Bestandsspezifische Vakzine können kommerzielle Impfkonzepte ergänzen. Um welche Erreger geht es? Welche Punkte sind zu beachten?
Dr. Sandra Löbert, Landwirtschaftskammer NRW
Der Druck, den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung zu senken, ist stetig gewachsen. Das staatliche Antibiotikamonitoring lässt hier bereits deutliche Erfolge erkennen. Einen großen Beitrag hierzu leistet neben der Optimierung der Hygiene und des Managements auch der Einsatz von Impfstoffen.
Früher Schutz über Biestmilch
Denn anders als der Mensch, überträgt das Schwein in der Gebärmutter keine Antikörper auf die Föten. Ferkel kommen also vollkommen ungeschützt zur Welt. Sie sind auf Antikörper aus der Biestmilch angewiesen.
Hierzu muss jedes Ferkel genug Biestmilch aufnehmen. Das wird bei stetig größeren Würfen schwieriger. Wichtig ist zudem, dass die Qualität der Biestmilch stimmt. Das heißt: Sie muss alle Antikörper enthalten, um die Ferkel vor Infektionen im Bestand zu schützen.
Dafür muss die Sau mit den passenden Erregern in Kontakt gekommen sein. Dies kann z.B. im Rahmen einer korrekten Jungsaueneingliederung und durch die passende Impfung der Muttertiere erfolgen.
Zur passiven Immunisierung der Ferkel per Mutterschutzimpfung stehen eine Reihe kommerzieller Vakzine bereit. Am häufigsten werden Impfstoffe gegen E.coli und Clostridium perfringens eingesetzt, die ebenfalls als Kombi-Impfstoffe erhältlich sind. Auch Vakzine gegen Circovirus, APP, Glässersche Krankheit, Schnüffelkrankheit, Salmonellen sowie weitere Erreger sind als Mutterschutzimpfung verfügbar. Die Übersicht zeigt eine Auswahl der Impfungen der Sau, die primär zur passiven Immunisierung der Ferkel dienen.
Leider gibt es nicht gegen alle wirtschaftlich bedeutsamen Erkrankungen passende kommerzielle Impfstoffe. Solche fehlen z.B. gegen Streptokokken- Meningitis, Ferkelruß oder Gelenksmykoplasmen.
Zudem gibt es Erreger, die sehr variabel und damit je nach Bestand unterschiedlich sind. Hinzu kommt, dass manche Erreger über sehr viele Stämme oder Serotypen verfügen, die nicht alle mit kommerziellen Impfstoffen abgedeckt werden. Dies gilt z.B. für APP, die Glässersche Krankheit sowie für E.coli und für Clostridium perfringens.
Hier kann der Einsatz bestandsspezifischer Impfstoffe sinnvoll sein. Dabei handelt es sich um inaktivierte Impfstoffe. Die sogenannten Totimpfstoffe werden aus Erregern eines bestimmten Bestandes hergestellt und dürfen nur in diesem zur Anwendung kommen.
Als Bestand zählt eine seuchenhygienische Einheit aus Zucht-, Nachzucht- und Aufzuchttieren in örtlich getrennten Stallungen. Das heißt: Ein Impfstoff mit Erregern aus der Aufzucht darf auch bei den zugehörigen Sauen eingesetzt, oder Erreger aus der Mast dürfen für Ferkelimpfstoffe verwendet werden.
Die Wirksamkeit bestandsspezifischer Impfstoffe hängt in großem Maße davon ab, dass der Herstellung eine gründliche Diagnostik vorangeht. Der Impfstoff muss exakt die Erreger enthalten, die für die Probleme im Bestand verantwortlich sind. Nicht selten sind viele Untersuchungen notwendig, bis der „Übeltäter“ gefunden ist und man sicher sein kann, dass alle relevanten Stämme erwischt wurden.
