Die Einsparung von Antibiotika stellt die Praktiker vor große Herausforderungen. Wo wir stehen, zeigt unser Interview mit Tierarzt Dr. Andreas Palzer.
Michael Werning, SUS
Aktuelle Zahlen des staatlichen Antibiotika-Monitorings belegen einen Verbrauchsrückgang. Wie werten Sie das?
Palzer: Auswertungen der sogenannten DIMDI-Erfassung zeigen, dass die Nutztierhalter ihren Antibiotika-Verbrauch zwischen 2011 und 2014 um 27 % heruntergefahren haben. Sie bestätigen damit die jüngsten Ergebnisse der QS-Antibiotika-Datenbank. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit, da diverse Einflüsse bei einer alleinigen Betrachtung der Anwendungsmengen keine Berücksichtigung finden.
Welche sind das?
Palzer: Für eine abschließende Beurteilung des Antibiotika-Einsatzes sind zwingend weitere Einflussfaktoren wie die Behandlungsdauer oder die Höhe der Dosierung zu berücksichtigen. Zudem müssen einige ältere Antibiotika höher dosiert werden als Präparate jüngerer Generationen. Nicht zu vergessen ist, dass die Gesamterfassung andere Tierarten wie Milchkühe, Pferde und Heimtiere mit einbezieht. Eine reine Mengendiskussion ist daher wenig zielführend.
Wie bewerten die Behörden die vorgelegten Maßnahmenpläne?
Palzer: Laut Arzneimittelgesetz müssen Tierhalter einen Maßnahmenplan zur Antibiotika-Einsparung vorlegen, wenn ihr Verbrauch im oberen Viertel aller Betriebe liegt. Was bei Landwirten und Tierärzten für großen Unmut sorgt, sind die teils sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen der einzelnen Bundesländer bzw. Veterinärämter. Dies führt zu einer inakzeptablen Ungleichbehandlung der Betriebe. Außerdem gibt es bei den Vorschriften für die Reduktionspläne noch Verbesserungsbedarf. So fordern die Behörden mitunter Informationen, die im einzelnen Betrieb nicht zur Antibiotika-Einsparung beitragen. Dennoch ist den Behörden ein weitestgehend sensibler Umgang mit den Reduktionsplänen zu bescheinigen. Nun ist es wichtig, die Datengrundlage für die Erstellung der Reduktionspläne zu festigen und auszubauen. Hier müssen die Behörden für eine ausreichende Kontrolle des Meldeverhaltens sorgen.
Lassen Landwirte aus Sorge vor Sanktionen notwendige Behandlungen weg?
Palzer: Ja leider, denn die Verunsicherung bei Landwirten und Tierärzten ist groß. In der Praxis ist zu beobachten, dass einige Betriebe ihren Antibiotika-Einsatz massiv zurückfahren oder versuchen, ganz darauf zu verzichten. Wenn der Druck so groß wird, dass kranke Tiere nicht mehr angemessen behandelt werden, verstoßen wir nicht nur gegen den Tierschutz, sondern setzen auch die Sicherheit unserer Lebensmittel aufs Spiel!
Ist zu befürchten, dass die Schlachthofbefunde steigen?
Palzer: Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen aus Dänemark belegen, dass es dort im Rahmen der Antibiotika-Kontrollen zu einem Anstieg der Schlachthofbefunde gekommen ist. Dies wird von den dänischen Kollegen bestätigt. Dieselbe Gefahr besteht bei uns. Es ist nicht hinnehmbar, wenn ein Monitoringsystem zu einer Verschlechterung der Tiergesundheit führt.
Welche weiteren Erfahrungen haben die Dänen gemacht?
Palzer: Dänemark hat bereits 2010 eine staatliche Antibiotika-Überwachung eingeführt. Auffällige Betriebe werden dort im sogenannten Gelbe-Karten-System verwarnt bzw. sanktioniert. Aus Angst um ihre Existenz setzen betroffene Schweinehalter alles daran, ihren Antibiotika-Verbrauch massiv zu senken. Das hat zum Teil verheerende Konsequenzen. So steigen in diesen Betrieben nicht nur die Tierverluste an. Gedeckt durch eine staatliche Ausnahmegenehmigung, versucht man sich auch eine Antibiotika-Reduktion mit dem erhöhten Einsatz von Zinkoxid im Futter zu erkaufen. Als Folge dessen reichert sich das Schwermetall in umweltschädlichem Maße in den Ackerflächen an.
Wie gehen Ihre dänischen Berufskollegen mit der Situation um?
