren verändert?
Wilms-Schulze Kump: Erfreulich ist, dass in den letzten Jahren die Antibiotikamengen nach DIMDI-Register deutlich zurückgegangen sind. Dieser Trend ist bei den kritischen Antibiotika leider noch nicht zu erkennen. Hier gilt es, ein stärkeres Bewusstsein für die Verschreibung zu schaffen.
Welche Bedeutung haben die angesprochenen Wirkstoffgruppen in der Humanmedizin?
Wilms-Schulze Kump: In der Humanmedizin gehören über 50 % der eingesetzten Antibiotika zu der Gruppe der Reserve-Antibiotika. In Krankenhäusern stehen oral verabreichte Gyrasehemmer an Position zwei und am Darm vorbei verabreichte Cephalosporine der dritten Generation an Position eins. Cephalosporine wurden laut Arzneimittelverordnungs-Report 2014 im Jahr 2013 um 12,2 % mehr eingesetzt als 2012.
Wann macht es Sinn, bei Schweinen Reserve-Antibiotika einzusetzen?
Wilms-Schulze Kump: Es macht immer dann Sinn, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr helfen. Der Wechsel ist auch aus Gründen des Tierschutzes erforderlich. Das heißt: Bei ausbleibender Wirkung wird ein Resistenztest durchgeführt und dann möglicherweise ein Reserve-Antibiotikum eingesetzt. Beispiele sind unter anderem MMA-Komplex, Ferkelruß, Streptokokken-Meningitis und Durchfall, der E.coli-bedingt ist.
QS weist seit Kurzem einen Index für Reserve-Antibiotika aus. Warum?
Wilms-Schulze Kump: An dieser Kennzahl kann der Landwirt ablesen, wie sein Einsatz der Reserve-Antibiotika im Vergleich zu Berufskollegen einzuordnen ist. Bei hohen Einsätzen sollte über Alternativen gesprochen werden.
Könnten Reserve-Antibiotika für Nutztiere generell verboten werden?
Wilms-Schulze Kump: Das glaube ich nicht. Das BMEL-Eckpunktepapier zu weiteren Regelungen für den Einsatz von Antibiotika bei Tieren ist erstellt. Aus diesem soll nun ein Verordnungsentwurf zur Änderung der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung erarbeitet werden. Dieses Papier sieht kein Verbot, sondern nur eine Einschränkung des Einsatzes von Reserve-Antibiotika vor. Dazu gehören das Verbot der Umwidmung, die Pflicht zur Erstellung eines Antibiogramms sowie die Anforderungen an die Durchführung eines Antibiogramms.
Bleibt uns in diesem Punkt die Therapie-Vielfalt erhalten?
Wilms-Schulze Kump: Der Tierschutz gebietet uns, dass wir kranke Tiere auch mit den besagten Wirkstoffen behandeln, wenn es notwendig ist. Ein generelles Verbot würde nicht nur den Tierschutz, sondern auch die Lebensmittelsicherheit gefährden.
Sollten Reserve-Antibiotika nicht deutlich höhere Therapiehäufigkeiten nach sich ziehen?
Wilms-Schulze Kump: Das wäre sinnvoll. Zurzeit werden die Arzneimittel mit zwei Wirkstoffen (Linco-Spectinomycin, Trimethoprim-Sulfa) oder längerer Wirkdauer (Tulathromycin, Tildipirosin) mathematisch bei der Berechnung der Therapiehäufigkeit schlechter bewertet. Ich schlage vor, dass man diese ebenso wie Reserve-Antibiotika auch nur mit dem Faktor eins bewertet. Ein Malusfaktor beim Einsatz von Reserve-Antibiotika wäre ebenfalls eine Option.