Tierarzt Rolf Nathaus, Vet-Team, Reken Wenn Sauen plötzlich verenden Eine hohe Sauensterblichkeit im Bestand wirft viele Fragen auf. Wie sollen Sauenhalter und Tierarzt reagieren? Welche Lösungsansätze gibt es? W enn zu viele Sauen wegen einer schlechten Behandlungsprognose getötet werden müssen oder nach längerer Behandlung doch noch verenden, liegen die Nerven des Betriebsleiters oft blank. Noch schlimmer wird es, wenn sich unerwartete − und damit meist ungeklärte − Todesfälle häufen. Denn hiervon sind vor allem säugende oder hochtragende Sauen betroffen. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Verluste ist enorm. Neben dem sofortigen Produktionsausfall der Sau und ihrer Ferkel schlagen erhöhte Remontierungskosten zu Buche. In einer US-amerikanischen Untersuchung wird der Anstieg der Sauensterblichkeit von 3 % auf 14 % mit Kosten von umgerechnet rund 55 Q je verbliebener Stammsau beziffert. Fallstudie im 5 200er-Sauenbetrieb Einen aktuellen Fallbericht zu diesem Thema haben Veterinäre aus den USA jetzt im Journal of Swine Health and Production vorgestellt. Die Untersuchung fand während der Monate Mai bis Oktober in einer 5 200er- Sauenanlage in North Carolina statt. Als weitere Eckdaten zum Betrieb geben die Autoren eine durchschnittliche Wurfzahl von 3,25 sowie im Schnitt 20 Säugetage an. Abferkel-, Deck- und Wartebereich können über Kühlaggregate ventiliert werden. Eine monatliche Auswertung der Sauenverluste aus dem vorangegangenen Jahr zeigt deutliche Schwankungen von 7 bis 17 %. Im Rahmen der Studie wurden über einen Zeitraum von sechs Monaten 130 von 193 verstorbenen Sauen seziert. Je nach Befund wurden dann weiterführende Untersuchungen eingeleitet. Am Ende lag vollständiges Datenmaterial aus etwa 107 Untersuchungen vor. Die Sauen wurden je nach Todesumstand in drei Gruppen eingeteilt: Euthanasierte Sauen (45,8 %): Hier entschieden vor allem Gründe des Tierschutzes für eine vorzeitige Tötung kranker Tiere mit schlechter Behandlungsprognose. Todesfälle nach erfolgloser Behandlung (22,4 %): Sauen dieser Gruppe waren zuvor behandelt worden und zeigten vor dem Verenden eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes an. Unerwartete Todesfälle (31,8 %): In diese Gruppe fielen Tiere, die vor dem Verenden keine offensichtlichen Krankheitsanzeichen zeigten und plötzlich verendeten. Plötzliche Todesfälle bei Sauen ernst nehmen Zunächst einmal wurde der Zeitpunkt des Ausscheidens näher unter die Lupe genommen. Ergebnis: 39,4 % der Sauen schieden in der Laktation, 40,6 % während der Trächtigkeit und 20 % zum Zeitpunkt der Belegung aus (siehe Übersicht 1). Gemessen an der kurzen Verweildauer der Sauen im Abferkelstall war die Todesrate bei säugenden Muttertieren deutlich höher als bei güsten und tragenden Sauen. Nicht nur, dass die säugenden Sauen insgesamt häufiger betroffen waren. Im Abferkelstall traten auch auffällig viele plötzliche Todesfälle auf (34,9 %). Auch der Anteil der Todesfälle nach einer Behandlung war bei den säugenden Sauen höher als bei güsten und tragenden Sauen. Nottötungen hingegen wurden vor allem bei Tieren im Deck- und Wartestall vorgenommen. Häufigste Todesursache bzw. häufigster Anlass zur Tötung waren über alle Sauen hinweg Fundamentprobleme, speziell Gelenkentzündungen. In diese Kategorie fielen 23,4 % aller Fälle (siehe Übersicht 2). Am zweithäufigsten wurde eine Magen- Darm-Erkrankung bzw. Magengeschwüre als Hauptursache diagnostiziert (19,6 %), am dritthäufigsten ein Ausscheiden im Zusammenhang mit Geburtsstörungen wie unvollständige Geburten oder Gebärmutter- und Mastdarmvorfällen (18,7 %). Weitere häufig genannte Todesursachen waren Harnwegsprobleme, Atemwegserkrankungen sowie Kreislaufkollaps. Werden die Hauptursachen den Produktionsstadien zugeordnet, ergibt sich folgendes Bild: Im Wartestall konnten in diesem speziellen Betrieb vor allem Erkrankungen des Harnapparates nicht erfolgreich therapiert werden. Sie wurden in ihrer Bedeutung für unerwartete Abgänge nur durch hochgradige Magengeschwüre im Deckund