Diagnostik ist das A und O
Wichtigste Grundlage ist die Probennahme bei akut erkrankten und unbehandelten Tieren mit typischen Krankheitserscheinungen. Zudem sollten für bestandsspezifische Impfstoffe nur Stämme verwendet werden, die vom Ort der Erkrankung stammen. So sollten z.B. in einen Impfstoff gegen Streptokokken-bedingte Hirnhautentzündung nur Stämme einfließen, die im Gehirn isoliert wurden, nicht aber Stämme aus der Lunge.
Bei Saugferkeldurchfällen ist es oft sinnvoller, Erreger aus Darmabschnitten von euthanasierten Tieren zu verwenden als Kottupfer einzusetzen. Und bei Erkrankungen der Lunge ist der Erregernachweis aus Lungengewebe besser als aus Nasentupfern.
Wichtig ist zudem, vor der Impfstoffherstellung den Keim genau zu typisieren. Denn von Erregern wie Streptococcus suis, APP oder Haemophilus parasuis können viele verschiedene Stämme vorkommen. Moderne molekulargenetische Methoden ermöglichen eine sehr genaue Charakterisierung.
In Deutschland dienen bestandsspezifische Impfstoffe größtenteils zur Vorbeuge bakterieller Krankheiten. Eine Ausnahme sind Rotaviren, die zu Saugferkeldurchfällen führen können.
Häufige Anwendungsgebiete für bestandsspezifische Impfstoffe sind:
- Saugferkeldurchfälle durch E.coli oder Clostridium perfringens,
- Atemwegsinfektionen durch Bordetella bronchiseptica, Pasteurella multocida, APP oder Haemophilus parasuis,
- Mycoplasma hyorhinis und Mycoplasma hyosynoviae,
- Streptococcus suis als Auslöser von Hirnhaut-, Lungen- und Gelenksentzündungen.
Klare rechtliche Vorgaben
Bei der Herstellung und Anwendung von bestandsspezifischen Impfstoffen gilt es, einige rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. Grundsätzlich ist im Tiergesundheitsgesetz geregelt, dass nur Impfstoffe in den Verkehr gebracht werden dürfen, die das Paul-Ehrlich-Institut zugelassen hat. Von der Zulassungspflicht sind bestandsspezifische Impfstoffe befreit.
Allerdings muss der Hersteller eine Erlaubnis bei der Landesbehörde beantragen, um Bestandsvakzine produzieren zu dürfen. Im Jahr 2016 gab es 17 Firmen mit einer Herstellungserlaubnis für bestandsspezifische Vakzine. Die Anzahl erzeugter Chargen für Schweine ist von 3875 im Jahr 2014 auf 4683 im Jahr 2016 gestiegen. Die Anzahl der Impfdosen ist rückläufig.
Die Vorgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Lagerung der Impfstoffe sind im Tiergesundheitsgesetz und der Tierimpfstoffverordnung festgelegt. Es gilt: Bestandsspezifische Impfstoffe sind nur erlaubt, wenn für den Zweck kein geeigneter, kommerzieller Impfstoff zur Verfügung steht. Das heißt:
- Es ist kein Impfstoff zugelassen,
- der Impfstoff ist am Markt nicht verfügbar, sprich nicht lieferbar,
- der kommerzielle Impfstoff zeigt keine ausreichende Wirksamkeit.
Somit gilt, dass bestandsspezifische Impfstoffe immer als Ergänzung für zugelassene Impfstoffe zu sehen sind, nicht als Ersatz!
Zu beachten ist auch, dass im Gegensatz zu kommerziellen Impfstoffen keine Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprüfung erfolgt. Nur die Sterilität wird getestet. Daher ist vor dem Einsatz im Bestand eine Probeimpfung einer kleinen Tiergruppe unter Aufsicht des Hoftierarztes ratsam.
Wann Ferkel impfen?