Palzer: Der enorme Druck führt mitunter zu ungewollten Auswüchsen. So hat sich offenbar ein Schwarzmarkt für Antibiotika entwickelt. Dies bestätigen dänische Tierärzte. Das ist natürlich illegal. Doch die Versuchung, über osteuropäische Kanäle Antibiotika zu beziehen, ist offenbar groß. Damit uns nicht Ähnliches droht, ist bei unseren Behörden Fingerspitzengefühl gefragt.
Wie konnte Holland die Antibiotika-Mengen so stark drücken?
Palzer: Den Antibiotika-Verbrauch innerhalb von nur zwei Jahren um 57 % zu reduzieren, ist ohne Frage ein Erfolg und wirkt auf den ersten Blick sehr imposant. Dass dafür keine signifikanten Änderungen der Haltungsbedingungen nötig waren, gibt aber zu denken. So könnte man daraus schließen, dass früher antibiotische Mittel auch ohne therapeutische Notwendigkeit eingesetzt wurden. Des Weiteren setzt man dort nun auf flächendeckende Ferkelimpfungen und eine engere Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Tierärzten. Erstgenanntes zählt bei uns aufgrund der Vermarktungssituation schon lange zum Standard. Und die tierärztliche Bestandskontrolle ist sogar gesetzlich verankert. Da sind wir weiter als die niederländischen Kollegen.
Hat sich der Gesundheitsstatus holländischer Exportferkel verändert?
Palzer: Wir müssen feststellen, dass die aus Holland, aber auch aus Dänemark importierten Ferkel gesundheitlich zunehmend schlechter aufgestellt sind. Einige Sauenhalter verzichten dort aus Sorge vor behördlichen Sanktionen auf notwendige Antibiotika-Gaben. In der Folge können sich Krankheitsgeschehen aufschaukeln, die teilweise erst in der Mast zum Tragen kommen. Außerdem ist unter diesen Umständen anzunehmen, dass nicht die gesündesten Ferkelpartien in den Export gehen.
Wie ist der Umgang mit Reserve-Antibiotika in der Nutztierhaltung?
Palzer: Die Abgabemengen zeigen, dass verantwortungsvoll mit den sogenannten Reserve-Antibiotika umgegangen wird. So machen sie nur etwa 1,5 % aller in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika aus. Allerdings gibt es in der Nutztierhaltung Erkrankungen, bei denen wir auf diese Stoffklassen angewiesen sind. Ein striktes Verbot würde bedeuten, dass erkrankte bzw. leidende Tiere in Extremfällen euthanasiert statt therapiert werden müssten. Das kann nicht im Sinne des Tierschutzes sein.
Welche Reserve-Antibiotika werden bei Schweinen vornehmlich eingesetzt?
Palzer: Da es keine klare Definition für Reserve-Antibiotika gibt, müssen wir zuerst festlegen, von welchen Stoffklassen wir sprechen. Häufig gemeint sind die Fluoroquinolone und Cephalosporine. Beide Stoffklassen gehören in der Humanmedizin zu den älteren Antibiotika und finden dort immer weniger Verwendung. Darüber hinaus werden die Stoffklassen bei Schweinen nur im geringen Maße eingesetzt.
Letztlich geht es um die Vermeidung von Resistenzen. Kommen wir hier voran?
Palzer: Jeden Antibiotika-Einsatz für die Resistenzbildung verantwortlich zu machen, wäre falsch. Gleichwohl tötet jede Anwendung empfindliche Bakterien ab, wodurch bereits vorhandene resistente Bakterien günstigere Lebensbedingungen vorfinden. Die Antibiotika-Reduktion in der Tierhaltung ist daher ein richtiger Ansatz, der aber mit Weitsicht verfolgt werden muss. Denn aus der Not heraus verkürzte oder zu knapp dosierte Antibiotika-Gaben fördern die Vermehrung resistenter Bakterien. Zudem muss für eine nachhaltige Verbesserung die Humanmedizin stärker eingebunden werden. Schließlich wollen wir die Resistenzsituation beim Menschen verbessern.
Wie muss es jetzt weitergehen?
Palzer: Ein kompletter Antibiotika-Verzicht ist kein gangbarer Weg in der Schweinehaltung. Hier haben wir es mit sehr betriebsindividuellen Produktionsstrukturen zu tun. Ein Patentrezept gibt es daher nicht. Zudem sind einige Krankheiten wie z. B. Coli-Durchfälle bei Absetzferkeln ohne Antibiotika kaum zu kontrollieren. Ein sinkender Verbrauch muss daher weiter das Ziel sein, aber nur in Absprache mit dem Tierarzt und in einem gesundheitlich wie tierschutzrechtlich vertretbaren Maße.