Wartestall übertroffen. Im Abferkelbereich standen eindeutig Bauchfellentzündungen − wahrscheinlich als Folge gestörter Geburtsabläufe − im Vordergrund. Risiken und Lösungsansätze Die Befunderhebung in der Fallstudie zeigt deutlich die Risikofaktoren für Sauensterblichkeit auf. Wobei die Gewichtung der hier beschriebenen Probleme nur eingeschränkt repräsentativ sein kann. Im Folgenden werden die Problemkreise einzeln diskutiert und für den Beispielbetrieb Beratungsempfehlungen erarbeitet. Harnwegsprobleme: Blasenentzündungen und eitrige Nierenentzündungen haben Literaturangaben zufolge eine große Bedeutung als Ursache für Sauenverluste. Das Risiko steigt mit dem Alter der Sauen sowie bei einer langen Geburt. In der Studie konnte bei einem Drittel der Sauen Harnwegsinfektionen als wichtigster oder zumindest zweitrangiger Befund ermittelt werden. Die durchschnittliche Wurfzahl dieser Sauen lag bei 2,1. Die Tierärzte machten vor allem eine unzureichende Wasserversorgung im Betrieb für diese Probleme verantwortlich. Magengeschwüre: Elf der 107 untersuchten Sauen hatten als Hauptbefund ein blutiges Magengeschwür. Fast die Hälfte dieser Tiere, die meist mehr als drei Würfe hinter sich hatten, verstarb plötzlich. Gering- und mittelgradige Magengeschwüre waren ein häufiger Nebenbefund. Als wichtigen Risikofaktor für die untersuchte Herde wird die einmal tägliche Fütterung der tragenden Sauen genannt. Es wurde empfohlen, die Tagesration auf zwei Mahlzeiten zu verteilen. Fundamentprobleme: Gelenkentzündungen sind häufig der Gund für Nottötungen von Sauen. Oft sind ältere Sauen ab dem dritten Wurf betroffen. Es können mehrere Gelenke gleichzeitig entzündet sein. Dies stellte sich auch in dem untersuchten Betrieb so dar. Entgegen den Angaben anderer Untersucher hatten die betroffenen Tiere jedoch im Schnitt weniger als drei Würfe. Bei derartigen Problemen muss zunächst geklärt werden, ob Fundamentprobleme am Anfang eines Krankheitsbildes stehen oder die Folgen z. B. längeren Festliegens sind. Für den Behandlungserfolg ist neben dem Ausmaß der Symptome ganz entscheidend, dass frühzeitig und über einen ausreichend langen Zeitraum behandelt wird. Die Umstallung der Sau in eine Krankenbucht verbessert die Prognose deutlich. Hitze: In der Literatur werden Außentemperaturen von über 32 °C als wichtiger Risikofaktor genannt. Konkret seien Temperaturen von 28 bis 32 °C im Umgebungsbereich der Sauen kritisch. Im Beispielsbetrieb wurde die Stalltemperatur aufgezeichnet und mit den Todesfällen in Verbindung gebracht. Ergebnis: Rund 70 % der Sauen starben an Tagen mit Stalltemperaturen über 32 °C. Es wurde empfohlen, über effektivere Kühlmöglichkeiten für laktierende Sauen nachzudenken. Geburt: Vielen Studien zufolge ereignet sich etwa die Hälfte aller Sauenverluste in den ersten drei Wochen nach der Geburt. Rund zwei Drittel dieser Tiere verenden vor oder mit dem dritten Wurf. Im untersuchten Betrieb wurden vergleichbare Beobachtungen gemacht. Mängel in der Körperkondition mit latenter Belastung des Stoffwechsels sowie schlecht oder nicht ausgeheilte Krankheiten vorausgegangener Produktionszyklen führen oft dazu, dass die Sauen die Belastung von Abferkelung und Milchproduktion nicht mehr kompensieren können. Genau hier müssen in Problembetrieben die Hebel angesetzt werden. So wurde beispielsweise empfohlen, das Erstbelegalter heraufzusetzen. Frühzeitig tote Sauen sezieren lassen Das Fallbeispiel aus den USA zeigt, dass durch systematisches Aufarbeiten der Todesursachen die Schwachstellen im Betrieb erkannt werden können. Auch bei uns ist das Problem Sauensterblichkeit mittlerweile erkannt worden. Dabei ist zu unterscheiden, ob mehrere Sauen gleichzeitig verenden oder ob die Ausfallrate insgesamt über einen längeren Auswertungszeitraum zugenommen hat. Wenn kurz hintereinander mehrere Sauen verenden, ist oft von einer gemeinsamen Ursache für das Problem auszugehen. Beispiele hierfür sind hochgradige Magengeschwüre aufgrund von Fütterungsproblemen oder extreme Hitzeperioden. Doch auch