Das Impfschema ist so vielfältig wie die Palette an Erregern. Es sollte immer an das Krankheitsgeschehen im Bestand angepasst sein. Die Sauenimpfung spielt häufig eine Schlüsselrolle, um den Erregerdruck im Bestand nachhaltig zu senken. Um einen Schutz gegen Saugferkelerkrankungen zu erreichen, ist die Sauenimpfung sogar unerlässlich. Denn direkt nach der Geburt beginnt ein Wettlauf zwischen guten und krankmachenden Keimen aus dem Geburtskanal und dem Stall sowie den Antikörpern aus der Biestmilch. Bis die Ferkel selbst Antikörper bilden, haben die krankmachenden Keime den Wettlauf oft gewonnen.
Bei Problemen im Flatdeck werden abhängig vom Zeitpunkt der Infektion entweder die Sauen oder die Ferkel direkt geimpft. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der maternale Schutz in der Regel nur vier bis sechs Wochen anhält. Häufig werden daher sowohl die Sauen als auch die Ferkel geimpft.
Wirksamkeit prüfen
Natürlich ist die zusätzliche Impfung der Ferkel aufwendig und teuer. Doch insbesondere zu Beginn einer Impfmaßnahme kann es sinnvoll sein, zumindest so lange auch die Ferkel zu impfen, bis die grundimmunisierten Sauen ihre Würfe absetzen. Auch bestandsspezifische Impfstoffe zum Schutz der Masttiere werden bei den Ferkeln verabreicht. Ziel ist, durch immune Tiere schnell den Erregerdruck im Bestand zu senken.
Doch nicht immer stellt sich der gewünschte Erfolg ein. Dabei gilt: Kein Impfstoff kann Mängel in Hygiene und Management kompensieren. Auch kann ein Impfstoff seine Wirksamkeit verlieren. Häufigste Ursache ist, dass sich Erreger weiterentwickeln und ihre krankmachenden Eigenschaften verändern. Weiterhin können Tierzukäufe die Keimflora im Bestand verändern.
Eine gründliche Diagnostik ist daher nicht nur zu Beginn, sondern auch für den weiteren Verlauf einer bestandsspezifischen Impfung unerlässlich. Um zügig auf eine veränderte Keimflora reagieren zu können, sollten die bestellten Impfstoff-Chargen nicht zu groß sein. Zur Überprüfung der Wirksamkeit können folgende Parameter dienen:
- Erkrankungs-/Verlustrate,
- klinische Erkrankung,
- die Leistungsdaten,
- Medikamenteneinsatz,
- Schlachthofbefunde.
Der Erfolg hängt auch vom Erreger ab. So gibt es schwer isolierbare und anzüchtbare Keime wie Mykoplasmen. Bei anderen Erregern gibt es bestimmte Stämme, welche die Herstellung einer bestandsspezifischen Vakzine erschweren. Hierunter fällt zum Beispiel Streptococcus suis. Während Impfstoffe gegen den Serotyp 2 zumindest eine deutliche Reduzierung der erkrankten Tiere und der Verluste erreichen können, sind Impfstoffe gegen Serotyp 9 aktuell in den meisten Fällen erfolglos.
Um eine Impfmaßnahme bewerten zu können, muss der Betrieb sie lange genug durchführen. Erfolge stellen sich insbesondere bei Ferkelimpfungen selten nach der ersten oder zweiten geimpften Gruppe ein. Ausnahmen hiervon gibt es natürlich. In der Regel kann man jedoch sagen, dass es erst dann bergauf geht, wenn sich nur noch geimpfte Tiere im Stall befinden.
Fazit
Bestandsspezifische Impfstoffe sind eine gute Ergänzung zu kommerziellen Vakzinen. Das gilt insbesondere, wenn es um die Gesunderhaltung des Bestandes und geringere Antibiotikamen- gen geht. Die flexible Kombination von Erregern sowie die Möglichkeit, auf das betriebsindividuelle Keimspektrum zu reagieren, sind große Pluspunkte.
Allerdings sind Bestandsimpfstoffe kein Selbstläufer. Unverzichtbar ist eine umfassende Diagnostik. Auch im Verlauf der Impfmaßnahme ist die Wirksamkeit im Auge zu behalten und bei Bedarf die Vakzine anzupassen.