Infektionskrankheiten wie Clostridiose oder hochgradiges Fieber in Verbindung mit einer aggressiven Influenza-Infektion können ein Auslöser sein. In diesen Fällen bietet die klinische Bestandsuntersuchung − eventuell in Verbindung mit weiteren Laboruntersuchungen − erste Anhaltspunkte für die Problemlösung. Ein wichtiger Baustein der Diagnosestellung bleibt jedoch die Sektion. Erst der rechtzeitige Einstieg in die Sektion mehrerer Tiere vervollständigt oftmals das Bild. Die Kosten für Sektion und Entsorgung betragen etwa 100 Q pro Sau. Bei unbefriedigenden Befunden kann im Einzelfall immer noch über weiterführende Untersuchungen wie Bakteriologie und Virologie entschieden werden. Diese Kosten stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der aus fortschreitenden Todesfällen resultiert. Häufen sich Todesfälle im Verlauf des Wirtschaftsjahres, ist die Ursachenforschung oft schwierig, sofern keine eindeutigen Zusammenhänge zu Störungen des Geburts- oder Nachgeburtsablaufs festgestellt werden. Die in der Studie vorgenommene Einteilung der Todesfälle in euthanasierte Sauen, erwartete Abgänge und plötzliche Todesfälle kann durchaus eine Hilfestellung für die Betriebsanalyse darstellen. Zusammen mit einem differenzierten Befundschlüssel im Sauenplaner und regelmäßigen Sektionen von Sauen sind dann vor allem in größeren Betrieben Einsichten in Herdenprobleme zu erwarten. Innerhalb von Erzeugerringen oder Arbeitskreisen wäre eine Vereinheitlichung der Befundschlüssel zum Problem Sauenverluste wünschenswert, um vergleichende Untersuchungen anzustellen. Fokus auf Kondition und Fundament richten Die Aufgabe der Sektion sollte nicht nur auf die Frage Todesursache reduziert werden. Vielmehr können auch klinisch nicht erkannte Probleme wie geringgradige Magengeschwüre, milde Formen von Harnwegsinfektionen und Lungenbefunde aufgedeckt werden und Grundlage für weitere Diagnostik sein. Dabei interessiert aus bestandsdiagnostischer Sicht vor allem, ob sich eine Ereigniskette rekonstruieren lässt. Steht z. B. eine Lahmheit am Anfang einer Krankengeschichte, oder ist sie eine Folge längeren Festliegens? Hat die Sau infolge einer Lahmheit eine schlechte Futterkondition entwickelt, oder liegt eine Unterversorgung vor? In der täglichen Praxis stehen Fundamentprobleme und starke Schwankungen der Körperkondition oft am Anfang einer Krankengeschichte. Die Bedeutung von Lahmheiten und Magen-Darm-Problemen wird auch in der US-Studie hervorgehoben und sollte unabhängig von betriebsspezifischen Problemen auch für unsere Herden in den Vordergrund gerückt werden. Auch Harnwegsinfektionen und Geburtsprobleme sind vielfach Folgeerscheinungen. So ist das Risiko für Harnwegsinfektionen nicht nur erhöht, wenn das Wasserangebot zu niedrig ist, sondern auch dann, wenn die Sauen ungern aufstehen, um Wasser aufzunehmen oder viel auf dem Schinken sitzen und ein höheres Risiko für Keimeinwanderung besteht. Schlechte Körperkondition kann gleichzeitig das Immunsystem schwächen.Fazit Die Studie aus den USA verdeutlicht, wie vielfältig die Ursachen für Sauenverluste sein können. Bei den verendeten bzw. notgetöteten Sauen wurden vermehrt Gelenkentzündungen, Magengeschwüre sowie Harnwegsprobleme diagnostiziert. Anhand dieser Befunde konnten detaillierte Beratungsempfehlungen erarbeitet werden. Auch auf unseren Betrieben nimmt das Problem Sauensterblichkeit zu. Vielfach tritt es zeitlich begrenzt auf. Im Einzelfall kann es sich aber auch um ein kontinuierliches Problem handeln. Um Hinweise auf die Ursachen zu bekommen, sollten rechtzeitig mehrere verendete Sauen zur Sektion gegeben werden. Zudem sind Todes- und Abgangsursachen nach einheitlichem Befundschlüssel im Sauenplaner festzuhalten, um betriebliche und überbetriebliche Auswertungen möglich zu machen. In Problembetrieben ist der Fokus insbesondere auf stabilere Fundamente und eine optimale Körperkondition zu richten. Oft sind Fundamentprobleme, Fütterungsfehler und unzureichende Wasserversorgung Ausgangspunkte einer Krankheitsgeschichte. - Nathaus,Rolf -